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Wer lange und erfolgreich wie Klaus-Dieter Lehmann Bibliothek und Museum, die großen Organisationen unseres kollektiven Gedächtnisses, zwischen Kultur und Politik geführt hat, der hat - wie nach einer langen Reise - "was zu erzählen". Von Kultur und Identität, von Weltkunst, von kulturellem Erbe, von Beutekunst, Raubkunst und Restitution, von Renovierung und Rekonstruktion, von Politik und Geld. Dies ist eine Zwischenbilanz des ehemaligen Präsidenten der Stiftung Preußischer Kulturbesitz und des neuen Präsidenten des Goethe-Instituts.

Produktbeschreibung
Wer lange und erfolgreich wie Klaus-Dieter Lehmann Bibliothek und Museum, die großen Organisationen unseres kollektiven Gedächtnisses, zwischen Kultur und Politik geführt hat, der hat - wie nach einer langen Reise - "was zu erzählen". Von Kultur und Identität, von Weltkunst, von kulturellem Erbe, von Beutekunst, Raubkunst und Restitution, von Renovierung und Rekonstruktion, von Politik und Geld. Dies ist eine Zwischenbilanz des ehemaligen Präsidenten der Stiftung Preußischer Kulturbesitz und des neuen Präsidenten des Goethe-Instituts.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung

Ausgebrannte Rhetorik im Kernkraftwerk der Kulturen
Was die Zukunft für Bibliothek und Museum bringt: Klaus-Dieter Lehmann wickelt vernünftige Ideen in papierenes Deutsch

Eine Definition von Glück könnte lauten: "6000 Jahre Menschheitsgeschichte auf einem Quadratkilometer in der Mitte Berlins". So lässt sich der Verantwortungsbereich umreißen, für den Klaus-Dieter Lehmann als Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz von Februar 1999 bis Februar 2008 zuständig war. Lehmann überwachte die Sanierung der Museumsinsel mit dem Bode- und Pergamon-Museum. Er hat 1999 den Architektenwettbewerb für den Neubau des zentralen Lesesaals der Staatsbibliothek Unter den Linden ausgelobt und im Februar 2008 die Rede zum Richtfest gehalten. Siebzehn Museen und andere Forschungsinstitute, Bibliotheken und Archive mit historischen Dokumenten aller Epochen und Formate hatten ihm zu berichten. Er schlug vor, die Dahlemer Sammlungen außereuropäischer Kunst und Kultur im neu zu errichtenden Berliner Schloss unterzubringen. Die erweiterte Definition von Glück lautet also: 6000 Jahre und fünf Kontinente konzentriert auf einem Quadratkilometer.

333 Millionen für die Staatsbibliothek, mehr als eine Milliarde Euro für die Museumsinsel und noch einmal mehr als 700 Millionen Euro für das Humboldt-Forum - die Kosten für den "größten zusammenhängenden Kulturkomplex in Europa" entsprechen etwa denen eines Kernkraftwerks. Wird er die Kulturnation Deutschland auch entsprechend unter Strom setzen? Lehmann redet dafür wie ein Atom-Lobbyist. Zu seinem Selbstverständnis gehört es, eine wirksame Öffentlichkeits- und Lobbyarbeit zu leisten, um den "Stellenwert von Kultur" und auch deren wirtschaftliche Bedeutung zu vermitteln und so die Ausgaben zu rechtfertigen. "Kulturmanagern" legt er nahe, ihre "strategischen, taktischen und operativen Ziele festzulegen und durch eine zielorientierte Außenkommunikation bekannt zu machen". "Öffentlichkeit!" - dies sei "unser entscheidender Messfaktor". Es gelte, das Publikum zu gewinnen. Und wie haben Sie das gemacht, Herr Lehmann?

Wer als PR-Profi erwartet, dass hier ein Insider die rhetorischen Knüppel oder auch feinere Werkzeuge aus dem Sack holt, der wird von dieser Sammlung von Reden und Aufsätzen enttäuscht. Viele Sätze sind wie aus Eiche geschnitzt. Im Konzept für das Humboldt-Forum gibt sich Lehmann als Meister des -ung-Fu: Das "Datenmaterial" der außereuropäischen Museen Berlins diene "der wissenschaftlichen Erschließung, Aufbereitung und Bereitstellung für und durch die internationale Forschung und seine populäre Veranschaulichung für ein internationales Publikum". Auf Deutsch heißt das: Historiker und Touristen müssen künftig nicht mehr so weite Wege zurücklegen.

Das ist nicht wenig. Das Glücksgefühl, etwa im Lesesaal einer der großen Nationalbibliotheken mehr oder weniger unmittelbar auf entlegenste und manchmal abseitige Erzeugnisse des menschlichen Geistes in Fülle zurückgreifen zu können, kann einen umwerfen. Es ist unglaublich elitär und doch beinahe so körperlich wie das Vergnügen des All-inclusive-Touristen, der sich am Buffet den Bauch vollschlägt: alles, sofort. Klaus-Dieter Lehmann verbirgt dieses Geheimnis hinter einer monumentalen Fassade staatlicher Repräsentation. Hunderte Millionen Euro schwer sind die klassizistisch anmutenden Säulen, die sie stützen: "kulturelles Gedächtnis", "humanistische Überlieferung", "Dialog der Kulturen" und so weiter. Im Fall des Humboldt-Forums nehmen diese Sprachfassaden steinerne Gestalt an. Einmal mehr gibt sich der Staat seiner kostspieligen Gefallsucht hin, nur um einen historistischen und städtebaulichen Phantomschmerz zu stillen.

