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Günter Brakelmann schildert den ungewöhnlichen Lebensweg Helmuth James von Moltkes (1907-1945), der als Gründer und Vordenker des Kreisauer Kreises eine der faszinierendsten Gestalten des deutschen Widerstandes gegen Hitler ist.

Produktbeschreibung
Günter Brakelmann schildert den ungewöhnlichen Lebensweg Helmuth James von Moltkes (1907-1945), der als Gründer und Vordenker des Kreisauer Kreises eine der faszinierendsten Gestalten des deutschen Widerstandes gegen Hitler ist.
Autorenporträt
Günter Brakelmann, geboren 1931, Professor em. für Christliche Sozialethik und Zeitgeschichte an der Universität Bochum, gilt als einer der besten Kenner des deutschen Widerstands und des Kreisauer Kreises.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 29.01.2007

Der andere Widerstand
Er wollte mit dem Kreisauer Kreis eine neue Politik für die Zeit nach Hitler schaffen: Günter Brakelmann porträtiert Helmuth James von Moltke
Zum 100. Geburtstag von Helmuth James von Moltke am 11. März, dem Spiritus rector des Kreisauer Kreises, legt Günter Brakelmann, Theologe und Zeithistoriker in Bochum, eine abschließende Biographie vor. Sie beruht auf langjähriger Forschung und der Auswertung aller erhaltenen persönlichen Unterlagen und zeichnet ein gültiges Bild des Widerstandskämpfers. Brakelmann schildert behutsam und einfühlsam Moltkes Lebensweg vom späten Kaiserreich bis zur Hinrichtung am 23. Januar 1945. Er konzentriert sich auf die persönliche Biographie seines Helden. Die Entstehung des von ihm ins Leben gerufenen Widerstandskreises schildert er aus dessen Perspektive, und er lässt die erhaltenen schriftlichen Zeugnisse, nicht zuletzt den eindrucksvollen Briefwechsel mit Freya, ausführlich zu Worte kommen.
Damit ergibt sich eine chronistische Beschreibung und der Verzicht auf die systematische Analyse einzelner Handlungs- und Politikfelder. Das Lebensbild zeichnet zunächst die Stationen der schulischen Erziehung und des Studiums der Rechts- und Staatswissenschaften Moltkes in Breslau und Berlin, wendet sich dann seinem Engagement für die schlesischen Arbeitslagerbewegung zu und leuchtet den bildungsbürgerlich geprägten familiären Hintergrund aus, zugleich die frühe Aufgeschlossenheit Moltkes für die angelsächsische Welt, die durch die in Südafrika lebenden Großeltern vermittelt war. Wiederholte Reisen in Europa und nach Südafrika verschafften dem jungen Juristen einen weltbürgerlichen Horizont, der sich von der preußisch geprägten Moltkeschen Familientradition deutlich abhob.
Eindrucksvoll schildert der Autor die Doppelseitigkeit der Karriere des jungen Juristen, der nach erfolgreicher Absolvierung des Jurastudiums und der Referendarsausbildung – letzteres schon in der NS-Zeit – eine weitere Ausbildung in London absolvierte, dort 1838 das Abschlussexamen zum Barrister ablegte und sich auf eine berufliche Teilbeschäftigung in Großbritannien vorbereitete. Die Bindung an das ihm zur Verwaltung anvertraute, krisengeschüttelte Gut Kreisau, zugleich die Anwaltstätigkeit in Berlin hinderten ihn, sich trotz der sich verschlechternden Berufsaussichten vollends von Deutschland zu lösen, bis der Zweite Weltkrieges diese Perspektive gegenstandslos machte.
