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Die Entdeckung von Hildebrand Gurlitts Kunstsammlung nach Jahrzehnten im Verborgenen löste Ende 2013 weltweit einen Skandal aus. Gurlitt selbst war bis dahin nur den wenigsten ein Begriff. Dabei gehörte er zu den Hauptakteuren im millionenschweren Geschäft mit den Bildern, welche die Nazis in den Museen beschlagnahmten und in den besetzten Gebieten raubten. Meike Hoffmann und Nicola Kuhn erzählen zum ersten Mal das Leben des schillernden Kunsthändlers. Als Pionier der modernen Kunst ist Hildebrand Gurlitt in den 1920er Jahren vielbewundert. 1930 wird er als Museumsdirektor entlassen, als der…mehr

Produktbeschreibung
Die Entdeckung von Hildebrand Gurlitts Kunstsammlung nach Jahrzehnten im Verborgenen löste Ende 2013 weltweit einen Skandal aus. Gurlitt selbst war bis dahin nur den wenigsten ein Begriff. Dabei gehörte er zu den Hauptakteuren im millionenschweren Geschäft mit den Bildern, welche die Nazis in den Museen beschlagnahmten und in den besetzten Gebieten raubten.
Meike Hoffmann und Nicola Kuhn erzählen zum ersten Mal das Leben des schillernden Kunsthändlers. Als Pionier der modernen Kunst ist Hildebrand Gurlitt in den 1920er Jahren vielbewundert. 1930 wird er als Museumsdirektor entlassen, als der Gegenwind von rechts zu stark wird, und verliert 1933 erneut seinen Posten. Doch kurz danach beginnt sein zweiter Aufstieg als Kollaborateur und Profiteur im Nationalsozialismus. Er verschafft dem Deutschen Reich Devisen durch den Verkauf von "Entarteter Kunst", geht nach Paris und erobert sich den Kunstmarkt in den besetzten Gebieten. Er wird reich mit Bildern, die er an Hitlers geplantes Museum in Linz verkauft - und ist schon 1948 als Direktor des Kunstvereins in Düsseldorf wieder in Amt und Würden. Gurlitts Biographie öffnet den Blick für ein viel zu lange vernachlässigtes Kapitel der NS-Vergangenheit. Zugleich macht sie begreiflich, wie dieses Kapitel so lange verdrängt werden konnte.
Autorenporträt
Meike Hoffmann ist promovierte Kunsthistorikerin und arbeitet seit vielen Jahren über den Kunsthandel im Nationalsozialismus. Nach den Spuren von Hildebrand Gurlitts Leben hat sie in zahlreichen Archiven im In- und Ausland geforscht. Seit 2006 ist sie Projektkoordinatorin der Forschungsstelle „Entartete Kunst" an der Freien Universität Berlin. Sie war Mitglied der internationalen Taskforce „Schwabinger Kunstfund" und ist Mitarbeiterin der Folgeprojekte zur Erforschung von Gurlitts Kunstsammlung. Nicola Kuhn ist Kunstkritikerin und Redakteurin im Feuilleton des „Tagesspiegels". Sie hat Kunstgeschichte und Neuere Geschichte studiert und an der Freien Universität wie an der Universität der Künste in Berlin gelehrt. 2013 wurde sie mit dem Kritikerpreis der hbs Kulturstiftung ausgezeichnet.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.03.2016

So wurde die Lüge zur Familientradition
Zwei neue Bücher erzählen die Lebensgeschichte des Kunstsammlers und Nazi-Profiteurs Hildebrand Gurlitt

In diesen Tagen erscheinen zwei Biographien zu Hildebrand Gurlitt, "Hitlers Kunsthändler", wie das erste Buch im Titel und das zweite im Untertitel schreibt. Der Unterschied zwischen beiden Veröffentlichungen lässt sich leicht benennen: Die eine stammt von einer englischen Journalistin, Catherine Hickley, die ihre Recherchen bereits vor einem Jahr unter dem Titel "The Munich Art Hoard" veröffentlichte und nun übersetzt vorlegt. Die andere hat ein Autorenduo verfasst, Nicola Kuhn und Meike Hoffmann, wobei Letztere Mitglied der Taskforce war, jener Einsatzgruppe also, die im November 2013 die Bundesregierung und das Land Bayern einberief, um den sogenannten "Schwabinger Kunstfund" aufzuklären.

