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Das philosophische Denken vor Sokrates besitzt eine - wenngleich schwer zu fassende - eigene Form: Wer es vorschnell mit dem philosophischen Vorverständnis der Moderne entschlüsseln will, wird manchem Missverständnis aufsitzen; wer es - mit Thomas Buchheim - aus seiner eigenen Terminologie zu entfalten versteht, wird manches an ihm ganz anders sehen können als bisher. Interpretiert werden u. a. Texte von Anaximander, Heraklit, Parmenides, Empedokles, Demokrit und Anaxagoras; ein Anhang bietet kondensierte Informationen zu den einzelnen Denkern.

Produktbeschreibung
Das philosophische Denken vor Sokrates besitzt eine - wenngleich schwer zu fassende - eigene Form: Wer es vorschnell mit dem philosophischen Vorverständnis der Moderne entschlüsseln will, wird manchem Missverständnis aufsitzen; wer es - mit Thomas Buchheim - aus seiner eigenen Terminologie zu entfalten versteht, wird manches an ihm ganz anders sehen können als bisher. Interpretiert werden u. a. Texte von Anaximander, Heraklit, Parmenides, Empedokles, Demokrit und Anaxagoras; ein Anhang bietet kondensierte Informationen zu den einzelnen Denkern.
Autorenporträt
Thomas Buchheim, geb. 1957, Studium der Philosophie, Gräzistik und Soziologie in München. 1993-1999 Professor in Mainz; seit 2000 Ordinarius für Philosophie an der LMU München.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.03.1995

Der Ausschlag des Seins
Thomas Buchheims Deutung der Vorsokratiker, unfrei nach Heidegger

"Und so ist, was einst Philosophie war, nun Philologie geworden." Auf diese Pointe bringt Seneca die Situation der Philosophie in Rom: Sie ist eine Sache von Federfuchsern geworden und hat ihr zentrales Anliegen, das rechte Leben, völlig aus dem Blick verloren. Thomas Buchheim will zwar nicht, wie der antike Stoiker, zur philosophischen Pflicht des rechten Lebens rufen, aber doch zum rechten Lesen vorsokratischer Texte, die mehr und mehr Gegenstand der Klassischen Philologie geworden sind. Immer wieder fordert er den Leser auf, seine Lesarten wie Lehren zu "beherzigen".

Das rechte Lesen soll vorbereitet werden durch den Aufweis, daß, anders als "Philosophie im geläufigen Sinn", die Vorsokratiker sich nicht bemühten, durch eine "Theorie Strukturen der Welt als solche ins Bewußtsein zu heben", sondern durch einen "sprachlich artikulierten Reim des Verstehens" auf die Welt zu reagieren.

Buchheim sieht sich gezwungen, unsere gewohnte Sprache zu verlassen, da sie im Verdacht stehe, durch die platonisch-aristotelische Philosophie festgelegt zu sein. Die Dichotomie "Denken" versus "Philosophie" ist von Martin Heideggers Metaphysikkritik bekannt, ebenso die Charakterisierung der platonisch-aristotelischen Philosophie durch die Wahrheit, die unter das "Joch der Idea" (nach Heidegger der "Anblick") gebracht sei. Auch in der Betonung der griechischen "physis" als "Eigenwüchsigkeit der Dinge" und nicht deren Natur bewegt Buchheim sich auf Heideggerschen Bahnen. Denn diese "Eigenwüchsigkeit" meint nach Buchheim aus "Unauffälligem Hintergrund auflebende Eigenart", bei Heidegger ist "physis das Aufgehen aus dem Grund". Man fragt sich daher, warum Buchheim nicht eigens seine Anregungen und Anleihen thematisiert. Ohne Reflexion über das eigene Vorverständnis antiker Texte konnte man vielleicht noch in den Zeiten des ungebrochenen Positivismus interpretieren, aber gerade Heidegger hat dieses Verfahren als Naivität erkannt.