Brakelmann schildert, dass Moltke unter dem Einfluss der Mutter Dorothy, aber auch des Wiener Schwarzwaldkreises Moltke eine eigenständige Weltsicht herausbildete und zunächst mit republikanischen Gruppierungen und DDP-Politikern Verbindung aufnahm. In frühen politischen Stellungnahmen plädierte er für die Stärkung des Selbstverwaltungsprinzips, mittels dessen er das erstarrte Parteiensystem zu unterlaufen und den Klassengegensatz abzubauen hoffte. Moltke repräsentierte so die Haltung der jüngeren Generation, die einen Ausweg aus dem festgefahrenen parlamentarischen System Weimars suchte. All das wurde, wie Brakelmann eindrücklich beschreibt, durch die Machteroberung des Nationalsozialismus gegenstandslos, den von Moltke vom ersten Tage an rückhaltlos ablehnte. Seine intensiven Kontakte in England – Moltke war dezidierter Kritiker des Appeasement – verschärften seine Kritik an den deutschen Verhältnissen, durch die er die europäische Zivilisation, gegründet auf Antike und Christentum, langfristig gefährdet sah.
Brakelmann datiert Moltkes Entschluss zum „bewussten Widerstand” auf die Wochen nach der „Reichskristallnacht” und konstatiert erste Kontakte zu den späteren Gesinnungsgenossen. Er hielt jedoch zunächst an der Eventualität einer deutsch-britischen Doppelexistenz und an einer Auswanderung nach England fest, bis der Krieg einen Schlussstrich machte. Die Knüpfung engerer Kontakte zu Peter Yorck von Wartenburg im Juni 1940 deutet Brakelmann als Entscheidung für „den konspirativen politischen Widerstand”, was der Entwicklung möglicherweise vorgreift. Der Autor beschreibt detailliert die einzelnen Stufen der Formierung des Kreisauer Kreises, ohne festzulegen, wann der Schritt vom bloßen, wenngleich auf einen künftigen Sturz des Regimes gerichteten Meinungsaustausch zur bewussten und damit „konspirativen” Planung für einen Umsturz erfolgte. Dabei wird freilich nicht deutlich genug herausgearbeitet, dass die Kreisauer Vorstellungen von der Erwartung geprägt waren, dass das NS-Regime als Endstufe einer abendländischen Fehlentwicklung scheitern würde und man es sich „ausbrennen lassen” müsse. Erst seit der Entstehung des engeren Verschwörerkreises um Claus Schenk von Stauffenberg stellte sich die Frage der Teilnahme am gewaltsamen Umsturz des Regimes.
Die von Brakelmann wiedergegebenen zentralen Planungsdokumente der Kreisauer spiegeln die relative Offenheit in dieser Frage. Ausgangspunkt der Arbeit des Kreises war die im Gedankenaustausch mit Yorck vertiefte Einsicht, dass der Krieg mit Notwendigkeit verloren gehen und das NS-Regime notwendig von innen her zusammenbrechen würde. Es galt daher, für den Tag X ein umfassendes Konzept für die angestrebte grundlegende Neuordnung zu entwickeln. Moltke rechnete zunächst nicht mit einer Debellatio des Reiches, erwartete vielmehr einen Zustand der Ermattung der Kriegsgegner.
Brakelmanns Darstellung lässt die utopischen Züge der Moltkeschen Gesamtplanung eher in den Hintergrund treten, betont dessen realistische Einschätzung der militärischen und diplomatischen Lage und verzichtet angesichts der uneinheitlichen Abfolge der von Moltke niedergelegten Dokumente darauf, das sich stufenweise entfaltende Konzept systematisch zu analysieren. Das gilt auch für dessen tragende Bausteine, darunter das Konzept der „kleinen Gemeinschaften”, die an die Stelle der politischen Parteien treten und nach Art eines konservativen Rätesystems die einzelnen Ebenen des künftigen Verfassungsaufbaus ausfüllen sollten.
Im Blick auf die persönliche Biographie seines Helden unterlässt es Brakelmann bewusst, die Anteile, die die Mitverschwörer an den Kreisauer Neuordnungsplänen hatten, aufzuschlüsseln, so Adolf Reichweins Anregungen zur Schaffung von Betriebsgewerkschaften, oder die Nähe von Moltkes Standardformel von der „natürlichen Ordnung” zur katholischen Soziallehre. Gelegentlich verwandte Begriffe wie „basisdemokratisch” oder „linkssozialistisch” zur Charakterisierung von Moltkes politischer Position wirken nicht überzeugend, und die Frage, inwieweit korporativistische und neokonservative Ideengänge auf Moltke eingewirkt haben, bleibt offen.
