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Produktdetails
  • Verlag: Manutius
  • 2. Aufl.
  • Seitenzahl: 108
  • Deutsch
  • Abmessung: 210mm x 125mm
  • Gewicht: 206g
  • ISBN-13: 9783934877153
  • ISBN-10: 393487715X
  • Artikelnr.: 10686320
Autorenporträt
Friedrich Gundolf (1880-1931), Dichter und Literaturwissenschaftler, 1899-1923 zentrales Mitglied des George-Kreises, seit 1916 Professor für Germanistik in Heidelberg.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 06.11.2002

Im Sinnenja
Gundolfs „Literärgeschicht”
Titel, Sprache und Metrum dieser „Deutschen Literärgeschicht. Reimweis kurz fachlich hergericht” könnten von „Nürnbergs Schuh-Homer Hans Sachs” stammen, nicht jedoch das Thema: die Geschichte der deutschen Literatur von Hans Sachs bis Friedrich Nietzsche. Ihr Autor ist vielmehr der berühmteste Germanist der Zeit zwischen den Weltkriegen: Friedrich Gundolf. Seine von George inspirierten Bücher, vor allem über „Shakespeare und der deutsche Geist” und über „Goethe”, waren wegen ihrer heroisierenden Darstellung großer Dichter damals so gefeiert, wie sie heute eben wegen ihres unzeitgemäßen Pathos vergessen sind.
Als wollte sich Gundolf wenigstens einmal von dieser Verpflichtung auf den hohen Stil befreien, schrieb er 1921 sein Fachgebiet in Knittelverse um; nur Freunden gab er diese Humoreske zu lesen. So entstand die einzige deutsche Literaturgeschichte in Reimen, aufgeteilt auf 32 Kapitel, die selten mehr als eine Seite einnehmen. Sie sind zugleich komisch und ernst, klingen wie Parodie und treffen doch die Sache. Welchen Gewinn Goethe aus dem Umgang mit Christiane Vulpius und mit Schiller zog, kann man nicht präziser sagen als in Gundolfs Scherzen: „Beschränkung selbst im Sinnenja / Gönnt und erfordert Vulpia. / Zu römisch-deutschen Elegien / Erregt sie und befriedigt ihn. / Doch Schiller bringt motorischen Dampf / Für Theorie und Geisterkampf.” Es ist keine neue Erkenntnis, dass Goethe in jenen Jahren einen intellektuellen Verkehr mit Schiller pflegte, einen anderen mit Christiane. Doch in der gedrängten Nähe, wie sie die Verspaare zwischen den scheinbar unabhängigen Interessen des Körpers und des Geistes herstellen, wird die Wahrheit und Komik des Gleichzeitigen sichtbar. Die poetische Macht von Metrum und Reim bringt auf einen Schlag die biographische Konstellation zum Vorschein, die Goethe brauchte, um zugleich antik empfinden und modern denken zu können.
Wenige Reimpaare genügen, um Schillers Werk und Wirkung auf eine endgültige Formel zu bringen: „Er reisst und dröhnt und schliesst die Kluft / Von Ideal und Held zu Schuft (...) Durch seinen hehren Jambenton / Wird uns das Ideal gewohn.” Knapper noch ist Hebbels gewollte Tragik charakterisiert, durchschaut und abgetan: „Mit überflüssigem Schwung und Geist / Er die dramatischen Blöcke schmeisst. / Die Blöcke fliegen zielbewusst .. . / Wüsst ich, warum du schmeissen musst.”
Es ist ebenso verständlich wie bedauerlich, dass diese schöne Geschichte abbricht, ehe sie zu Stefan George und seinen Jüngern kommt. Diesen steif erhabenen Kreis, von dem sich Gundolf nur mühsam lösen konnte, im komischen Stil behandelt zu sehen, hätte einen unausdenkbaren Reiz. Die literaturgeschichtliche Phantasie verlöre sich „Ins grenzenlose ferne Wo .. . / Hier schliesse ich besser sowieso.”
Eine Wahrheit wird nicht dadurch weniger wahr, dass sie lustig formuliert ist. Was Eigenart und Eigensinn, Wert und Unwert der deutschen Literatur ausmacht, kommt in Gundolfs kurzer Verserzählung deutlicher zum Vorschein als in den langwierigen und oft langweiligen Großunternehmen der akademischen Literaturgeschichte. Allerdings setzt der rechte Genuss dieses Vergnügens eine genauere Bekanntschaft mit den großen und kleinen Autoren vom 16. bis zum 19. Jahrhundert voraus, Kenntnisse, auf die Gundolf bei seinen Freunden zählen konnte.
HEINZ SCHLAFFER
FRIEDRICH GUNDOLF: Die deutsche Literärgeschicht. Reimweis kurz fasslich hergericht. Herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von Ernst Osterkamp. Manutius Verlag, Heidelberg 2002. 106 Seiten, 16 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.06.2003

