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Als der Gefangene Marek zum Skizzenmaler für den KZ-Wachmann Hans Grote bestiMMt wird, um ihm bei der Erkundung der Vogelwelt des Lagers zu assistieren, glaubt er sich bald in Freiheit, bei seiner Verlobten Elisa in Krakau. Er irrt. Um zu überleben, wird er lernen müssen, klein zu denken: zeichnen, tote Tiere präparieren, nicht über die Weichsel schwiMMen. Den Gestank der Krematorien riechen, die Wiegenlieder der Frauen auf dem Weg in die KaMMern hören, keine Fragen stellen, Geduld haben. Und vor allem: niemals krank werden. Arno Surminski zeichnet ein erschütterndes PsychograMM zweier Männer,…mehr

Produktbeschreibung
Als der Gefangene Marek zum Skizzenmaler für den KZ-Wachmann Hans Grote bestiMMt wird, um ihm bei der Erkundung der Vogelwelt des Lagers zu assistieren, glaubt er sich bald in Freiheit, bei seiner Verlobten Elisa in Krakau. Er irrt. Um zu überleben, wird er lernen müssen, klein zu denken: zeichnen, tote Tiere präparieren, nicht über die Weichsel schwiMMen. Den Gestank der Krematorien riechen, die Wiegenlieder der Frauen auf dem Weg in die KaMMern hören, keine Fragen stellen, Geduld haben. Und vor allem: niemals krank werden. Arno Surminski zeichnet ein erschütterndes PsychograMM zweier Männer, die sich vor dem unvorstellbaren Grauen des Vernichtungslagers in eine Scheinidylle flüchten. Die alltäglichen, lapidar geschilderten Bilder des Schreckens treffen seine Protagonisten nicht, aber uns - mitten ins Herz.
Autorenporträt
Surminski, Arno
Arno Surminski, 1934 in Jaglack/Ostpreußen geboren, wuchs als Flüchtlingskind im schleswig-holsteinischen Trittau auf. Bekannt wurde Surminski mit vielen Erzählungen und Romanen, die sich meist mit dem Schicksal der Vertriebenen aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten und ihren Bemühungen, im Nachkriegsdeutschland Fuß zu fassen, auseinandersetzen. Der vielfach ausgezeichnete Schriftsteller lebt und arbeitet in Hamburg.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.06.2008

Der Vogelkundler bin ich ja

Wie war das Nebeneinander von Grauen und Normalität möglich? Arno Surminskis unerhörte Novelle über einen Ornithologen in der Nachbarschaft zu Auschwitz.

Von Helmuth Kiesel

Wie war es möglich, dass die Nationalsozialisten in einer zivilisierten Umwelt Vernichtungslager unterhalten und Millionen von Menschen umbringen konnten? Und wie war es möglich, dass Menschen, die davon wussten oder es ahnten, daneben ganz normal weiterleben konnten? Eine Antwort auf diese Fragen wird aus mehreren Teilantworten bestehen müssen, die sich einander ergänzen: aus Hinweisen auf das, was man mit einem umständlichen, aber hier angebrachten Wort "Ermöglichungsbedingungen" nennt. Es bezeichnet nicht die treibenden Kräfte eines geschichtlichen Vorgangs, sondern die Umstände und Verhaltensweisen, die deren Wirksamwerden erlaubten.

Eine dieser Ermöglichungsbedingungen des "Dritten Reichs" und der NS-Verbrechen bestand, wie der Germanist Hans Dieter Schäfer vor geraumer Zeit deutlich gemacht hat, in der Fähigkeit der Menschen, in normativ problematischen Situationen ein "gespaltenes Bewusstsein" zu entwickeln und konsequent durchzuhalten. Einen solchen Fall "gespaltenen Bewusstseins" hat der 1934 in Ostpreußen geborene Arno Surminski nun in seiner Novelle "Die Vogelwelt von Auschwitz" auf eine geradezu bestürzende Weise beschrieben. Man liest und kann es gar nicht fassen. Und doch liegt Surminskis jüngster Novelle eine wahre Geschichte zugrunde, entspricht diese Erzählung dem, was Goethe in einer normativ gewordenen Äußerung, die Surminski denn auch zitiert, von einer Novelle verlangte: dass sie von einer "unerhörten", aber doch "sich ereigneten Begebenheit" berichte.

Im Sommer 1940 entschloss sich ein SS-Mann, der von Beruf Biologe war und zum Dienst nach Auschwitz kommandiert worden war, dem Lagerleiter vorzuschlagen, die artenreiche Vogelfauna der Gegend um Auschwitz und Birkenau beschreiben zu lassen. So erreichte er seine Freistellung vom Wachdienst (der ein Morddienst war) und durfte mit einem polnischen Häftling, der ein begabter Zeichner war, alles auskundschaften und registrieren, was der Vogelkunde diente: Arten, Paarungs- und Nistzeiten, Zahl der Gelege, Ab- und Anflugszeiten. Ihn interessiert nur eins: die Vogelwelt. Was um ihn herum geschieht, auf der Rampe von Auschwitz und beim Bau des Lagers Birkenau, nimmt er einfach nicht wahr, es sei denn, dass Vögel davon betroffen sind. Als Wachleute ein paar Enten abschießen, erwirkt der SS-Ornithologe beim Lagerkommandanten Höß, dass über den ganzen Lagerbereich ein strenges Abschussverbot für Vögel verhängt wird.

