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Eine Geschichte zwischen Vater und Sohn, Politik und Privatleben, Zuneigung und Distanz Alle glauben, Willy Brandt zu kennen. Er war die Identifikationsfigur einer ganzen Generation. Jeder hat sein eigenes Bild vom Bundeskanzler, SPD-Vorsitzenden. Lars Brandt aber erzählt, was er in seinem Vater sieht: "Hätte man diesen Menschen von seinen Widersprüchen befreien wollen, wäre wenig von ihm übrig geblieben." Unverwechselbar, persönlich und von großer Zuneigung getragen ist dieses Buch, das sich von allem unterscheidet, was über Willy Brandt geschrieben wurde. Hier geht es nicht um Politik oder…mehr

Produktbeschreibung
Eine Geschichte zwischen Vater und Sohn, Politik und Privatleben, Zuneigung und Distanz
Alle glauben, Willy Brandt zu kennen. Er war die Identifikationsfigur einer ganzen Generation. Jeder hat sein eigenes Bild vom Bundeskanzler, SPD-Vorsitzenden. Lars Brandt aber erzählt, was er in seinem Vater sieht: "Hätte man diesen Menschen von seinen Widersprüchen befreien wollen, wäre wenig von ihm übrig geblieben." Unverwechselbar, persönlich und von großer Zuneigung getragen ist dieses Buch, das sich von allem unterscheidet, was über Willy Brandt geschrieben wurde. Hier geht es nicht um Politik oder Biographie, sondern um das Verhältnis zwischen Vater und Sohn. Ausgehend von einzelnen Momenten, von den Kindheitserinnerungen an das Berlin des Bürgermeisters Brandt bis hin zum Besuch am Krankenbett, beschreibt der Autor ein Terrain, das nur er allein kennt. Man folgt Lars Brandt, und zuweilen vergisst man, wie berühmt dieser Vater gewesen ist, den man hier in seinen privatesten Augenblicken sieht. In seinem persönlichen Andenken, mit genauer, knapper und einfühlsamer Sprache erzählt, zeigt Lars Brandt den widersprüchlichen Menschen, der eine so ungeheure Überzeugungskraft besaß.
"Lars Brandts Buch ist gleicher maßen eine Erinnerung an den Vater und ein Nachdenken über sich und über das, was Vater und Sohn verbindet und trennt. Er bringt uns den zwar bekannten, aber doch fremden Menschen Willy Brandt erstaunlich anrührend nahe." Uwe Timm
Autorenporträt
Sebastian Koch, geb. 1962 in Karlsruhe, ist einer der herausragendsten Charakterdarsteller Deutschlands. Er spielte u.a. in den preisgekrönten Filmen 'Der Mann mit der Maske' und 'Der Tunnel' und wurde in 'Der Tanz mit dem Teufel', 'Die Entführung des Richard Oetker'und 'Die Manns' mit dem Adolf-Grimme-Preis ausgezeichnet. Für seine Rolle in Speer und ich hat er den Deutschen Fernsehpreis als Bester Schauspieler erhalten.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.02.2006

Er hinterließ keine Schleimspur
Mit kalter Hand und liebevollem Blick: Lars Brandts fragmentarisches Porträt seines Vaters

Ein kalter Sommer in Norwegen. Die Familie aus Deutschland macht an einem Gebirgssee Urlaub, der jetzt, im Juli, gerade eisfrei geworden ist. Der Vater, ohnehin verschlossen, trinkt mißmutig Dünnbier und schaut in den Regen, und wenn es mal nicht regnet und er wenigstens mit dem Sohn angeln kann, bleiben die Fische lieber am Seegrund. "In Ferien wie diesen", erinnert sich der Sohn, "sah das Leben im ganzen trostlos für ihn aus. Zur Strafe nahm er es grollend hin und sprach statt wenig gar nicht mehr. Ich weiß auch nicht, wie es geschah, seit wann war ich ungeschickt im Umgang mit der Wurfangel? Mein Blinker flog in die entgegengesetzte Richtung - dahin, wo V. saß. Haarscharf wischte der Drillingshaken an seinem linken Auge vorbei."

