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Dieser Band erzählt die Erfolgsgeschichte eines Unternehmers und eines Mediums. Der Unternehmer heißt Ernst Litfaß, das Medium ist als Litfaßsäule in die Geschichte eingegangen. Vor dem Hintergrund der boomenden Metropole Berlin wird ein bisher wenig beachtetes Kapitel zur Entstehung der modernen Massenmedien aufgeschlagen.

Produktbeschreibung
Dieser Band erzählt die Erfolgsgeschichte eines Unternehmers und eines Mediums. Der Unternehmer heißt Ernst Litfaß, das Medium ist als Litfaßsäule in die Geschichte eingegangen. Vor dem Hintergrund der boomenden Metropole Berlin wird ein bisher wenig beachtetes Kapitel zur Entstehung der modernen Massenmedien aufgeschlagen.
Autorenporträt
Steffen Damm, Jg. 1965, arbeitet am Institut für Kultur- und Medienmanagement der Freien Universität Berlin sowie als Verlagslektor.

Klaus Siebenhaar, Jg. 1952, ist Direktor des Instituts für Kultur- und Medienmanagement der Freien Universität Berlin und Verleger. Bisher erschienen zahlreiche Veröffentlichungen zur Literatur-, Kultur- und Theatergeschichte des 18. bis 20. Jahrhunderts sowie zum Kulturmanagement.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 14.09.2005

Auf zur Annoncir-Polka!
Der Setzkasten-Aktionist: Ernst Litfaß und seine Säule
Sein Name ist so untrennbar mit dem Objekt verbunden wie die scharfen S-Laute in der Wortmitte der Litfaßsäule. Vor 150 Jahren, 1855, hat Ernst Litfaß, der „Reklamekönig” des 19. Jahrhunderts, die nach ihm benannte Anschlagsäule erfunden, genauer: Er hat sie nach bereits existierenden Vorbildern in London und Paris kopiert. Litfaß war ein rastloser Mann mit vielen Talenten. Anlässlich des Säulen-Jubiläums hat Wilfried F. Schoeller eine Biografie über den Drucker, Werbekolporteur, Dichter, Impresario und Eventregisseur geschrieben und ihm ist dabei ein kleines Meisterwerk gelungen. Schoeller erzählt mit viel Sprachwitz und mit ironischer Sympathie für die Bizarrerien des Werbegenies.
Ernst Litfaß, der am 11. Februar 1816 in Berlin geboren wurde, zog es anfangs keineswegs in die Druckerei des Stiefvaters, sondern auf die Bühne des Liebhabertheaters. Unter dem Pseudonym „Herr Flodoardo aus Berlin” brillierte Litfaß im Fach jugendlicher Liebhaber, spielte zwei Jahre an der Seite von Näherinnen und „ästhetischen Dienstmägden”. Dann übernahm er doch die stiefväterliche Firma und modernisierte sie sofort durch die Anschaffung von Schnellpressen. Seine Haupteinnahmequelle war eine Anthologie „komischer und ernster Dichtungen zum Vortrage in öffentl. u. Privatgesellschaften”, in die Litfaß furchtlos seine eigenen, äußerst mittelmäßigen Verse einstreute. Auch druckte er Programmzettel für die Berliner Bühnen und Konzertlokale.
Stets war er auf der Suche nach neuen Geschäftsfeldern. 1845 unterbreitete er dem preußischen König den Vorschlag, sämtliche Grabinschriften auf den Friedhöfen Berlins zu sammeln. Als die staatliche Unterstützung für die projektierten vielbändigen „Denkmäler der Entschlafenen” ausblieb, ließ Litfaß seinen Plan sogleich wieder fallen. 1848 wurde er zum Drucker der Revolution. Aus seinen Schnellpressen kamen die Flugschriften der Demokraten sowie das satirische Journal „Berliner Krakehler”. Doch Litfaß, so Schoeller, war ein „Aktionist mit dem Setzkasten” und in letzter Konsequenz ein wendiger Geschäftsmann, der das Spiel mit wechselnden Loyalitäten meisterlich beherrschte. Nach der Niederschlagung der 1848er Bewegung wurde de facto die „Affichierungsfreiheit” aufgehoben, das Recht, in Anschlägen an Mauern und Hauswänden unzensiert die Meinungsfreiheit zu erproben.
Das fortgesetzte ‚wilde Plakatieren‘ brachte den Werbestrategen Litfaß auf eine Idee. 1854 wandte er sich an den Berliner Polizeipräsidenten mit einer Offerte: Er erbot sich, Säulen aufzustellen, die künftig der alleinige Ort für Anschläge jeglicher Art sein sollten. Auf diese Weise verschaffte sich Litfaß ein Monopol für Werbeflächen und der Staat bekam Kontrolle über die „ungehemmte Galerie der Straße” (Schoeller). Pointe am Rande: Litfaß versprach, 30 „Urinoirs” in der hygienisch rückständigen Metropole zu errichten. Doch diese Zusage hat er nie eingelöst.
Die Lustbarkeiten der Metropole
Die erste von 150 Säulen weihte Litfaß 1855 vor seinem Firmensitz ein. Anfangs war die Neuerung in Berlin durchaus umstritten, weil sie zu marktschreierisch sei und die Aussicht hemme. Doch der geschickte Stratege Litfaß ließ lobende Artikel in den Zeitungen platzieren und eigens eine „Ernst-Litfaß-Annoncir-Polka” komponieren. Er zündete Ideen wie Raketen. Bereits 1851 hatte er den „Berliner Tagestelegraph” gegründet, ein kostenloses Anzeigenblatt, das den Touristen über die täglichen Lustbarkeiten in der Metropole informierte - der Urtypus heutiger Stadtmagazine. Ab 1858 bot Litfaß amtliche Vordrucke für nahezu jeden Zweck an, von „Concours-Anmeldungen” bis zu „Kegel-Regelments”, und wurde so zum „Schriftverwalter der deutschen Bürokratie” (Schoeller).
Auch als Redoutenregisseur und öffentlicher Wohltäter machte er sich einen Namen. Zur Feier des 100. Geburtstages Schillers ließ er ein gigantisches Fest steigen, „zum Besten der Abgebrannten im Voigtlande und der Ortsarmen in Blasewitz”. 1866 strömten 50 000 Berliner zu einem „Patriotischen Fest” nach Treptow, wo Litfaß mit immensem Aufwand ein Schiffsbombardement nachstellen ließ. Der Lohn dieser Mühen: er wurde zum „Kommissionsrath” ernannt. Der ersehnte Adelstitel ist ihm, der am 27. Dezember 1874 starb, verwehrt geblieben.
Als „außergewöhnlichen Kreativen” feiert auch eine Litfaß-Hommage von Steffen Damm und Klaus Siebenhaar den Säulenheiligen, affirmativer im Ton als Schoeller und mit verzichtbaren Anleihen beim Werber-Deutsch. Neben einem biografischen Porträt enthält das Buch einige Originaltexte von Litfaß und eine lesenswerte Kulturgeschichte seiner Säule. Diese hat stumme Komparsenauftritte nicht nur in der Malerei oder auf dem Umschlag von „Emil und die Detektive”, sondern auch in Fritz Langs „M” und Carol Reeds „Der Dritte Mann”. Dort steigt der flüchtige Harry Lime durch eine hohle Litfaßsäule in den Untergrund Wiens. Die Szene hätte dem Effektemacher Litfaß gefallen. RALF BERHORST
WILFRIED F. SCHOELLER: Ernst Litfaß. Der Reklamekönig. Verlag Schöffling & Co., Frankfurt am Main 2005. 223 Seiten, 19,90 Euro.
STEFFEN DAMM, KLAUS SIEBENHAAR: Ernst Litfaß und sein Erbe. Eine Kulturgeschichte der Litfaßsäule. Verlag Bostelmann & Siebenhaar, Berlin 2005. 168 Seiten, 15,80 Euro.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.09.2005

