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In Jütland finden deutsche Touristen eine Leiche am Strand. Der Tote ist ein Mann, der als Fremder ins Dorf kam und sich Seth nannte. Lange schon hatte er die Einheimischen provoziert, besonders durch seine Affäre mit der Pfarrerstochter. Diese und andere Geschichten erzählt Jens-Martin Eriksen in "Jonathan Svidts Verbrechen". Eindringlich beschreibt er die Nachtseiten scheinbar intakter Beziehungswelten, die urplötzlich und mit aller Gewalt zutage treten können ...

Produktbeschreibung
In Jütland finden deutsche Touristen eine Leiche am Strand. Der Tote ist ein Mann, der als Fremder ins Dorf kam und sich Seth nannte. Lange schon hatte er die Einheimischen provoziert, besonders durch seine Affäre mit der Pfarrerstochter.
Diese und andere Geschichten erzählt Jens-Martin Eriksen in "Jonathan Svidts Verbrechen". Eindringlich beschreibt er die Nachtseiten scheinbar intakter Beziehungswelten, die urplötzlich und mit aller Gewalt zutage treten können ...
Autorenporträt
Jens-Martin Eriksen, 1955 in Aalborg geboren, lebt als freier Autor in Kopenhagen. Für seine Romane, Erzählungen und Theaterstücke wurde er mehrfach ausgezeichnet. Er ist u.a. Preisträger des Staatlichen Kunstfonds, der Adam-Oehlenschläger-Stiftung sowie der Gyldendal-Stiftung. Seine Werke wurden in mehrere Sprachen übersetzt.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 13.01.2003

Was geschieht, wenn man den Kopf ein wenig zu stark verdreht?
Experimente mit tödlichem Ausgang: Jens-Martin Eriksens Erzählband „Jonatan Svidts Verbrechen”
Sich einen Ausschnitt der sozialen Welt aussuchen. Dessen Gesetzmäßigkeiten studieren. Die Ausgangsbedingungen modifizieren, dabei aber kein Gesetz wie Determination durch Herkunft, Milieu oder Situation verletzen. Dann Experiment ablaufen lassen. Für den französischen Naturalisten Emile Zola sah so die Arbeit künftiger Autoren aus. Und doch: Trotz seiner Bewunderung für Experimentatoren wie den Mediziner Claude Bernard wollte Zola nicht bloß Wissenschaftler, sondern auch Künstler sein. Deshalb reichte ihm „die Form, um ein Werk unsterblich zu machen”.
Der Däne Jens-Martin Eriksen, geboren 1955, ist kein Naturalist im Stil Zolas, aber seine Erzählungen zeigen, dass die Idee der Literatur als Experiment lebendig ist. Der Tod ist das Faktum, das die Geschichten in seinem Erzählband gleich zu Beginn feststellen, und was folgt, sind Protokolle dessen, was vorher geschah. Es geht um die Gesetze, die die Ausgangsbedingungen notwendig in das Ergebnis des Experiments überführen. Eriksen versucht, Tötungsmuster zu deduzieren.
In der Titelgeschichte „Jonatan Svidts Verbrechen” handelt der Protagonist nur einmal, dafür aber mit fatalem Ausgang. Svidt tötet Munk, den Ehemann seiner Geliebten, der auf einem Schiff einen blinden Passagier totgeprügelt hat und mangels Beweisen glimpflich davongekommen ist. „In den Kleidern von Munk” macht sich Svidt vom Tatort davon. Dem Mord vorausgegangen ist eine regelrechte Prozedur, in der Munk seinen Mörder für die Tat präpariert hat: Eriksen setzt den passiven, arglosen Svidt seinem abgebrühten Gegenstück aus, das immer mehr Macht über ihn gewinnt und ihn mit seiner abgründigen Liebe in Bedrängnisse bringt, die immer lauter nach Gegenwehr schreien.
Dass danach der Mord, den Svidt schließlich an Munk begeht, so grauenvoll erscheint, hat seinen Grund in der Unerklärbarkeit von Svidts Handeln. Anders als im Krimi passt hier am Ende nicht alles zusammen: Eriksen lässt seine Experimente an der Irrationalität menschlichen Handelns scheitern.
Die Erzählung „Wer war Anette Støvring?” stellt eine Frage, um sie nicht zu beantworten. Die junge Frau, die sich in einem Badehotel einmietet, sich als Schriftstellerin vorstellt und allen Männern den Kopf verdreht, wirbelt die dörfliche Beziehungswelt durcheinander. Ihre exzessive Zurschaustellung des Privaten fasziniert die trägen Dorfbewohner und stößt sie zugleich ab, aber dennoch weiß am Ende niemand, was oder wer der Mensch gewesen sein soll, der ihr Leben durcheinandergebracht hat und in der Nacht tot an Land geschwemmt worden ist. Wie in der Titelgeschichte, geht die Konzeption der Erzählung als Experiment etwas auf Kosten von Lebenshaltigkeit und -nähe, das heißt jener Dinge, aus denen das Experiment seine Beweiskraft beziehen will. Das Experiment läuft Gefahr, ungültig zu wirken.
In der besten der drei Erzählungen, „Seth”, ist wieder das Fremde das Element, das den Tod provoziert. Wieder taucht in einem verschlafenen Dorf ein Fremder auf, um dessen Identität sich Gerüchte ranken, die er aber bis zum Schluss nicht preisgibt. Und wie in der Titelgeschichte reagiert die Normalität, diesmal in Gestalt des Dorfs, nur ein einziges Mal. Seth reizt die Besucher des örtlichen Gasthauses, verführt die Pfarrerstochter, bedroht den Wirt mit einer Pistole. Aber am Ende ist er es, der stirbt.
Eriksen fragt nach dem Ort des Bösen: Ist es dort, wo es sichtbar wird, oder an einem anderen, fremden Ort, der sich der Benennung entzieht? Ist es grundlos oder immer Folge, resultiert es aus Verstehensproblemen, oder lässt es sich so schwer benennen, weil es jenseits der Sprache ist? Der Autor lässt manche dieser Probleme in der Beziehung zwischen Seth und den Dorfbewohnern sichtbar werden: Wenn die Leute etwas von ihm wissen wollen, wiederholt Seth nur ihre Fragen. Diese Fragen ohne Antwort, von denen immer wieder unklar ist, wer sie eigentlich stellt, geben sich nach und nach als Gespräch zu erkennen, das die sich selbst unheimlich gewordene Normalität mit sich führt. Gerücht ist nur ein anderer Name dafür, gibt Eriksen zu verstehen.
Der protokollartige Minimalismus der Erzählung, die das Fremde als Unbekanntes zu verlieren scheint und es im Normalen wieder auftauchen lässt, macht „Seth” zu einem Experiment, das Zola auch Kunst genannt hätte.
KAI
MARTIN WIEGANDT
JENS-MARTIN ERIKSEN: Jonatan Svidts Verbrechen. Erzählungen. Aus dem Dänischen von Jörg Scherzer. Liebeskind Verlag, München 2002. 259 Seiten, 19 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.12.2002

