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Mondwechsel, Al Bertos einziger Roman, erzählt im Wechsel von Gegenwart und Erinnerung, Bildern der Lähmung und wildbewegten Episoden die Geschichte eines Heimatlosen. Er schildert die Streifzüge eines jungen Mannes durch den Untergrund Europas, durch die nächtlichen Städte, seine Zufallsbegegnungen und sexuellen Exzesse mit Namenslosen, seine Suche nach Liebe.
"Al Berto gehört einer Generation von Dichtern an, bei der Leben, Abenteuer und Literatur untrennbar miteinander verbunden sind. Er schuf ein Werk, das den Weg der Menschen nachzeichnet, die nach dem Exil das befreite Land wieder aufnehmen." Nuno Judice, Público
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Produktbeschreibung
Mondwechsel, Al Bertos einziger Roman, erzählt im Wechsel von Gegenwart und Erinnerung, Bildern der Lähmung und wildbewegten Episoden die Geschichte eines Heimatlosen. Er schildert die Streifzüge eines jungen Mannes durch den Untergrund Europas, durch die nächtlichen Städte, seine Zufallsbegegnungen und sexuellen Exzesse mit Namenslosen, seine Suche nach Liebe.

"Al Berto gehört einer Generation von Dichtern an, bei der Leben, Abenteuer und Literatur untrennbar miteinander verbunden sind. Er schuf ein Werk, das den Weg der Menschen nachzeichnet, die nach dem Exil das befreite Land wieder aufnehmen."
Nuno Judice, Público
Autorenporträt
Al Berto ist der Verfasser einer prägnanten und zugleich poetischen Prosa, in der es ihm gelingt, die eigene Biographie in mitreißende, schmerzhafte und lustvolle Bilder zu kleiden, die zwischen Melancholie und Lebenslust hin- und hergerissen sind.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.05.2000

Streifzüge bei Mondwechsel
Ein existentialistischer Roman des Lyrikers Al Berto

Der Existentialismus ist nicht totzukriegen: nicht als Philosophie, nicht als Lebensform der Intellektuellen und schon gar nicht als literarische Stilart. Seit im zweiten Viertel des neunzehnten Jahrhunderts der westlichen Geisteskultur das Vertrauen abhanden kam, dass es prinzipiell möglich sei, Gewissheit des Erkennens zu erreichen, seit den Tagen von Sören Kierkegaard also, den uns die Philosophiegeschichten gern als den ersten Existentialisten vorführen, stellt sich ein besonderer - "existentialistischer" - Effekt ein, wann immer Autoren weiterhin ganz störrisch die großen alten Probleme der Philosophie traktieren. Denn zu fragen, was der Sinn des menschlichen Lebens sei, führt seither zu obsessiven Schüben von Selbstreflexion und zu oft ganz rhapsodischem Selbstmitleid. Das genau - philosophisch induziertes Selbstmitleid, auf Unendlichkeit gestellt - ist es, was wir seither "Existentialismus" nennen: als philosophischen Gestus, als Lebensform und als literarischen Stil.

Schon immer hat es eine geradezu "natürliche" Allianz gegeben zwischen den so gerne und so narzisstisch mit sich selbst hadernden existentialistischen Autoren und dem lyrischen Diskurs der Moderne, der sich bekanntlich als eine Inszenierungsform von Subjektivität spezialisiert hat. Und in den letzten Jahrzehnten hat nun auch das intellektuelle Reden über Sexualität zu seiner existentialistischen Berufung aufgeschlossen. Vollkommen erfüllt sich diese Berufung immer dann, wenn Autoren, denen es ein Anliegen ist, sich als schwul oder lesbisch zu präsentieren, die - wohl meist absichtlich inadäquate - Frage stellen, ob sie denn nun Männer oder Frauen seien. Kein Wunder also, möchte man beinahe sagen, dass der 1997 verstorbene portugiesische Lyriker mit dem preziös auseinander gezogenen Namen Al Berto, der sich auch noch auf der Titelseite der Gesamtausgabe seiner Gedichte in (so erfährt der portugiesische Leser) "von Caravaggio inspirierter Nacktheit" präsentiert, neun Jahre vor seinem frühen Tod mit einem offenbar autobiografischen Roman auf den Plan trat. Dieser Roman ist nun mit finanzieller Unterstützung des Lissabonner Kultusministeriums in deutscher Übersetzung erschienen.

Und schon auf der siebten Seite stößt der Leser auf die existentialistische Schreib-Motivation des Autor-Erzählers: Er "war ergriffen von dem schmerzlichen Glück dessen, der tief in sich ein anderes Ich entdeckt, androgyn und schön". Der Rest von Al Bertos Roman "Mondwechsel" - dieser ziemlich niederschmetternde Eindruck stellt sich wenigstens bei der ersten Lektüre ein - ist eine fast lückenlose Sammlung aller Klischees aus dem Traditionsbestand des Existentialismus. Wie Ernst es dem Autor damit ist, werden vor allem jene Leser gewahr, die verstehen, dass "die große Stadt", von der immer wieder gesprochen wird, wohl (für niemanden überraschend) Lissabon sein muss - obwohl es in dieser Stadt, wann immer der Erzähler, was er gerne tut, auf das Wetter zu sprechen kommt, regnet, schneit oder wenigstens sehr kalt ist.

