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Am Anfang ist es der Blick durch ein Opernglas, und er richtet sich auf die Bühne des Neuen Deutschen Theaters in Prag. Arno ist es, der da hindurchschaut, und er sieht, wovon andere geträumt haben. Auch er träumt, aber es sind keine guten Träume, dafür ist die Wirklichkeit um ihn herum zu brenzlig, zu gefährlich: Wir sind in der Mitte der dreißiger Jahre, und Arno ist Jude, ein Jude in Prag und Patient der Psychoanalyse. Viel hilft sie ihm nicht, und so ist er rasch bereit, seiner Analytikerin zu folgen, als sie ihn mitnimmt in die Villa der Eugenie Schwarzwald am Grundlsee im Salzkammergut.…mehr

Produktbeschreibung
Am Anfang ist es der Blick durch ein Opernglas, und er richtet sich auf die Bühne des Neuen Deutschen Theaters in Prag. Arno ist es, der da hindurchschaut, und er sieht, wovon andere geträumt haben. Auch er träumt, aber es sind keine guten Träume, dafür ist die Wirklichkeit um ihn herum zu brenzlig, zu gefährlich: Wir sind in der Mitte der dreißiger Jahre, und Arno ist Jude, ein Jude in Prag und Patient der Psychoanalyse. Viel hilft sie ihm nicht, und so ist er rasch bereit, seiner Analytikerin zu folgen, als sie ihn mitnimmt in die Villa der Eugenie Schwarzwald am Grundlsee im Salzkammergut. Dort haben sich Künstler und Intellektuelle aus ganz Europa versammelt, um sich noch einmal vor der Geschichte zu verstecken, deren Schlinge sie schon spüren. Egon Friedell ist da und Julian Huxley mit seiner Frau und May Sarton, eine amerikanische Schriftstellerin, in die Arno sich sofort verliebt, unglücklich-glücklich, wie die Geschichte zeigen wird. Und kurz bevor der Vorhang fällt, erfährt der hilflose Arno, was Liebe kann, und das noch weitaus hilflosere Europa, was es sich eingebrockt hat.
Benjamin Anastas hat einen vielstimmigen Roman geschrieben - als käme ein junger Joseph Roth aus Amerika - und lenkt so noch einmal unseren Blick auf eine Zeit, die bis heute nicht vergangen ist.
Autorenporträt
Benjamin Anastas, geb. 1969 in Gloucester, Massachusetts, lebt heute in der Toskana.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.08.2005

Es liegt was in der Luft, das stinkt
Alle spielen mit, einer schert aus: Benjamin Anastas' Roman über einen Irren in verrückter Zeit

Wo kommen bloß die Vorurteile gegen den historischen Roman her? Er ist das naseweise Kind von überschaubarer Lokalgeschichte und einem überkommenen Erzählrealismus. In jeder Zeile weiß er Bescheid über das unerbittliche Walten des Schicksals, das sich Helden züchtet, Opfer sucht und Täter kürt. Der historische Roman ist die profane Variante des Heldenepos, reich an Handlung und dauerempört über die Intrigenbestimmtheit menschlichen Trachtens. Die große Geschichte tobt über Landstriche und ihre Bewohner hinweg, aber im Roman wird sie auf die Handlungs- und Leidensfähigkeit ausgewählter Figuren kleingerechnet. Der gemeine historische Roman ist eine Unterabteilung der Spannungsliteratur, es kommt ihm auf den Unterhaltungsfaktor an, der hehre und pathetische Duktus der Aufklärung ist ihm fremd. Er will etwas beweisen, daß Menschen in früheren Zeiten furchtbare Schicksale erdulden mußten etwa oder daß es einmal starke und mutige Persönlichkeiten gab, die den Mächtigen den Kampf ansagten. Bücher dieser Art werden verschämt weggeräumt in die Verliese der Literaturgeschichte, wo sie mit dem Krimi und dem Abenteuerroman eine locker-verruchte Existenz führen.

Und jetzt kommt Benjamin Anastas, ein 1969 in Massachusetts geborener, in Brooklyn lebender Schriftsteller, und unternimmt etwas, wozu kein österreichischer Autor heute Energien aufwenden würde: Er schreibt einen historischen Roman aus den Jahren 1931 bis 1938, siedelt ihn in Prag und dem steirischen Grundlsee an und rückt eine Gestalt in den Mittelpunkt, die so unscheinbar ist, daß ihr alle anderen, die um sie gruppiert sind, den Rang ablaufen. Ein uninteressanter, beschädigter, passiver Charakter wird zum Helden, der eigentlich ein Fall für die Lächerlichkeit ist. In das Konzept des klassischen historischen Romans paßt dieses Buch nicht. Zum verwegen Eigenwilligen von Anastas gehört es, daß er nicht einfach Liebeskalamitäten in Zeiten der Hysterie abhandelt. Es geht nicht um den einzelnen Verrückten, wenn die ganze Gesellschaft drauf und dran ist, der Verrücktheit anheimzufallen.

