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In den Tag hinein leben, vorhandene Muster meiden, frei sein! Das ist der feste Vorsatz des jungen Paares als es in das Mietshaus zieht. Die übrigen Hausbewohner sind in ihrer eigenen Welt verstrickt und scheinen auf geheimnisvolle Weise ineinander verwoben. Da gibt es die kinderlose Kinderärztin Conny mit ihrer Fernbeziehung, den undurchschaubaren Cellisten Jeff, die alternde, leidenschaftliche Lehrerin Frau Baumgartner und eben Agnes. Zwischen Agnes und der jungen Frau entwickelt sich ein intensives Verhältnis, ein Verhältnis der Anziehung und Abstoßung. Doch plötzlich passiert es: In der…mehr

Produktbeschreibung
In den Tag hinein leben, vorhandene Muster meiden, frei sein! Das ist der feste Vorsatz des jungen Paares als es in das Mietshaus zieht. Die übrigen Hausbewohner sind in ihrer eigenen Welt verstrickt und scheinen auf geheimnisvolle Weise ineinander verwoben. Da gibt es die kinderlose Kinderärztin Conny mit ihrer Fernbeziehung, den undurchschaubaren Cellisten Jeff, die alternde, leidenschaftliche Lehrerin Frau Baumgartner und eben Agnes. Zwischen Agnes und der jungen Frau entwickelt sich ein intensives Verhältnis, ein Verhältnis der Anziehung und Abstoßung. Doch plötzlich passiert es: In der Silvesternacht kommt Agnes ums Leben und nichts ist mehr wie es war. Cut. Die Hausgemeinschaft hat sich aufgelöst und die junge Frau begibt sich auf die Reise. Eine jahrelange Suche nach Leben, Identität und Heimat beginnt. Monique Schwitters außergewöhnliches literarisches Talent kommt in ihrem ersten Roman zur vollen Blüte. Auf jede Psychologisierung verzichtend, dringt die Autorin umso intensiver in die schräge Welt der Protagonisten ein. Tragisch, komisch und verstörend!
Autorenporträt
Monique Schwitter, geb. 1972 in Zürich, lebt seit 2005 in Hamburg. Sie hat in Salzburg Schauspiel und Regie studiert, war unter anderem an den Schauspielhäusern in Zürich, Frankfurt, Graz und Hamburg engagiert und lebt heute als freie Autorin in Hamburg.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.08.2008

Ich ist ein Hörtest

Bei Monique Schwitter wird eine Zimmerlinde gekillt, eine Kissenfee totgetrampelt, und Fabian bekommt Verstopfung: ein Entwicklungsroman, sagt die Autorin.

Beim diesjährigen Bachmann-Wettbewerb wurde erstmals ein außerplanmäßiger Riesenmaschine-Preis "Automatische Literaturkritik" vergeben, wobei Text und Performance nach einem festen Kriterienkatalog beurteilt wurden. Einen Pluspunkt verlieh die Berliner "Zentrale Intelligenz Agentur" an Autoren, die "einen Beruf außer Autor" vorzuweisen hatten. Minuspunkte hingegen gab es für arglose Frauenrollen, die Frage "wer oder was ,Ich' sei" sowie kabinettstückhafte "Handlungsradien" von unter einem Kilometer (F.A.Z. vom 1. Juli 2008).

Die Autorin Monique Schwitter wäre diesem Rezensionsautomaten wohl zum Opfer gefallen, hätte sie in Klagenfurt gelesen. Zwar lebt die Exilschweizerin als Schauspielerin in Hamburg, hat also durchaus außerliterarische Referenzen vorzuweisen. Doch lässt sie ihr Romandebüt im überschaubaren Kosmos einer Hausgemeinschaft spielen. Schon in ihrem preisgekrönten Erzählband "Wenn's schneit beim Krokodil" bewies Schwitter Gespür für die Unwuchten des Alltags. Nun hat sie sich ins ungleich schwierigere Gelände der langen Form gewagt und, wie sie selbst sagt, einen Entwicklungsroman geschrieben.

In einem Zürcher Mietshaus hat man es zunächst mit Entwicklungsverweigerern zu tun. Die Erzählerin, soeben die Matura in der Tasche, bezieht dort zusammen mit ihrer Jugendliebe Fabian Zumsteg eine Wohnung. Die Nachbarn erfüllen Nachbarschaftsklischees: Frau Baumgartner "liebt die Stille", eine stoffelige Studenten-WG döst zu Sisters-of-Mercy-Platten, während Agnes und Gerd ein Paar mit rätselhafter Aura abgeben. "Geigenfeige", "Venusschuh" und "Drachenlilie": in ihrem Wohnzimmer wuchert Tropisches. Wohnen oder vegetieren - wo ist da der Unterschied? Man könnte diese brummkreiselnden Hausbewohner orientierungslos nennen. Und auch die Autorin denkt nicht daran, ihrem Leben den richtigen Schneid zu verpassen; sie verarbeitet sie lieber zu einer gärenden Atmosphäre aus abgestandener Lebenszeit.