Das aus philosophischer Disposition unvermeidlich lausige Wetter, das Existentialismus-Wetter, ermöglicht es dem Ich-Helden dankenswerterweise - wie weiland James Dean oder manchmal auch Jean-Paul Sartre - "den Kragen seiner Jacke hochzuklappen und zu denken", aber auch - immer wieder - sich eine Zigarette anzuzünden. Wohl zu Ehren von James Dean haben all die Szene-Bars, in denen der Erzähler Beno verkehrt, amerikanisch klingende Namen ("Blue Cat" oder "Stars" heißen seine beiden Stammkneipen); in Erinnerung an Heidegger, will man hoffen, enden Benos Tage in Angstschüben; und deshalb vermutet man schließlich auch, dass es ein Akt der Verehrung für den Philosophen Gilles Deleuze gewesen sein muss, wenn sich Beno - trotz des nasskalten Wetters - zum Nomaden stilisiert: "Er verhinderte jegliche Vertrautheit mit den Städten. Er lebte wie ein Nomade. Und nach und nach stellte er sich auf Kälte und Hunger ein, auf den Schnee, der die Zehen steif werden und die Brust schmerzen ließ." Zu Benos und des Lesers Glück jedoch führt dieses Stadtstreichen nie zu wirtschaftlichen Stress-Situationen. Im Gegenteil, ganze Kohorten von Strichjungen hält Beno mühelos frei, und wann immer seine Wanderlust aussetzt, zieht er in ein schickes Studio mit Innenstadtlage um.

Auf keinen Tagtraum über schwulen Sex muss der Leser hier verzichten. Sperma und Blut sind Benos Lieblingssubstanzen, die stets im Fluss gehalten und mit todesverachtender Begeisterung geschluckt werden. Die Frage aber, worum es diesem Buch eigentlich geht, kann der Leser auf Dauer kaum unterdrücken, sosehr er sich auch auf eine (latent peinliche) Voyeurrolle verwiesen fühlen mag. Wird es seine Toleranz steigern, in ein Ethos des schwulen Lebens eingeführt zu werden? Oder geht es bloß - wie in ohnehin schon allzu vielen Texten gegenwärtiger Literatur - um einen Beitrag zur Identitätsbildung einer Minderheit?

Versteckt zwischen all den Peinlichkeiten des Romans gibt es ein paar Szenen und einige wenige Gestalten, die - um Nuancen nur, aber um vielleicht ausschlaggebende Nuancen - von den existentialistischen Klischees abweichen. Als Zohía, die sich mit Drogen zerstört hat, in eine psychiatrische Verwahranstalt eingeliefert wird, flieht ihr Freund Alaíno, um schließlich, als die Energie seines Schmerzes verbraucht ist, nach vielen Monaten über genau dieselben Stationen zurückzukehren, wie ein in die Luft geworfener Ball, der nach seinem Zenit auf die Erde zurückfällt. Als Kid, der farbenfrohe Transvestit, eine Überdosis Tabletten genommen hat, schläft er auf einer Parkbank ein und kippt am nächsten Morgen nach vorne um, weil Kinder "ihm einen leichten Stoß versetzen", die mit ihm spielen möchten. Und als der Ich-Erzähler Nému getroffen hat, den einen Jungen, der ihn sprachlos macht, gibt uns der Roman die eine erotische Szene ohne Sperma und Blut. Von da an erlebt Beno seine Liebe im Bewusstsein ihres bevorstehenden Endes.

Am Ende bleibt Beno allein und erwartbar suizidal auf der Szene, und er hat sich - auch das ist ja ein derzeit gut im Kurs stehendes Intellektuellen-Klischee - die Erinnerung an all seine verschwundenen und verstorbenen Freunde einverleibt: "Beno war leer, er fühlte sich ausgehöhlt, verlassen. Aber trotz dieses Gefühls der Kälte wuchs in ihm die Gewissheit, dass Nému und all die anderen nun Organe seines Körpers, Teile von ihm waren - und ob nun in alle Winde verstreut, am Leben oder tot, gehörten sie für immer zu ihm, solange er lebte."

Auch diese Sätze sind nicht gerade umwerfend originell - aber warum sollte man einen Autor unserer Gegenwart auch auf das romantische Ideal der Innovation festlegen? Vielleicht wirken diese Sätze immerhin authentischer als die meisten anderen in Al Bertos "Mondwechsel". Nur: Ist Authentizität nicht auch ein problematisches Kriterium, zumal gegenüber einem Roman mit so viel Pathos der Konfession? Wahrscheinlich gibt es keinen starken, keinen "allgemein verbindlichen" Grund, Al Bertos Roman heute zu lesen. Wo mehr oder weniger autobiografische Romane aber von so heilig existentialistischem Ernst getragen werden wie "Mondwechsel", da bleibt wohl gar kein anderes Motiv zur Lektüre als ebendie Sehnsucht nach Authentizität. Vielleicht wird diese Sehnsucht von Al Bertos Roman am Ende so gut bedient, weil sich Authentizität hier erst gegen die Traditionsbestände des unabsichtlich Unauthentischen durchsetzen muss.

HANS ULRICH GUMBRECHT

Al Berto: "Mondwechsel". Roman. Aus dem Portugiesischen von Sven Limbeck. Elfenbein Verlag Heidelberg 1999. 143 S., geb., 32,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Kein gutes Haar läßt Hans Ulrich Gumbrecht an diesem Buch von 1988, das nun in deutscher Übersetzung vorliegt. So diagnostiziert er zunächst eine Aneinanderreihung von "existentialistischen" Klischees: Da leidet der Protagonist unter den Regentagen, er schlägt sich den "Kragen der Jacke" hoch und zündet sich laufend Zigaretten an. Aber es kommt noch schlimmer: "Auf keinen Tagtraum über schwulen Sex muss der Leser hier verzichten", stellt Gumbrecht fest, der eine Suada der Peinlichkeiten diagnostiziert und sich in der "Voyeurrolle" spürbar unwohl fühlt. Er fragt sich nach dem Sinn des Ganzen. Soll die Toleranz des Lesers gefördert werden oder ist dies ein "Beitrag zur Identitätsbildung einer Minderheit"? Fragen über Fragen... .

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