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Die Welt, wie sie für Sinnsysteme vorkommt, ist beobachtete Welt. Auch der Satz, daß Beobachtung ein Letztbegriff ist, ist der Ausdruck einer Beobachtung. Deswegen ist es gerechtfertigt zu sagen, daß jede Theorie der Beobachtung (wiewohl sie selbst nichts weiter als der Ausdruck von Beobachtungen ist) eine Theorie der beobachteten Welt sein muß und selbst eine Form der Beobachtung ist. Sie ist nicht ohne die Paradoxien der Selbstreferenz zu haben.Nicht nur, daß sich die Theorie der Beobachtung im Kontext der neueren soziologischen Systemtheorie wesentlich auf einen Autor beruft, nämlich auf…mehr

Produktbeschreibung
Die Welt, wie sie für Sinnsysteme vorkommt, ist beobachtete Welt. Auch der Satz, daß Beobachtung ein Letztbegriff ist, ist der Ausdruck einer Beobachtung. Deswegen ist es gerechtfertigt zu sagen, daß jede Theorie der Beobachtung (wiewohl sie selbst nichts weiter als der Ausdruck von Beobachtungen ist) eine Theorie der beobachteten Welt sein muß und selbst eine Form der Beobachtung ist. Sie ist nicht ohne die Paradoxien der Selbstreferenz zu haben.Nicht nur, daß sich die Theorie der Beobachtung im Kontext der neueren soziologischen Systemtheorie wesentlich auf einen Autor beruft, nämlich auf George Spencer-Brown, der sehr wohl Anlaß gibt, ihm Nähe zum Mystischen, Okkulten, mithin auch Magischem anzusinnen; nicht nur, daß der Theorie von ihren Gegnern unterstellt wird, sie huldige einer Art esoterischen Hermetik, die Paradoxien schätzt, Zirkularitäten zelebriert und alles in allem eine um Kausalitäten unbekümmerte, abstrakte Luftigkeit inszeniert. Es ist schlimmer: Der Schlüsselbegriff der Beobachtung, von dem behauptet wird, daß er die zentrale Operation bewußter und sozialer Systeme bezeichne, besagt im Prinzip, daß die Welt der Beobachtung entsteht, ohne daß sich der Täter dieser Operation ausmachen lasse. Der Beobachter verschwindet hinter seinen Beobachtungen. Er ist immer - imaginär. Und wer dann wenigstens die Operation der Beobachtung haben will, kann nur feststellen, daß es für ein 'Haben' immer schon zu spät ist, da die Operation der Beobachtung einer Beobachtung schon eine weitere Operation ist, ein Vorgang, der sich sehr genau mit dem (Un)Begriff différance formulieren läßt. Sobald von Beobachtung die Rede ist, verdunsten selbst die entia realissima der Tradition, und bezogen auf die Soziologie: die Agenten, Akteure, die Handelnden. An deren Stelle treten körperfreie Systeme wie Bewußtseine, wie Sozialsysteme, die als autopoietische Systeme konzipiert sind: als nachgerade münchhausiadische Sich-selbst-Verfertiger, die im Medium Sinn operieren, in der seltsamen Konnexität selektiver Verweisungen, in einem Medium also, das Nähmaschinen, Regenschirme, Operationstische, Grinse- und eingekastelte Schrödinger-Katzen so gut in Kontakt bringt wie Terrorzentralen, Madonnen und kannibalistische Orgien.Dies alles klingt nach abstrakter Magie, nach theoretischem Budenzauber und nach der Poesie der frühen Romantik. Und doch - so fern ist dies alles einer handfesten Soziologie nicht. Es ist ja denkbar, daß die soziale Realität (und nicht nur ihre theoretische Beobachtung) magische Züge und ebendarin ihre Realität hat, wohingegen hartnäckige Ontologen und Realisten diejenigen wären, die magischen Bezwingungspraktiken unterliegen. Unter solchen Vorausetzungen kann eine Vergewisserungspause notwendig werden, in der die Grundbegriffe noch und wieder einmal durchgeprüft, radikalisiert, auf Bruch- und Konsistenzmöglichkeiten abgetastet, kurz: traktiert werden. Ebendies tut Peter Fuchs in einem Tractatus, der - formal orientiert an dem Tractatus logico-philosophicus von Ludwig Wittgenstein - die Schlüsselbegriffe der Systemtheorie einer Art 'Säurebad' aussetzt, um den Ballast der Erzählung, die durch die Begriffe möglich wird, und mitunter auch die Patina dieser Erzählung aufzulösen. Beobachtung, Medium und Form, Komplexität und Kontingenz, System und Differenz, Autopoiesis, Sinn, Struktur, Geschlossenheit und strukturelle Kopplung, Interpenetration, Gedächtnis, Kommunikation, Bewußtsein, Inklusion/Exklusion - Person - so heißen die Kapitel dieses zutiefst asketischen, die Tugend der brevitas schätzenden (und deshalb auch dem Umfang nach dünnen) Buches. Es ist eine Herausforderung - an die Freunde, an die Feinde der Theorie. In einem sehr genauen Sinne ist es unfreundlich, bizarr, alles andere als konziliant. Wer sich aber für den 'Sinn der Beobachtung' interessiert, wird sich faszinieren lassen durch dieses Unterscheidungsspiel auf kleinstem Tanzplatz und in einen Sog geraten, dem er sich kaum noch entziehen kann - wenn er nur
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.09.2004

