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Schon in seinen Anfängen komponierte Eugen Gomringer Sonette. 2008 ist er zur "alten Liebe" zurückgekehrt. Seither sind über 100 Sonette entstanden. Darin beschäftigt sich der Dichter mit biografischen Erlebnissen, mit den Begegnungen in aller Welt mit berühmten Dichtern und bildenden Künstlern. Ihre Gesamtheit, bei der Edition in 4 Bändchen erschienen, ergibt ein eindrückliches Bild von Eugen Gomringers Denken und Wirken.

Produktbeschreibung
Schon in seinen Anfängen komponierte Eugen Gomringer Sonette. 2008 ist er zur "alten Liebe" zurückgekehrt. Seither sind über 100 Sonette entstanden. Darin beschäftigt sich der Dichter mit biografischen Erlebnissen, mit den Begegnungen in aller Welt mit berühmten Dichtern und bildenden Künstlern. Ihre Gesamtheit, bei der Edition in 4 Bändchen erschienen, ergibt ein eindrückliches Bild von Eugen Gomringers Denken und Wirken.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.01.2010

Auch der Wandel ist konkret

Eugen Gomringer, der Urvater der konkreten Poesie, wird heute fünfundachtzig. Seine neuesten Werke sind Sonette. Wie kann man in der traditionellen Gattung ein Revolutionär der Form bleiben?

Das waren noch Zeiten, als Konkrete Poesie die Lager spaltete. Zur Kampfvokabel mutierten diese zwei Wörter. Die einen gingen bei ihrer bloßen Nennung in Deckung und bezichtigten die Agitation der konkreten Poeten gegen den allseits so beliebten Stimmungsnebel und die geschwätzige Metaphorisierung handelsüblicher Gedichte des Dogmatismus, für ihre Verfechter bedeuteten diese neuen Werke programmatisch die Welt: die Eigenwelt der sprachlichen Zeichen und Wörter und ihrer Gesetzmäßigkeiten. Der Rückgriff auf die akustische und visuelle Materialität der Sprache, die Kopplung der Wahrnehmungsmodi Lesen und Sehen, die Sinnfälligkeit und Evidenz sprachlicher Gestaltung oder zum Beispiel die Semantisierung der unmittelbaren Umgebung eines Textes (Franz Mons "Poesie der Fläche") gehörten zum Inventar der sich schnell internationalisierenden konkreten Bewegung.

Als deren Gründungsvater gilt seit 1953 gemeinhin Eugen Gomringer - wenngleich Isidore Isou bereits 1946 von einer "Poésie concrète" sprach, der schwedische Künstler Öyvind Fahlström 1953 das erste Manifest der Konkreten Poesie schrieb und sie sich zur selben Zeit unabhängig von Gomringer in Südamerika als stark politisierte Strömung etablierte. Gomringer als ihr bekanntester Protagonist ist bis heute nicht müde geworden, für die konkrete Kunst und Poesie einzustehen und ihren historischen Stellenwert zu betonen, neben seinen eigenen künstlerischen Tätigkeiten auch durch seine bedeutende private Kunstsammlung, die 1992 den Grundstock des Museums für konkrete Kunst in Ingolstadt bildete, das Kunsthaus Rehau und das Archiv Eugen Gomringer. Seine Gedichte finden sich in Anthologien und (Schul-)Büchern auf der ganzen Welt. Auf das Wort "schweigen" besitzt er die poetische Lizenz. Mit der "Konstellation" führte Gomringer eine kontemplative Variante der Konkreten Poesie ein, die nichts von ihrer Wirkungskraft verloren hat.

Vor diesem Hintergrund mag es zunächst verwundern, dass Eugen Gomringer mit "eines sommers sonette" und "der sonette gezeiten" zwei Gedichtbände vorgelegt hat, deren bereits im Titel ausgestellte Gattung so gar nicht zur konkreten Ästhetik zu passen scheint, ist diese Form in der literarischen Tradition von Petrarca bis zu George, Rilke und Mynona alias Salomo Friedländer (und über diese hinaus) doch viel zu fest verankert und motivgeschichtlich besetzt - von Jandls oder Gernhardts Unterwanderungen oder Ror Wolfs fußballstofflichen Umcodierungen einmal abgesehen. Beim Lesen von Gomringers Sonetten stellt man indes bald fest, dass die regulative Strenge dieser Form ihm entgegenkommt, arbeitet das Sonett doch oftmals von seiner Struktur her "konstellativ" im dialektischen Sinne von These, Antithese und Synthese. Mehr noch: Gomringers Sonette sind meditative Konstellationen im Sinne der Konkreten Poesie.