Es sind Geschichten wie diese, die einem in Lars Brandts Buch "Andenken" den Atem stocken lassen, geschliffene Miniaturen einer Konstellation, die von Distanz gezeichnet ist und in der sich doch immer wieder fast beiläufige Versuche des Sohns finden, die Barriere zu durchbrechen, auch wenn sie nur selten die physische Wucht des geschleuderten Angelhakens besitzen. Und auch wenn er sich mit dem Vater, der seine Briefe mit "V." zeichnet, längst arrangiert hat: "Wer von ihm wollte, was von ihm nicht zu erwarten war, fühlte sich zwangsläufig unwohl mit V. Stand ihm der Sinn danach, bewegte man sich auf einer Ebene, konnte er einem sogar ein Gefühl der Nähe, der Vertrautheit, der Verläßlichkeit geben. Allerdings mußte man mit seiner Ausdrucksweise zurechtkommen. Immer wieder fühlten sich Menschen tief enttäuscht, wenn er Emotionen wachrief, ohne ihnen wirklich zu antworten. Mir gefiel die Basis unseres Verhältnisses nicht schlecht: V.s Leben war seines, und meines gehörte mir. Eigentlich traf sich sein Verständnis der Rolle eines Vaters mit meiner Sicht der Angelegenheit als Sohn."

Daß er es dabei nicht beläßt, ist ein Glück. Denn indem der Maler und Filmemacher Lars Brandt gut dreizehn Jahre nach dem Tod des Vaters, des ehemaligen Berliner Bürgermeisters, Bundeskanzlers und SPD-Ehrenvorsitzenden, ein Buch vorlegt, das von den Berührungen und Überschneidungen des väterlichen Lebens mit dem eigenen berichtet, zeigt er nicht nur tatsächlich unbekannte Seiten der öffentlichen Figur auf (obwohl es ihm darum wohl zuletzt geht), sondern schildert dieses Zusammentreffen zweier Menschen so fein nuanciert, offensichtlich um Gerechtigkeit bemüht und gleichzeitig mit dem Mut zum ins Absolute gehobenen Detail, daß man diese Prosa außerordentlich schätzen wird.

Die Abschnitte sind kurz, gerade eine oder auch mal zwei Seiten lang, sie sind Mosaiksteine zu einem Bild, dem bewußt jede Überarbeitung zu einer widerspruchsfreien Harmonie fehlt. Sein suchendes, tastendes Verfahren legt Lars Brandt schon recht früh offen, wenn er ausprobiert, wie weit die bekannte Schneckenmetapher, angewandt auf den Vater, trägt: "Ob Grass durch V.s Naturell zum Bild der Schnecke angeregt wurde", fragt er, stellt dann fest, daß der im Umgang mit einzelnen scheue Politiker "sein Schneckenhaus nie ganz verließ", spricht dann von der "List der Schnecken" - sie bräuchten "nie aus dem Haus zu gehen und kommen trotzdem gut herum. Etwas später stößt der Vergleich an seine Grenzen: Zwar scheine sich auch die offensichtliche Widersprüchlichkeit des Vaters im Bild der Schnecke mit ihrem harten Haus und dem weichen Leib fassen zu lassen, doch eines trenne ihn von dem Tier: "Er hinterließ keine Schleimspur. Der schlüpfrige Kerl, als der er im Film schon dargestellt wurde, war er nicht."