Der Verfasser beschreibt eindrucksvoll, dass die 2. Kreisauer Tagung 1942 zu einer weitgehenden Einigung über die angestrebte wirtschaftliche Neuordnung im europäischen Maßstab gelangte, die zwischen den Prinzipien „der Freiheit des Einzelnen” und dem einer „gerechten Sozialordnung” vermitteln sollte. Er sieht im Programm des „personalen Sozialismus” die spätere „soziale Marktwirtschaft” grundsätzlich vorweggenommen.
Das Schwergewicht der Tätigkeit Moltkes erblickt Günter Brakelmann mit guten Gründen weniger in der Formulierung der theoretischen Entwürfe als in der Knüpfung eines Netzwerks von Gesinnungsgenossen, so der Einbindung unterschiedlicher politischer Lager und der Integration katholischer und protestantischer Interessen. Allerdings gelang es Moltke nicht, Dietrich Bonhoeffer für Kreisau zu gewinnen. Hingegen vertiefte sich der anfänglich noch getrübte Kontakt mit dem Diplomaten Adam Trott zu Solz, der als außenpolitischer Verbindungsmann trotz Differenzen in nationalen Fragen fungierte. Zugleich ergaben sich enge Beziehungen zu Theodor Steltzer, der den internationalen Rückhalt für die Kreisauer Bemühungen zu stärken bemüht war.
Während es auf der 2. Kreisauer Tagung im Oktober 1942 zu einer Festlegung der Grundsätze eines künftigen Reichsaufbaus und zur Verständigung über die wirtschaftspolitischen Fragen kam, gelang es nicht, eine Übereinstimmung mit dem Gewerkschaftsflügel zu erzielen. Die tieferen Ursachen, die dann Anfang 1943 zum offen Bruch mit dem Goerdeler-Kreis führten, werden bei Brakelmann nur angedeutet. Moltkes Polemik gegen eine „Kerensky-Lösung” spielte weniger auf die Eventualität eines kommunistischen Umsturzes an, sondern richtete sich in erster Linie gegen ein aus seiner Sicht vorzeitiges „Losschlagen” der „Exzellenzen”, das einen epochalen Neuanfang, wie er ihm vorschwebte, gerade verhinderte. Ebenso war Moltkes Ablehnung eines Attentats – die ihn nicht daran hinderte, mit Stauffenberg Verbindung aufzunehmen - weniger der Befürchtung der Wiederkehr einer Dolchstoßlegende geschuldet als der Überlegung, der Selbstauflösung des Regimes nicht vorzugreifen. Wenige Wochen vor seiner Verhaftung revidierte er angesichts der katastrophalen Gesamtlage seine Kritik an dem Umsturzplan Stauffenbergs.
Während die 3. Kreisauer Tagung im Juni 1943 mit Grundsatzerklärungen des Kreises zur Außen- und Wirtschaftspolitik nach dem Kriege, einer Erklärung zu „Bestrafung von Rechtsschändern” und den „Grundsätzen zur Neuordnung” eine programmatische Konsolidierung erreichte und damit, wie der Verfasser mit Recht hervorhebt, „den Schritt von der Reflexion zur Vorbereitung praktischer Politik” vollzog, hatte sich die militärische Lage des Reiches weiter verschlechtert. Kreisau traf daher Vorsorge dafür, dass ein deutsche Zentralregierung handlungsunfähig oder inexistent war. Die „Erste Weisung an die Landesverweser” sollte sicherstellen, dass die Verschwörer selbst unter alliierter Besetzung die Kreisauer Politik umsetzen konnten. Dabei wurde ein Zusammengehen mit der Deutschen Gewerkschaft Wilhelm Leuschners ins Auge gefasst, während Carlo Mierendorffs Programm, eine Volksbewegung ins Leben zu rufen, noch nicht berücksichtigt war.
Moltke hoffte, im Zusammenwirken mit gleichgesinnten Kräften in Westeuropa das Kreisauer Programm auch unter der Herrschaft der Besatzungsmächte wirksam werden zu lassen, dem Verlust der Reichseinheit entgegenzutreten und die „bedingungslose Kapitulation” gleichsam zu unterlaufen. Seine Kontaktaufnahme zur amerikanischen Diplomatie in Istanbul im Herbst 1943 scheiterte ebenso wie alle vorhergehenden, und er musste erkennen, dass an der „bedingungslosen Kapitulation” kein Weg vorbeiging. Er hielt gleichwohl an dem Ziel einer umfassenden europäischer Neuordnung unter Preisgabe des Nationalstaatsprinzips fest.