Das "sonette" betitelte Anfangsgedicht gibt mit seinen Reimpaaren "abba baab cdc dcd", wie sie zum Beispiel schon beim Expressionisten Georg Heym Verwendung fanden, und dem fünfhebigen Vers commun das Grundschema von "eines sommers sonette" vor: "es heisst wir seien eines ganzen teile / es heisst wir seien unteilbare ganze / es heisst wir seien eins mit tier und pflanze / es heisst wir seien unterwegs wie pfeile // es heisst wir strebten nach dem end im glanze / es heisst wir hätten wenig zeit und weile / es heisst wir täuschten uns im fernen heile / es heisst wir wagten uns an die substanze // es heisst wir schrieben weiter in sonetten / und würden allertiefste fragen meiden / was wir jedoch in vierzehn verse betten // ist fraglos auch nicht unbescheiden / es ist was täglich wir hinüberretten / aus dem verlust den beide wir erleiden".

Eine vielgestaltige Tradition erinnernd und zugleich als poetisches Memento mori sind mit "eines sommers sonette" auf diese Weise insgesamt neunzehn Sonette "über anfallende und auch länger schon haftende themen" entstanden, wie es in der kurzen Vorbemerkung heißt. Es finden sich Gedichte auf Städte und Ortschaften, auf Wissenschaftler und Künstler oder zum Beispiel auf die Begriffe "zen" und "kultur" - Sonette also ganz im Geiste der Gelegenheitsdichtung.

"der sonette gezeiten" dagegen verwendet mit dem umschlingenden Oktavreim "abba abba" und der Sextettordnung "cdc dcd" die durch Petrarca bekannt gewordene Form. Die in diesem späteren Band versammelten einundzwanzig Sonett-Konstellationen sind Künstlerkollegen gewidmet wie "josef albers", "max bill" oder "jo enzweiler" oder geben wichtigen autobiographischen Etappen eine deutliche Gestalt. Dem Institut für Konstruktive Kunst und Konkrete Poesie (IKKP) ist ein eigenes, programmatisches Sonett gewidmet: "kirchgasse 4", eine Musterung ästhetischer Grundüberzeugungen, an denen Gomringer im Laufe seines heute auf den Tag genau fünfundachtzigjährigen Lebens stets festgehalten hat: "mein thema sei im wandel das was bleibt", "mein thema sei was ins konkrete mündet". Rückblickend und in eigener Sache ganz apodiktisch heißt es hier: "wie anders strebt was nicht dem strom verfällt". Pathos und Sentiment nimmt Gomringer als Herausforderungen der konkreten Poesie an.

Dass er sich zugleich als sein eigener Interpret erweist, der in Anspielung auf sein Gedicht "schweigen" ausgerechnet "alten karpfen" in einem Teich das poetologische Recht gewährt, das Unaussprechliche zu verkörpern, entbehrt nicht der Ironie: Gomringers "schweigen" ist zur internationalen Inkunabel experimenteller Poesie avanciert; im Hinblick auf die vielfachen Auslegungen und Konkretisierungen der vom Wort "schweigen" umstellten Leerstelle ist es ein schöner Beleg dafür, dass der Mensch dem Imaginären stets eine vertraute Gestalt geben muss, um es überhaupt auszuhalten: "sie schnappen offnen munds nach einem guten stücke / empfangen spende und entschwinden leise / sie sind im schweigen die berühmte lücke" (aus "resort"). Der Karpfen als Sinnbild der Poesie und ihrer duldsamen Gleich-Gültigkeit gegenüber jedem sie auslegenden Spender.

MICHAEL LENTZ

Eugen Gomringer: "eines sommers sonette". Deutsch-Englisch. Edition Signathur, Dozwil 2008. 52 S., br., 16,- [Euro].

Eugen Gomringer: "der sonette gezeiten". Deutsch-Englisch. Edition Signathur, Dozwil 2009. 64 S., br., 16,- [Euro]. - Beide ins Englische übertragen von Markus Marti.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Michael Lentz würdigt Eugen Gomringer zu dessen heutigem 85. Geburtstag als "Urvater" der Konkreten Poesie und stellt seine beiden Bände mit Sonetten vor. Zunächst scheint ihm die traditionsbeladene Form als Widerspruch zu den ästhetischen Grundsätzen der Konkreten Poesie, doch schnell stellt der Rezensent fest, dass die relative formale Strenge sich als fruchtbar erweist. Der erste der beiden Bände, "eines sommers sonette", ist eine Sammlung von Gelegenheitsgedichten, die Orte, Persönlichkeiten oder Begriffe zum Gegenstand haben und einem Reimschema verpflichtet sind, das schon Georg Heym verwendete, erklärt Lentz. Der Band "der sonette gezeiten" dagegen geht auf die durch Petrarca populär gewordene klassische Sonettform zurück und wendet sich Künstlerkollegen und autobiografischen Stationen zu, lässt der Rezensent wissen. Darin gibt es aber auch ein Gedicht auf das von Gomringer gegründete "Institut für Konstruktive Kunst und Konkrete Poesie", das "programmatisch" verstanden werden will, wie der Rezensent betont. Sinnbild dieser Poesie ist der Karpfen, verkündet Lentz und zitiert zum Schluss Gomringer: "sie schnappen offnen munds nach einem guten stücke / empfangen spende und entschwinden leise / sie sind im schweigen die berühmte lücke".

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