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Ein Familienroman von archaischer Wucht, ohne Schonung bis dahin, wo Zuwendung wieder möglich wird.
Dies ist tatsächlich ein Familienroman ganz anderer Art. Mit unerhörter Wucht stellt Peer Hultberg ihn mitten unter die zahllosen Beispiele unserer Tage, in denen sich das Drama Familie im Anekdotischen auflöst. Gleich auf den ersten Seiten, als Rudolf Loften seine Wohnung verläßt, sich umblickend, als fürchte er, entdeckt zu werden, ahnt man die ständige Bereitschaft zur Katastrophe. Dabei will er doch nur etwas kaufen. Etwas? Eine Flasche halt, vielleicht auch zwei, warum nicht? Darum…mehr

Produktbeschreibung
Ein Familienroman von archaischer Wucht, ohne Schonung bis dahin, wo Zuwendung wieder möglich wird.

Dies ist tatsächlich ein Familienroman ganz anderer Art. Mit unerhörter Wucht stellt Peer Hultberg ihn mitten unter die zahllosen Beispiele unserer Tage, in denen sich das Drama Familie im Anekdotischen auflöst. Gleich auf den ersten Seiten, als Rudolf Loften seine Wohnung verläßt, sich umblickend, als fürchte er, entdeckt zu werden, ahnt man die ständige Bereitschaft zur Katastrophe. Dabei will er doch nur etwas kaufen. Etwas? Eine Flasche halt, vielleicht auch zwei, warum nicht? Darum nicht, meint seine Schwester Brigit, die ihn zufällig trifft, nein, nicht trifft, die ihn ertappt, im Park, nachdem er die erste Flasche geöffnet und ein paar gute Schlucke genommen hat, er, ihr großer Bruder, der sich doch immer nur für seine griechischen Verben interessiert hat. Hat er? Und sie selbst, die allein lebende Klavierlehrerin, die da auf den Besuch ihres Ehemaligen wartet? Und Kit, dieDritte, die so gut Situierte, warum zieht sie sich so auffällig an, als sie am Abend unauffällig ihr Haus verläßt? Und was ist mit den Eltern, warum wartet ihr Vater im unteren Stockwerk, warum geht er nicht hinauf zu seiner kranken Frau?
Sie alle gehen ihre Wege, tun, das sie meinen, tun zu wollen, getrieben von etwas, was ihnen im Nacken sitzt, von einander weg und doch auf einander zu.
Es ist an der Zeit, Peer Hultberg als den großen europäischen Autor wahrzunehmen, der er seit langem ist.
Autorenporträt
Peer Hultberg, geboren 1935 in Kopenhagen, Dänemark, lebt und arbeitet in Hamburg. Er promovierte über Vaclav Berendt in London, wo er auch Dozent für polnische Literatur war. 1993 erhielt er den Nordischen Literaturpreis, 2001 den Hubert-Fichte-Literaturpreis.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.04.2008

Verfall einer Familie
Dänisch-bitter: Peer Hultbergs nachgelassener Roman

Manche Bücher haben eine Geschichte, die es mit derjenigen, die in ihnen erzählt wird, aufnehmen kann. Peer Hultberg, geboren 1935 bei Kopenhagen, starb im Dezember in Hamburg, wo er seit langem gelebt hatte. Kurz vor seinem Tod erschien noch dieser Roman von ihm. "Eines Nachts" ist eine (sehr getreue) Übersetzung aus dem Dänischen und doch die Erstausgabe: Das dänische "Original" erscheint erst Mitte April.

Nach seinem Slawistikstudium ließ sich Hultberg von 1973 bis 1978 am C.-G.-Jung-Institut bei Zürich zum Analytiker ausbilden, dann ging er, über Frankfurt, nach Hamburg. Er fühle sich nur selten als Däne, auch in kultureller Hinsicht, hat er einmal von sich gesagt. Das Dänische scheint ihn eher gehemmt zu haben, das verbindet ihn mit Witold Gombrowicz, den er übersetzt hat und der das Polentum auch eher als Hemmschuh verstand. Aber wie Gombrowicz schrieb Hultberg immer in seiner Muttersprache - eine "wissentliche Wahl", eine freie Entscheidung, die auch negative Auswirkungen einschließt.