Kurz vor der Einsetzung der Taskforce war bekanntgeworden, dass die Augsburger Staatsanwaltschaft in München rund 1280 Kunstwerke beschlagnahmt hatte. Besitzer der Sammlung war Cornelius Gurlitt, der Sohn des Kunsthändlers Hildebrand Gurlitt. Hunderte Werke standen unter Verdacht, NS-Raubkunst zu sein. Dieser Verdacht hat sich bisher nicht erhärtet. Nachdem von der Taskforce nur fünf Werke eindeutig als geraubt identifiziert werden konnten, steht nun umgekehrt vor allem die bayerische Regierung unter Verdacht, an einer Privatperson ein Exempel statuiert zu haben, um von den Versäumnissen der staatlichen Sammlungen im Umgang mit der Vergangenheit abzulenken (F.A.Z. vom 14. Januar). Kurzum: Der Fall von Vater und Sohn Gurlitt ist nach wie vor ein Politikum.

Die Biographinnen Kuhn und Hoffmann konnten nun aus dem Nachlass von Hildebrand Gurlitt schöpfen, der ja der Taskforce zur Verfügung stand. Catherine Hickley dagegen hatte nur vereinzelt Zugriff auf private Dokumente, die ihr von Mitgliedern der Familie Gurlitt zur Verfügung gestellt wurden. Mit Spannung durften also beide Bücher erwartet werden, wobei vor allem zwei Fragen im Vordergrund stehen müssen: Zu welcher Einschätzung von Hildebrand Gurlitt kommen sie? Und in welcher Funktion schreibt Meike Hoffmann über Gurlitt? Ist das Buch, das nächste Woche mit einem Grußwort von Monika Grütters in Berlin vorgestellt wird, so etwas wie der zweite Abschlussbericht der Taskforce, nachdem der erste im Januar vorgestellt wurde?

Wer sich für die Herkunft des 1895 geborenen Hildebrand Gurlitt interessiert, seine Kindheit und Jugend, die weit verzweigte Familie und die Zeit beim Militär im Ersten Weltkrieg, kann das bei Kuhn und Hoffmann in aller Ausführlichkeit nachlesen. Als Person wird Gurlitt in den Passagen besonders greifbar, die von der engen Beziehung zu seiner Schwester Cornelia erzählen, einer Künstlerin. Der Kunstkritiker Paul Fechter nannte sie "vielleicht die genialste Begabung der jüngeren expressionistischen Generation". Die Beziehung jedoch, die Cornelia mit Fechter einging, scheiterte; im August 1919 nahm sie Gift und starb an Herzversagen.

Kuhn und Hoffmann schildern den jungen Hildebrand Gurlitt als jemanden, den der Krieg zum Pazifisten machte und den nicht zuletzt der Schmerz über den Tod der Künstlerschwester zu einem glühenden Verehrer der Moderne werden ließ. Zweimal musste Gurlitt aufgrund seines Einsatzes für die Avantgarden seinen Direktorenposten räumen: Zum ersten Mal 1930 am Kunstmuseum in Zwickau, das zweite Mal 1933 am Hamburger Kunstverein, wo er den Fahnenmast vom Dach des Hauses entfernen ließ, um nicht die Hakenkreuzflagge der neuen Machthaber hissen zu müssen.

Danach, im Jahr 1933, beginnt der Abschnitt seines Lebens, der am stärksten erklärungsbedürftig ist. Wie nämlich wird aus dem mutigen und trotzigen Museumsmann einer der erfolgreichsten Kunsthändler im Nationalsozialismus? Beide Bücher kommen hier zu fast identischen Einschätzungen. Vier Gründe treiben die Wandlung an: Erstens die Geburt von Cornelius im Dezember 1932, mit der Hildebrand Gurlitt die Rolle des Familienversorgers zufällt. Zweitens die Sorge, die jüdische Großmutter könne zu seiner rassepolitischen Ächtung führen. Drittens brach die Unterstützung für die moderne Kunst, die es in den ersten Jahren auch in nationalsozialistischen Kreisen gab, zunehmend weg. Und viertens, schließlich: die unerwarteten und unglaublichen Karrierechancen, die ihm das Regime bot.

Nach seiner Entlassung hatte Gurlitt einen Kunsthandel in Hamburg eröffnet. Durch seine Kontakte stieg er 1938 in den Kreis der Kunsthändler auf, die für Devisen die "entartete Kunst" ins Ausland verkaufen durften. Als er nach Kriegsbeginn zu einem der führenden Einkäufer für Hitlers "Führermuseum" in Linz aufstieg, flogen für Gurlitt die Türen in einer Geschwindigkeit auf, die ihn wie eine Droge zu berauschen schien. Sein Auftritt wurde geradezu herrisch, auf einmal hantierte er mit Zahlen, die auch ihm vorher nur aus den Börsennachrichten oder der Paläontologie vertraut gewesen sein dürften. Er verfügte über Millionen, kaufte in Frankreich für sich, für Hitler, darunter für 2,2 Millionen Reichsmark einen Beauvais-Wandteppich, das teuerste Stück.

