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Verrat im Auftrag Jesu? Das verschollene Evangelium des Judas
Das erst 2006 veröffentlichte Evangelium des Judas gibt viele Rätsel auf. Warum wird hier Judas - der Verräter - zum Lieblings-jünger Jesu? Wer hat das Evangelium geschrieben? Warum wurde es unterdrückt? Elaine Pagels und Karen King gehen in ihrem brillant geschriebenen Buch diesen Fragen nach und zeichnen dabei das eindrucksvolle Bild von einem frühen Christentum, das von harten Kämpfen, schillernden Glaubens-Experimenten und zutiefst menschlichen Leidenschaften geprägt war - und uns gar nicht so fremd ist. Das Judas-Evangelium…mehr

Produktbeschreibung
Verrat im Auftrag Jesu? Das verschollene Evangelium des Judas

Das erst 2006 veröffentlichte Evangelium des Judas gibt viele Rätsel auf. Warum wird hier Judas - der Verräter - zum Lieblings-jünger Jesu? Wer hat das Evangelium geschrieben? Warum wurde es unterdrückt? Elaine Pagels und Karen King gehen in ihrem brillant geschriebenen Buch diesen Fragen nach und zeichnen dabei das eindrucksvolle Bild von einem frühen Christentum, das von harten Kämpfen, schillernden Glaubens-Experimenten und zutiefst menschlichen Leidenschaften geprägt war - und uns gar nicht so fremd ist.
Das Judas-Evangelium galt lange als verschollen - bis der Text 1978 überraschend in Mittelägypten gefunden wurde. Wissenschaftler mußten jedoch bis 2002 warten, um den zerbröselnden Codex untersuchen zu dürfen. Ihre Ergebnisse und eine erste Übersetzung des Textes wurden 2006 von National Geographic weltweit im Fernsehen übertragen und erregten Aufsehen: Judas Ischariot, der im Neuen Testament Jesus für dreißig Silberlinge mit einem Kuß an seine Feinde verrät, ist hier der Lieblingsjünger, der allein die wahre Bestimmung Jesu kennt. Jesus soll Judas um den Verrat gebeten haben, um sich von seiner körperlichen Hülle zu befreien und seine Mission zu erfüllen. Verschwörungstheoretiker und Esoteriker haben zahlreiche Spekulationen an das rätselhafte Evangelium geknüpft. Elaine Pagels und Karen King machen erstmals eine große Leserschaft auf seriöse Weise mit dem Judas-Evangelium bekannt und erklären, warum es unser Bild vom frühen Christentum verändert. Aber das Evangelium ist nicht nur von historischem Wert: Es wirft Fragen nach der Natur Gottes, nach Jesu Tod und nach dem Leiden der Märtyrer auf, die bis heute aktuell sind.
Autorenporträt
Elaine Pagels, Professorin für Religionswissenschaft an der Princeton University, ist als Expertin für die Funde von Nag Hammadi und die Geschichte des frühen Christentums international renommiert. Sie wurde vielfach ausgezeichnet, u.a. mit dem National Book Award.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.03.2008

Als Jesus lachte
. . . und der Verräter ein Held war: Elaine Pagels interpretiert das Judas-Evangelium neu

Und wenn alles ganz anders wäre: John F. Kennedy von republikanischen Verschwörern ermordet? Der Papst ein Satanist? Wenn Jesus von Nazareth mit Maria Magdalena Kinder gezeugt hätte? All diese Verschwörungstheorien rufen nach entsprechenden Bestsellern wie Dan Browns "Da Vinci Code". Aber solche Thriller haben einen Nachteil: Es ist nur ein Buch, sagt sich der Konsument - er genießt die saubere Trennung von Fiktion und Realität und ignoriert die Abgründe des Wirklichen.

Als im Jahr 2006 die erste Übersetzung des Judas-Evangeliums veröffentlicht wurde, funktionierten die Sensationsreflexe der Medien: Judas Iskariot, der Verräter und Selbstmörder, soll der ursprüngliche Autor eines Jesus-Berichts sein? Oder zumindest Leitfigur einer christlichen Gemeinde und Objekt der Verehrung?

Die Spezialisten wiegelten ab: Zwar gebe es bislang keinen anderen Text, der Judas als Lieblings- und Elitejünger schildere. Aber Schriftstücke mit einer Theologie wie dieser seien bekannt aus der 1945 gefundenen Bibliothek von Nag Hammadi (einem kleinen Ort in Ägypten, wo sich 47 frühchristliche Schriften fanden). Handfest-historische Neuigkeiten über Jesus von Nazareth gebe es natürlich nicht zu vermelden. Dass das Judas-Evangelium einer der Höhepunkte in einer ganzen Reihe von wiederaufgefundenen frühchristlichen Texten ist, deren Interpretation und historische Einordnung unseren Blick auf das Christentum verändern könnte: Das sagten die Experten zwar auch, aber das interessierte die Medien nicht so sehr.

