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Hermann Eichler ist achtundzwanzig, er führt die Apotheke seiner verstorbenen Eltern in Graz. Er macht das souverän, gibt zu jeder Pille einen guten Rat so hat er es von seinem Vater gelernt und kann an den verlangten Medikamenten die Jahreszeiten bestimmen. Nur wenn es um ihn selbst geht, weiß er nicht weiter und hat das Gefühl, nicht Herr über sein eigenes Leben zu sein. Bis eines Nachts vor seiner Tür ein Unfall passiert. Eichler sieht das Fahrrad liegen, dann das Mädchen daneben. Und er macht sich auf den Weg: durch die Stadt, hin zu einer radikalen Einsicht. Der Flame Bart Moeyaert, für…mehr

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Produktbeschreibung
Hermann Eichler ist achtundzwanzig, er führt die Apotheke seiner verstorbenen Eltern in Graz. Er macht das souverän, gibt zu jeder Pille einen guten Rat so hat er es von seinem Vater gelernt und kann an den verlangten Medikamenten die Jahreszeiten bestimmen. Nur wenn es um ihn selbst geht, weiß er nicht weiter und hat das Gefühl, nicht Herr über sein eigenes Leben zu sein. Bis eines Nachts vor seiner Tür ein Unfall passiert. Eichler sieht das Fahrrad liegen, dann das Mädchen daneben. Und er macht sich auf den Weg: durch die Stadt, hin zu einer radikalen Einsicht.
Der Flame Bart Moeyaert, für seine Kinder- und Jugendbücher vielfach ausgezeichnet, legt mit Graz sein Prosadebüt für Erwachsene vor und lässt damit die Gattung der Novelle aufs Schönste aufglühen. Der Spaziergang Eichlers durch das winterliche Graz in einer Nacht aus Schnee und Wind und Licht gerät nicht nur zu einer Hommage an die Stadt, sondern auch zu einer Parabel über Erinnerung, Liebe, Einsamkeit.
Autorenporträt
BART MOEYAERT, 1964 in Brügge. Er studierte Geschichte, Niederländisch und Deutsch in Brüssel. Moeyaert war Lyriker der Stadt Antwerpen, seit 2000 ist er Hauptdozent in Creative Writing am Königlichen Konservatorium in Antwerpen. Bart Moeyaert zählt zu den großen europäischen Kinder- und Jugendbuchautoren, seine Bücher sind vielfach preisgekrönt und in 20 Sprachen übersetzt, auf Deutsch sind sie im Carl Hanser Verlag und im Peter Hammer Verlag erschienen. Für den Roman Bloße Hände (dtv) erhielt er den Deutschen Jugendliteraturpreis. www.bartmoeyaert.com
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Nach der Lektüre von Bart Moeyaerts neuem Buch "Graz" muss Rezensent Markus Huber feststellen, dass dieser vor allem für seine Jugendbücher bekannte niederländische Autor auch ausgezeichnet für erwachsene Leser schreiben kann. Er folgt hier dem einsamen, unscheinbare und psychisch labilen Apotheker Hermann Eichler, der sich, nachdem er einen Unfall beobachtet hat, nicht nur mit Schuldgefühlen plagt, sondern auch eine schmerzvolle Reise in die eigene Vergangenheit mit all ihren Enttäuschungen und Demütigungen wagt. Der Kritiker liest nicht nur fasziniert, wie diese eindrucksvolle Novelle zu einer späten "Coming-of-Age"-Geschichte wird, sondern auch, wie es Moeyaert gelingt, das Gefühl existentieller Verlorenheit durch die Sprache auf dem Leser zu übertragen. Sein Urteil: ein wunderbar melancholisches, feinsinniges und zugleich "unprätenziöses" Buch.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.01.2014

Erwachsene leiden auch am Heranwachsen
Bart Moeyaerts Novelle "Graz" führt uns ins Dunkle

Am Anfang steht ein absurdes Schuldgefühl. Ein junges Mädchen kommt vom Einkauf und stürzt mit dem Rad, reglos und mit verdrehten Gliedmaßen liegt es am Boden. "Zu meinem Entsetzen hatte schon jemand einen Strauß Rosen vor ihr niedergelegt. Dann musste ich mich über mich selbst ärgern, denn daneben lagen auch ein Netz Orangen, eine Packung Milch, ein in Plastik verpackter Kuchen, eine Schachtel Krapfen und ein Plastiksack, der nur nicht davonflog, weil noch etwas Schweres darin lag."

