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In der Emigrantencafeteria Ecke Broadway/86. Straße in New York sitzt Nacht für Nacht der deutschstämmige Jude Jakob Bronsky und schreibt an seinem autobiografischen Roman "Der Wichser". Sein Leben fristet er als Aushilfskellner, Tellerwäscher etc., sein Alltag besteht aus dem ewigen Kampf um ein warmes Essen, eine Bleibe, einen Busfahrschein. Sein "Geständnis", das mit dem Motto "Fuck America" beginnt, ist eine böse Satire auf die falschen Versprechungen einer verlogenen Gesellschaft und ein bitteres Resümee des jüdischen Schicksals.

Produktbeschreibung
In der Emigrantencafeteria Ecke Broadway/86. Straße in New York sitzt Nacht für Nacht der deutschstämmige Jude Jakob Bronsky und schreibt an seinem autobiografischen Roman "Der Wichser". Sein Leben fristet er als Aushilfskellner, Tellerwäscher etc., sein Alltag besteht aus dem ewigen Kampf um ein warmes Essen, eine Bleibe, einen Busfahrschein. Sein "Geständnis", das mit dem Motto "Fuck America" beginnt, ist eine böse Satire auf die falschen Versprechungen einer verlogenen Gesellschaft und ein bitteres Resümee des jüdischen Schicksals.
Autorenporträt
Edgar Hilsenrath, geboren 1926 in Leizig, flüchtete 1938 mit der Mutter und dem jüngeren Bruder nach Rumänien. 1941 kam die Familie in ein jüdisches Ghetto in der Ukraine. Hilsenrath überlebte und wanderte 1945 nach Palästina, 1951 in die USA aus. Heute lebt er in Berlin. 1989 erhielt Edgar Hilsenrath den Alfred-Döblin-Preis, 1992 den Heinz-Galinski-Preis, 1994 den Hans-Erich Nossack-Preis, 1996 den Jacob-Wassermann-Preis, 1999 den Hans Sahl-Preis und 2004 den Lion-Feuchtwanger-Preis der Akademie der Künste Berlin.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

"Nicht jedes Buch, das einmal Aufsehen erregte, vermag nach Jahrzehnten zu bestehen", erklärt Thomas Rietzschel, weshalb seiner Ansicht nach die "Gesammelten Werke" in Hilsenraths Fall, zumindest was diesen Roman angeht, dem literarischen Ruf des Autors eher abträglich sind. Hilsenraths derb-vulgäre Sprache war es, die dem Rezensenten die neuerliche Lektüre von "Bronskys Geständnis" verleidet hat, nicht weil sie so provokativ ist, sondern weil sie gerade nicht mehr provokativ ist: 1980, als der Roman erstmals erschien, habe man geglaubt, "dass die verstockten Verhältnisse der bürgerlichen Gesellschaft endlich auch literarisch mit einer Schocktherapie zu überwinden seien", heute dagegen, wo sich der Wind des sexualrevolutionären Zeitgeists gelegt habe, erscheine die fortwährende Verwendung "einschlägiger Wendungen" nur mehr als "mangelnde Souveränität des Erzählers". Mit anderen Worten: "Die Sprache wird zur Belastung der Geschichte" - und Hilsenraths autobiografischer Roman zum "historischen Dokument", vom Rezensenten abgeheftet unter "Vergangenheitsbewältigung" und "Kapitalismuskritik".

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.05.2004

Vom Leben geschlaucht
Werkfluch: Die gnadenlose Wiederentdeckung Edgar Hilsenraths

Jeder Autor möchte sie haben, die große Ausgabe seiner "Gesammelten Werke", am liebsten noch zu Lebzeiten. Doch nicht jedem will sie zum Vorteil gereichen; nicht immer kann das Geschaffene dem Format genügen. Nicht jedes Buch, das einmal Aufsehen erregte, vermag nach Jahrzehnten zu bestehen. Dem Nachruhm dienlicher wäre es bisweilen, wenn wir es bei der langsam schwindenden Erinnerung an die einstige Wirkung mancher Titel beließen. So provozierend "Bronskys Geständnis" von Edgar Hilsenrath seinerzeit, 1980, noch erscheinen mochte, so ermüdend liest es sich nunmehr als Nachdruck in den "Gesammelten Werken".