Räumen Sie in Ihrem Weltbildhaus doch mal bitte die Möbel um!
Wenn das so einfach wäre: Peter Fuchs möchte mit der Systemtheorie Ernst machen und rät deshalb, das Leben auf den Kopf zu stellen

Peter Fuchs hat wieder ein wunderbares Buch geschrieben. Für die einen. Die anderen werden es verteufeln. Als zu abgehoben, abstrakt, antihumanistisch. Und was dergleichen hinlänglich bekannte Einwände mehr sind. Aber warum sollte es einem Meisterschüler Luhmanns besser gehen, als es dem Meister selbst einst erging? Fuchs liefert ein hochgezüchtetes Kontrastprogramm zur soziologischen Literatur, wie man sie kennt. Wie es im Untertitel heißt: "Begriffliche Untersuchungen". Knallhart. Oder knieweich, wie es manchem bodenständigen Realisten nicht allein aus der Soziologenzunft scheinen mag.

Gegen Ende findet der Leser den Satz: "Jemand, der liest, hört, schreibt, spricht, kommuniziert nicht." Das ist starker Tobak. Ein wenig abgemildert durch die Versicherung: "Das ist - selbstverständlich - eine begriffliche Entscheidung." Das gilt für die gesamte Systemtheorie. Luhmannlike, wie sie auch Fuchs vertritt. Und weiterführt. Sie arbeitet gezielt mit Unterscheidungen, die allemal zugleich Entscheidungen sind. Die jeder für sich auch anders treffen kann. Wenn er es denn kann, wie Luhmann gern hinzusetzte. Zu sehen, wie Fuchs es macht, das kann einem schon den Leseatem nehmen. Die Begriffe, die begrifflichen Entscheidungen, die er untersucht, geben sich wie ein Who's who der Systemtheorie. Kommunikation, Bewußtsein, Autopoiesis, Geschlossenheit und strukturelle Kopplung sowie all die anderen Grund- und Leitbegriffe der Systemtheorie werden beobachtet. In dreizehn kleinen Kapiteln. Unter Verzicht auf jeden wissenschaftlichen Apparat. So fehlen auch die Striche, unter denen sich üblicherweise die Fußnoten tummeln, bei anderen oft genug schreckliche Belesenheitshalden. Bei Fuchs indessen sind Fußnoten, wie seine früheren Bücher zeigen, allemal Lustgärten funkelnder zusätzlicher Einfälle, in denen zu wandeln ein nicht minder intellektuelles Vergnügen bereitet wie das offizielle Lesen über dem Strich. Damit haben wir jedoch diesmal mehr als genug zu tun.

Denn "Der Sinn der Beobachtung" ist ähnlich kompakt wie der Tractatus logico-philosophicus des Ludwig Wittgenstein. Dessen Name fällt auch hier im übrigen nicht von ungefähr. Der Autor selbst erinnert an ihn im Vorwort. Darin erläutert Fuchs, wie er dazu gekommen ist, die Sätze und Absätze seines schmalen Buches zu numerieren. Hier haben die Ziffern und Zifferngruppen "eher rhetorische Funktion". Denn die Lücken dienen der Vermeidung sonst üblicher Redundanzen. Und erleichtern dem Leser das Atemholen. Der auch deshalb nicht selten stockt, weil Fuchs die Deontologisierung der Welt mit aller Macht vorantreibt. Unbeirrbar und radikal. Doch obendrein literarisch lustvoll, so daß selbst ein hartgesottener, bärbeißiger Alteuropäer sich verführt sehen könnte - und sollte -, das ihm bislang fremde systemtheoretische Terrain zumindest versuchsweise zu betreten.

