Kulturkritik als weltzugewandte, durchaus heitere Geschichtsskepsis: Warum sie zum guten Leben in einer Zivilisation gehört, zeigen diese elegant formulierten Auseinandersetzungen mit der Zukunft und Vergangenheit Europas sowie mit den Ausdrucksmöglichkeiten von bildender Kunst und Literatur. Gustav Seibt ist der Gestus des schlecht gelaunt raunzenden, habituell Neues abwehrenden Kulturkritikers fern. Ganz gleich, ob er sich Petrarca oder dem Berliner Tag- und Nachtleben zuwendet, stets sind seine Einlassungen Ausdruck eines fröhlichen Gegenwartsbewußtseins. Sämtliche hier versammelten Essays - ob zu Borchardt, Nietzsche, Weber, Thomas Mann oder zum deutschen Bildungsbürger - stellen sich der Frage nach Abhängigkeit und Autonomie geistiger Leistung und nach dem Zusammenhang von Freiheit und Geschichtsbewußtsein. Ergänzt werden sie durch autobiographisch geprägte Miniaturen und amüsantabgründige Einblicke in das Leben einer nicht nur architektonisch zerrissenen Hauptstadt.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 19.11.2005Zeit und Zimmer
Von SZ-Mitarbeitern: Gustav Seibts Essay zur Kulturkritik
Die Kulturkritik ist heute klein und hässlich und darf sich nicht recht blicken lassen. Die Essays, die Gustav Seibt, Mitarbeiter im Literaturblatt dieser Zeitung, gesammelt hat, zeigen, warum sie trotzdem zur Lebenskunst jedes modernen Menschen gehören könnte. Seibt entdeckt aus historischem Abstand in Petrarca einen brillanten Feuilletonisten, in Thomas Mann den einzigen hochkulturellen Bestandteil des deutschen Pop und porträtiert Nietzsche und Max Weber als Kritiker der Öffentlichkeit.
Das blühende Berliner Nachtleben erweist sich als Frucht einer langfristigen sozialgeschichtlichen Konstellation, wer in den Alpen Sport treibt, setzt auf Schritt und Tritt den Fuß in die Spuren historischer Vorläufer. Die Moderne, vor allem in den Künsten, sieht bei solcher Betrachtungsweise älter aus, als sie selbst sich fühlt - ein Irrtum, der sie umso menschlicher wirken lässt. Nur im Heute zu leben, sei ungefähr so reizvoll, wie sein Leben lang in einem einzigen Zimmer eingesperrt zu sein, findet Seibt. Dagegen kann man etwas tun. SZ
GUSTAV SEIBT: Canaletto im Bahnhofsviertel. Kulturkritik und Gegenwartsbewusstsein. Essay. Verlag ZuKlampen, Springe 2005. 208 Seiten, 18 Euro.
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Von SZ-Mitarbeitern: Gustav Seibts Essay zur Kulturkritik
Die Kulturkritik ist heute klein und hässlich und darf sich nicht recht blicken lassen. Die Essays, die Gustav Seibt, Mitarbeiter im Literaturblatt dieser Zeitung, gesammelt hat, zeigen, warum sie trotzdem zur Lebenskunst jedes modernen Menschen gehören könnte. Seibt entdeckt aus historischem Abstand in Petrarca einen brillanten Feuilletonisten, in Thomas Mann den einzigen hochkulturellen Bestandteil des deutschen Pop und porträtiert Nietzsche und Max Weber als Kritiker der Öffentlichkeit.
Das blühende Berliner Nachtleben erweist sich als Frucht einer langfristigen sozialgeschichtlichen Konstellation, wer in den Alpen Sport treibt, setzt auf Schritt und Tritt den Fuß in die Spuren historischer Vorläufer. Die Moderne, vor allem in den Künsten, sieht bei solcher Betrachtungsweise älter aus, als sie selbst sich fühlt - ein Irrtum, der sie umso menschlicher wirken lässt. Nur im Heute zu leben, sei ungefähr so reizvoll, wie sein Leben lang in einem einzigen Zimmer eingesperrt zu sein, findet Seibt. Dagegen kann man etwas tun. SZ
GUSTAV SEIBT: Canaletto im Bahnhofsviertel. Kulturkritik und Gegenwartsbewusstsein. Essay. Verlag ZuKlampen, Springe 2005. 208 Seiten, 18 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Viel kann Rudolf Walther mit Gustav Seibts Essays nicht anfangen. Schon das Vorwort und die ersten zwanzig Seiten über das Leben in Berlin findet er ärgerlich. Hier gehe Seibt unter sein Niveau, strebe eine unerreichbare Ganzheitlichkeit an und werfe anderen Werken ihre Bruchstückhaftigkeit vor. Seibt reihe krampfhaft "Kalauer an Kalauer" und bringe nicht wirklich neue Erkenntnisse. Von "Parallelwelten" wisse man schließlich schon seit der Antike, schimpft Rudolf Walther. "Wer sich so weit aus dem Fenster hängt, kann nur hinausfallen ins rundum Flache". Doch in einigen der 14 Glossen, die in den letzten zwölf Jahren in verschiedenen deutschen Zeitungen und Zeitschriften erschienen sind, zeige der Autor, dass er auch anders kann. Die Charakterisierung Petrarcas als "moralisierenden Literaten und Weltfremdling" lobt der Rezensent immerhin als "treffsicher". Das abschließende Selbstporträt wiederum verdirbt Walther die zart aufkeimende gute Laune schon wieder.
© Perlentaucher Medien GmbH
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