Indessen fand Moltke mit der von ihm verfochtenen Linie des prinzipienfesten Abwartens nicht mehr die Zustimmung der Sozialisten. Nachdem der Bruch mit Mierendorff nur äußerlich geheilt war, scherte Julius Leber aus und nahm direkte Verhandlungen mit Stauffenberg auf. Moltkes Kampf um die Aufrechterhaltung der Kreisauer Generallinie war daher gescheitert. Seine Überzeugung, dass der „Zustand der Reife” für einen Umsturz noch nicht erreicht sei, verlor damit ihren Sinn. Vielmehr entschieden sich die Kreisauer nach Moltkes Verhaftung unter der Führung Yorcks dafür, mit Stauffenberg und der Goerdeler-Gruppe zusammenzugehen.
Brakelmann schildert, hier mit neuen Quellen, das Schicksal Moltkes erst in der Untersuchungshaft in Ravensbrück vor dem 19. August 1944, dann in der Haftanstalt Tegel, während der er bis zu der schrittweise erfolgenden Aufdeckung der Beziehungen Kreisaus zum Umsturzversuch des 20. Juli 1944 noch immer hoffte, wieder freizukommen. Bis zuletzt kämpfte er gegen das drohende Todesurteil an. Er begrüßte ausdrücklich, dass in der Verhandlung vor dem Volksgerichtshof die Neuordnungsplanungen und die Verbindungen zu den Verschwörern des 20. Juli gegenüber dem prinzipiellen Konflikt zwischen Nationalsozialismus und Christentum in den Hintergrund traten, ebenso wie er sich auch in den letzten Haftwochen überwiegend mit theologisch-religiösen Fragen befasste.
Die eindruckvolle und lebensnahe Biographie aus der Feder Günter Brakelmanns richtet sich an ein breites Publikum und zeichnet den Menschen, nicht so sehr den Politiker, und dessen persönlichen Lebensweg. Er spiegelt die Brüche der deutschen Geschichte, den Willen, neue Herausforderungen zu bestehen und sich einem zutiefst unrechtmäßigen politischen System zu widersetzen. Dazu trat die Bereitschaft, öffentliche Verantwortung wahrnehmen und sich nicht in das vergleichsweise ungefährdete Landleben eines preußischen Junkers zurückzuziehen, sondern alles daran zu setzen, die Grundlagen für eine wirklich neue Politik in Europa zu schaffen.
Brakelmann beschränkt sich darauf, das Lebensbild eines Mannes zu zeichnen, der als praxiszugewandter Jurist und Landwirt den Schönheiten des Lebens offenstand, der nicht Intellektueller im engeren Sinn, auch kein politischer Theoretiker war. Ihm geht es nicht darum, dessen Stellung innerhalb der deutschen Widerstandsbewegung im einzelnen zu beschreiben. Auf dem Hintergrund einer genuinen Kenntnis der Fachliteratur und der verfügbaren Quellen verfasst, klammert seine Darstellung die engere fachwissenschaftliche Debatte aus. Der gut bebilderte und glänzend aufgemachte Band öffnet den Zugang zu einem noch immer zu Unrecht hinter dem Attentat des 20. Juli 1944 zurückstehenden Teil der Geschichte des deutschen Widerstandes gegen Hitler. HANS MOMMSEN
GÜNTER BRAKELMANN: Helmuth James von Moltke, 1907-1945. Eine Biographie. C. H. Beck Verlag, München 2007, 432 Seiten, 24,90 Euro..
Kreisau war von der Erwartung geprägt, dass das NS-Regime von innen zusammenbrechen würde
Erst wenige Wochen vor seiner Verhaftung revidierte Moltke seine Ablehnung eines Attentats
Das Ziel war eine umfassende europäische Neuordnung ohne das Nationalstaatsprinzip
Helmuth James Graf von Moltke wurde 1907 geboren und am 23. Januar 1945 in Berlin-Plötzensee, von Roland Freisler wegen Hochverrats verurteilt, hingerichtet. Auf dem Bild, aufgenommen im Jahr 1932, ist er auf der Treppe des Berghauses auf dem schlesischen Familiengut Kreisau mit seinen Geschwistern Wilhelm Viggo und Asta sowie seiner Frau Freya (unten) zu sehen. Abbildung aus dem besprochenen Band
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.08.2007

