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Das mit einem umfangreichen Nachwort versehene Buch ist die Neuauflage des 1929 im Malik-Verlag in Berlin veröffentlichten Halle-Romans Ruhe und Ordnung , der 1933 von den Nazis öffentlich verbrannt wurde.
Die Schilderungen des aktiv am Kapp-Putsch 1920 in Halle beteiligten Zeitfreiwilligen Ernst Ottwalt (1901-1943),mit bürgerlichem Namen Ernst Gottwalt Nicolas, werden von Christian Eger kritisch aufbereitet, der den Spuren der Ottwalt-Biographie mit geradezu detektivischem Ansatz nachgeht.
Ottwalts politische Entwicklung ist von einem radikalen Seitenwechsel geprägt: Als Abiturient
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Produktbeschreibung
Das mit einem umfangreichen Nachwort versehene Buch ist die Neuauflage des 1929 im Malik-Verlag in Berlin veröffentlichten Halle-Romans Ruhe und Ordnung , der 1933 von den Nazis öffentlich verbrannt wurde.

Die Schilderungen des aktiv am Kapp-Putsch 1920 in Halle beteiligten Zeitfreiwilligen Ernst Ottwalt (1901-1943),mit bürgerlichem Namen Ernst Gottwalt Nicolas, werden von Christian Eger kritisch aufbereitet, der den Spuren der Ottwalt-Biographie mit geradezu detektivischem Ansatz nachgeht.

Ottwalts politische Entwicklung ist von einem radikalen Seitenwechsel geprägt: Als Abiturient schloss er sich 1919 zunächst den deutschnationalen Freikorps-Kämpfern an. Im Verlauf der Weimarer Republik wurde er Kommunist, trat der KPD und dem Bund proletarisch-revolutionärer Schriftsteller (BPRS) bei; 1943 starb er im sowjetischen Gulag. Weniger bekannt dürfte sein, dass Ernst Ottwalt 1932 mit Bertolt Brecht das Drehbuch zum Arbeiterfilm Kuhle Wampe oder: Wem gehört die Welt? verfasste.

Ernst Ottwalt hat den ganzen Weg durchmessen: vom nationalistischen deutschen Freikorpsmann in der Nachkriegszeit des Ersten Weltkrieges zum überzeugten und engagierten Kommunisten, der dann in den Lagern Stalins endete. Er steht hier stellvertretend für alle, für die es keine Rückkehr mehr gab, und für alle, deren Namen und deren Schicksal im großen Kraftakt der Verdrängung unserer jüngsten Vergangenheit von der einen Seite vergessen wurde.

Alfred Kantorowicz, 1964

Ernst Ottwalt, 1901 als Ernst Gottwalt Nicolas in Zippnow (Pommern) geboren. Kindheit und Jugend in Wildau (Mark Brandenburg) und Halle. Jura-Studium, Eintritt in die KPD, Erfolgsautor des Malik Verlages in Berlin. Exil in Dänemark, Prag und Moskau, wo er 1936 verhaftet wird. Ernst Ottwalt stirbt 1943 in einem Straflager mutmaßlich bei Archangelsk.

Werke: u. a. Ruhe und Ordnung (Roman), Denn sie wissen was sie tun (Roman), Kuhle Wampe (Drehbuch, mit Bertolt Brecht und Slatan Dudow), Jeden Tag vier (Schauspiel), Deutschland erwache! Geschichte des Nationalsozialismus (Essay), Kalifornische Ballade (Hörspiel), Erwachen und Gleichschaltung der Stadt Billigen (Romanfragment)
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 31.07.2015