Angeblich soll "Eines Nachts" schon 1976 entstanden sein, während eines Zürcher Aufenthalts. Damit wäre das Buch so etwas wie das fehlende Glied zwischen den frühen, bislang nicht ins Deutsche übersetzten experimentellen Romanen und den späteren Werken wie dem fabelhaften, monströsen "Requiem" und dem kaleidoskopischen "Die Stadt und die Welt". Sein dänischer Verleger sagt, Hultberg habe sich an das alte Manuskript erinnert, als er einen neuen Roman über den Verfall nicht der Menschheit allgemein oder einer ganzen Stadt, sondern einer Familie schreiben wollte. Vermutlich spielt der Roman auch in Zürich, es gibt dazu nur zwei nicht sehr eindeutige Stellen. Die Zeit der Handlung dagegen ist klar: Alles geschieht in der "Nacht zwischen dem 24. und 25. Juli 1975".

Der Verfall einer Familie: Dabei spielt der wirtschaftliche Verfall im Gegensatz zu Thomas Mann (von dem der Däne vielleicht gar nicht so weit entfernt ist) bei Hultberg nur eine Nebenrolle, bei ihm geht man an anderen Malaisen zugrunde, seelischen und erotischen zumal. Diesen Verfall schildert er schonungslos; je auswegloser die Beziehungen sind, desto insistierender, quälender und länger werden seine Sätze.

Ein Mann "muss hinaus", ins feindliche Leben, ein begeisterter Altsprachler, er heißt Rudolf Loften und schämt sich, weil er trinkt, beim Gehen hält er sich angestrengt gerade, wo er doch lieber torkeln würde. Auch als praktizierender Analytiker hat Hultberg über versteckte Scham geschrieben, ein anderes Wort für selbstverletzendes Verhalten. Rudolfs Selbstverletzungen sind indirekt, er fügt sie sich durch den Alkohol zu, auf der Parkbank trinkt er gleich aus der Flasche, die er sich zuvor unter größter Vorsicht gekauft hat. Penibel beschreibt Hultberg die sich steigernden Angstzustände des Käufers wie die Verkorkstheiten seiner Figuren, ohne sie aber wirklich zu "ergründen". Vage Andeutungen erlaubt er sich in einer sonderbaren, mythologischen Szene, in der Rudolf aus Ton das Grab "des alten Königs" baut, der ja wohl der Vater ist und der ihn, "seinen einzigen Sohn", opfern wollte. Rudolf will das Grab zerstören, brennt in seinem Herd eine "Bombe" aus Ton und holt die glühendheiße Kugel mit der nackten Hand heraus. Das ist nun eine direkte Selbstverletzung.

Peer Hultberg ist auch der Verfasser eines Essays mit dem Titel "Erfolg, Rückzug, Panik", und sein Roman "Eines Nachts" wirkt, als wolle er diesen Dreischritt an verschiedenen Beispielen durchdeklinieren. Da ist zunächst Rudolfs Schwester Brigit Loften, einst eine hoffnungsvolle Pianistin; sie ist mit ihrem Lehrer Curt liiert, aber nicht verheiratet, was sie als Lebensniederlage empfindet. Als er sie mit Alina betrügt, lädt sie ihn in einem Anfall von Rachegelüst und Kopflosigkeit mit seiner Neuen ein, dann gesellt sich auch noch ihr unbegabter Schüler dazu, der ebenfalls Curt heißt. Es kommt zu einer absurden Soiree, die nach einer homosexuellen Phantasie, in der Brigit sich die beiden Curts in ihrem Schlafzimmer vorstellt, in ein nicht minder seltsames melancholisches Finale mündet: Alina entpuppt sich als überzeugende Liedinterpretin, erst singt sie Goethes "Wer nie sein Brot mit Tränen aß", von Schubert vertont, und dann seine "Meeresstille" von Beethoven.

Die andere Schwester Kit, wunschlos glücklich mit Familie und Eigenheim, will in dieser Nacht aus innerem Zwang, den sie nicht versteht, den sie sogar verabscheut, eigenes Geld verdienen, als Hure. Zur selben Zeit nimmt sich die krebskranke Mutter der drei verfeindeten Geschwister das Leben, der Vater weiß Bescheid, denn "heute Abend sollst du mir nicht gute Nacht sagen", hat die Mutter zu ihm gesagt.