Und während die Zeit vergeht und Fabian Zumsteg sich in einen phlegmatischen Fernseh-Buddha verwandelt, experimentiert die Erzählerin mit ihrem Möglichkeitssinn. Der schlägt freilich wilde Kapriolen, wird zum Innenausstatter der Ereignislosigkeit, wird zum Kunstsinn, zum Eigensinn, zum siebten Sinn. Zwischen Anziehung und Abstoßung schleicht sie um fremde Wohnungen, enttarnt Verstrickungen und Abhängigkeiten. Zu Agnes, die in halbdurchsichtigen Batistkleidern auftritt, spürt die Erzählerin eine teils sinnliche, teils feenhafte Anziehung. "Als hätten sich meine Augen an ihrem Mund verbrannt", denn "Agnes' Wesen war derart anschmiegsam, dass keiner mit ihr zusammenprallen konnte, jeder hingegen ihre Nähe suchte, wie die eines Daunenkissens, das man sich zurechtformt, bis es den erschöpften oder traurigen oder mutlosen Kopf perfekt bettet, wunderweich und kuschelsamtig."

Mit jener Kuschelsamtigkeit ist es schlagartig vorbei, als Agnes leblos in ihrer Wohnung gefunden wird. Zu Tode getrampelt, ergibt der Obduktionsbericht, "Abwehrverletzungen waren hingegen keine vorhanden". So, als hätte sie es nicht verhindern wollen. Hat Agnes' Tod etwas mit ihrer Valiumabhängigkeit zu tun? Ist Gerd ein unberechenbarer Schläger? Und warum hat die Erzählerin nicht reagiert auf die nächtlichen Schreie aus dem Erdgeschoss? Agnes' Ermordung, ihre schiere Möglichkeit, ist Drehund Angelpunkt dieser Erzählung, in der noch eine Maus, eine Katze und eine Zimmerlinde zu Tode kommen und in der Fabian Zumsteg vor lauter Nichtstun eine Verstopfung bekommt. Als eines Tages ein Auto in die Glasfront des Nachbarhauses rauscht, versagt auch bei seiner Gefährtin jeglicher Schutzreflex. "Bockssteif" und "wie aufgeklebt" steht sie neben der Unglücksstelle und starrt auf eine umspringende Ampel.

Was ist nun zu tun mit so viel lebensbedrohlicher Apathie? Zunächst wird der Weg zur Kurierung aller Verstopfungen wieder frei gemacht. Wege gabeln sich. "Du hast recht, einfach behaupten, man kenne sich nicht", sagt die Erzählerin zu ihrem Gefährten. Mit diesem Bruch könnte die nebulöse Nachbarschaftsparabel enden. Doch dann werden in einem angehängten zweiten Romanteil Lebensstationen der Ich-Erzählerin skizziert. Sie liebt, reist, jobbt und sucht. Am Ende heiratet sie einen Langweiler, der Hörtests entwickelt. Erneut scheint Passivität ein Grundmotiv zu sein. Und immer wieder ist die tote Agnes der Auslöser für Veränderungen. Sie wird zur Personifizierung einer Suche, die zur stupenden Erkenntnis führt, dass man sein Leben in die Hand nehmen muss. "Ich gehe die Invalidenstraße hinauf oder hinunter", schreibt die Erzählerin, jetzt in Berlin lebend, "das Handydisplay zeigt 07:23. Schwer vorstellbar, dass es heute noch dämmert. War da was? Ich schaue zurück. Aber die Schritte, die ich höre, sind meine eigenen."

Monique Schwitter hat einen sprachlich schnurrenden Entwicklungsroman geschrieben, der die große Rätselmaschine anwirft, der den Möglichkeitssinn des Lesers strapaziert und dem es die "Riesenmaschine" am Ende doch übelnehmen könnte, dass in ihm etwas folgenlos die Frage gestellt wird, "wer oder was ,Ich' sei".

KATHARINA TEUTSCH.

Monique Schwitter: "Ohren haben keine Lider". Roman. Residenz Verlag, St. Pölten/Salzburg 2008. 314 S., geb., 19,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rätselmaschine gegen Riesenmaschine. So bringt Katharina Teutsch diesen Debütroman auf den Punkt. Was der Automatische Bachmannpreis forderte (bitte keine Fragen das 'Ich' betreffend), wird bei Monique Schwitters zwar missachtet. Ihren Möglichkeitssinn scheint die Rezensentin allerdings nicht allzu ungern strapazieren zu lassen, wenn die Erzählerin innerhalb überschaubarer Figuren- und Ortsgegebenheiten eigene und Alltags-Unwuchten auslotet. So entsteht ein, wie die Rezensentin findet, sprachlich gefälliger Entwicklungsroman mit Kuschel- aber auch mit lebensbedrohlichem Potenzial, eine "nebulöse" Parabel aus einem Zürcher Mietshaus mit Untätigkeit als Grundmotiv, die am Ende nur "etwas folgenlos" dasteht.

© Perlentaucher Medien GmbH