Gegen Hitler gedacht
Helmuth James Graf von Moltke und der deutsche Widerstand

Zum 100. Geburtstag von Helmuth James Graf von Moltke liegt eine aus den Quellen gearbeitete Studie über einen der wichtigsten Männer des Widerstands gegen Hitler vor. Ihr Verfasser, Professor für Christliche Sozialethik und Zeitgeschichte, hat zahlreiche Werke zum Kreisauer Kreis und seinem Wirken vorgelegt. Seine Moltke-Biographie ist gleichsam das Ergebnis seiner Studien zum geistigen Umfeld des Hitler-Gegners, den er als "zwei Meter großen, eloquenten, charmanten, kosmopolitischen, souveränen und offenen" Menschen charakterisiert.

Brakelmann kann sich auf einige wichtige Vorarbeiten stützen: Schon 1972 hat der britische Historiker Michal Balfour, der Moltke noch persönlich kennengelernt hat, zusammen mit Julian Frisby eine dokumentenreiche Biographie vorgelegt, die auch ins Deutsche übertragen wurde. Freya von Moltke hat zudem in ihren "Erinnerungen an Kreisau" zahlreiche weitere Details ihres Mannes beigetragen. Obwohl die Grundlinien des Lebens und Denkens von Moltkes daher bekannt sind, ist Brakelmanns Werk weit mehr als eine gefällige Jubiläumsschrift: Er hat eine Vielzahl neuer Quellen erschlossen, darunter bislang nicht publizierte Briefe an Freya von Moltke aus der Haft in Ravensbrück. Unter Berücksichtigung der aktuellen Tendenzen der Forschung zum Widerstand gegen den Nationalsozialismus werden diese Quellen zu einem überzeugenden und gut lesbaren Lebensbild Moltkes und des Kreisauer Kreises verwoben. Der - gerade bei einer charismatischen Persönlichkeit wie Moltke naheliegenden - "Heldenverehrung" erliegt der Autor dabei allerdings nicht.

Moltke stammte aus privilegierten Verhältnissen und wurde auf dem schlesischen Familiengut Kreisau erzogen. Gegen eine enge nationale Bindung wirkte vor allem seine aus einer angesehenen südafrikanischen Familie stammende Mutter Dorothy: Innerhalb des deutschen Adels war sie "als liberale, kosmopolitisch denkende Demokratin und Anhängerin der internationalen Frauenbewegung eine Ausnahme". Das Commonwealth und Europa wurde für den Nachfahren des berühmten preußischen Feldmarschalls die eigentlichen Bezugspunkte. Aus seinem humanen christlich-sozialen Verständnis heraus engagierte er sich für die Belange von Kriegsgefangenen und die Einhaltung des Völkerrechts. Sein Studienaufenthalt in England, der ihn im Herbst 1937 zum Barrister-Examen führte, und seine Tätigkeiten in internationalen Organisationen schärften seinen kritischen Blick gegenüber der nationalsozialistischen Diktatur und führten ihn in die Opposition. In den folgenden Monaten der europäischen Krise bemühte er sich um den Abschluss seines Englandstudiums, um eine Basis für eine Berufspraxis in England zu schaffen.

Das Münchener Abkommen vom September 1938 empfand er zwar zunächst mit Erleichterung, allerdings stellte der Brand der Synagogen in der Nacht vom 8. auf den 9. November 1938 einen dramatischen Einschnitt dar. Moltke erwog zwar noch eine Weile die Alternative des Bleibens oder Emigrierens, entschied sich jedoch schließlich "für den bewussten Widerstand im Land der Verbrechen", weil es "bei aller totalitären Verzerrung sein Vaterland" war.