Dass daneben Menschen jederzeit erschossen werden dürfen, ja sollen, wenn sich ein Anlass bietet, bleibt davon unberührt, und auch den Vogelkundler scheint es nicht zu berühren. Als gäbe es nichts außer ihm, den Vögeln und seiner Familie, geht er seinen Forschungen nach, träumt von seiner Zukunft auf einem ornithologischen Lehrstuhl, legt 1942 die "Vogelwelt von Auschwitz" vor und darf sich dann neuen vogelkundlichen Studien in anderen Gebieten zuwenden. Am Ende des Kriegs wird er in Polen angeklagt und zu acht Jahren Haft verurteilt, aber nach Eingaben von Ornithologen aus den Niederlanden und aus Großbritannien nach drei Jahren entlassen und kann, am Rhein lebend, vollends zu einer "Koryphäe der ornithologischen Wissenschaft" aufsteigen.

So, in Kürze, die "sich ereignete Begebenheit", die dieser wahrhaft unerhörten Novelle zugrunde liegt. Unerhört ist diese freilich nicht nur wegen des grausigen Inhalts, sondern auch wegen des Erzähltons. Die Ungeheuerlichkeit, dass neben den Gaskammern und Krematorien von Auschwitz ein deutscher Vogelkundler mit einem polnischen Gehilfen namens Marek Rogalski die idyllische Landschaft von Birkenau durchstreift und nach Vögelchen absucht, reproduziert Surminski, indem er sie in dem abgründig gutmütigen Ton Johann Peter Hebels und aus der Sicht des arglos sich gebenden polnischen Gehilfen erzählt.

"In der alten Königsstadt am Ufer der Weichsel", so beginnt es, "lebte in der Mitte des 20. Jahrhunderts ein Mensch namens Marek Rogalski, den kriegerische Umstände in ein Gefangenenlager gebracht hatten. Marek Rogalski war jung an Jahren und gehörte in die Hörsäle der Kunst und der Wissenschaften, doch die erwähnten Umstände hatten seinen Studien ein plötzliches Ende gesetzt." Diesem irritierenden Ton, der trotz aller Unglücksfälle, über die er zu berichten hat, seine ostentative - und freilich oft schmerzende - Behaglichkeit wahren will, entspricht die Treuherzigkeit des polnischen Gehilfen, der sich seinem deutschen Herrn bis zu einem gewissen Grad assimiliert, dessen Freude an der Vogelidylle teilt, dabei aber ein Gefangener bleibt und nie vergessen kann, dass in Auschwitz nicht die Vögel, sondern die Menschen "vogelfrei" sind. Dieser Marek ahnt, dass sein Herr "sich aufs Studium der Vögel verlegt" hat, "um Auschwitz zu ertragen". Er ahnt mithin auch, was ein "gespaltenes Bewusstsein" ist, und entwickelt, um überleben zu können, selbst ein solches, auch wenn es bei ihm täglich durch den Anblick des Galgens auf dem Appellplatz und durch andere Beobachtungen aufgehoben und an die Wirklichkeit des Vernichtungslagers zurückgebunden wird. Gleich zu Beginn der Erzählung freut sich Marek während des morgendlichen Zählappells über einen Weißstorch auf einem Schornstein, der freilich kein gewöhnlicher Schornstein ist, sondern der "Schornstein des Krematoriums", wie ohne Umschweife gesagt wird. Solchermaßen stoßen in Mareks Bewusstsein und mithin in Surminskis Erzählung Idyllik und Grauen permanent aufeinander. Das hat einen makabren Reiz und trägt nicht wenig zur Faszinationskraft dieser unerhörten Novelle bei. Es ist aber nicht nur ein erzählerischer Trick, der sich in der Erzeugung von stimulierenden Sensationen erschöpft - es bringt auch die Ungeheuerlichkeit jener Verhältnisse und jenes Verhaltens auf bestürzende Weise zur Sprache.

Wenn diese an Hebel erinnert, so wird zugleich auch deutlich, dass man Surminskis "Vogelwelt von Auschwitz" nicht so lesen kann wie etwa Hebels "Unverhofftes Wiedersehen" über das Grubenunglück von Falun. Man mag sich darüber freuen, dass die beiden Protagonisten der Novelle dank ihrer blinden Hingabe an die Vogelwelt dem Mord und der Vernichtung entgehen konnten; aber Versöhnung mit dem Ganzen kann - und will - weder von dieser Geschichte noch von ihrer Erzählweise ausgehen. Sie behält den Valeur eines unaufhebbaren und erschütternden Missklangs, der freilich genau kalkuliert ist.

- Arno Surminski: "Die Vogelwelt von

Auschwitz". Novelle. Langen Müller Verlag,

München 2008. 191 S., geb., 17,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Kaum zu glauben findet Helmuth Kiesel die in diesem Band von Arno Surminski erzählte Geschichte. In Wahrheit aber ist sie eine Novelle im strengsten, von Goethe auf den Nenner der "sich ereigneten unerhörten Begebenheit" gebrachten Sinn. Den Vogelkundler, der sich als Wachmann in Auschwitz ausbedang, die nähere Umgebung des Konzentrationslagers ornithologisch zu erkunden, um sich mit den Vorgängen im Innern nicht befassen zu müssen, den gab es ebenso wie seinen polnischen Assistenten, der nun in der Novelle Surminskis als Erzähler fungiert. Irritierend ist nicht nur der Sachverhalt, noch irritierender vielleicht, so Kiesel, der Ton, den der Autor gewählt hat. Sehr bewusst lehnt er sich an den Ton der "Kalendergeschichten" des Johann Peter Hebel an, der nun allerdings im heftigen Kontrast zu den unfassbaren Geschehnissen steht, die so gleich doppelt ausgeblendet, ja "abgespalten" werden. Genau darum, um ein solches "gespaltenes Bewusstsein" als "Ermöglichungsbedingung" des Grauens, sei es Surminski zu tun. Der "erschütternde Missklang" von Inhalt und Form ist darum, lobt Kiesel, ganz "genau kalkuliert".

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