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Ein Unbekannter folgt dem Erzähler auf die Toilette der National Portrait Gallery. Er holt eine Wegwerfkamera aus der Tasche, lehnt sich gegen die Tür, damit niemand herein kann, und macht ein Foto von ihm. So der Beginn einer waghalsigen Dreiecksbeziehung in Die Möglichkeiten der Liebe, der letzten dieser drei Erzählungen. Eine internationale Reisegruppe auf Kreuzfahrt in Ägypten wird jäh aus der sich allmählich einstellenden Urlaubsmonotonie gerissen (Auf einem dunklen See). Eine geschäftlich erfolglose Buchhändlerin steht vor einer unvermuteten Abzweigung, als sie im Waschsalon den…mehr

Produktbeschreibung
Ein Unbekannter folgt dem Erzähler auf die Toilette der National Portrait Gallery. Er holt eine Wegwerfkamera aus der Tasche, lehnt sich gegen die Tür, damit niemand herein kann, und macht ein Foto von ihm. So der Beginn einer waghalsigen Dreiecksbeziehung in Die Möglichkeiten der Liebe, der letzten dieser drei Erzählungen. Eine internationale Reisegruppe auf Kreuzfahrt in Ägypten wird jäh aus der sich allmählich einstellenden Urlaubsmonotonie gerissen (Auf einem dunklen See). Eine geschäftlich erfolglose Buchhändlerin steht vor einer unvermuteten Abzweigung, als sie im Waschsalon den sportlichen Zahnarzt Lawrence kennenlernt (Die Luft in deinen Knochen).Hinrich von Haaren beobachtet das Überleben von Beziehungen - ein Dreiecks-verhältnis, eine Ehe, eine Liebschaft - und entwickelt dabei einen erzähleri-schen Sog, dem man sich nur schwer entziehen kann. Er fragt nach dem Einfluss der Überlebten auf das Weiterleben und offenbart, wie die Brisanz einer Begegnung sich erst erschließt, wenn sie dem Leben eine unerwartete Wendung gibt oder in ein persönliches Desaster zu steuern droht. Die Möglichkei-ten der Liebe fordern jedoch, nichts und niemandem nachzutrauern, sondern so schnell wie möglich und mit der allergrößten Überzeugung weiterzuleben.
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Autorenporträt
HINRICH VON HAAREN, 1964 in Bremerhaven, lebt in London. Er studierte Sinologie und Germanistik in Berlin. Seine Hörspiele wurden bei Radio Bremen und im Ostdeutschen Rundfunk gesendet, dessen Hörspielpreis er auch erhielt.Die Überlebten ist sein Prosadebüt.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 31.05.2011

Pauschalurlaub, Sonnenbrand inklusive
Mit London-Einschlag: Hinrich von Haarens Erzählungen

Was bewegt die Bewohner des alten Europa auf der Skala zwischen Prekariat und Saturiertheit? Wofür leben sie, wie verfolgen sie ihr kleines individuelles Glück in den Zeiten des moralischen "Alles ist möglich"? Wenn das die Leitfrage war, die den in London lebenden Mittvierziger Hinrich von Haaren zum Schreiben bewogen hat, dann enthält schon der Titel seines Debüts die resignierte Antwort. Der Band "Die Überlebten" versammelt drei längere Erzählungen, in denen Durchschnittstypen - eine Gruppe Pauschalurlauber, eine einsame Buchhändlerin, ein kleiner Angestellter in London - durch ein Unglück mit dem Ende der Liebe konfrontiert sind. Nachdem es im ersten Fall tatsächlich ums Überleben, in den anderen beiden lediglich ums Leben danach geht, zieht der letzte Satz die Folgerung, dass "die Möglichkeiten der Liebe . . . fordern, nichts und niemandem nachzutrauern, sondern so schnell wie möglich und mit der allergrößten Überzeugung weiterzuleben."

Doch genau diese Überzeugtheit verweigern die drei Geschichten, von denen nur die erste ihrem Erzählanlass gerecht wird. Ein paar Urlauber sind für eine dieser schrecklichen Billigkreuzfahrten zusammengewürfelt worden, darunter ein englisches Paar und ein deutsches, dessen weiblicher Teil die Erzählerin abgibt. Lyrische Betrachtungen wie diese nimmt man ihr allerdings nicht ab: "Schwarz und glänzend, wie ein geschliffener Stein, liegt der See in der Wüste . . . See und Wüste leben nebeneinander her, harren Seite an Seite aus." Gemeint ist der Nasser-See in Ägypten, auf dem das Schiff mit der abgewohnten Siebziger-Jahre-Einrichtung von Tempel zu Tempel fährt, klebrige Cocktails, Aerobic und Kabinenservice inklusive, dazu endloser Smalltalk. Die ermüdenden Details werden mit ebenso ermüdendem Detailreichtum ausgebreitet, so dass die Pauschalmisere penetrant wie ein Sonnenbrand unter die Haut geht. Denn an einem Sonnenbrand stirbt Janet. Ihr Mann Corin hört derweil im Pool Unterwassermusik.