Das kann - entgegen dem scheinbaren Diktat der Ziffernfolge - an jeder beliebigen Stelle des Buches geschehen. Durchaus systemtheoriegerecht, kennt doch auch sie keine Hierarchien. Nur als Vorschlag deshalb der Tip, bei dem auch titelgebenden Kapitel "Sinn" zu beginnen. Abermals wird Altvertrautes auf den Kopf gestellt. Sinn erscheint nicht länger als vorfindbare, irgendwo festgemachte Entität. Nein, Sinn "kann nicht ontologisiert werden": Er ist nicht stellengebunden, er liegt nicht vor; er ist nicht da; er muß betrieben werden. Dagegen werden sich vor allem Richter und Dogmatiker des Rechts heftig sträuben, nicht zuletzt auch die Vertreter der noch herrschenden Rechtstheorie und Juristischen Methodenlehre. Denn sie alle - und gerade sie - leben von der Suche nach Sinn, den sie vorgeblich im Gesetz vorfinden. Darauf basiert ihre Sinn- und Rechtsfindungsmethode, die, nimmt man ihnen "ihren" Sinn, in nichts zerfällt. "Das Reden über Sinn" wird jedoch deshalb - wie alles auf der Welt - nicht etwa sinnlos. Im Gegenteil. Selbst Sinnleugner leben im Medium des Sinnes. Den Sinnbewahrern alter Schule wird von Fuchs zugestanden, daß das systemtheoretische "Reden über Sinn eine eigentümliche Tragik (evoziert)". Indessen aber "zugleich" - dies gilt es einzusehen - "die Chance des Immer-wieder-neu". Natürlich auch die Chance des Erstmals-neu. Beide kann der Leser auf jeder Seite des Buches wahrnehmen.

Ergreift er sie, dann wird ihm widerfahren, daß er sich genötigt sieht, in seinem "Weltbildhaus" die Möbel umzustellen. So gründlich, daß er keinen Platz mehr findet, wo er seine Verantwortung ablegen könnte. Der unterscheidende, entscheidende Beobachter trägt sie allemal selbst. Nur er. Und noch eine Erfahrung mag ein Leser am Ende des Buches machen: Das ungeduldige Warten auf das nächste Buch. Denn - ich gebe es zu - Fuchstexte machen süchtig. In der Literatur vergleichbar denen von Thomas Bernhard. Naturgemäß. Meinetwegen auch Harry Potter.

WALTER GRASNICK

Peter Fuchs: "Der Sinn der Beobachtung". Begriffliche Untersuchungen. Verlag Velbrück Wissenschaft, Weilerswist 2004. 135 S., br., 15,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Die einen werden dieses Buch "wunderbar" finden, die anderen werden es als "zu abgehoben, abstrakt, antihumanistisch" verteufeln, meint Rezensent Walter Grasnick über das neue Werk des Systemtheoretikers Peter Fuchs, einem Meisterschüler Luhmanns. Grasnick selbst, daran lässt er keinen Zweifel, findet es einfach "wunderbar". Die Begriffe - Kommunikation, Bewusstsein, Autopoiesis, Geschlossenheit etc. -, die Fuchs in dreizehn kleinen Kapiteln unter Verzicht auf Fußnoten und jeden wissenschaftlichen Apparat untersucht, erscheinen ihm wie ein "who's who der Systemtheorie". Radikal treibe Fuchs die Deontologisierung der Welt voran und stelle damit Altvertrautes auf den Kopf. Sinn beispielsweise erscheine nicht länger als vorfindbare, irgendwo festgemachte Entität; er könne nicht ontologisiert werden, liege nicht vor, sei nicht da; er müsse betrieben werden. Ein Punkt, gegen den sich nach Grasnicks Einschätzung vor allem Richter und Dogmatiker des Rechts sträuben werden, die ja von der Such nach dem Sinn im Gesetz leben. Auch wenn Grasnick einräumt, dass die Lektüre des Bandes keine leichte Kost ist, hält er das Werk für so "literarisch lustvoll", "dass selbst ein hartgesottener, bärbeißiger Alteuropäer sich verführt sehen könnte - und sollte -, das ihm bislang fremde systemtheoretische Terrain zumindest versuchsweise zu betreten." Der Rezensent wartet jedenfalls schon sehnsüchtig auf das nächste Buch von Fuchs.

© Perlentaucher Medien GmbH
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