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Schon im 18. Jahrhundert gab es eine beachtliche Reihe von Texten zu nationalen Themen: Hermannsdramen und Heldenepen, Vaterlandsgedichte und Soldatenlieder, Flugschriften, Predigten und Briefe zum Siebenjährigen Krieg, patriotische Zeitschriften und publizistische Nationalgeistschriften. Deutschsprachige Gebildete konstituierten einen frühen Vaterlandsdiskurs, der sich in der seit 1724 erschienenen ersten "Patriotischen Zeitschrift" nachvollziehen läßt. Eine entscheidende Intensivierung erfuhr dieser Diskurs in den zahlreichen Flugschriften des Siebenjährigen Krieges und erhielt wenige Jahre…mehr

Produktbeschreibung
Schon im 18. Jahrhundert gab es eine beachtliche Reihe von Texten zu nationalen Themen: Hermannsdramen und Heldenepen, Vaterlandsgedichte und Soldatenlieder, Flugschriften, Predigten und Briefe zum Siebenjährigen Krieg, patriotische Zeitschriften und publizistische Nationalgeistschriften. Deutschsprachige Gebildete konstituierten einen frühen Vaterlandsdiskurs, der sich in der seit 1724 erschienenen ersten "Patriotischen Zeitschrift" nachvollziehen läßt. Eine entscheidende Intensivierung erfuhr dieser Diskurs in den zahlreichen Flugschriften des Siebenjährigen Krieges und erhielt wenige Jahre nach Kriegsende in der Nationalgeistdebatte sein theoretisches Fundament. Seinen Höhepunkt erlebte er schließlich in der literarischen Bewegung des Sturm und Drang.
Die Imaginationen eines geeinten und machtvollen deutschen Vaterlandes lösten um 1765 den überkommenen Reichspatriotismus ab ohne jedoch bereits den Gedanken des Nationalstaates zu beinhalten und noch ohne Rückhalt in breitere n Bevölkerungskreisen. Dennoch prägten die Selbst- und Feindbilder dieses Elitediskurses die Entstehung des deutschen Nationalismus entscheidend mit. Punktuelle, aber wiederkehrende Abgrenzungen der erst noch zu etablierenden "deutschen" Nation gegenüber äußeren (vor allem französischen) und inneren (dem bürgerlichen Tugendkodex zuwiderhandelnden) Feinden des Vaterlandes begründeten frühe Konstruktionen kollektiver Identitätsphantasien über die moderne Artikulation von Differenzerfahrungen.
Hans-Martin Blitz verbindet in seiner umfassenden Rekonstruktion dieses frühen Vaterlandsdiskurses Quellen und Methoden sowohl der Geschichts- als auch der Literaturwissenschaft und gewährt nicht zuletzt dadurch Einblicke in das bisher übersehene Wechselspiel freiheitlicher und aggressiver Momente. Den Ambivalenzen dieser frühen Gemeinschaftskonstruktionen konnten bisher weder die zahlreichen Nationalisierungen des 18. Jahrhunderts in der Nationsforschung des 19. und frühen 20. Jahrhunderts gerecht werden, noch die konsequente, aber ebenfalls einseitige Entnationalisierung des Zeitalters der Aufklärung durch die Patriotismusforschung seit den 1960er Jahren. Der Blick zurück ins 18. Jahrhundert bestätigt vielmehr die These von der "Janusköpfigkeit" des modernen Nationalismus auch für dessen frühe Anfänge und verstärkt zugleich die zunehmenden Zweifel am verabsolutierten Beginn des deutschen Nationalismus mit den sogenannten Befreiungskriegen.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 29.04.2000

