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In diesem Buch geht es um eine Neubestimmung von Demokratie durch den Nachweis, dass die Demokratie diejenige politische Organisationsform darstellt, die dem grundlegenden menschlichen Selbstverständnis entspricht. Um diesen Nachweis zu erbringen, muss die Verankerung der Demokratie in der sozialen Existenzform des Menschen aufgezeigt werden.

Produktbeschreibung
In diesem Buch geht es um eine Neubestimmung von Demokratie durch den Nachweis, dass die Demokratie diejenige politische Organisationsform darstellt, die dem grundlegenden menschlichen Selbstverständnis entspricht. Um diesen Nachweis zu erbringen, muss die Verankerung der Demokratie in der sozialen Existenzform des Menschen aufgezeigt werden.
Autorenporträt
Emanuel Richter, geb. 1953, studierte Politische Wissenschaft, Soziologie, Germanistik und Philosophie in Mainz, Bonn und Paris. Seit 2000 ist er Professor für Politikwissenschaft an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen. Buchveröffentlichungen u.a.: Der Zerfall der Welteinheit - Vernunft und Globalisierung in der Moderne, 1992; Die Expansion der Herrschaft - eine demokratietheoretische Studie, 1994, Das republikanische Europa - Aspekte einer nachholenden Zivilisierung, 1999, Republikanische Politik - Demokratische Öffentlichkeit und politische Moralität, 2004.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 25.07.2008

Überreizte Wahrnehmung
Emanuel Richter will die Demokratie neu entdecken
Die Demokratie und ihre Theorie stehen hoch im Kurs und sind doch unvollendet. Der Aachener Politikwissenschaftler Emanuel Richter ruft jetzt zur „Neuentdeckung” auf. Er hat die anthropologischen Wurzeln und normativen Grundlagen der Demokratie freigelegt und ein Plädoyer für mehr Demokratie geschrieben, um einem politischen Unbehagen zu begegnen, das sich zur Demokratieverdrossenheit zuzuspitzen drohe.
Die Wurzeln der Demokratie, von denen Richter spricht, sollen ausdrücklich nicht historische sein. Er will nachweisen, dass die Demokratie die Regierungsform sei, die dem menschlichen Selbstverständnis am besten entspreche. Mehr Demokratie – das wäre kein Wagnis, sondern die Erfüllung einer kulturanthropologisch, sozialpsychologisch wie auch epistemologisch begründeten Forderung. Mehr politische Partizipation führe zu sozialer Integration und fördere die politische Urteilskraft. Der apokryph gewordene Bildungsanspruch der klassischen Theorie ist auf die politische Deliberation der Bürger übergegangen.
Scheinbar argumentiert Richter auf der Basis eines konstruktivistischen Pragmatismus. Am Anfang steht die demokratische Tat. Ethos und Praxis der Demokratie werden begründungslogisch verschlungen. „In dem Moment, in dem eine demokratische Praxis entsteht, fördert sie durch ihren Vollzug ihre eigene Legitimation.” Ist etwa auch die Wahrheit der Demokratie nur eine Illusion, von der man vergessen hat, dass sie eine ist? Mitnichten. Denn der pragmatistisch verstandenen Parallelaktion von Erzeugung, Befolgung und Begründung von Werten und Normen wird zuletzt doch noch ein essentialistisches Verständnis menschlicher Sozialisation unterlegt. Die Praxis der öffentlichen Begegnung, schreibt Richter romantisierend, gelingt einzig auf demokratische Weise authentisch. Die Demokratie entspreche dem assoziativen Wesen des Menschen.
Das hätte indes eine sonderbare Konsequenz. Was ist mit den Menschen, die in all den Jahrhunderten ohne Demokratie lebten und die politische Erfahrung der gemeinsamen Deliberation und demokratischen Kooperation nicht machten, die nicht an der erfüllenden Praxis solcher sozialen Begegnung teilhatten? Sie stellen die Theorie der anthropologisch verankerten Demokratie vor ähnliche Probleme wie sie einst die ungetauft gestorbenen Kinder für die christliche Theologie aufwarfen. Hier gibt es nur unschuldig verfehltes Wesen, korrumpierte Natur sowie zuhauf irregeleitete menschliche Selbstmissverständnisse. Doch weder die lange Geschichte solcher menschlichen Daseinsverfehlungen ist ein Thema des Buches, noch sind es die historischen Erfahrungen und Kämpfe, in denen die Demokratie errungen wurde und Wurzeln in einem Gemeinwesen schlagen konnte, oder die strukturellen Veränderungen, aus denen sie erwachsen ist.
Wie jede Theorie partizipatorischer Demokratie vertraut Richter auf die Leistungsfähigkeit und versittlichende Kraft öffentlicher Diskurse. Dafür führt er eine Reihe von Gründen an. Aus Betroffenen öffentlicher Handlungen werden selbst Akteure; es kommt zur sozialen Integration unter Gleichen; der Einzelne leistet einen deliberativen Beitrag zum kollektiven Handeln; und die Teilhabe an Politik bringt ein demokratisches Ethos hervor und hält es lebendig. Die Bürger werden lernen, ihre Position ohne strategisches Kalkül in den öffentlichen Entscheidungsprozess einzubringen.
Wo die Geschichte der blinde Fleck der Theorie ist, muss man die Demokratie neu entdecken. Warum eigentlich? Richter sieht sie von allgemeinen Funktionsstörungen der Politik belastet: Unter den Bürgern, die es zu mobilisieren gilt, herrschen träge Akzeptanz und ignorante Apathie. Die am Markt orientierten und strategisch operierenden Medien der Massengesellschaft erfüllen ihre Aufgabe als Ferment in der Öffentlichkeit sich beratender Bürger mehr schlecht als recht. Der Anwalt partizipatorischer Demokratie kreidet seinen kommenden Protagonisten einstweilen noch manchen Makel an. Man wünschte sich indes, bevor es zu Therapieempfehlungen kommt, eine genauere Anamnese. Wie verhält es sich zum Beispiel mit den angeblichen Funktionsstörungen der Politik, welche die Demokratie bedrohen?
Emanuel Richter schließt sich dem amerikanischen Pragmatisten John Dewey an, der die Demokratie erkenntnistheoretisch begründete. Sie gewährleiste die optimale Anwendung aller geistigen Fähigkeiten auf die Lösung der gesellschaftlichen Probleme und vergrößere die „Kapazität, kollektive Probleme und Erfordernisse zu erkennen und mit ihnen praktisch umzugehen”. Man könnte es das Vierzigmillionenaugenprinzip nennen.
Aber wird mit der wachsenden Entfaltung politischer Öffentlichkeit und Teilhabe nicht auch die Neigung der Bürger größer, kollektive Probleme zu sehen, wo bislang noch keine waren? Durch neue Ansprüche an die Politik baut sich ein immenser gesellschaftlicher Handlungsdruck auf. Wird demokratische Legitimität aber eng mit der öffentlichen Problemlösungskompetenz verknüpft, von der vor allem Wohlstandssicherung erwartet wird, dann wird die Lage mit der „Krise des Wohlfahrtsstaats” politisch tatsächlich prekär. Die beklagten Funktionsstörungen der Politik zählen vielleicht zu den Risiken und Nebenwirkungen jener überreizten Problemwahrnehmung, nach denen Bürger ihren Gesellschaftsarzt befragen sollten. In seiner Antwort verzichtet er dann hoffentlich ganz im Sinne der demokratischen Bildung auf jeden sozialwissenschaftlichen Jargon. DIRK LÜDDECKE
EMANUEL RICHTER: Die Wurzeln der Demokratie. Velbrück Wissenschaft, Weilerswist 2008. 342 Seiten, 39,90 Euro.
Sehen die Bürger heute Probleme, wo bisher keine waren?
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.07.2008