Der Taumel und die Selbstberauschung waren auch in der Nachkriegszeit nicht zu Ende. In den Entnazifizierungsverfahren, so Hoffmann und Kuhn, liege eine Absurdität, da "die Angeklagten Leumundszeugnisse zu erbringen haben und geradezu aufgefordert werden, ihre alten Netzwerke zu beleben". Die Profiteure stilisieren sich nun gegenseitig zu Widerstandskämpfern, zu Bilderrettern und Idealisten. Und sie sind sich einig: Der ungeheure Erfolg und Reichtum, den sie zum Teil angehäuft haben, ist ihr Verdienst. Nicht das Unrechtsregime, nicht Netzwerke, nicht Verfolgung, Ausbeutung und Mord haben ihren Erfolg beflügelt, sondern das große und ureigene Genie.

Der Lügenpanzer wird so fest geschmiedet, dass jeder, der hindurchzudringen versucht, als Feind gilt. Dazu zählen auch die jüdischen Familien, die sich wegen verschollener Bilder an Gurlitt wenden. Hickley berichtet den Fall des Hamburger Arztes Ernst Julius Wolffson, dessen Erben sich in den fünfziger Jahren bei Gurlitt zum Verbleib von neun Menzel-Zeichnungen erkundigten, die Wolffson 1938 an den Kunsthändler weit unter Wert hatte verkaufen müssen. Gurlitt ließ über seine Anwälte antworten, die Geschäftsbücher seien verbrannt. Das war eine Lüge.

Hickley hält es zudem für unwahrscheinlich, dass er sich nicht mehr erinnerte, an wen er die Menzels mit einem Aufschlag von fünfundzwanzig Prozent verkaufte: Hermann F. Reemtsma. Auch die Kinder von Henri Hinrichsen, die über ihren Anwalt nach dem Verbleib von vier Werken anfragen lassen, die Gurlitt verkaufte, werden - wie Hoffmann und Kuhn berichten - abgewiesen und belogen. Die Lüge wird zur Familientradition.

Auf die brennende Frage, ob Gurlitts Lügen im Umkehrschluss bedeuten, dass er viel Raubkunst besaß, geben die Bücher keine direkte Antwort. Bezeichnenderweise fördern sie keinen weiteren Fall zutage. Was die Hintergründe der Beschlagnahme im Jahr 2012 angeht und den Zustand, in dem sich Cornelius Gurlitt befand, bietet Hickley ihren Lesern mehr Stoff. Kuhn und Hoffmann werden dagegen sehr schmallippig. Was sie schreiben, klingt, als sei es von den Behörden vorher abgesegnet worden. Die Verwandlung vom Taskforce-Mitglied zur angeblich unabhängigen Sachbuchautorin ist in den letzten beiden Kapiteln gründlich missglückt.

JULIA VOSS

Catherine Hickley:

"Gurlitts Schatz". Hitlers Kunsthändler und sein geheimes Erbe.

Aus dem Englischen von Karin Fleischhanderl.

Czernin Verlag, Wien 2016. 325 S., geb., 24,90 [Euro].

Meike Hoffmann und Nicola Kuhn:

"Hitlers Kunsthändler". Hildebrand Gurlitt 1895-1956. Die Biographie.

Verlag C. H. Beck, München 2016. 400 S., geb., 24,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur WELT-Rezension

Swantje Karich verrät, dass sie mehr als skeptisch war, als sie mit der Lektüre von "Hitlers Kunsthändler" begann: Wegen des reißerischen Titels und wegen der Autorin Meike Hoffmann, die als Teil der Gurlitt-Taskforce selbst Teil des Aufarbeitungsschlamassels ist. Doch die Rezensentin wird angenehm überrascht von einer differenzierten und präzisen Biografie, der es gelingt, "diesen wankelmütigen Mann begreifbar zu machen". Lediglich der Schlussteil über die Aufarbeitung des Schwabinger Kunstfunds gerät dann doch so unkritisch wie befürchtet.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 15.03.2016