Mit Schillerklang und Körnerschall
Als die hohe Germanistik vom Kothurn stieg: Friedrich Gundolf machte sich einen Reim auf die Literaturgeschichte

Daß Umberto Eco eine Philosophiegeschichte als Comic-Serie mit witzigen Sprechblasen verfaßt hat, das traute dem Ironiker und Romanautor wohl jeder seiner Leser zu, aber daß der seriöse Heidelberger Germanistikprofessor Friedrich Gundolf heimlich, nicht für den Druck, eine deutsche Literaturgeschichte in Knittelversen geschrieben hat, das ist schon einen überraschten Aufblick wert. Denn Gundolf war zwischen 1920 und seinem frühen Tod 1931 der aufgehende Stern der neuen, der nicht mehr "positivistischen" deutschen Germanistik.

Er richtete seinen Seherblick auf die ganz Großen, auf die Heroen und Führer der Literatur, auf Shakespeare und Goethe, und so trat er auch auf: Mit monotoner Stimme folgte der Professor streng seinem Manuskript, ohne ins Publikum zu blicken, ohne je mit einem Witz sein kunstvolles Satzgewebe und seinen durchgehend hohen Ton, der eine Art erhabenes Geleier gewesen sein soll, zu unterbrechen. Er war die professorale Unnahbarkeit selbst. Dolf Sternberger hat seinen Auftritt beschrieben. Danach stand er "hoch aufgereckt auf dem Katheder, mit steif verschränkten Armen, in gleichmäßig getragenem Ton vortragend, . . . häufig zur Seite und zum Fenster hinaus den Blick richtend, ohne die allergeringste Aufmerksamkeit auf das Publikum, scheinbar voller Verachtung". Das einzige, was die erhabene Szene etwas milderte, war der Darmstädter Dialekt, der unverkennbar durchschlug, dem der Redner aber seine visionäre Diktion und seine herrscherliche Positur energisch entgegensetzte.

Gundolf war 1880 in Darmstadt aus einer jüdischen Familie geboren und hatte mit neunzehn Jahren durch Karl Wolfskehl Zugang zu Stefan George gefunden. Er studierte in München, Heidelberg und Berlin Germanistik und Kunstgeschichte, aber vor allem war er Jünger und Sekretär Stefan Georges, der kraft seiner Autorität als Seher und Führer den Namen "Gundelfinger" in das einprägsamere "Gundolf" umwandelte. Gundolf schwankte zwischen Dichtung im George-Stil und Literaturwissenschaft, entschied sich schließlich für die Literarhistorie, aber es sollte eine neue Literaturwissenschaft werden, die er mit Hilfe Bergsonscher Ideen dem noch herrschenden "Positivismus" abzutrotzen gedachte. Eine Literaturwissenschaft ohne Biographie und ohne Anmerkungen; ihre Aufgabe war das Herausarbeiten der bleibenden sprachlichen Form und der in ihr liegenden lebenführenden Kraft; sie rühmte als ihr Bestes "Ehrfurcht" und "Enthusiasmus". Dies erklärt den hohepriesterlichen Gestus des Professors, aber es macht die heimliche Parodie noch rätselhafter. Als habe er die hohe Form nicht ausgehalten, als habe er, wenn er allein war, gegen das Pathos revoltiert, schrieb er seine kleine Literaturgeschichte in Knittelversen. Sie bilden die Kehrseite der Georgeschen Medaille, die Komödie nach der inszenierten Tragödie. Die hohe Germanistik steigt vom Kothurn.

Der Vorgang ist ergötzlich und belehrend; der Berliner Germanist Ernst Osterkamp hat Gundolfs Verse in einer verläßlichen, wenn auch nicht historisch-kritischen Ausgabe neu zugänglich gemacht. Er hat die nötigsten Erläuterungen hinzugefügt, die ein paar seltene Wörter und Namen erklären; ein informatives Nachwort beschreibt die Entwicklung Gundolfs zwischen Kunst und Wissenschaft, zwischen George und dem Universitätsbetrieb; es bildet einen nennenswerten Beitrag zur Geschichte des Faches Germanistik. Es fällt angenehm auf durch Kürze und Klarheit. Vor allem: Der Herausgeber übertreibt nicht die Bedeutung des von ihm ans Tageslicht gebrachten Textes. Denn die Verse Gundolfs sind nicht gar zu witzig und nicht ganz so subversiv, wie man denken könnte. Sie verlassen nicht die literarischen Wertmaßstäbe der Georgianer und vieler zeitgenössischer Germanisten: Ihre deutsche Literatur beginnt erst mit Luther, gipfelt in Goethe, dem das längste Gedicht gilt, und endet mit Wagner und Nietzsche; vor der Größe Georges verstummt der Versemacher schon wieder. Zwischendurch schreibt er recht munter, als erhole er sich mit dem verlästerten Heine vom strengen George. Die Herkunft der Germanistik aus der historistischen Gelehrsamkeit der späten Romantik und ihren Untergang in der Detailwut des "Positivisten" Wilhelm Scherer beschreibt er so: "Deutschkunde spriesst aus frühem Staub / Und wird zuletzt ein Scherer-raub."

