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Als sein Vater am 27. August 1987 auf der Straße in Medellin lag, ermordet von vorbeirasenden Paramilitärs, fand Héctor Abad in der Jacke des Toten ein Gedicht, das dieser offenbar kurz vorher abgeschrieben hatte - Unterschrift J.L.B. Überzeugt, es handele sich um ein Gedicht von Jorge Luis Borges, und genötigt von einem Chor von Menschen, die das Gegenteil behaupteten, machte sich der Sohn auf die Suche nach der Wahrheit hinter diesem Fundstück. Dass daraus eine Reise um die halbe Welt wurde, die sein eigenes mehrjähriges Exil in Turin mit einschloss, konnte er nicht ahnen. Das Gedicht ist…mehr

Produktbeschreibung
Als sein Vater am 27. August 1987 auf der Straße in Medellin lag, ermordet von vorbeirasenden Paramilitärs, fand Héctor Abad in der Jacke des Toten ein Gedicht, das dieser offenbar kurz vorher abgeschrieben hatte - Unterschrift J.L.B. Überzeugt, es handele sich um ein Gedicht von Jorge Luis Borges, und genötigt von einem Chor von Menschen, die das Gegenteil behaupteten, machte sich der Sohn auf die Suche nach der Wahrheit hinter diesem Fundstück. Dass daraus eine Reise um die halbe Welt wurde, die sein eigenes mehrjähriges Exil in Turin mit einschloss, konnte er nicht ahnen. Das Gedicht ist von Borges, klarer Fall, zumindest für den Autor. Der Leser dieser wunderbaren poetischen Reise durch die Geographie der lateinamerikansichen Seele könnte aber zu ganz anderen Schlüssen kommen.
Autorenporträt
Héctor Abad, geboren 1958 in Medellin, lebt dort. Für sein 2008 im Berenberg Verlag auf deutsch erschienenes autobiographisches Buch "El olvido, que seremos" ("Brief an einen Schatten") erhielt er zahlreiche internationale Preise.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 11.11.2011