Auf viele Arten
verschwiegen
Wiederentdeckt: Ernst Ottwalts
Roman „Ruhe und Ordnung“
Kurt Tucholsky und Sergej Tretjakow haben seine Bücher gerühmt, Brecht hat ihn hoch geschätzt, Georg Lukács hat ihn verrissen, und sein Verleger Wieland Herzfelde lieferte ihn dem NKWD ans Messer, der ihn in einem Straflager bei Archangelsk elend verrecken ließ. Die Rede ist von Ernst Ottwalt, dessen kurzzeitiger Ruhm Anfang der Dreißigerjahre umgekehrt proportional war zu dem zweifachen Vergessen, dem Person und Werk anheimfielen: Die SA verbrannte seine Bücher, und in der DDR schwieg man ihn tot, nachdem seine Schriftstellerkollegen und Genossen ihn als Verräter denunziert hatten, um die eigene Haut zu retten.
  Fritz J. Raddatz hat dazu angemerkt, Ottwalts tragisches Leben sei aufregender als dessen Bücher, aber das stimmt nur bedingt. Die wissenschaftlichen Ansprüchen genügende Neuausgabe seines Erstlingswerks „Ruhe und Ordnung“, von Christian Eger kenntnisreich präsentiert und kommentiert (Hasenverlag, Halle. 270 S., 19,80 Euro), kommt wie gerufen, um über den Autor kursierende Vorurteile zu revidieren und ihn dem alles nivellierenden Vergessen zu entreißen. Dabei ist „Ruhe und Ordnung“ kein konventionell erzählter Roman; auch der von Georg Lukács benutzte Terminus Reportageroman, gegen den Ottwalt nichts einzuwenden hatte – er selbst spricht vom „Tatsachenroman“ – wird der Eigenart des Textes nicht gerecht.
  „Ruhe und Ordnung“, 1929 erstmals erschienen im Malik Verlag, ist der autobiografische Bericht eines zum Kommunismus bekehrten ehemaligen Freikorpskämpfers, der auf die politisch bewegte Zeit der Novemberrevolution zu Beginn der Zwanzigerjahre zurückblickt. Das Wort Bekehrung steht hier nicht von ungefähr, denn wie in einer Heiligen-Vita wird die Konversion zum wahren Glauben durch breite Ausmalung des Sündenfalls begründet: damit Saulus zum Paulus wird, muss er revolutionäre Arbeiter bespitzelt und in studentischen Saufgelagen oder im Puff über die Stränge geschlagen haben – je schlimmer, desto besser. „Die dumpfe Angst vor dem Haufen, der siedende Schreck vor der Ungewissheit unserer Zukunft und die selbstverständliche Sympathie für Bügelfalte und Oberhemd machen uns zu klassenbewussten Bürgern . . . “
  Kürzer und prägnanter lässt sich der Zusammenhang von Revolution und Konterrevolution kaum auf den Punkt bringen, wobei Ottwalt rechte Gewaltexzesse nicht nur aus dem Klassenkampf ableitet, sondern aus einer pubertären Revolte, die ebenso nach links ausschlagen kann: Die Extremisten waren sich einig in ihrem Hass auf die Weimarer Republik. Und es ist kein Zufall, dass Ottwalt sein Buch nicht in Berlin oder Leipzig, sondern in Halle ansiedelt, wo die politischen Prozesse vom Kapp-Putsch bis zum aufhaltsamen Aufstieg der NSDAP wie im Reagenzglas abliefen. „In Halle an der Saale haben sich schon von jeher alle sozialen und politischen Bewegungen besonders scharf ausgeprägt. In keiner zweiten deutschen Stadt stoßen die gesellschaftlichen Extreme so unmittelbar auf einem engen Raum aufeinander.“ Der Herausgeber Christian Eger liest den Text wie einen Stadtführer und hatte keine Mühe, die Originalschauplätze zu finden, wo Ottwalt, mit bürgerlichem Namen Ernst Gottwalt Nicolas, sich vom kaisertreuen Schüler zum Rechtsradikalen und später zum Kommunisten wandelte.
  Dass man ihm im Moskauer Exil aus der Vergangenheit einen Strick drehen und freimütig bekannte Jugendsünden zu konterrevolutionären Verbrechen erklären würde, hätte er so nicht für möglich gehalten, denn „der NKWD verhaftet keine Unschuldigen“, wie Ottwalt blauäugig meint. Dass der KPD-Vorsitzende Wilhelm Pieck vorschlug, alle in die UdSSR Emigrierten politisch zu überprüfen und zwei Drittel nach Nazideutschland zurückzuschicken, selbst wenn ihnen dort Verfolgung droht, weiß er zu diesem Zeitpunkt nicht. „Wenn der noch sitzen kann, sitzt er“, soll Brecht zu Walter Benjamin gesagt haben, als er von Ottwalts Verhaftung erfuhr.
  Wichtiger als parteiinterne Querelen der Emigranten, die in Nachtsitzungen im Hotel Lux übereinander herzogen, war, dass Georg Lukács schon früher, in der Zeitschrift Linkskurve, über Ottwalt den Stab gebrochen hatte. Das Perfide seines Verdikts war, dass und wie er die Kritik an Ottwalts Schreibweise auf dessen Leben zurückführt: „Dagegen ist die Hauptgestalt ein schwankendes Rohr . . . Es bedarf nicht langer Erörterungen, um klarzusehen, dass solche ‚Helden‘, ohne mit ihren Verfassern identisch zu sein, doch deren Klassenlage treu widerspiegeln . . .“ Zusammen mit dem Vorwurf des Trotzkismus war das eine klare Denunziation, und der Titel von Ottwalts Justizsatire „Denn sie wissen, was sie tun“ lässt sich von der Weimarer Republik auf die Emigrantenszene in Moskau übertragen.
  So kommt das groteske Resultat zustande, dass Lukács der proletarisch-revolutionären Literatur Balzac und Tolstoi als Vorbild empfahl und Ernst Ottwalt in die Nähe von Sergej Tretjakow rückte, der 1937 als Spion „entlarvt“ und erschossen wurde. „Über literarische Formen muss man die Realität befragen, nicht die Ästhetik“, schrieb Brecht in seiner Entgegnung auf Lukács: „Die Wahrheit kann auf viele Arten verschwiegen und auf viele Arten gesagt werden.“
HANS CHRISTOPH BUCH
„Wenn der noch sitzen kann,
sitzt er“, soll Bertolt Brecht über
Ottwalts Verhaftung gesagt haben
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