Am Schluss, bei Sonnenaufgang, gibt's einen Hoffnungstrost: ein Goethe-Wort. Zwei ridiküle Figuren treffen in der Stadt aufeinander: die nuttig aufgetakelte Kit mit verwischtem Lippenrosa und blauem Minirock und der heruntergekommene Rudolf mit der Widerwärtigkeit des Trinkers. Sie begrüßen sich wie Elektra und Orest am Grabe des Vaters Agamemnon und "stehen lange fest umarmt". Die Anspielung auf Aischylos' "Orestie" deutet an, was in der Familie eigentlich vorgefallen ist. Die Versöhnung selbst ist nicht so überraschend, wenn man bedenkt, dass auf Goethes Lied der entsetzlichen Meeresstille, das Alina gesungen hat, meistens seine "Glückliche Fahrt" folgt mit dem Schlusswort: "Es naht sich die Ferne, schon seh' ich das Land!"

PETER URBAN-HALLE

Peer Hultberg: "Eines Nachts". Roman. Aus dem Dänischen übersetzt von Angelika Gundlach. Jung und Jung Verlag, Salzburg und Wien 2007. 232 S., geb., 24,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 11.09.2008

Klavierlehrerin oder Wahnsinnige?
Peer Hultbergs schauriger Familienroman „Eines Nachts”
Der Autor Peer Hultberg, der mit dem Hubert-Fichte-Literaturpreis und dem Nordischen Literaturpreis ausgezeichnet wurde, schrieb auf Dänisch, und doch ist die deutsche Übersetzung seines Romans „Eines Nachts” ein halbes Jahr vor der dänischen Ausgabe erschienen. Das mag dazu passen, dass Hultberg zwar 1935 in Kopenhagen geboren wurde, aber die längste Zeit im Ausland, etwa in London als Dozent für polnische Literatur und in Hamburg gelebt hat, wo er im Dezember letzten Jahres gestorben ist. Es passt leider auch dazu, dass Hultberg ein unterschätzter Autor geblieben ist. Sein letztes Buch ist ein beeindruckender und ungewöhnlicher Familienroman, dem es gelingt, das Geflecht der Beziehungen aus einer radikalen Isolierung der Figuren heraus sichtbar zu machen.
Aus wechselnder Perspektive erzählt Peer Hultberg die Geschichte einer Nacht im Leben dreier Geschwister und ihres Vaters. Rudolf Loften, der Sohn, ist paranoid, Alkoholiker, und pflegt ein Hobby namens Puliwiggles mit selbsterschaffenen Tonklötzchenwelten, die er zornig verwüstet. In der Nacht verbrennt er sich dabei – womöglich unterschwellig gewollt – derart die Hand, dass er reif für die Notaufnahme ist. Brigit, die Pianistin werden wollte und als Musiklehrerin arbeitet, erlebt mit ihrem Ex-Freund Curt und seiner neuen Geliebten einen eskalierenden Abend. Kit, die dritte, lebt ein äußerlich erfülltes Leben, doch als die Nacht anbricht, klebt sie sich künstliche Augenwimpern an die Lider, zieht sich einen knappen Rock und hohe Schuhe mit Korksohlen an und macht sich auf ins Rotlichtviertel. Was ist in dieser Familie passiert?
Die Antwort muss schon deshalb warten, weil alle Pathologien nichts sind gegen das, was Paul Loften, der Vater, in dieser Nacht durchstehen muss. Oben im Haus liegt seine Frau, die ihn fortgeschickt hat. Die krebskranke Ärztin hat sich entschlossen zu sterben und ihrem Mann den Entschluss gerade mitgeteilt. Jetzt steht er da wie ein Beobachter eines Experiments, das in perverser Weise Schrödingers Gedankenversuch nachempfunden scheint, und weiß nicht, ob seine Frau schon tot ist.
Dass Peer Hultbergs in alle Extreme gehender Familienroman effektvoll, aber nicht effekthascherisch oder grotesk ist, liegt an der Einfühlsamkeit und Beweglichkeit, mit denen er die Gedanken Brigits, Kits, Rudolfs und Pauls schildert. Hultbergs Satzmelodie passt sich virtuos ihren Empfindungen an, ihr von Angelika Gundlach geschmeidig übersetzter Strom fließt schnell, verwirbelt sich in den plötzlichen Wechseln zwischen Präsens und Imperfekt der Passagen, in denen Rudolf am Rand der Psychose durch die Stadt taumelt.