Inzwischen sind die ersten Fachpublikationen erschienen, allen voran die Monographie "Das Evangelium des Verräters", verfasst von der Princeton-Professorin Elaine Pagels, die für ihr Buch über die apokryphen Evangelien mit dem amerikanischen National Book Award ausgezeichnet wurde, und ihrer Co-Autorin Karen L. King, Professorin für Kirchengeschichte in Harvard - zwei der besten Kenner der frühchristlichen Schriften. Die beiden Wissenschaftlerinnen kommen in ihrer Studie zu atemberaubenden Thesen über die Kontroversen im frühen Christentum. Sie interpretieren das Evangelium nach Judas Iskariot als eine scharfe und abgründige Polemik gegen den Märtyrerkult im zweiten Jahrhundert der Christenverfolgung; als Plädoyer gegen Erbsündenlehre und Kreuzestheologie und als eine Einweihung in eine "geheime Erlösungslehre" Jesu.

Der ironische Messias

Der Autor des "verborgenen Wortes der Verkündigung" (wie es in der Einleitung des Judas-Evangeliums heißt) schildert die Zusammenkünfte der Jünger mit Jesus in den Tagen vor Pessach, also kurz vor dem "Verrat" durch Judas. Der Bericht endet vor der Verhaftung Jesu. Zu Beginn sitzen die Jünger zusammen und sprechen den Brotsegen, als Jesus zu ihnen stößt. Jesus begegnet merkwürdigerweise seinen Jüngern mit Ironie, ja er lacht sie regelrecht aus. Das Lachen Jesu ist ein ganz außergewöhnliches Detail, von dem in den biblischen Schriften nichts zu lesen ist. Die Jünger verstehen dieses Lachen nicht und fragen: "Meister, warum lachst du über unsere Danksagung? Was haben wir denn getan? Dies ist doch das Richtige."

Jesus sagt: "Wahrlich, ich sage euch, kein Geschlecht von den Menschen, die unter euch sind, wird mich jemals kennen." Als die Jünger das hören, werden sie zornig und verfluchen Jesus "in ihrem Herzen". Jesus sagt: "Wer von euch Menschen stark ist, der bringe den vollkommenen Menschen hervor und trete vor mich hin."

Der "vollkommene Mensch" ist ein Topos jener spirituellen Strömung, die man seit dem 19. Jahrhundert als "Gnosis" bezeichnet - ein Sammelbegriff für religiöse Gruppen der Antike und der Spätantike, die an die Möglichkeit der geistigen Vollkommenheit des Menschen glaubten. Auch das zweite Charakteristikum der Gnosis, die Lehre von dem verborgenen Ur- und Haupt-Gott, der nicht mit dem Schöpfer der Welt identisch ist, kommt im Judas-Evangelium zu Ehren. Jesus fährt fort: "Euer Gott, der in Euch ist, . . . ist ungehalten mit euren Seelen."

Nur einer hat den Mut, vor Jesus zu treten: Judas Iskariot. Er kann ihm allerdings (noch) nicht in die Augen schauen, weil ihm die persönliche Unterweisung durch Jesus noch nicht zuteilgeworden ist. Jesus sagt zu Judas: "Trenne dich von ihnen (von den Jüngern). Ich werde dir die Geheimnisse des Königreichs sagen. Du kannst dorthin gelangen, aber du wirst viel Kummer erleiden. Denn ein anderer wird deinen Platz einnehmen, damit die zwölf Jünger wieder vollzählig werden in ihrem ,Gott'." Der Gott der Jünger ist im Judas-Evangelium ein Gott in Anführungszeichen.

Jesus erkennt, dass Judas über mehr Erkenntnis verfügt als die anderen Jünger, und bevorzugt ihn. Er erklärt Judas gewissermaßen den Bauplan des Universums, in einer blumigen und ausgesprochen phantasievollen Passage, in welcher die himmlischen Heerscharen und die gefallenen Engel ausführlich erläutert werden.