Politische Theorie mit dem Doppelkopf
Ein Versuch, den Beginn des modernen Nationalismus ins Zeitalter der Aufklärung zu verlegen
Janusköpfigkeit, das unschöne Wort gehört zu den Lieblingsbegriffen der heutigen Nationalismusforschung. Es soll den Umstand bezeichnen, dass die Nation – im historischen Draufblick gesehen – eine recht ambivalente Sache ist. Getragen von modernen Partizipations- und Demokratisierungsansprüchen einerseits, von gewalttätiger Ausgrenzung und Fremdenhass andererseits, habe die Nation zwei Gesichter: ein gutes und ein böses, ein linkes und ein rechtes, ein progressives und ein reaktionäres, eines das nach vorn und eines das zurück schaut. Obgleich diese stets gemeinsam auftreten, teilt man nicht selten die Phasen des Nationalismus danach ein, welches Gesicht den historischen Betrachter gerade ansieht (bzw. von welcher Seite der Betrachter die Nation ansieht).
Hat man sich etwa für das 18. Jahrhundert auf das freundliche Gesicht einer kosmopolitischen Nation geeinigt oder für das späte 19. Jahrhundert auf das hässliche Gesicht der „völkischen” Nation, muss man meistens nicht lange warten, bis die ersten Gegeninterpretationen vorliegen. Und solange das Bild von der Janusköpfigkeit Konsens der Nationalismusforschung ist, sind auch immer beide Deutungen legitim und geben willkommenen Anlass, sich zünftig zu streiten.
Dies um so mehr, da mit jeder Entscheidung für das eine oder das andere Gesicht auch das Periodisierungsproblem neu aufgeworfen wird: Wann drehte sich der Januskopf? Wann zeigte die Nation ihr zweites Gesicht? Ab wann darf man überhaupt von Nation sprechen? Wenn sie nur eines ihrer Gesichter zeigt, oder erst wenn beide sichtbar sind? In dieser Verschränkung des Ambivalenz- mit dem Periodisierungsproblem wiederholt sich in einer Nationalismusforschung, die das doppelte Antlitz des römischen Gottes zum Leitmotiv erhebt, das Schicksal dieses Gottes selbst: Im älteren Rom war Janus der Gott der Stadt-Eingänge und Torbögen, der mit seinem zweifachen Gesicht in einem Blick überschauen konnte, was den Hindurchgehenden nur als Entweder-Oder erlebbar war. Später wurde er auch der Gott des Anfangs, dem alles Erste, alles Neu-Beginnende, schließlich der erste Monat des Jahres gewidmet wurde. Das mystische Verhältnis der räumlichen und zeitlichen Schwellen zwischen Innen und Außen, Altem und Neuem war also den Römern – wohl weil sie es selbst kaum zu deuten wussten – eine eigene Gottheit wert. Sollte die moderne Geschichtsschreibung des Nationalismus hier wirklich nicht weitergekommen sein?
Das neue Buch von Hans-Martin Blitz über die deutsche Nation im 18. Jahrhundert jedenfalls lebt ganz von der These, dass der moderne Nationalismus schon in diesem Jahrhundert begann, weil die Nation bereits hier „ihre Janusköpfigkeit”, ihr doppeltes, rückwärts- und vorwärtsgewandtes, modernes und antimodernes, emanzipatives und reaktionäres, ihr friedliches und ihr aggressives Gesicht gezeigt habe. Das setzt einen Begriff von Nationalismus voraus, der dazu tendiert, ihn zu einem überhistorischen Phänomen zu machen, das gottgleich dort erscheint und seine Macht beweist, wo sein doppeltes Antlitz sichtbar wird.
Wie Hase und Igel
Entsprechend überträgt Blitz eine Reihe der Argumente und Denkfiguren, mit denen in den vergangenen Jahren der Nationalismus vor allem des 19.  Jahrhunderts erschlossen wurde, auf den Vaterlandsdiskurs des 18. Jahrhunderts: die konstitutive Rolle der Feindschaft, insbesondere der Franzosenfeindschaft, die heroisierende Verklärung einer germanischen Vergangenheit, der Wandel vom nationalen Partizipations- zum Exklusivitätsanspruch, der Übergang vom Weltbürgertumsgedanken zur aggressiven Auserwähltheitsidee: die Hypostasierung von Krieg, Schlacht und Kampf; der Antimodernismus und die funktionalistische These vom Nationalismus als Flucht vor der Modernisierung – all das soll schon im 18. Jahrhundert den Vaterlandsdiskurs des Humanismus, die vaterländische Dichtung, den deutschen Patriotismus während des Siebenjährigen Krieges, die „National-Geist”-Debatte von 1765 und auch den Sturm und Drang geprägt haben. Die Absicht ist klar: Blitz will die tatsächlich selten hinterfragten Zäsuren von 1789 als Beginn des modernen Nationenbegriffs und von 1806 als Beginn des deutschen Nationalismus (gegen die französische Besetzung) aufbrechen und den Ursprung beider mindestens ein halbes Jahrhundert vorverlegen.