Die Vaterlandspoesie der antinapoleonischen Zeit war "Schillerklang und Körnerschall". Das ist gut gemacht; das könnte von Robert Gernhardt stammen. Gundolf schreibt am besten, wenn er sich statt seiner programmatischen "Ehrfurcht und Enthusiasmus" einmal Herablassung oder Verachtung leistet. Ein kleines Wunder aber, scheint mir, ist ihm gelungen, wo er versucht, sich von Jean Paul zu distanzieren, den George selbst höher bewertet hatte und den Max Kommerell für die Georgianer entdecken wird. Gundolf bekennt sich zu seinem Zwiespalt. Er tut Jean Paul unrecht, aber in großer Form: "Die buntesten Ernten abgepflückt / So deutsche Erden je geschmückt / Nur leider mit zu kurzem Stiel / Hast du, Jean Paul . . . zu voll, zu viel." Sein Gedicht endet mit den Zeilen: "Du Zauberer, dem jedes Wort / Gewaltig dient am falschen Ort, / Du tiefstes Herz mit krankem Schlag, / Sekundenuhr im Weltentag."

Dieses Gedicht allein schon lohnt die Publikation, die Ernst Osterkamp gelehrt und doch leicht gestaltet hat. Das kommt selten vor; das kann man nicht genug loben. Nur an einer einzigen Stelle hat er mich enttäuscht, nämlich dort, wo er das schöne Wort "herbstfirn" erklärt, mit dem Gundolf Goethes Alterslyrik beschreibt, also den "West-Östlichen Divan", in dem der Wein als eines der vier Elemente der Poesie gilt. Aber unser Berliner Germanistikprofessor erklärt "firn" als "alt, auch mit dem Nebensein schlau und erfahren". Das reicht nicht. So übersinnlich haben es weder Stefan George noch Gundolf verstanden, sondern als den herben Geschmackston eines edel gealterten, voll genießbaren Weins.

Ich reserviere von jetzt an eine Flasche firnen Weines für Ernst Osterkamp. Er hat ihn sich verdient, aber ich möchte mich mit ihm auch darüber unterhalten, wie Gundolf Literaturhistoriker sein kann, wenn er ihn einen "dezidierten Nicht-Historiker" nennt. Wir würden darüber plaudern, was das für eine Germanistik ist, welche die deutsche Literatur erst mit Luther beginnen läßt. Und schließlich wäre zu klären, wer Ernst Gothein war, nämlich kein "Kunsthistoriker", wie Osterkamp schreibt, sondern ein Ökonomiehistoriker, der mit einer Wirtschaftsgeschichte des Schwarzwaldes begonnen, sich dann aber zunehmend der allgemeinen Kulturgeschichte, besonders der Renaissance und der Reformation, zugewandt hat. Ansonsten würden wir den Tag friedlich genießen und dem Wort "herbstfirn" seinen vollen goethischen Geschmack zurückgeben.

Friedrich Gundolf: "Die deutsche Literärgeschicht reimweis kurz fasslich hergericht". Herausgegeben und Nachwort von Ernst Osterkamp. Manutius Verlag, Heidelberg 2002. 106 S., geb., 16,- [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Reichlich kurios findet Rezensent Jochen Hörisch die nun erschienenen zweiunddreißig knittelversigen Gedichte des Germanisten Friedrich Gundolf (1880 - 1931), die er 1921 unter dem Titel "Deutsche Literärgeschicht - Reimweis kurz fasslich hergericht" Freunden weiterreichte, aber nie zu veröffentlichen gedachte. Der in Heidelberg lehrende und zum engeren Stefan George-Kreis zählende Professor beginnt seine Literaturgeschichte mit Luther: "In Luther klafft zuerst der Spalt / Von Seelenheil und Weltgestalt", wie Hörisch den Autor zitiert. Zu Goethes Faust fällt Gundolf folgendes ein: "Des Menschen Weltigung und Heil / Als Maskenzug: Faust zweiter Teil." Das hat für Hörisch "Reich-Ranicki-Format". Sein Urteil fällt dementsprechend aus: "Starker Zugriff, prägnante Formulierungen, immer feste am Schema Leben und Werk orientiert, für gefällige Provokationen offen und - gerade in dem Maß gänzlich unoriginell, wie es keck daherkommen will." Dass Gundolfs Literaturgeschichte nicht aus der Feder eines Literaturkritikers, sondern aus der eines der bedeutendsten George-Jüngers stammt, macht es nach Ansicht von Hörisch zu einem "erstaunlichen Dokument".

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