Die Jahre, in denen der Roman spielt, sind nicht für die Liebe bestimmt. Sigmund Freud thront als Analytiker über der Epoche, in der lauter Menschen mit unaufgeräumtem Seelenleben auffällig werden. Arno Singer hat nichts zu melden, er ist einer, der immer übersehen wird. Ungeliebt und unbeachtet hat er sich in Prag eingerichtet, wo er unter beengten Verhältnissen mit seiner Mutter und Schwester zusammenlebt. Er verschmäht die Freundin der Schwester, findet kurzfristig Gefallen an einer jungen Frau, mit der ins Gespräch zu kommen ihm unendliche Schwierigkeiten bereitet. In den Ferien verreist er nach Grundlsee, wo tatsächlich Aufregung in sein karges Dasein kommt. Eine Amerikanerin tritt in sein Leben, die erste Frau, an der er Feuer fängt und deren spärliche Vertrauensbeweise er bei Strafe des Selbstbetrugs für Liebe zu nehmen bereit ist.

Im Vordergrund steht das Abenteuer eines verschlossenen Lebens, dahinter ereignet sich Weltgeschichte. Die Jahre, die Europa von Grund auf verändern, sind angebrochen, kommen aber nur spärlich ins Blickfeld. Anastas bleibt nahe am Erleben und Empfinden seines Helden. Arno weiß wenig von der Welt, und der Erzähler schmückt diesen engen Erfahrungsraum nicht aus. So hat Anastas einen historischen Roman geschrieben, in dem Geschichte mit somnambulem Gleichmut aufgenommen wird. Der Horizont verdüstert sich, in Deutschland haben die Nationalsozialisten die Herrschaft ergriffen, Österreich befindet sich in höchster Gefahr, aber dieser antriebslose kleine Mann hegt und pflegt seinen Mutterkomplex und läßt die Ereignisse kaum je an sich herankommen.

Geschichte ist bei Anastas nichts, was der Vernunft zugänglich wäre, Geschichte ergießt sich als Sturzbach über die Menschen. Fassungslosigkeit ist die Arno gemäße Art, auf die Veränderungen zu reagieren. Mit einem Mal ist Prag zu einer Stadt geworden, in der zahlreiche Deutsche, Flüchtlinge vor den Nazis offenbar, zum verstörenden Straßenbild gehören. Die Weltwirtschaftskrise hat Arnos "Generation die erste Gelegenheit genommen, ihren Weg in die Welt zu machen". Studenten schließen sich verschwörerhaft zu Gruppierungen zusammen. Ein Stimmungsgemenge aus Aufgeregtheit, Sorge und Fatalismus deutet die Erwartung auf Veränderungen an. Es liegt etwas in der Luft, Politik wird zu einer Sache der Atmosphäre, Argumente für eine Umwertung der gesellschaftlichen Wirklichkeit liefert der Roman nicht. Alles, was geschieht, ist auf die enge Lebenswelt Arnos abgestimmt. Nachrichten verändern sein Bewußtsein nicht, aber Begegnungen, in denen eine neue Feindseligkeit aufblitzt.

Ein Grundkonflikt zeichnet den Roman aus: Ein einzelner entwickelt Aversionen gegen eine Gesellschaft, die sich zunehmend radikalisiert. Das besondere Kunststück, das Anastas gelingt, ist das Erzählen von Geschichte als Psychopathologie eines verstörten Charakters. Arno legt sich schon in jungen Jahren auf den Boden der Familienloge, um dem Ansturm der Oper gewappnet zu sein. Er steht unter Waschzwang, verträgt keine Menschen in seiner Nähe. In einer Zeit, die dem Kollektiv den Vorzug gibt, schottet er sich ab. Mit einer Urangst ausgestattet, zieht er es vor, sich unsichtbar zu machen und sich in der Freizeit der Schmetterlingskunde zu widmen.

Zeitgeschichte kommt im Gewand eines Entwicklungsromans daher. Doch nie taugt Arno als Vorbild. Er darf als geheilt gelten im medizinischen Sinn, weil er sich nach einer Therapie halbwegs in die Gesellschaft zu integrieren vermag, aber den Status des Sonderlings wird er nicht los. Wenn es ihm gelingt, rechtzeitig nach Amerika zu fliehen, ist das nicht seiner Aufgewecktheit zu verdanken, sondern fremder Unterstützung. "Das Fortgehen lag ja, wie der Fliederduft, schon in der Luft, doch nach dem Anschluß im März hatte sich die Lage verschärft: Jetzt stank die Luft davon."