So anregend und teilweise auch überzeugend diese Zäsurverschiebung umgesetzt wird, paradoxerweise vermag sie der Forschung kaum neue Erkenntnisse zu verschaffen. Denn sie bestätigt, ja zementiert eben den Nationalismusbegriff, der von jenen entwickelt wurde, die an den Zäsurjahren 1789 und 1806 festhalten. Blitz nimmt ihnen gleichsam ihr Konzept von Nation und Nationalismus aus der Hand und lässt es kurzerhand schon inmitten des 18.  Jahrhunderts erscheinen – wie der Igel dem Hasen: „Ick bün all hier. ” Wieviel Sinn aber macht eigentlich der Begriff Antimodernismus im 18.  Jahrhundert? Fühlten sich die Dichter und Gelehrten des Sturm und Drang wirklich zu einer romantischen Nation hingezogen, weil sie – wie Blitz meint – mit der Durchsetzung moderner marktwirtschaftlicher Strukturen im Buchgeschäft nicht zurecht kamen? Kann man wirklich von einem aggressiven, ausgrenzenden und gewaltbereiten Nationalismus sprechen, weil in der vaterländischen Dichtung von Schlachten, Blut und Helden die Rede ist? Wenn es so einfach ist, progressive wie reaktionäre, kosmopolitische wie xenophobe Tendenzen schon im Vaterlandsdiskurs des 18. Jahrhunderts zu identifizieren, dann sagt das mehr über die theoretische Schwäche dieser meist schlicht nebeneinander gestellten Gegenbegriffe als über die Plausibilität der Periodisierung.
Die Chance, mit dem Nachweis ambivalenter Stoßrichtungen schon in den Vaterlandsdiskursen der Aufklärung die Erklärungskraft des Bildes von der „Janusköpfigkeit” selber in Frage zu stellen, nutzt Blitz nicht. Statt die Dialektik von aufklärerischem Universalismus und bürgerlichem Partikularismus in dieser wichtigen Entstehungsphase des modernen Begriffs der Nation neu zu entfalten, beschränkt sich Blitz auf ein Durchspielen der für das 19.  Jahrhundert entwickelten Doppelkopf-These. Genau die aber wirkt, wenn sie schlicht als ein „verwirrendes Nebeneinander” beschrieben wird, im 18.  Jahrhundert noch hilfloser als im 19. , wo sie immerhin noch funktionalistisch an sozioökonomische Interessen und machtpolitische Lager zurückgebunden werden kann.
Offenheit ist gefragt
Sieht man von dieser verpassten Chance ab, den Anfang des modernen Nationalismus einmal tatsächlich neu zu schreiben (und nicht nur zu verlegen), bleibt eine beeindruckende, synthetisierende Darstellung der Vaterlandsdiskurse des 18.  Jahrhunderts, die die publizistischen, politischen und literarischen Quellen zueinander in Beziehung setzt und die komplexe Herausbildung nationaler Denkfiguren nachzeichnet. Deren Kennzeichnung als ein Reservoir, aus dem sich auch der spätere Nationalismus bediente, kann schwerlich widerlegt werden. Blitz überzeugt vor allem dort, wo er die politisch unbestimmbare „Offenheit” dieser Denkfiguren betont oder ihre Unabhängigkeit von territorialen Vorstellungen hervorhebt und der Leser lernt, daß auch tendenziell essentialistische Nationenbegriffe nicht unbedingt vorgegebener (oder als vorgegeben gedachter) Grenzen bedürfen. Das Gefühl freilich bleibt, dass die Nationalismusforschung selber neuer, weiterführender Denkfiguren bedarf.
CHRISTIAN GEULEN
HANS-MARTIN BLITZ: Aus Liebe zum Vaterland. Die deutsche Nation im 18. Jahrhundert. Hamburger Edition 2000. 380 Seiten, 58 Mark.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.03.2000