Ritt auf dem Tiger
Hildebrand Gurlitt stritt für moderne Kunst und wurde „Hitlers Kunsthändler“ – Nun erhellt eine Biografie sein Leben und seine Netzwerke
Wer war dieser Mann, der glaubte, den Tiger reiten zu können? Wer war er, der angeblich alles im Krieg verloren hatte, am Ende seines Lebens jedoch mehr als 1500 Artefakte sowie Konvolute von Briefen, Rechnungen, Geschäftsbüchern hinterließ, die das Leben seine Sohnes unter der Last von Heimlichkeiten begruben?
  Die Kunsthistorikerin Meike Hoffmann und die Kunstkritikerin Nicola Kuhn präsentieren nun die erste umfassende Biografie Hildebrand Gurlitts (1895 – 1956). Und das Buch hat Brisanz. Denn die Autorin – Projektkoordinatorin der Forschungsstelle „Entartete Kunst“ an der Freien Universität Berlin – sammelte schon länger Material zu Hildebrand Gurlitt. Schließlich gehörte er zu dem engen Kreis von vier privilegierten Händlern, die vom Propagandaministerium autorisiert wurden, die in deutschen Museen beschlagnahmte „Entartete Kunst“ gegen Devisen ins Ausland zu verkaufen. Und dabei wurde er offenbar vom zuständigen Funktionär Rolf Hetsch in besonderem Maße bevorzugt.
  Hildebrand Gurlitt musste nicht, wie die anderen auf Kommissionsbasis arbeiten. Gleich sein erster Ankauf war ein gut eingefädelter Coup: Innerhalb eines Tages verkaufte er sechs Gemälde von Wassily Kandinsky und ein Werk von Robert Delaunay mit 1000 Franken Gewinn an die Galerie Gutekunst und Klipstein in Bern. Diese vermittelte die Bilder an das Guggenheim-Museum in New York. Spätestens seit diesem 20. Februar 1939 unterhielt Gurlitt demnach beste Beziehungen zum Schweizer Kunsthändler August Klipstein. Auch dem Nachfolger Eberhard W. Kornfeld hielt er die Treue. Auf diese gewachsene Handelsbeziehung konnte sich noch Hildebrands Sohn Cornelius verlassen, wenn er mal wieder eine expressionistische Grafik zum Zwecke des Lebensunterhalts veräußern musste. Dass das Kunstmuseum Bern den sorgsam gehüteten Bilderschatz erben soll, erscheint vor diesem Hintergrund nur konsequent.
  Meike Hoffmann verteidigt mit dieser Biografie vor allem ihren sorgsam abgesteckten Claim, dessen hermetische Grenzen durch den sogenannten Münchner Kunstfund löchrig wurden. Plötzlich interessierte sich jeder für den „Nazi-Kunsthändler“, der vermeintlich Massen von Raubkunst versteckt hatte. Journalisten bewiesen, dass sie in Archiven schnell fündig werden konnten. Schon im letzten Spätherbst veröffentlichte Thames and Hudson die soliden Recherchen von Catherine Hickley zum Münchner Kunsthort (jetzt auch auf Deutsch: Gurlitts Schatz. Hitlers Kunsthändler und sein geheimes Erbe, Czernin-Verlag, Wien 2016, 325 S., 24.90 Euro.).
  Unterdessen war Meike Hoffmann zum Stillschweigen verpflichtet. Denn sie war die Fachfrau der ersten Stunde, als es darum ging, den von der Staatsanwaltschaft in der Münchner Wohnung von Sohn Cornelius Gurlitt beschlagnahmten Kunstbesitz zu identifizieren. Früher als andere hatte sie Einsicht in die Geschäftsbücher. Wer aber von dem prominenten Mitglied der inzwischen aufgelösten „Taskforce Schwabinger Kunstfund“ einen Enthüllungsroman erwartet – wird enttäuscht. Hoffmann verknüpft „ihre“ Quellen aus nicht näher benanntem Privatbesitz mit dem, was seit dem Kunstfund ohnehin öffentlich geworden ist. Für den Schlussakkord des Buches – die Schilderung des Falls und der daraus resultierenden Konsequenzen für die Provenienzforschung – übernimmt die Kulturredakteurin des Tagesspiegel, Nicola Kuhn, die Erzählung.