Freundschaft ist Privatsache

Was soll das sein, eine "Neuentdeckung" der Demokratie? Emanuel Richter ("Die Wurzeln der Demokratie". Verlag Velbrück Wissenschaft, Weilerswist 2008. 342 S., geb., 39,90 [Euro]) stellt jene "republikanische" Gestalt der Demokratie vor, die im Gegensatz zur liberalen Theorie mehr Wert auf die Mitwirkung der Bürger ("Partizipation"), insbesondere ihre Beratung ("Deliberation") lege. Der Gegensatz wird allerdings überschärft. Denn der Verfasser lehnt die wesentlichen Elemente der liberalen Demokratie nicht ab, weder dass die Staatsgewalt vom Volk ausgeht noch dass es ein Parlament und die Gewaltenteilung gibt und die Rechtsordnung sich auf die Menschen- und Grundrechte verpflichtet. Daher empfiehlt sich eher eine integrative Demokratietheorie, die liberale mit republikanischen Elementen verbindet.

Für sein Teilthema entwickelt Richter aber eine ziemlich gründliche Theorie, vorgestellt in drei Teilen von je zwei Kapiteln. Er beginnt mit der sozialen Verankerung der Demokratie, entwirft dann eine ideale Praxis und befasst sich schließlich exemplarisch mit zeitgenössischen Herausforderungen. Im ersten Teil, "allgemeine Bedingungen sozialer Existenz", betreibt Richter, was die Frankfurter Schule, der er nahesteht, früher vehement ablehnte: politische Anthropologie. Hier besteht sie aus drei sich ergänzenden Überlegungen, einer erkenntnistheoretischen, einer sozialpsychologischen und einer kulturanthropologischen Verortung von Demokratie. Der dafür wichtige, von Hegel stammende Begriff der Anerkennung wird allerdings um die Dimension der Arbeit verkürzt und in seinem agonalen Charakter geschwächt.