Das böse Nachspiel
Geschickt lockt Hultberg den Leser auf den Weg falscher Vermutungen über den weiteren Verlauf, etwa wenn er andeutet, dass Vater Paul zur Stunde, in der seine Frau stirbt, auf wilde Vergnügungen Lust hat, und im vorigen Abschnitt noch seine verkleidete Tochter Kit auf der Suche nach Freiern durch die Stadt gelaufen ist. Mit großem Vielleicht fängt „Eines Nachts” schon an, wenn Rudolf eine Flasche Alkohol kaufen geht und Brigit einen Klavierschüler unterrichtet. Warum nimmt sich Rudolf in Acht davor, von den Nachbarn gesehen zu werden? Warum fährt Brigit den Schüler an, warum macht sie ihn auf eine Weise fertig, die nur auf Zerstörung aus ist? Ist das noch eine Klavierlehrerin oder schon eine Wahnsinnige?
So begnügt sich Hultberg mit Andeutungen, wenn er doch einmal Licht auf die Familiengeschichte fallen lässt. Für den Leser bleibt sie unverfügbar wie für die getriebenen Charaktere selbst. „Eines Nachts” ist ein Familienroman in der Phase des bösen Nachspiels, wenn Verletzungen und Verkrüppelungen schon geschehen sind und ihrerseits katastrophale Wirkungen entfalten. Die Betroffenen sind im mittleren Alter und haben nur noch sporadisch Kontakt. Die Handlungsstränge sind aufeinander abgestimmt, Paul telefoniert mit Brigit, und Brigit trifft Rudolf, doch gilt Hultbergs Augenmerk dem Einzelnen, nicht der Familiendynamik, und auch nicht – obwohl das Gewühl von Kaufhäusern und die Drastik des Strichs eindringlich geschildert sind – der Welt da draußen. Das Eingesperrtsein in den Köpfen der Figuren erzeugt eine vierfache, zwanghafte Innerlichkeit, jede von ihnen vielschichtig und komplex in ihrer impliziten Verzahntheit mit den anderen.
Gewiss ist „Eines Nachts” ein finsteres Buch, aber es gibt auch schaurig-humorvolle Passagen, etwa wenn Hultberg den Leser plötzlich in die Haut eines Amerikaners auf Europareise namens Mervyn C. Collins schlüpfen lässt, der sich interessiert neben Kit auf eine Bank setzt. Und so leise der Humor zwischen den Zeilen dieser Geschichte von Wahnsinn, Sterben und Leiden spricht, so befreiend wirken die Katastrophen, die Hultbergs Nacht in rhythmischer Folge beschließen, ohne alles in Sonnenschein aufzulösen. Rudolf hat sich in der Notaufnahme in die Ärztin verliebt – in Hultbergs avantgardistischem Roman wirken solche Lösungen gar nicht altbacken –, der Tod der Frau erlaubt es Paul Loften, nach einer Zeit der Aufopferung weiterzuleben, und Kit hat es hinter sich gebracht, vielleicht.KAI WIEGANDT
PEER HULTBERG: Eines Nachts. Roman. Aus dem Dänischen von Angelika Gundlach. Jung und Jung Verlag, Salzburg und Wien 2007. 232 Seiten, 24 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Als "erstaunliches, großes, bewegendes" Buch feiert Ulrich Greiner diesen Roman des Dänen Peer Hultberg, der als Autor und Psychoanalytiker zwei Qualitäten aufweisen kann: Der Mann kann schreiben und er kennt die Menschen. Wie Hultberg von dieser Familie erzählt, die eigentlich nur noch verbindet, dass sie alle gleich unglücklich und zerrissen hinter ihrer Fassade des gut situierten Lebens sind. Was Greiner zunächst noch als trüb erschien, entfaltete bald eine Traurigkeit, die ihn wie ein Sog in das Buch hineinzog, wie er fasziniert bekennt. Dabei hat Greiner am meisten berührt, dass das Unglück dieser Menschen nie tragisch überhöht werde, sondern immer "eher erbärmlich und banal" bleibe - also "dem eigenen Elend" nicht unähnlich. Die Übersetzung von Angelika Gundlach muss der Rezensent auch als "glänzend" loben.

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