Schau und lies
Auch die Litfaßsäule wird mit ihrer Kulturgeschichte verklebt

Die Anfertigung von Kulturgeschichten hat mittlerweile eine institutionalisierte Motorik ergriffen, die die wissenschaftliche Erörterung von Alltagsgegenständen in immer erhöhter Frequenz in den Erkenntnishorizont des ob dieser Fülle langsam ermüdenden Lesers rücken will. Die Kulturgeschichte des Aquariums, die Kulturgeschichte des Korsetts, die Kulturgeschichte der Peitsche: Das alles hat durchaus sein Eigeninteresse. Aber gibt es eigentlich einen Gegenstand auf dieser Welt, der keiner kulturgeschichtlichen Erörterung bedarf?

Daß Ernst Litfaß und das von seinem Namen abgeleitete Reklame-Rondell der Litfaßsäule den Bedeutungszuwachs einer kulturgeschichtlichen Erfassung für sich reklamieren dürfen, bestätigt die schwungvoll präsentierte Monographie "Ernst Litfaß und sein Erbe" von Steffen Damm und Klaus Siebenhaar. Den Autoren gelingt es hier, die Physiognomie eines Zeitalters induktiv aus der Originalität und Schaffenskraft eines seiner Bewohner zu erschließen und diesen Zeitgenossen deduktiv aus den strukturellen Triebkräften seiner Zeit hervorgehen zu lassen: Mittig ins neunzehnte Jahrhundert plaziert, hatte die grenzgängerisch veranlagte Persönlichkeit Ernst Litfaß' noch die Möglichkeit, ihre unterschiedlichen Talente auszubilden und einander nutzbar zu machen, bevor die Kompartimentslogik einer sich ausdifferenzierenden Gesellschaft die Individuen nach ihren Funktionsbedürfnissen formte.