Bei der Lektüre der sieben Abschnitte, in denen das "philosophische Portrait" der Philosophen vor Sokrates entworfen wird, bemerkt man die Bemühungen des Autors, durch eine neue Übersetzung den Weg zu einem von der Philosophiegeschichte unverstellten Verständnis dieser Epoche zu bahnen. Daß die Ergebnisse dieses Bemühens mitunter kaum lesbar sind, erklärt der Autor als notwendige Verfremdung; er übersetzt Heraklit Fragment 26: "Der Mensch in der Nacht rührt vom Lichte für sich (ein anderes Licht), wenn sein Sehen erloschen ist. Als lebend jedoch rührt er vom Toten im Schlaf, als wachend rührt er vom Schlafenden."

Es ist methodisch unvertretbar, sich vom Worthof eines deutschen Wortes in der Interpretation des Übersetzten leiten zu lassen. Denn "haptesthai", mit dessen Bedeutungen "berühren" und "entzünden" Heraklit hier spielt, entspricht nicht "rühren" im Deutschen, wie die Übersetzung "rühren von", "herrühren" glauben machen möchte. Buchheims Rückführung des Seins aber als "Ausschlag" auf eine untergründig hervortreibende "physis" erhält durch diesen Trick eine suggestive Stützung. Auch dieser Kunstgriff ist von Heidegger her geläufig; Heidegger betont zum Beispiel in seiner Heraklit-Vorlesung, das Insistieren auf dem "griechischen Verständnis" sei keine historische Attitüde, sondern das Griechische sei der philosophische Gedanke, um den es heute gehe, sprich: Heideggers eigene Philosophie.

Von eigener Philosophie ist Buchheim indessen weit entfernt. Vielmehr stellt er die Vorsokratiker nach eigener Meinung dar, meist ohne detaillierte Auseinandersetzung mit der Forschung. Dennoch weiß Buchheim, wovon er spricht. Anaximanders "apeiron", meist "unbegrenzt", "unendlich" übersetzt, gibt er mit "uferlos" wieder. Zutreffend ist die Rekonstruktion der aristotelischen Verzeichnung des Begriffes, glänzend sind die wichtigen frühgriechischen Belege, die zeigen, daß "a-peiron" eigentlich dasjenige meint, wo es kein Durchkommen gibt. Befremdlich aber ist der daraus gezogene Schluß, es sei die "entfernungslose, jähe Zurückwerfung aller markierten und dimensionierten Ortschaft auf sich selbst und somit als die jeden weiteren Vorstoß abweisende Eingeschlossenheit des absehbaren Kosmos".

Wird der Leser mit solchen Sätzen konfrontiert, kann es nicht ausbleiben, daß er, angesichts der Sonderwege die Orientierung verliert. Auch wenn er sich hilfesuchend an Platon und Aristoteles wendet, wird er beschieden, daß es jenen allein um "Entschiedenheit des Seins" gegangen sei, eine Frage, "die den vorsokratischen Denkern bis auf eine Ausnahme keine eigenen Überlegungen abverlangt hatte" - dem Leser wohl auch nicht.

Trotz dieser Einwände haben Verlag und Autor sich Verdienste erworben, wenn sie die ersten Denker des Abendlandes in die allgemeine Diskussion bringen. Diese nur fragmentarisch überlieferten Philosophen waren gerade in Deutschland immer wieder Anknüpfungspunkt der verschiedensten Geister, obwohl oder weil sie, mit einem Worte Nietzsches, die "bestverschütteten aller griechischen Tempel" sind. Im Anhang findet sich ein gut ausgesuchtes Literaturverzeichnis, und Kurzinformationen zu einzelnen Vorsokratikern vermitteln dem Laien ein Bild von den frühen Griechen.

Vielleicht hätte in der Beschränkung auf ein knapperes Sujet die Chance gelegen, die Sprache treffender und die Darstellung bündiger zu gestalten, wie dies Buchheim in seiner Ausgabe des Sophisten Gorgias tut. Bei dem ehrgeizigen Versuch, vorsokratisches Denken von späterer Philosophie abzuheben, gerät der Autor allzusehr in den Verdacht, sich seinerseits durch Festlegungen ein angemessenes Verständnis zu verstellen. THOMAS SCHIRREN

Thomas Buchheim: "Die Vorsokratiker". Ein philosophisches Portrait. Verlag

C. H. Beck, München 1994. 260 S., br., 48,- DM.

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