Töte an einem anderen Tag
Innerer Fremdenverkehr: Jens-Martin Eriksens Dämonologie

Zu den irritierendsten Erfahrungen, die wir in einer schützenden Blase bürgerlicher Sicherheit lebenden Mitteleuropäer machen können, gehört die Begegnung mit Personen, für die ein Menschenleben wenig zählt - und wenn es das eigene ist. Wer Gevatter Tod zu seiner engeren Verwandtschaft zählt, sei es als Soldat oder Polizist, sei es durch seine Herkunft aus einem bestimmten Milieu, der erschüttert unsere Gewißheit, daß beim Töten zwischen Gedanken und Tat ein weiter, durch zahlreiche Schranken und Instanzen blockierter Weg liege, den wir selbst nie und nimmer durchschreiten könnten. Dieses Erschrecken über das dunkle Potential in der Seele eines jeden Menschen mag auch den dänischen Schriftsteller Jens-Martin Eriksen zu seinen Versuchsanordnungen getrieben haben. In diesem Jahr sind im jungen Münchner Liebeskind Verlag, der sich mit einem kleinen, aber interessanten Programm profiliert, gleich zwei Bücher des 1955 geborenen Autors erschienen. Beide kreisen um das gleiche alte Rätsel: den Einbruch des Bösen in die Welt.

Im Vorwort zu "Winter im Morgengrauen" (im Original 1997) berichtet Eriksen von seiner zufälligen Begegnung mit dem Studenten "Z.", dessen Erzählung der Roman wiederzugeben behauptet: In einem unbestimmt bleibenden europäischen Land kommt es zu "ethnischen Säuberungen", und eine zusammengewürfelte Truppe von Zivilisten muß anstelle des regulären Militärdienstes die männliche Bevölkerung eines Landstrichs zusammentreiben und exekutieren. Der aus der Sicht eines Kriegsverbrechers in Ich-Form dargebotene Bericht vermeidet dabei jede Konkretisierung. Die Orte tragen Decknamen: Das Basislager heißt "Alabama", das Dorf "Columbus", der Wald "Kambodscha", die Hinrichtungsstätte "Perm". Auch die Kameraden werden nur mit Tarnnamen erwähnt, als könnte der Roman sonst als Beweisstück in einem Prozeß Verwendung finden. So gewinnen seine Beobachtungen Modellcharakter: Man mag an Kroatien, Bosnien oder das Kosovo denken, doch dieses Kambodscha könnte überall sein.