Richters plausible Grundthese, die politische Organisationsform der Demokratie entspreche am ehesten dem grundlegenden menschlichen Selbstverständnis, privilegiert noch nicht den Republikanismus. Sie beantwortet nicht einmal die Frage, welcher Teil sozialer Integration jene Herrschaft von Menschen über Menschen zulasse, auf die selbst die Demokratie nicht verzichten kann. Auch wünscht man, das zugrundeliegende, letztlich teleologische Argumentationsmuster: dass ein Potential zur vollen Wirklichkeit gebracht werden soll, würde ausgesprochen. Nicht zuletzt findet soziales Lernen nicht nur in seinem affektiven, sondern auch seinem kognitiven und moralischen Anteil schon in der Familie statt. Auch andere Grenzen der Demokratie und überhaupt jeder Politik kommen zu kurz: dass der Mensch nicht nur in der Politik und um ihretwillen lebt, dass Natur- und Geisteswissenschaften samt Medizin und Technik, dass Musik, Literatur und Kunst, dass Freundschaft und Partnerschaft, dass Rechtschaffenheit, für manche auch Spiritualität Lebensziele und Lebensformen sind, die sich nicht in Demokratie auflösen lassen.

Bei der Diskussion der Grundwerte Gleichheit, Freiheit und Gerechtigkeit fehlt der (vom Recht zu schaffende) innere Friede ebenso wie der durch Diplomatie und Völkerrecht, aber auch durch Verteidigungsbereitschaft zu gewinnende äußere Friede. Und bei der Gleichheit oder der Freiheit oder beiden vermisst man einen Blick auf die Menschenrechte und die Grundrechte.

Da der zweite Teil bei den Verfahren ansetzt, überrascht zweierlei. Zum einen wird weder das für die "Legitimation durch Verfahren" innovative Werk von Niklas Luhmann noch John Rawls' Gedanke der öffentlichen Vernunft erwähnt. Da sie dem Autor bekannt sein dürften, vermutet man hier und auch bei der andernorts selektiven Literaturauswahl strategische Gründe. Zum anderen wird nur die "Deliberation" ausführlich erörtert, andere Verfahren dagegen, so etwa die Parlamentsdebatten, auch die wissenschaftliche Politikberatung, kommen bestenfalls beiläufig zur Sprache. Ausgeblendet wird die Gefahr, dass wortgewandte Intellektuelle einen Vorsprung haben, daher bei einem starken Republikanismus die Neigung zu einer Intellektuellenaristokratie droht. Vor allem vermisst man, dass nach einiger Beratungszeit autoritative, wenn auch revisionsoffene Entscheidungen zu fällen sind.

Erfreulicherweise breitet der dritte Teil Kompetenzen des Bürgers aus, die Schwierigkeiten der politischen Urteilskraft werden freilich unterschätzt. Und da es längst eigene Studien dazu gibt, ist es nicht unfair, diese Defizite einzuklagen: Man vermisst den Rechtssinn, den Gerechtigkeitssinn und die Zivilcourage sowie die Toleranz beziehungsweise den wechselseitigen Respekt.

Die Aspekte im letzten Kapitel "Demokratie als kollektive Lebensform", die multikulturelle Gesellschaft, der Wohlfahrtsstaat (warum nicht "Sozialstaat"?) und die globale Nachhaltigkeit bleiben etwas zufällig. Für eine republikanische Demokratietheorie drängt sich doch auch das Thema der Gerechtigkeit gegen künftige Generationen auf: Wie wird der übliche Zukunftsdiskont geringer gehalten? Wie werden noch nicht geborene, aber zu erwartende Personen in die Partizipationsprozesse eingebunden?

So muss die Bilanz kritisch ausfallen: Manche Gegenpositionen werden zu plakativ dargestellt, andere verzeichnet, selbst das Register ist über ein unvermeidbares Maß hinaus höchst unvollständig.

OTFRIED HÖFFE

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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Rezensent Dirk Lüddecke findet Emanuel Richters Analyse der Demokratie zwiespältig. Das liegt daran, dass er an einigen Grundprämissen der Arbeit zweifelt - zum Beispiel daran, dass Demokratie für Richter nicht das Resultat eines schwierigen Prozesses sei, sondern "die Erfüllung einer kulturanthropologisch, sozialpsychologisch wie auch epistemologisch begründeten Forderung", wie der Rezensent meint. Auch stört sich Lüddecke an einigen doch romantisierenden Annahmen Richters oder außer Acht gelassenen Kausalitäten. Bevor sich der Rezensent also vom Autor Empfehlungen zur Wiederbelebung der Demokratie geben lässt, möchte er erst einmal eine "genauere Anamnese".

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