Mit diesem Buch liegt der Sonderfall eines enthistorisierten historischen Romans vor. Arno ist jener Durchschnittstyp, "der sich weder um Politik noch um studentischen Klatsch kümmerte" und zur Analyse der Verhältnisse weder willens noch fähig ist. Nie kommt es ihm in den Sinn, seine jüdische Identität zu reflektieren. Er ist der tumbe Tor, auf den Wirklichkeit einstürzt, der er nichts entgegenzusetzen hat. Die Welt brennt, und Arno bekommt es nur am Rande mit. Minimale Ausschnitte des Weltgeschehens, und nicht einmal die wichtigen, gewährt Anastas seinen Lesern. 1933 wird auf den österreichischen Kanzler Engelbert Dollfuß ein Attentat verübt, das er mit Glück überlebt. Vom tödlichen Attentat im Juli 1934 ist bei Anastas nichts zu lesen. Das entspricht der Wahrnehmung Arnos. Der Tod ist politische Realität geworden, doch Arno, der "wußte, daß es Böses auf der Welt gab, egoistische Menschen, überall", reduziert ihn auf eine existentielle, allgemeingültige Größe: "Er würde sterben!"

Eine kollektive Stimmung grassierender Unvernunft macht sich breit. Von "Gottes Fügung", keineswegs eine politische Kategorie, redet der Kanzler. Der Mesmerismus erhält beträchtlichen Zulauf, ein Emigrant, der Deutschstunden erteilt, sieht sich der "christlichen Wissenschaft" verpflichtet. Die Angst geht um, auch in der Ferienidylle in Grundlsee. Die Gäste bannen ihre Sorge in einer Art Ritual, einem "Diktatorenball". So werden Hitler, Mussolini, Franco als Popanze zumindest für den Augenblick dingfest gemacht und des Machtanspruchs entledigt. Alle spielen mit, einer schert aus: Arno. Das abweichende Verhalten ist das eigentlich plausible Auftreten einer Persönlichkeit, die mit Politik nichts am Hut hat.

Benjamin Anastas' Buch ist ein Roman der großen Gefühle, denen alles Gute und alles Schlimme zuzutrauen ist. Am Ende befindet sich Arno auf einem Schiff, das ihn nach Amerika bringen soll. Er glaubt an die Liebe und fühlt sich dadurch gerettet. Das sieht wie ein wunderbar hoffnungsfroher Schluß aus. Aber vielleicht lügt sich da wieder einmal einer nur in die Tasche, Freud hätte gewiß ein Einsehen damit.

Benjamin Anastas, von dem es mittlerweile drei Romane zu lesen gibt, verträgt die Nähe seiner Kollegen Jeffrey Eugenides und Jonathan Franzen. Die deutsche Fassung seines Romans "Am Fuß des Gebirgs" ist noch vor der amerikanischen erschienen. Sie sollte ihre Leser finden.

Benjamin Anastas: "Am Fuß des Gebirgs". Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Silvia Morawetz. Verlag Jung und Jung, Salzburg 2005. 471 S., geb., 24,90 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Alles sei wunderbar lebendig bei Benjamin Anastas, Prag und das Salzkammergut kurz vor dem "Anschluss" Österreichs, detailreich die Orte mit ihrer Geschichte, ist die gute Nachricht von Rezensentin Stefana Sabin. Die Menschen und ihre "literarische Wirklichkeit" sind es nicht. Ein neurotischer Prager Jude mit seiner nach Prag geflüchteten Analytikerin und eine amerikanische Dichterin bildeten das Personal für eine Privatgeschichte im "Sommerheim Seeblick" mit welthistorischem Hintergrund. "Dabei werden alle Klischees aufgewärmt", notiert Sabin unumwunden, um sie sogleich genüsslich aufzuzählen. Dementsprechend "schablonenhaft" seien die Figuren geraten, attestiert die Rezensentin, die Sprache "ungenau", die Handlung "dünn" und die Ironie bewege sich auf der Grenze zum "Trivialen". Anastas koloritreichem historischem Panorama aus Osteuropa fehle die entscheidende Perspektive auf die "intellektuelle Befindlichkeit" der Vorkriegszeit, ist die schlechte Nachricht der Rezensentin.

© Perlentaucher Medien GmbH
"Benjamin Anastas ist ein erstaunliches Erzähltalent. Er kann sicherlich den zur Zeit gefeierten Größen wie Jeffrey Eugenides und Jonathan Safran Foer das Wasser reichen."
(Ulrich Greiner, Die Zeit)