Was bedeuten die
Initialen „J.L.B.“?
Im Labyrinth der Recherche: Héctor
Abads „Das Gedicht in der Tasche“
Eine phantastische, unheimliche Geschichte, so labyrinthisch und verworren, dass sie vom Verfasser des „Alephs“, von Jorge Luis Borges selbst stammen könnte, wenn sie nicht wahr wäre. Dabei dreht sich alles um ein Werk der Fiktion, ein „objet trouvé“ in Gestalt eines unbekannten Gedichts in Sonettform, unter dem die Initialen „J. L. B.“ stehen, die Verse von Hand auf einen Zettel gekritzelt und aufgefunden am Abend des 25. August 1987 unter den Habseligkeiten eines Toten: eines Mannes, der auf der Calle Argentina von Medellín in einer Blutlache lag, ermordet von Paramilitärs. Kein Unbekannter war dieser Mann, sondern der international angesehene kolumbianische Arzt, Gesundheitspolitiker und Menschenrechtler Héctor Abad.
Es war sein Sohn, der als damals noch junger Mann aus der Jackentasche des Ermordeten den Zettel mit dem Gedicht zog. In dem vielgelobten, ebenfalls bei Berenberg erschienenen „Brief an einen Schatten“ (2009) hat der Schriftsteller, Romanautor und Journalist Héctor Abad die Geschichte seines Vaters erzählt und dort bereits das Gedicht abgedruckt, das dem Buch den spanischen Originaltitel „El olvido que seremos“ („Das Vergessen, das wir werden“) lieferte.
Das frühere Buch wurde an seinem Ende dokumentarisch beglaubigt durch ein Foto vom Tatort mit den engsten Angehörigen, die sich in Schmerz und Trauer über den Leichnam des Familienvaters beugen. Etwas abseits von dieser Gruppe sitzt auf dem Straßenpflaster ein junger Mann, traurig sinnend und fassungslos ins Leere starrend. Es ist der Sohn und künftige Autor, der den Namen des Vaters trägt und nun in seinem neuen Buch die verworrene Überlieferungsgeschichte des Gedichts erzählt und die aufwendige Recherche nach der Borges unterstellten Urheberschaft schildert. Wiedergeben sind die Verse nicht nach dem verlorengegangenen Zettel aus der Jackentasche des Vaters, sondern nach dem Wortlaut des Epitaphs auf dessen Grab in Medellín. Und erneut wird die Geschichte von einem Foto beglaubigt. Es zeigt einen verwitterten Grabstein mit den noch immer entzifferbaren Versen.
Die Recherche führt Héctor Abad mehrmals um die halbe Welt, per Flugzeug und per Internet, das es mit seinen enormen Möglichkeiten der Recherche zum Zeitpunkt des Funds noch längst nicht gab. Nun kann auch der Leser dieses Buchs, wenn er – zumal der Autor betont, wie unsicher doch alle Erinnerungen sind –, noch Zweifel an der Authentizität des Geschilderten hegt, alle befragten und oft auch persönlich aufgesuchten Personen einschließlich ihrer Schriften lückenlos und en détail überprüfen. Unter ihnen sind bekannte wie weniger bekannte Borges-Forscher und Hispanisten aus aller Welt, passionierte Liebhaber ebenso wie notorische Fälscher, Hochstapler und Raubdrucker.
Hat Borges sich selbst parodiert?
Da die erste Hüterin des Nachlasses des blinden Poeten, Borges’ Witwe und vormalige Assistentin Maria Kodama, die Urheberschaft des fraglichen sowie weiterer, im Anhang abgedruckter apokrypher Gedichte vehement bestreitet, musste Abad – so gerne er es seinen Beteuerungen nach auch getan hätte und erst recht künftig tun möchte – für die Wiedergabe der Verse kein Urheberrecht beachten und keine Abdruckgenehmigung einholen. Natürlich kursieren im Internet pseudoborgeske Gedichte in großer Zahl, die Recherche-Ergebnisse Abads klingen jedoch sehr schlüssig. Doch darüber mögen sich die Experten streiten, deren humorvollster und vielleicht kundigster Vertreter das Gedicht zu einer „Borges-Parodie, aber von ihm selbst verfasst“ erklärte.
So ist „Das Gedicht in der Tasche“ auch ein Buch für die Detektive und Kriminalisten unter den Philologen, die von Borges’ Geheimnissen seit je angezogen werden. Sie kommen auch durch die in dem schön gestalteten Buch abgedruckten Dokumente und Fotos auf ihre Kosten. Im Gegenzug wird es an dieser Stelle auch erlaubt sein, Héctor Abad auf Borges’ Gedicht „Elegie eines Parks“ hinzuweisen, das den fast gleichlautenden Vers enthält: „ya somos el pasado que seremos“. Dass Gedicht begann so: „Vergangen ist das Labyrinth. Vergangen.“
Vergangen und weniger erzählenswert, als es Gedichte und die an ihnen haftenden Geschichten sind, ist der zweite, autobiographische Essay, in dem Abad von den Jahren seines Exils berichtet und der leider allzu selbstmitleidig und in der Schilderung so mancher überflüssiger Details aus dem Sexualleben des Autors auch ein wenig peinlich geraten ist. VOLKER BREIDECKER
HÉCTOR ABAD: Das Gedicht in der Tasche. Zwei Gedächtniserforschungen. Aus dem Spanischen von Ulrich Kunzmann. Berenberg Verlag, Berlin 2011. 133 Seiten, 20 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Sehr eingenommen berichtet Volker Breidecker von diesem Buch des kolumbianischen Autors Hector Abad, den er seit dessen "Brief an einen Schatten" sehr schätzt. Darin hatte Abad die Geschichte seines geliebten Vaters erzählt, eines Arztes und Menschenrechtlers, der 1987 von einer Todesschwadrone ermordet wurde. In seiner Tasche trug der ermordete Vater ein Gedicht mit dem Titel "Das Vergessen, das wir werden" und den Initialen "JLB". Dass es sich dabei um ein Gedicht von Jorge Luis Borges handelt, bestreitet dessen Witwe und Nachlassverwalterin, Abad jedoch schildert im vorliegenden Buch seine Recherchen und Beweisführung, die ihn mehrmals rund um die  Welt führten. Breidecker ist dem Autor bei seiner kriminalistisch-philologischen Spurensuche gern gefolgt, schlüssig findet er sie, und am besten gefällt ihm der Vorstellung, dass es sich bei dem Poem um eine von Borges verfasste Borges-Parodie handelt.

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