Die Korrumpierung dieses Häufleins Durchschnittsbürger geschieht dabei genauso systematisch wie die Mordaktionen selbst. Fast wie in einem Handbuch des Unmenschen läuft der Prozeß ab, der die Morde zu einer rein logistischen Aufgabe werden läßt, bei der es um Effektivität und Ordnung geht, während zugleich den Tätern ihre Kameradschaft als trügerische Normalität erscheint. Was Eriksens kühlen, gar nicht als Beichte, sondern eher als verwunderte Selbstanalyse vorgetragenen Bericht so spannend macht, sind die unvorhergesehenen Zwischenfälle - das plötzliche Wiedererkennen eines Jugendfreundes, die zutiefst verständliche "Überforderung" des Vorgesetzten -, die schockhaft vor Augen führen, daß Opfer wie Täter Individuen sind. Die Mörder wissen schon, daß sie nie wieder zur Normalität zurückfinden können - so weit haben sie sich von jeder menschlichen Gemeinschaft entfernt.

Die drei Erzählungen in "Jonatan Svidts Verbrechen" (2000) betrachten das gleiche Phänomen aus umgekehrter Sicht. Während im Roman eine Gemeinschaft von Männern ihren eigenen Alltag definiert, in dem es als normal gilt, das Töten Unschuldiger als Handwerk zu betreiben, erscheint hier die Störung der Normalität als Ursache tödlicher Gewalt. Gleich in der ersten Erzählung "Seth", die Claude Simons "Der Wind" anklingen läßt, bringt ein Fremder "mit leuchtenden Augen", "als sei er zu allem fähig", einen Touristenort durcheinander. Er mietet sich im Wirtshaus ein, provoziert die Stammgäste, verführt die Pfarrerstochter und legt einen aufrührerischen Leichtsinn an den Tag, den die schwerfälligen Provinzler zugleich bewundern und fürchten. Die Bekanntschaft mit Seth wird zum inneren Fremdenverkehr, zur Begegnung mit einem mythischen, vorrationalen Anderen im eigenen Ich.

Schon zu Beginn weiß man, daß Seth am Ende tot sein wird. Eriksen hält an der analytischen Form des Krimis fest, ohne doch die Aufklärung der Motive zu versprechen. Seine Texte leben von einer fast erkenntnistheoretischen Spannung, die aus der Undurchsichtigkeit menschlichen Handelns entsteht. Worin in der Titelgeschichte das Verbrechen Svidts besteht, ist eindeutig: Er hat ein Verhältnis mit der Frau eines brutalen Seemanns, den er am Ende umbringen wird. Doch was ihn schließlich zur Tat treibt, ist ebenso unklar wie die wahre Identität der schönen jungen Frau in der dritten Erzählung, die unter dem Vorwand, Schriftstellerin auf Stoffsuche zu sein, Zwietracht und Eifersucht unter ihren Hotelnachbarn sät. "Wer war Anette Støvring?"fragt schon der Titel der Erzählung, die doch wie alle Geschichten Eriksens schlicht "Was ist der Mensch?" heißen könnte. Hier ist ein Autor zu entdecken, der diese alte philosophische Frage auf ebenso spannende wie beunruhigende Weise neu stellt.

Jens-Martin Eriksen: "Winter im Morgengrauen". Roman. Aus dem Dänischen übersetzt von Jörg Scherzer. Liebeskind Verlag, München 2002. 224 S., geb., 18,90 [Euro].

Jens-Martin Eriksen: "Jonatan Svidts Verbrechen". Erzählungen. Aus dem Dänischen übersetzt von Jörg Scherzer. Liebeskind Verlag, München 2002. 260 S., geb., 19,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

"Für Rezensent Richard Kämmerlings ist hier ein Autor zu entdecken, der die alte philosophische Frage "Was ist der Mensch?" "auf ebenso spannende wie beunruhigende Weise" neu stellt. In diesen Erzählungen halte er zwar an der analytischen Form des Krimis fest, ohne jedoch die Aufklärung der Motive zu versprechen. Deshalb leben die Texte für den Rezensenten von einer "fast erkenntnistheoretischen Spannung", die er "aus der Undurchsichtigkeit des menschlichen Handelns" entstehen sieht. Gleich in der ersten Erzählung "Seth" klingt für den Rezensenten auch Claude Simons "Der Wind" an. Als Ursache tödlicher Gewalt beschreiben Eriksens Erzähhlungen für Kämmerlings "die Störung der Normalität", der in diesen literarischen Versuchsanordnungen auch ein Erschrecken über das dunkle Potential in der Seele jedes Menschen erkennt.

© Perlentaucher Medien GmbH"