Patchwork des Glaubens

Schließlich beauftragt er Judas mit dem "Verrat", damit er ins himmlische Reich zurückkehren und sein unsterblicher Geist sich von seinem sterblichen Körper trennen kann. Die zwölf Jünger sind damit spirituell abgeschrieben. Es wird angedeutet, dass die Jünger am späteren Tod von Judas beteiligt sind, vom Selbstmord Judas' ist keine Rede. Jesus sagt zu Judas, dass dessen Stern über die zwölf Jünger herrschen werde.

Elaine Pagels und Karen L. King geben in ihrem Buch eine Einführung in den gnostischen Kosmos und eine ausführliche Auslegung des Textes mit einem reichhaltigen Stellenkommentar. Was macht aber das Judas-Evangelium und die anderen gnostischen Texte, etwa das Thomas-Evangelium, so brisant?

Bis 1945, als man im oberägyptischen Nag Hammadi in Tonkrügen eine ganze gnostische Bibliothek fand, kannte man diese Texte nur vom Hörensagen, aus den Schriften der Kirchenväter, die sie als häretisch und blasphemisch apostrophierten. Irenäus von Lyon, der den Weg zu einer einheitlichen Kirchenlehre bahnte, schrieb über das Judas-Evangelium, das er kannte: Die blasphemischen Häretiker hätten "eine fiktive Geschichte erschaffen, die sie das Evangelium des Judas nennen".

Im 20. Jahrhundert wurde die Theologie allerdings erschüttert von den vielen Schriftfunden, und das Bild einer einheitlichen Tradition geriet kräftig ins Wanken. Die Vorstellung von urchristlichen Gemeinden, zusammengehalten von den Briefen des Paulus (der übrigens ebenfalls nicht frei war von gnostischen Ambitionen), bröckelte.

Der Anschein einer lückenlosen Weitergabe der Lehre, welche die christliche Dogmatik suggeriert - von Jesus zu den Aposteln, von den Aposteln in die Evangelien -, sei nicht zu halten, schreiben Pagels und King; vielmehr habe es in den ersten Jahrhunderten nach Christus eine bunte Pluralität von christlichen spirituellen Gruppierungen und Splittergrüppchen gegeben. Potentiell, das kann man heute sagen, hatte jeder der Jünger eine Lehre, seine jeweilige Version des Evangeliums, die er an seine Schüler und Gemeinden weitergab. Ende des zweiten Jahrhunderts leitete Irenäus von Lyon einen Prozess ein, der letztlich zur Kanonisierung der vier Evangelien und zur Bekämpfung aller Häretiker führte.

Mensch ohne Sünde

Das Judas-Evangelium und viele seiner Verwandten haben ein weitaus höheres Menschenbild als das traditionelle Christentum, und die Faszination daran mag heute eine neue, gewissermaßen ur-christliche Gläubigkeit hervorbringen, wie im Falle Elaine Pagels'; in ihren Büchern hat man den Eindruck, hier glaubt einer, was er schreibt, und verzichtet dennoch auf die Missionierung des Lesers. Der Weg ins Himmelreich nach dem Judas-Evangelium führt nicht über Glauben, Frömmigkeit und göttliche Gnade - sondern über Erkenntnis und geistiges Wachstum. In spiritueller Hinsicht haben bei den Gnostikern alle Menschen das Potential, selbst Gott zu werden.

Neben dem Hochgenuss, eine Lektüre vor sich zu haben, die ein weiteres Echo des historisch nie beizukommenden Jesus von Nazareth darstellt, bietet das Judas-Evangelium den Vorteil, ein Menschenbild mit gleichsam unendlichen Aufstiegsmöglichkeiten vorzustellen, unabhängig von theologischen Begriffen wie Sünde, Gnade und Glaube, die - nach Nietzsche - nur dazu geschaffen wurden, den Menschengeist klein zu halten.

Der Philosoph Friedrich Nietzsche war es auch - zweifellos hätte er das Judas-Evangelium bewundert -, der zeitlebens für die Einsicht kämpfte, dass vom Menschen bislang nicht hoch genug gedacht wurde. Bei Nietzsche ist neben Plato das dogmatische Christentum schuld. Wir haben heute durch die vielen Schriftenfunde eine völlig veränderte Quellenlage und lesen im Judas-Evangelium, dass im Falle des Christentums die Wirklichkeit aufregender ist als jede Verschwörungstheorie Marke Dan Brown.

Und wir lesen, dass Christentum nicht immer Erniedrigung vor Gott bedeuten muss.

MARIUS MELLER

Elaine Pagels und Karen L. King: "Das Evangelium des Verräters. Judas und der Kampf ums wahre Christentum". Verlag C. H. Beck, München 2008, 205 Seiten, 19,90 Euro

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