Denn der technisch versierte Bibliothekar Lehmann weiß es in Wirklichkeit besser. Der Traum von universeller und sofortiger Verfügbarkeit hat nicht mehr die Gestalt weiträumiger Säle unter gewaltigen Kuppeln. Die alte Sucht nach dem "alles, sofort" hat sich ins Immaterielle, ins ganz unmonumentale Internet verlagert. Die digitale Leitidee formuliert Lehmann mit Sicherheit richtig: "die Quellen der kulturellen Überlieferung nicht sparten- und materialbezogen in Bibliotheken Archiven und Museen zu isolieren, sondern sie sinnvoll aufeinander zu beziehen".

Bücher, Akten, Gemälde oder Präparate lagern in räumlich getrennten Magazinen. Doch im Geisterreich des Virtuellen sind sie immer und überall gegenwärtig. Dahin ist es ein schrittweiser Prozess. Deshalb erstaunt es, wie viel Energie Lehmann darauf verschwendet, den Digitalisierungsvorstoß von Google als Einbruch in die Domäne der Bibliothekare abzuwehren: "Die Wissenskartierung, die kulturelle und intellektuelle Vielfalt abbilden soll, ist keine Aufgabe der Privatwirtschaft." Ja, das Suchmodell von Google setzt voraus, dass man bereits weiß, was man sucht. Aber dass man in einer wachsenden Menge digitalisierter historischer Dokumente nach Namen oder Stichwörtern suchen kann, ist allemal besser, als auf die Realisierung eines noch so wünschenswerten "Stimulationsmodells" zu warten.

Übrigens liegt das Versäumnis weniger bei den Bibliothekaren als mehr bei den historischen Fachwissenschaftlern. Anstatt Dokumente als verlässlich edierte Volltexte bereitzustellen, sie durch Metadaten aufeinander zu beziehen und zu kommentieren und schließlich durch digitale Landkarten zugänglich zu machen, schreien sie weiterhin nach Zuschüssen für gedruckte Editionen.

Lehmann ist ein liberaler Weltbürger, kein bürokratischer Nationalbestandseiferer. In der Debatte um die Kunstsammlung von Friedrich Christian Flick trennt er geschickt die Aufgaben der Kunst von der Verpflichtung, vergangenes Unrecht historisch aufzuarbeiten. In der Frage der Rückgabe jüdischer Kulturgüter, die von den Nationalsozialisten enteignet wurden und sich in öffentlichen Sammlungen befinden, stellt er sich auf die Seite der Erben, auch wenn deren Ansprüche empfindliche Lücken reißen können.

Der russischen "Beutekunst" oder den deutschen Kulturgütern in Polen nähert er sich auf dem Umweg über gemeinsame wissenschaftliche Projekte und Ausstellungen, und er spricht mehr über Rückführungen von Kulturgütern nach Polen als über deutsche Ansprüche. Der digital gebildete Bürger, der ja "alles, sofort" schon hat oder haben wird, kann sich und anderen Zeit lassen, bis Wunden verheilt sind.

Ob der eine Teil einer bereits zigfach edierten und kommentierten Partitur Bachs in Berlin und der andere in Krakau oder Warschau liegt, ist auch so lange gleichgültig, wie Liebhaber und Fachleute Zutritt dazu haben. Nicht einmal für Reliquienverehrer würde es eine Rolle spielen, ob sie vor dem Kreuz Christi in die Knie gehen oder nur einen Splitter davon küssen. Der Geist ist immer ganz. Begrüßen wir die Digitalisierung der Kulturgüter als Gegengift gegen den abergläubischen Kulturfetischismus, dem auch Lehmann rhetorisch manchmal huldigt.

Lehmanns neue PR-Leute im Goethe-Institut, dem er jetzt vorsteht, werden den humanistischen Schwulst nicht völlig unterdrücken können. Der Zwang zur Repräsentation schließt bei Lehmann Vernunft zum Glück nicht aus. Eleganter wäre es freilich, er spräche zur Nachwelt nur durch seine Taten.

CHRISTOPH ALBRECHT

Klaus-Dieter Lehmann: " Bild, Buch und Arche". Bibliothek und Museum im 21. Jahrhundert. Mit einem Vorwort von Hermann Parzinger. Berlin University Press, Berlin 2008. 256 S., geb., 27,90 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Das bisschen Mangel an Eleganz (ausschließlich durch Taten zu sprechen) kann Christoph Albrecht dem Autor verzeihen. Eigentlich nämlich gefällt ihm Klaus-Dieter Lehmanns Sammlung von Reden und Aufsätzen ganz gut. Zwar taugt der Band nach Albrechts Meinung nicht als Lehrbuch für PR-Leute, die hier "rhetorische Knüppel" erwarten, der Zwang zu staatlicher Repräsentation geht manchmal mit dem ehemaligen Präsidenten der Stiftung Preußischer Kulturbesitz durch. Doch entdeckt Albrecht im Buch auch Richtiges zur "digitalen Leitidee" wie zur Debatte um die Sammlung Flick.

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