Horace Walpoles Kurzroman „The Castle of Otranto“, der zuerst anonym als angebliche Übersetzung eines spätmittelalterlichen italienischen Manuskripts veröffentlicht wurde, prägt seit zweieinhalb Jahrhunderten die Romangeschichte und ist so zeitlos, dass er jede Lesergeneration wieder aufs Neue zu fesseln vermag. Gerühmt von literarischen Größen wie Walter Scott und Lord Byron, wurde dieser Prototyp des Schauerromans seit seiner Ersterscheinung im Jahre 1764 in mehr als 130 verschiedenen englischsprachigen Ausgaben veröffentlicht. Ins Deutsche wurde Otranto erstmals 1810 übersetzt, aber bis heute wurde dem kanonischen Roman bei uns nicht die ihm gebührende Aufmerksamkeit geschenkt. Mit dieser völlig neuen Übertragung des Heinrich-Maria-Ledig-Rowohlt-Übersetzerpreisträgers Hans Wolf erhält Walpoles Otranto jetzt endlich seinen wohlverdienten Ehrenplatz inmitten der übrigen Textura-Klassiker. In einem Nachwort reflektiert Norbert Miller den Stellenwert, der dem Werk in der Literaturgeschichte zukommt.
Perlentaucher-Notiz zur WELT-Rezension
Theo Stemmler erinnert an die Frühzeit des Schauerromans, genauer: an den allerersten von ihnen, Horace Walpoles "Das Schloss von Otranto", der vor 250 Jahren erstmals erschien und rasch ein Erfolg wurde. Bei all seiner absurden Fantastik und pseudo-mittelalterlichen Exotik gar nicht mal leicht zu begreifen, meint Stemmler. Und verweist auch auf die vielen Klischees und die unfreiwillige Komik des Romans. Liegt es an der Entstehungsgeschichte des Buches, der Autor verfasste es sozusagen als literarisches Pendant zu seinem im höchsten Maß ekletizistischen Landhaus "Strawberry Hill"? Oder doch an der Erfahrung des Unbewussten, der langen Nase, die der Text dem Klassizismus zeigt, indem er das Irrationale mit Schrecken, Verliesen und allerhand Schauereffekten feiert? Eins ist sicher, meint Stemmler, die Variationen des Urtextes nehmen kein Ende, sie reichen von Shelley über Poe bis Thomas Harris.
© Perlentaucher Medien GmbH
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