  Hoffmann zeichnet das Porträt eines Mannes, der von Beginn an unter dem Druck des Professoren-Hauses steht, ein „echter Gurlitt“ zu werden. Zeitlebens wird er die Büste seines berühmten Vaters Cornelius Gurlitt, des deutschen Barock-Papstes und Denkmalpflegers, von Schreibtisch zu Schreibtisch schleppen. Des Vaters Netzwerke öffnen anfangs Türen in die Kunstwelt. Aber Hildebrands Domäne wird die Avantgarde. Sein erstes Museum in der Industriestadt Zwickau macht er zu einem Zentrum der Moderne und der Arbeiterbildung. Nebenbei baut er die erste große Sammlung zeitgenössischer künstlerische Fotografie für den Dresdner Industriellen Kurt Kirchbach auf. Es entsteht eine enge Freundschaft, die über Zeiten erzwungener Arbeitslosigkeit hinweg hilft. Seit den Zwanzigerjahren handelt der junge Kunsthistoriker auch mit Kunst – mit Briefkopf des Museums, was damals nicht unüblich ist. Museen sind Marktplätze. Es wird gekauft und verkauft.
  Als Hildebrand Gurlitt wegen nationalistischer Hetze gegen seinen leidenschaftlichen Moderne-Kurs erst den Job in Zwickau und später auch noch den als Leiter des Kunstvereins Hamburg verliert, verlegt er sich ganz aufs Handeln. Als die antisemitischen Gesetze verschärft wurden und Hildebrand wegen seiner jüdischen Großmutter um seine Händlerlizenz bangen muss, übernimmt seine Frau Helene die Geschäfte. Sie führt fortan die Bücher für die Steuer und unterdrückt alles Verfängliche.
  Hoffmann legt nahe, dass Kontakte zum Evangelischen Bilderdienst Gurlitt den Weg zur Verwertungsstelle „Entartete Kunst“ geebnet haben, wo er Verträge über 78 Gemälde, 278 Aquarelle, 52 Zeichnungen und 3471 Drucke abschließt. Vieles davon geht, entgegen den Abmachungen, direkt an seine norddeutschen und rheinischen Sammler. Etliches auch an andere Händler. Vieles behält er selbst. So weit alles bekannt.
  Neu ist, dass Hildebrand Gurlitt „im Interesse des Reiches“ bereits im Jahr 1940 ins besetzte Holland reisen darf, wo sein alter Bekannter aus Berliner Studienzeiten, Eduard von Plietzsch, Kunstsachverständiger der Dienststelle Mühlmann geworden ist. Ein weiterer alter Bekannter, der Kunstkritiker Erhard Göpel, findet wiederum ein neues Auskommen im Referat Sonderfragen für die besetzten niederländischen Gebiete. Gurlitt ist damit ganz nah an den Quellen von Raubkunst und kauft „rauschhaft“.
   Im Juni 1941 beruft dann die Kulturabteilung der deutschen Botschaft in Paris, das Deutsche Institut, Gurlitt in die Seine-Metropole. Er soll Ausstellungen organisieren, für deutsche Kultur werben. Für seine Handelsaktivitäten nutzt er fortan auch die Kuriere der Botschaft. Meike Hoffmann bezeugt darüber hinaus Gurlitts große Nähe zum Deutschen Kunstschutz. Nutznießer waren seine privaten Kunden, genauso wie etliche deutsche Museen. So war Gurlitt in Paris längst Hans Dampf in allen Gassen, als er von Hermann Voss den Auftrag erhielt, als Einkäufer für Hitlers Linzer Museum tätig zu werden. Wieder zu besonderen Konditionen. Seine letzten Einkäufe tätigte Gurlitt noch nach dem D-Day (6. Juni 1944). Kunst, die er nicht mehr außer Landes bringen konnte, deponierte er bei befreundeten Kunsthändlern und holte sie nach dem Krieg ab, als er wieder in deutscher Kulturmission reisen durfte.
  Das detailreiche, aber bisweilen betuliche Buch wäre lesbarer, wenn sich die Autorinnen mehr Zeit gelassen hätten, aus einem Sammelsurium von beziehungsreichen Namen und entlarvenden Zitaten eine kohärente Erzählung zu bauen, die Konkurrenzen und Seilschaften unter Kunsthändlern und Kunsthistorikern genau untersucht. Aber die von dem Filmemacher Maurice Philippe Remy angekündigte „wahre Geschichte“, trieb Agentur und Verlag zur Eile. Meike Hoffmann verteidigt ihre nebenberufliche Parforcejagd: Die Biografie werde durch neu ausgewertete Dokumente nicht falsch. Aber präziser. Schließlich geht es um die Entschlüsselung eines Systems, das erheblichen Einfluss auf die Kunstpolitik Nachkriegsdeutschlands gewann.
IRA MAZZONI
Meike Hofmann, Nicola Kuhn: Hitlers Kunsthändler Hildebrand Gurlitt 1895 – 1956. Die Biographie. Verlag C.H . Beck, München 2016. 400 Seiten mit 36 Abbildungen, 24,95 Euro.
Die Büste seines berühmten
Vaters schleppte er zeitlebens
von Schreibtisch zu Schreibtisch
Hildebrand Gurlitt (Mitte) um 1949 in der Kunsthalle Düsseldorf.
Foto: dpa
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