Vielleicht rette ich meinen Heimatstaat
Wohl noch nie etwas von Nationalismus gehört, der gute Aufklärer / Von Dieter Langewiesche

Zur Rach' erwacht! Zur Rach' erwacht! / Der freie deutsche Mann! / Trompet' und Trommel, ruft zur Schlacht! / Weht Fahnen, weht voran! / Der Engel Gottes schwebt daher / Auf Wolken Pulverdampf, / Schaut zornig in der Feinde Heer, / Und schreckt sie aus dem Kampf!"

Als Johann Heinrich Voß 1774 mit diesem "Trinklied für Freie" eine Niederlage Frankreichs im Spanischen Erbfolgekrieg zum gottwohlgefälligen Triumph "fürs Vaterland" verklärt, reiht er sich ein in den großen Kreis von Aufklärern, deren militante Töne die Forschung gerne überhört. Den Patriotismus einer kosmopolitischen Aufklärung vom Nationalismus des neunzehnten und zwanzigsten Jahrhunderts scharf abzusetzen gehörte zur politischen Aufklärungsarbeit einer Geschichtswissenschaft, die durch den Schrecken der NS-Herrschaft und des Zweiten Weltkriegs geprägt war. Erst jetzt wird wieder entdeckt, was die Alten wussten: Der Wille zur Nation eint, indem er ausgrenzt.

Nationen entstehen im Angesicht des Feindes. Daran lässt die jüngere Forschung keinen Zweifel zu. Ihr Anspruch, damit etwas Neues zu sagen, lebt allerdings vom Vergessen. "Was ist eine Nation?", fragte 1882 Ernest Renan. Die Antwort, die er in seinem berühmten Vortrag im Collège de France gab, ist unmissverständlich zweideutig: Solidargemeinschaft und zugleich Kampfgemeinschaft, geeint in einem "Pakt auf Leben und Tod". Um den Glauben daran zu erzeugen und lebendig zu erhalten, bedarf es der wortmächtigen Gebildeten. Zu deren gewaltverherrlichendem Wortdienst an der Nation gehört Voß' "Trinklied". Es feiert den Krieg als blutigen Gottesdienst und stellt ihn dem alttestamentarischen Heilsgeschehen an die Seite. Das göttliche Strafgericht, das einst die Feinde des auserwählten Volkes im Roten Meer vernichtete, erleiden nun die Feinde des deutschen Vaterlandes im Rhein. Der Dichter kündet von einem Krieg, den erst zwei Jahrzehnte später die Französische Revolution "erfinden" wird: Volkskrieg im Namen der Nation, die Freiheit verheißt und Bereitschaft zum Opfertod im Kampf gegen die Feinde verlangt.

Das Doppelgesicht des Nationalen enthüllt Hans-Martin Blitz nun für das Zeitalter der Aufklärung. Nach einem Rückblick auf die literarische Gestaltung nationalen Eigenbewusstseins seit dem Humanismus untersucht er in vier Themen- und Zeitblöcken, wie eine schmale Bildungselite die deutsche Nation als Zukunftsideal entwarf, lange bevor es einen deutschen Nationalstaat gab.

Die Frühaufklärung, darin widerspricht er energisch und überzeugend der geläufigen Meinung, darf nicht auf das Bild einer kosmopolitischen Friedfertigkeit verengt werden. In den zahlreichen Hermannsdramen wird "der nationale Mythos der siegreichen Germanen" erfolgreich vermarktet. Sich diesem Thema zuzuwenden sicherte die Aufmerksamkeit der literarischen Öffentlichkeit. Das vaterländische Erziehungsprogramm dieser Dramen lebt von einem Freund-Feind-Denken, das in Vernichtungsphantasien schwelgt. Imaginiert als Abstammungsgemeinschaft, verlangt die Nation Einheit auch nach innen. Sie tritt zwar noch nicht als Freiheitsforderung gegen den Absolutismus auf, doch die bürgerliche Nation, zu erkennen am Ideal der Gemeinnützigkeit und der Idee der Nation als Familie, schiebt sich vor die dynastische.

Der Siebenjährige Krieg, die zweite Untersuchungsphase, politisierte den Diskurs über die Nation und erweiterte ihn sozial über die Gebildeten hinaus, wenngleich Blitz Imaginationen, nicht Wirkungen untersucht. Publizistik, Predigten und Briefe sind nun die Medien, in denen der nationale "Krieg der Feder" den dynastischen "Krieg mit den Waffen" begleitet und moralisch rechtfertigt.

Die Publizistik bereitet auch die Nationalgeistdebatte der sechziger Jahre vor. Ausgelöst durch Friedrich Karl von Moser, der im Sold des habsburgischen Hofes schreibt, werden im Prinzipienstreit um Nation und Reich theoretische Fundamente gelegt, von denen noch der spätere Nationalismus zehrt. Die Vision eines Deutschlands mit klaren Grenzen nach außen und einer einheitlichen Ordnung im Innern fehlt jedoch auch jetzt noch. Die Nation entwirft man als eine Glaubensgemeinschaft, deren Werte nicht als Forderung an die staatliche Obrigkeit gerichtet, sondern verinnerlicht werden. "Mitten in der Aufklärung", hält Blitz der Mehrheitsmeinung in der Forschung entgegen, "bestiegen Gebildete als Wortpriester des Nationalen die ,Canzel Germaniens'."