Allzu deutlich offenbart sich im literarischen Ausdruck, in der derb sinnlichen Sprache, in dieser Präferenz der Vulgarismen der zeitgeistige Affront einer überlebten Epoche. Eher manisch als erhellend muß unterdessen der fortwährende Gebrauch einschlägiger Wendungen anmuten. Kapitel für Kapitel werden sie heruntergebetet. Keine drei Seiten, auf denen nicht vom "Ficken", vom "Schwanz", vom "Loch" die Rede wäre. Zwar hatte das schon ehedem für eine gewisse Ratlosigkeit gesorgt. Doch war das Befremden der Kritik zunächst noch mit der Vermutung eines tieferen Sinnes verdrängt worden. Aus den Umständen ergab sich die latente Unterstellung der ästhetischen Bedeutung. Man sanktionierte die Koketterie mit dem ordinären Ausdruck, solange man glauben wollte, daß die verstockten Verhältnisse der bürgerlichen Gesellschaft endlich auch literarisch mit einer Schocktherapie zu überwinden seien. Unterdessen aber ist diese Ideologie wohlfeil geworden. Wo die Inszenierung des Geschlechtsakts zum Repertoire jedes Stadttheaters zählt, geht die verbale Attacke zwangsläufig ins Leere. Was sie jetzt vor allem verrät, ist der Affekt im Sinne der Ästhetik, also die mangelnde Souveränität des Erzählers in dem stark autobiographisch gefärbten Roman.

Wie sein Held Bronsky, so wurde Edgar Hilsenrath 1926 geboren. Beide sind sie Juden, beide haben sie das Ghetto durchlebt, und beide suchten sie nach dem Krieg eine neue Existenz in Amerika. Wie seine Figur, so lebte der Autor lange Jahre in New York unter den versprengten Emigranten, in ihren billigen Cafés, in schäbigen Quartieren, irgendwo zur Untermiete. Mit den Gelegenheitsjobs seines Helden mußte sich auch der Schriftsteller durchschlagen, ärmlich und ohne Anschluß an die leistungsorientierte Gesellschaft, fremd in einem Land, das die Schwachen abweist. Erst fünfzehn Jahre nachdem er 1938 ein - rettendes - Visum beim amerikanischen Generalkonsul in Deutschland beantragt hatte, durfte Bronskys Vater mit der Familie in die Vereinigten Staaten einreisen; "Fuck America!" sagt er bei der Einfahrt in den Hafen, beim Anblick der Freiheitsstatue. Was er in der Zwischenzeit auf der Flucht durch Europa und im Ghetto erleiden mußte, hat seinen Sohn Jakob, den Ich-Erzähler des Romans, um den Lebensmut gebracht. Keine Frau kann den innerlich Vereinsamten noch lieben. Nur die Huren (die er sich nicht leisten kann) sind ihm geblieben. Um diese Not zu überwinden, muß er schreiben. "Der Wichser" soll sein Roman heißen. Er braucht ihn, um gesund zu werden.

Weil ihn das Leben "geschlaucht" hat, ist Jakob Bronsky zum Schriftsteller geworden - nicht unbedingt zum Abbild seines Erfinders, wohl aber zu dessen Wahlverwandtem. In seiner Sprache offenbart sich die Verbitterung. Was ernüchternd wirken soll, wird aber unversehens zum Selbstzweck. Nun mag es von Fall zu Fall durchaus angezeigt sein, das Böse durch den vulgären Ausdruck zu entlarven; wenn er sich aber wie bei Hilsenrath in den Vordergrund drängt, verliert er seine ästhetische Funktion zwangsläufig. Die Sprache wird zur Belastung der Geschichte, was jetzt um so deutlicher auffällt, als wir nicht mehr angeweht sind vom protestierenden Zeitgeist einer vordergründig politisierten Sexualrevolution. Ihre Verquickung mit Vergangenheitsbewältigung und Kapitalismuskritik verleiht dem Roman den Charakter eines historischen Dokuments, nicht mehr und nicht weniger. Mit der Aufnahme in die Werkausgabe wurde ihm aber noch viel größere, bleibende Bedeutung abverlangt. Für den Autor ist das eine schwere Last, er hätte sie nicht schultern müssen. Seinen Ruf zu festigen, genügte die verblassende Erinnerung.

THOMAS RIETZSCHEL

Edgar Hilsenrath: "Fuck America. Bronskys Geständnis". Gesammelte Werke, Bd. 4. Hrsg. von Helmut Braun. Dittrich Verlag, Berlin/Köln 2003. 288 S., geb., 19,88 [Euro].

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"Ein bizarres, wüstes Nachtasyl-Personal zieht auf, Penner, Huren, Säufer, Kriminelle, Entgleiste und Entglittene, ein Rinnstein-Inferno. Der alltägliche Wolfskampf um den Dollar und einen Bissen kann zur Posse und zur Tragödie werden." (Der Spiegel)

" ... und seine Sprache, die wild wuchert und doch oft genug trifft, entfaltet eine düstere und auch stille Poesie." (Heinrich Böll)