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Produktdetails
  • Rote Reihe
  • Verlag: Das Neue Berlin
  • 2., korr. Aufl.
  • Seitenzahl: 237
  • Deutsch
  • Abmessung: 19mm x 125mm x 210mm
  • Gewicht: 306g
  • ISBN-13: 9783360010209
  • ISBN-10: 3360010205
  • Artikelnr.: 08691464
Autorenporträt
Helmut Wagner, Jahrgang 1934, geboren in Ostpreußen, kam nach dem Krieg in die sowjetisch besetzte Zone. Nach einer Lehre als Stahlbauschlosser ging er mit 19 Jahren zur Kasernierten Volkspolizei und wechselte später zum MfS. Seit Beginn der 60er Jahre arbeitete er in der Spionageabwehr gegen BRD-Dienste: Bundesnachrichtendienst, Bundesamt für Verfassungsschutz und Militärischer Abschirmdienst.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.11.2000

Die Spürnase vorne
Ein Oberstleutnant der Spionage-Abwehr der DDR über den BND

Helmut Wagner (Günter Dietrich): Schöne Grüße aus Pullach. edition ost, Berlin 2000. 300 Seiten, 24,80 Mark.

Heutzutage werde die Staatssicherheit vornehmlich mit Spitzelei und Repression in Verbindung gebracht. Dabei habe die Geheimpolizei der DDR oft nur reagiert auf die Versuche der westlichen Geheimdienste, den zweiten deutschen Staat zu destabilisieren. Das behauptet jetzt ein hoher Offizier des früheren Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) in einem neuen Buch.

Zufall ist es nicht, wenn sich die Spezialisten der Spionageabwehr der DDR mit Büchern zu Wort melden. Aus der Hauptverwaltung Aufklärung (HVA) des Markus Wolf liegt seit geraumer Zeit mit "Headquarters Germany", geschrieben von den früheren HVA-Offizieren Eichler und Dobbert, ein detailliertes Werk zur Auseinandersetzung mit den amerikanischen Geheimdiensten vor. Jetzt hat Helmut Wagner seine Erinnerungen zu Papier gebracht - Aufzeichnungen zum deutsch-deutschen Spionagekrieg, vornehmlich zur Auseinandersetzung mit dem westdeutschen Bundesnachrichtendienst (BND) in Pullach bei München.

Wagner war in der Hauptabteilung II des MfS Oberstleutnant. Die HA II mit zuletzt über 1400 Mitarbeitern und 21 Abteilungen arbeitete vor allem auf dem Feld der Spionageabwehr.

Wagner verspricht, erstmals umfassend die Erfolge der Spionageabwehr in der Konfrontation mit dem BND zu schildern. Er stützt sich dabei auf seine Erinnerungen und auf Gespräche mit früheren Kollegen sowie auch auf Veröffentlichungen anderer Autoren zu diesem Thema. Wer von Wagner große Neuigkeiten, gar Sensationen erwartet, wird enttäuscht. Im wesentlichen geht die Darstellung nur wenig über das seit vielen Jahren über den BND Bekannte hinaus. Neu bei Wagner ist vor allem die Beschreibung des Zusammenspiels der unterschiedlichen Diensteinheiten der Staatssicherheit bei der Jagd auf tatsächliche oder angebliche Agenten. Hier beschönigt der Autor nichts, und damit wird erkennbar, daß eine Diktatur sich um gesetzliche Schranken bei geheimpolizeilicher Arbeit wenig zu kümmern braucht.

Wagner beschreibt die westdeutsche Geheimdienstwelt als einen Hort von Überbleibseln der geschlagenen Eliten des "Dritten Reiches". Dies ist schon früher geschehen und hat auch (ohne die Klagen alter Stasi-Offiziere) zu Debatten geführt und Konsequenzen gefordert. Darüber hinaus unterstellt er dem Bundesnachrichtendienst grenzenlose Dummheit und vollständige Ineffizienz. Deswegen könnte das Buch auch einen anderen Titel tragen, schreibt Wagner: "Der BND hatte keine Chance". Und er ist darin nur selten zu widerlegen - auch nicht durch die weitgehend überlieferten Akten der HA II des MfS. Tatsächlich hat das Ministerium für Staatssicherheit den BND viele Male gehörig vorgeführt.

Das MfS war tief in die Kommunikationswege des westdeutschen Nachrichtendienstes eingedrungen, führte eine größere Anzahl von BND-Quellen als Doppelagenten und mit Gabriele Gast und Alfred Spuler zwei "Kundschafter" im Zentrum der Pullacher Behörde. Es hatte im Geheimdienstkrieg unzweifelhaft die Nase vorne, und Wagners Buch belegt dies erneut. Mit dieser Geschichte der Pleiten des Pullacher Dienstes begründet er auch seine Anklage: Im Kalten Krieg hätten sich beide Seiten "schuldig gemacht" - schließlich habe der Dilettantismus Pullachs vielen Menschen geschadet. Eine seltsame Anklage ist das angesichts der drakonischen Strafen, die jenen drohte, denen Kontakte zum BND nachgewiesen wurden.

Die Geschichte der deutsch-deutschen Spionage ist noch nicht geschrieben und kann noch nicht geschrieben werden. Derzeit ist nur das Wissen der einen Seite abrufbar. Dies müßte nicht so sein. In den Vereinigten Staaten öffnen die Nachrichtendienste ihre Archive - auch aufgrund entsprechender gesetzlicher Regelungen. Es ist einigermaßen absurd, daß hierzulande allein die Erinnerungen von MfS-Offizieren und Stasi-Akten die Diskussion bestimmen. Es sollte einer Demokratie nicht gleichgültig sein, wenn eine ihrer Institutionen - auch wenn es sich um einen Geheimdienst handelt - von ihren Gegnern erschreckender Fehler bezichtigt werden kann. Wagners Buch verlangt nach einer Antwort.

JOHANN LEGNER

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