Ernst Litfaß war eine Summe von Mensch. Er begann seine Laufbahn als Schauspieler und Gelegenheitsdichter mit einer Vorliebe für die rasche kabarettistische Pointe. Mit der Übernahme der väterlichen Druckerei im Jahr 1845 ergriff ihn dann immer stärker die sich herausbildende kapitalistische Mentalität, die an die Stelle des Eigenbedarfs die Anonymität des Profits und den Selbstzweck seiner ständigen Erweiterung setzte. Trotz aller kommerziellen Phantasie wurde Ernst Litfaß, diese tonnegewordene Inkarnation des Strukturwandels der Öffentlichkeit, jedoch nie reine Krämerseele. Auch bei seinen unternehmerischen Aktivitäten trieben ihn ästhetische Anliegen, die er teils auf eigene Kosten in die Tat umsetzte.

Als hätte sich das Lebenswerk dieser tumulthaften, nach allen Seiten ausstrahlenden Persönlichkeit zwangsläufig zur Säule runden müssen, präsentierte Litfaß vor 150 Jahren schließlich erstmals die nach ihm benannte Kolumne und positionierte sie als Ordnungs- und Demokratisierungselement in eine im Zuge der Industrialisierung chaotisch werdende Urbanität. Die Litfaßsäule fing die Vielstimmigkeit der Großstadt auf und liefert darüber hinaus den Ansatzpunkt zu einer Theorie des Individuums im Zeitalter der Massen: In ihrem chaotischen Kosmos entblätterte sich das "fraktale Subjekt" Baudrillards, das "in eine Vielzahl von winzigen gleichartigen Egos zerfällt" und den Beginn der Moderne signiert.

Branding, Productplacement, Eventmanager: Willig und mit manchmal übertriebenem Eifer zum Gegenwartstransfer destillieren die Autoren aus Litfaß' Wirken das Vokabular der aktuellen Marketingsprache und ziehen daraus eine fragwürdige praktische Lektion: Daß sich ihr Buch am Ende in allgemeinen Auslassungen über Stadtraumgestaltung in der Gegenwart unter auffällig häufiger und stets positiver Erwähnung der Berliner Wall AG verliert, überrascht nicht länger, wenn man im Impressum den gleichlautenden Namen seines Sponsors liest. Von ihrem Thema gänzlich unaufgefordert, rufen Siebenhaar und Damm den Unternehmenspatron Hans Wall zum legitimen Erben von Ernst Litfaß aus, verklären sein stadtmöblierendes Wirken und gewähren ihm in einem Nachwort den Raum zu ungenierter Selbstdarstellung. Kulturgeschichten auf diese Weise zu PR-Plattformen für ästhetisch überhöhte Unternehmensdarstellungen verkommen zu lassen, ist ein häufiger und abstoßender Gedanke zugleich.

THOMAS THIEL

Steffen Damm, Klaus Siebenhaar: "Ernst Litfaß und sein Erbe". Eine Kulturgeschichte der Litfaßsäule. Verlag Bostelmann & Siebenhaar, Berlin 2005. 168 S., Abb., br., 15,80 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Obschon von den zahllos grassierenden Kulturgeschichten - des Aquariums, des Korsetts oder der Peitsche etwa - übersättigt, räumt Rezensent Thomas Thiel ein, dass die von Ernst Litfaß erfundene Litfasssäule durchaus einer kulturgeschichtlichen Untersuchung würdig ist. Zumal er sie als ein "Ordnungs- und Demokratisierungselement" in der mit der Industrialisierung immer "chaotischer" werdenden Stadtlandschaft. Die von Steffen Damm und Klaus Siebenhaar vorgelegte Monografie zum Thema hat bei ihm allerdings einen schalen Nachgeschmack hinterlassen. Den Autoren gelinge es zwar, die Beschaffenheit eines Zeitalters aus der Originalität und Schaffenskraft eines seiner Zeitgenossen zu erschließen. Aber dass die Autoren sich gegen Ende des Buchs zunehmend in allgemeinen Auslassungen über Stadtraumgestaltung in der Gegenwart ergehen, dabei häufig und stets positiv die Berliner Wall AG, Sponsor des Buchs, erwähnen, Hans Wall zum legitimen Erben von Ernst Litfaß ausrufen und ihm im Nachwort Raum zu "ungenierter Selbstdarstellung" zu geben, erscheint Thiel fragwürdig. "Kulturgeschichten auf diese Weise zu PR-Plattformen für ästhetisch überhöhte Unternehmensdarstellungen verkommen zu lassen", resümiert er, "ist ein häufiger und abstoßender Gedanke zugleich."

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