Auf dem Familiengut Kreisau führte von Moltke einen Kreis von Gleichgesinnten zusammen, um Pläne für ein Deutschland nach Hitler und dem Nationalsozialismus zu schmieden. An den Treffen nahmen Oppositionelle verschiedenster politischer Lager teil. Zunächst sprach sich von Moltke gegen eine gewaltsame Beseitigung Hitlers aus, doch die zunehmende Hoffnungslosigkeit und die missglückten Versuche, die Westmächte für ein "Deutschland nach Hitler" zu gewinnen, bewogen ihn schließlich zur Befürwortung eines Attentats. Hinsichtlich der Neuordnung Deutschlands formulierte er in einer großen Denkschrift Ende April 1941 "a) das Ende der Machtpolitik, b) das Ende des Nationalismus, c) das Ende des Rassegedankens, d) das Ende der Gewalt des Staates über den Einzelnen". Das "Dritte Reich" war für Moltke in dieser Hinsicht, wie Brakelmann feststellt, "nur der letzte Ausläufer einer pervertierten säkularen Staatlichkeit".

Seit Ende 1941 erlosch der Kontakt mit den Männern der "Abwehr" um Hans Oster und Hans von Dohnanyi. Nach der Zerschlagung des "Oster-Kreises" in der Abwehr wurde Moltke im Januar 1944 verhaftet und im Konzentrationslager Ravensbrück interniert, weil er Angehörige des Solf-Kreises vor der Telefonüberwachung der Gestapo gewarnt hatte. Nachdem es eine Zeit so ausgesehen hatte, als ob er zur "Frontbewährung" freigelassen werden würde, durchkreuzte das gescheiterte Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 diese Hoffnungen. Im Zuge der Gestapo-Ermittlungen wurde die Existenz des "Kreisauer Kreises" aufgedeckt. In der Verhandlung vor dem Volksgerichtshof wurde in aller Schärfe deutlich, dass der Nationalsozialismus sich als historische Alternative zur christlich-abendländischen Tradition verstand. Seine Gesprächspartner Alfred Delp, Eugen Gerstenmaier und er hätten in Kreisau nur "gedacht", resümierte Moltke: "Und vor den Gedanken dieser drei einsamen Männer, den bloßen Gedanken, hat der NS eine solche Angst, dass er alles, was damit infiziert ist, ausrotten will." Volksgerichtshofpräsident Roland Freisler, dem er mutig gegenübertrat, verurteilte Helmut James Graf von Moltke am 11. Januar 1945 zum Tode. Wenige Tage später wurde er in Plötzensee hingerichtet.

JOACHIM SCHOLTYSECK

Günter Brakelmann: Helmuth James von Moltke 1907-1945. Eine Biographie. Verlag C. H. Beck, München 2007. 432 S., 24,90 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Viel Zeit nimmt sich der Historiker Hans Mommsen für seine Besprechung von Günter Brakelmanns Moltke-Biografie. Das Buch hat er zweifellos mit Lust und Gewinn gelesen. Indem er wichtige Stationen von Moltkes Lebensweg erwähnt, gibt Mommsen Hinweise auf die "chronistische" Vorgehensweise des Biografen. Ausdrücklich lobt Mommsen die auf gründlicher Forschung basierende erschöpfende Quellenarbeit des Historikers Brakelmann und seine "einfühlsame" Ausdeutung hin zu einem "gültigen" Lebensbild des Widerstandskämpfers. Kleinere Mängel, so eine ungenügende Herausarbeitung der "utopischen Züge" der Vorstellungen des von Moltke geführten Kreisauer Kreises, fallen in Mommsens Kritik kaum ins Gewicht. Wichtiger erscheint ihm die Lebensnähe dieser Biografie, in der auch die "Brüche der deutschen Geschichte" sichtbar werden, sowie ihre "glänzende Aufmachung". Für Mommsen Voraussetzungen für die publikumswirksame Erschließung eines weniger bekannten Aspekts des deutschen Widerstands.

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