Mit den Debatten im Sturm und Drang schließt die Studie. In ihnen sieht Blitz den Übergang zum bürgerlichen Nationalismus des neunzehnten Jahrhunderts. Das alte Gegenbild Rom weicht nun vollends dem Feindbild Frankreich - Widerpart der deutschen Nation als Sittengemeinschaft. Zu ihr gehört, wer sich zu ihr bekennt. Damit grenzt die Idee Nation gegen die Außenwelt ab, aber auch im Innern aus. "Deutschland" wird weder politisch noch territorial bestimmt, es ist eine moralische Größe, die in den Schriften der intellektuellen Elite entsteht. Diese Konstruktion gebiert eine Radikalität, deren Aggressivität und Todesbereitschaft kaum noch gezügelt werden kann. Die Nation wird geheiligt als neuer "Gottvater", der den Märtyrertod fürs Vaterland fordert. Klopstocks "Kriegslied", ursprünglich Friedrich II. zugeeignet, dann aus Enttäuschung über dessen "unnationale" Haltung gegenüber Frankreich in "Heinrich der Vogler" umbenannt, bezeugt die religiös gefärbte Todessehnsucht des Nationalismus in der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts: "Willkommen Tod fürs Vaterland! / Wenn unser sinkend Haupt / Schön Blut bedeckt, dann sterben wir / Mit Ruhm fürs Vaterland!" Die Lyrik der Befreiungskriege steht in dieser Tradition.

Wider "den eingespielten Forschungskonsens einer friedlich-kulturellen Vaterlandsbegeisterung vor 1789" - so lautet die Leitlinie dieser Dissertation, mit der dem Autor ein grundlegendes Werk gelingt. Es überzeugt, weil es keine flächigen Thesen formuliert, sondern Texte detailliert analysiert. Blitz betont die Offenheit als Hauptmerkmal schon der frühen Vorstellungen von Nation: weder "ausschließlich emanzipatorisch-friedlich" noch "vorwiegend kriegerisch-aggressiv". Seine Aufmerksamkeit gilt der bislang immer noch zu dürftig erhellten dunklen Rückseite des Januskopfes Nation, die er als Gewinn- und Verlustgemeinschaft charakterisiert.

Um sich von diesem Werk stimulieren zu lassen, muss man auch seine Grenzen sehen. Es blickt vorrangig auf den preußisch-protestantischen Diskurs. Will man wissen, was im achtzehnten Jahrhundert "Deutschland" bedeutete, muss aber auch die außerpreußische und katholische Gegenwelt ausgeleuchtet werden. In ihr traten Nation und Reich keineswegs "endgültig auseinander". Die Idee einer vielstaatlichen föderativen Nation, die einig sein will ohne staatliche Einheit, lebt fort, bis der Nationalstaat von 1871 sie aus der kollektiven Erinnerung verdrängt. Auch die Grenzlinien zwischen dem Nationalismus vor und nach der Französischen Revolution sind nicht so leicht zu vermessen, wie der Autor meint. Die Leitbilder, das betont Blitz zu Recht, wurden jedoch schon zuvor von den "protestantischen Laienpriestern" geformt, wie Reinhart Koselleck die Bildungselite nennt, in deren Schriften die Nation erdacht wird.

Hans-Martin Blitz: "Aus Liebe zum Vaterland". Die deutsche Nation im 18. Jahrhundert. Verlag Hamburger Edition, Hamburg 2000. 437 S., geb., 58,- DM.

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

"Im Gegensatz zum Konsens einer Forschung, die in der Aufklärung nur friedliche Töne ausmachen will, hat sich der Autor hier dem Nachweis gewaltverherrlichender, nationalistischer Klänge gewidmet, und darin wohlgetan, meint Dieter Langewiesche. Für vier Epochen, - Frühaufklärung, Siebenjähriger Krieg, Nationalgeistdebatte und Sturm und Drang - zeigt Blitz detailliert an Texten auf, welche Kriegs- und Nationalismus-Vordenker schon früh am Werke waren, von Johann-Heinrich Voß bis Klopstock. Der Rezensent bemängelt, dass sich Blitz zu sehr auf preußisch-protestantische Quellen bezieht und die Trennlinie zwischen "dem Nationalismus vor und nach der Französischen Revolution" zu sauber zieht. Dennoch findet er diese Dissertation ein gelungenes, grundlegendes Werk, dessen Stärke nicht in großflächigen Thesen, sondern in detaillierter Analyse liegt.

© Perlentaucher Medien GmbH"