Der so denkt und irrt, heißt Hermann Eichler und ist der Erzähler und Protagonist von Bart Moeyaerts Novelle "Graz". Sein Irrtum ist insofern ungewöhnlich, als dass der Apotheker ansonsten als ein wacher und präziser Beobachter seiner Umgebung erscheint. Und aufmerksam ist er auch gegenüber seinen Kunden, die er nicht nur mit Pillen, Tabletten und Salben, sondern auch mit guten Ratschlägen und einem warmen Lächeln versorgt. Geht es aber darum, seine Empfindungen in Worte zu fassen, ja sie überhaupt erst zu fassen zu bekommen, scheitert er. Es muss erst ein Fremder kommen, der ihm sagt, dass er eine "arme suchende Seele" sei.

"Ich habe den Ruf, gut mit Menschen zu können. Ehrlich gesagt: Dieser Ruf ist mehr Schein." Der Mensch, mit dem er am wenigsten kann, ist Eichler selbst. Hinter dem harmlos-unauffälligen Äußeren des saturierten Apothekers verbirgt sich eine geschundene Persönlichkeit, geplagt von Einsamkeit und Unsicherheit. Als hätte er einen Fremden vor sich, betrachtet sich der Unberührte im Spiegel der Arzneischränke, mit seinen Blicken den Körper sezierend und das, was dahinter liegt. Die "Schwielen auf der Seele" sind über Jahre hinweg gewachsen, genährt von den eigenen elenden Erfahrungen und vom Elend der anderen. "Wenn man fortwährend von Elend hört, wogegen man nichts machen kann, muss all das Elend, das man gespeichert hat, in einem gewissen Moment irgendwo hin." Der Moment ist erreicht, als er sich für den Unfall des Mädchens verantwortlich macht, ob der vermeintlichen Schuld keinen Schlaf mehr findet und es ihn aus der Apotheke an der Ecke Leonhardstraße und Maiffredygasse hinaus in die Grazer Nacht drängt, hinaus ins Dunkle und Ungewisse.

Der Gang durch die winterlichen Straßen und Gassen ist auch ein Gang in die eigene Vergangenheit. Ins Hier und Jetzt der Erzählung mischen sich schmerzliche Erinnerungen an die verstorbenen Eltern, die ihrem Sohn neben der Apotheke auch allerlei seelische Lasten vermacht haben, an zurückliegende Enttäuschungen und Demütigungen, die Folgen bis in die Gegenwart zeitigen. Als infiziere die innere Unruhe des Protagonisten die Erzählung selbst, gerät auch die Sprache zunehmend ruhelos, verliert darüber aber nicht ihre Präzision, sondern wird nur intensiver, dringlicher. Nach und nach schwappt das Gefühl der uferlosen Verlorenheit so aus den Buchstaben und Sätzen über in die Gedanken des Lesers.

Dass Bart Moeyaert auch ausgezeichnete Lyrik geschrieben hat, lässt sich an manch gelungener Stelle dieser Novelle trefflich erahnen. Darauf, dass sich der Niederländer vor allem als Verfasser von Kinder- und Jugendbüchern einen Namen machte, verweist hingegen auf den ersten Blick wenig - wäre da nicht das übergeordnete Motiv der Suche nach dem eigenen Selbst, das diese Novelle zu einer Art verspäteten Coming-of-Age-Geschichte macht.

Überhaupt ist einiges nicht so, wie es zunächst scheint, denn "mein Problem ist, dass ich vieles nacherzählen kann, aber nicht alles, wenn es um mich selbst geht". Das verlorene Treiben im Unabgeschlossenen und Ungefähren führt aber dazu, dass sich mit dem Erzähler auch der Leser immer wieder von vermeintlichen Gewissheiten verabschieden muss. So sieht das verunglückte Mädchen zwar aus wie eines, ist aber gar kein Mädchen, sondern hört auf den Namen Jochen. Und zu Carla, offenbar Eichlers einziger Freundin, entwickelt sich eben keine Liebesbeziehung. Die erotische Episode im Park, unter dem strengen Blick des Turnvaters Jahn, die im vorletzten Kapitel gleichsam den erzählerischen Höhepunkt der Novelle darstellt, muss ganz ohne die geheimnisvolle Fremde auskommen.

Carla taucht stattdessen am Ende der Novelle wieder auf, tröstet den Einsamen und spricht ihm Mut zu. Beim nächsten Mal, so der verhalten hoffnungsvolle Ausklang, wird alles besser: "Und das nächste Mal werden wir gefunden." Noch die letzten Sätze sind von jener leisen Melancholie durchzogen, die Bart Moeyaerts Prosadebüt für Erwachsene zum bemerkenswerten, gänzlich unprätentiösen Stück Literatur machen.

MARKUS HUBER.

Bart Moeyaert: "Graz". Novelle.

Luftschachtverlag, Wien 2013. 111 S., geb., 16,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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