Das Grausame an dieser Zäsur: Es ist keine. Die Skurrilitäten des touristischen Normalvollzugs werden eine Umdrehung skurriler, das ist alles. Bis auf Szenen wie diese: "In der Kabine steht Christoph im Badezimmer und putzt sich die Zähne . . . und plötzlich sehe ich an seinen zuckenden Bewegungen, dass er weint. Zahnpasta klebt auf seinen Lippen, die Augen sind rot und geschwollen. Nebeneinander stehend betrachten wir uns im Spiegel über dem Waschbecken. Wir sehen kalt aus und feindselig und stur. Ohne ein weiteres Wort gehen wir zu Bett." Am Ende wird Christoph Corin in den Hubschrauber helfen, der den Alu-Sarg wegbringt, und erleichtert mit den anderen anstoßen: "Auf Ägypten." Warum das eine Lüge ist, weiß die unbedarfte Erzählerin leider auch: "Es liegt an uns. An unserer Angst und Feindseligkeit, an jener kalten Neugier, die uns nur spähen, auf der Lauer liegen lässt. Wie Wüste und See hier eng zusammen und gleichzeitig scharf getrennt nebeneinander her existieren, so haben wir nie gewagt, dieses Land wirklich zu betreten." Lieber hätte man diese Schlussfolgerung selbst gezogen.

Dennoch beeindruckt die Stringenz, mit der "Auf einem dunklen See" die unerbittlich entfalteten Vorgaben bis zum ernüchternden Ende vorantreibt - umso mehr, als die beiden anderen, in London spielenden Erzählungen solche Konsequenz bitter vermissen lassen. Obwohl konventioneller erzählt, leiden sie - bei unambitionierter Sprache - an überambitioniertem Aufwand. Ein Waschsalon mit angeschlossenem Schwimmbad ist ebenso schwer vorstellbar wie die altjüngferliche Buchhändlerin, die an diesem seltsamen Multifunktionsort einen Mann abschleppt. Astrid lebt allein mit ihrem Hund, Lawrence ist Zahnarzt und weiß seinen "großen, runden, schneeweißen" Körper mit amphibischer Routine im Wasser zu bewegen. Von Stund an teilt der schwimmende Doktor das Leben der Deutschstämmigen, das umständlich, teilweise in Rückblenden, ausgebreitet und von der zickigen Mutter bis zur Abwicklung des Antiquariats komplettiert wird.

Erst im szenischen Nahbereich oder in der Kunst des Dialogs entwickelt von Haaren, immerhin ein preisgekrönter Hörspielautor, seine Stärken. Wenn sie in der "beschützten Melancholie" ihres Schlafzimmers zu Joni Mitchells Songs vor Rührung über sich selbst weint, dann wird Astrid lebendig, ebenso wie bei der ersten Verabredung im Victoria and Albert Museum: ",Gipsabdrucke?' fragte sie. ,Ich gehe jeden Sonntag', sagte er. ,Wir könnten Indien machen, wenn dir das lieber ist.' ,Nein, Gips ist mir recht', sagte Astrid." Dann stirbt - auch hier ein Opfer - der Hund durch Lawrences Schuld. Der Bruch indes erfolgt aus einem anderen Grund: Der Geliebte will Astrid zum Schwimmen mitnehmen, weil sie - so der Titel der Erzählung - "Luft in den Knochen" habe, und ist beleidigt, als sie allein ins Schwimmbad geht. Am Ende ist klar, dass sie der Bitte, mit ihm zusammenzuleben, nicht folgen wird - unklar aber, was all die bemühten Volten zu bedeuten haben. Ebenso verhält es sich mit der dritten Geschichte, "Die Möglichkeiten der Liebe".

Der Ich-Erzähler wird in eine Liebe zu dritt hineingezogen, die zu festgelegter Wochenzeit in einer angemieteten Wohnung vollzogen wird und sein Leben allmählich zerrüttet. Doch die destruktive Faszination an dieser fälschlich "Dreiecksgeschichte" genannten Liebesmöglichkeit bleibt bloße Behauptung. "So vergingen die Wochen und wir waren glücklich und am Ziel, doch wie so oft war auch mein Glück mit einer unstillbaren Gier verbunden und bald wollte ich das Schöne noch schöner haben": Solch dürre Allgemeinplätze ersetzen die sprachliche Beschwörung der Atmosphäre. Den Mangel an Intensität soll abermals ein unglaubwürdiger Plot wettmachen, der zwanghaft das Opfermotiv anschlägt: Ein Straßenjunge wird mit grotesk umständlichen Mitteln aus der Liebeswohnung vertrieben. Warum müssen zerfaserte, handlungslastige Storys die sprechenden Details überformen? Die Möglichkeiten, Wendungen und Gefährdungen im (Liebes-)Leben paarungsbereiter Individuen sind in unseren Breitengraden inflationär. Wer ihre Eigenheiten auf dem Gebiet der Sprache aufdecken will, braucht keine aufwendige Rekonstruktion, sondern die Holmes'sche Lupe.

DOROTHEA DIECKMANN

Hinrich von Haaren: "Die Überlebten". Drei Erzählungen.

Luftschacht Verlag, Wien 2010. 160 S., geb., 18,50 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Gut, das Buch ist ein Reinfall. Aber muss es deshalb auch eine langweilige Rezension sein? Dorothea Dieckmann hätte uns die ganze Durchschnittlichkeit der Figuren, den ermüdenden bis penetranten Detailreichtum, die schalen Allgemeinplätze (statt Atmosphäre), die Überambitioniertheit des Aufwands und die Unglaubwürdigkeit des Plots (bei konventioneller Erzählweise) in den drei Erzählungen von Hinrich von Haaren gut auch kürzer und vor allem etwas witziger vermitteln können. So verdoppelt sie die Enttäuschung doch.

© Perlentaucher Medien GmbH