En passant stellt so der Sohn, ohne es darauf anzulegen, einiges richtig, was seinem Bild des Vaters widerspricht, insgesamt aber macht er deutlich, wie sehr auch er selbst noch auf der Suche ist. Nicht zufällig nehmen die Schilderungen gemeinsamer Angeltouren mit dem Vater einen gewissen Raum des schmalen Bandes ein, und wie der Sohn den Haken nach dem schweigsamen Vater schleudert, so lotet er auch verschiedene Aspekte der Erinnerung, Metaphern oder auch Zeichnungen und Fotos auf ihre Kraft hin aus, zum Bild des Vaters beizutragen: Da sind Automaten-Paßbilder Willy Brandts, ein Polaroid, das Andy Warhol anfertigte oder eine berührende Zeichnung aus der Hand Lars Brandts, als er den Vater in seiner letzten Krankheit besuchte: "Am Ende schluckte er den Nebel und der ihn. Er bekam Morphium. Wieviel er von dem, was sich um ihn tat, in seinen letzten Tagen noch aufnahm, taucht aus undurchsichtigen Schwaden nie auf. Kaum leserliche, mikroskopisch verkrakelte Buchstaben, mit denen er kurz vor dem Tod die faktische Enterbung seiner vier Kinder aufsetzte, sind wie Wegmarken seines letzten, abschließenden Gangs in Geheimnis und Dunst."

Er ist nicht zu fassen, der Vater, und ein guter Teil der Metaphern, die Lars Brandt auf ihn wendet, stammen aus der Sphäre von Nebel und Gas. Weil er, wie alles in diesem hellwachen Buch, auch diese Passagen mit großer Präzision geformt hat, reflektiert er über die Rolle, die der Vater dabei spielt: Nimmt er die Unklarheit in Kauf, befördert er sie gar, welcher Vorteil, welcher Schaden ergibt sich daraus für sein politsches Wirken?

Da ist etwa der DDR-Spion Guillaume, über den der Kanzler urteilt, er sei "ein Holzkopf, mit dem ich mich nicht unterhalten kann", und den er doch in seiner Nähe beläßt. "V.s - gelinde gesagt - geringes Geschick bei der Wahl seines Umgangs allerdings war auf Desinteresse und insofern unterentwickelte Phantasie zurückzuführen. Doch war es ebenso zwangsläufige Folge von Arroganz. Fasziniert von der Unklarheit, entzog er nicht nur seine eigenen Konturen den Blicken der anderen, sondern glaubte sich erlauben zu dürfen, durch seinen Schleier auch die anderen nicht richtig ins Auge zu fassen."

Für die Familie bleibt da nicht viel - und doch kann man dem Sohn nicht vorwerfen, daß er die Zuwendung, zu der Brandt in der Lage ist, nicht zu würdigen wisse: Da sind Reisen, auch überraschende, mit dem Vater, da ist die Aufforderung, zu seinen Reden und Büchern beizutragen, da sind aber auch fortwährende Enttäuschungen, lakonisch geschildert, aber von einer Bitternis, die mit den Jahren nicht weniger fühlbar zu sein scheint. Auch das Bewußtsein, wie außerordentlich die familiäre Situation ist, hat sich offenbar schon früh im Sohn gebildet, der sich dann auch im Abwägen übt: "Die Beachtung, die einem durch V.s Stellung im öffentlichen Leben zuteil wurde, hatte Vor- und Nachteile. Sie trennte mich von anderen, aber sie bewirkte das teils durch Privilegien. Welcher meiner Freunde bekam Pakete von Tiffany geschickt, mit einer Silberdose darin, graviert: L. B. from J.F.K.?" Und nicht zuletzt ist dieser Mangel an väterlicher Anteilnahme auch der Preis für eine nicht unwesentliche Freiheit des Sohns. Um so überraschender und rührender ist dann die Bitte des Vaters, Lars möge nicht aus der elterlichen Wohnung ausziehen, "weil sonst die Luft um ihn noch dünner würde".

Der Autor jedenfalls zeichnet ein notwendig fragmentarisches Bild des Vaters, das mit kalter Hand ausgeführt und liebevoll geraten ist: "Die Birken auf dem Waldfriedhof, nicht eben die intimsten Bäume, paßten zu ihm. Schwer und leicht zugleich, schwarz und weiß, melancholisch und fröhlich, kalt und warm, biegsam und zäh, dicht und luftig, mächtig und scheu." Wer sich einen solchen Nachruf durch den Sohn erwirbt, kann jedenfalls nicht alles falsch gemacht haben.

Lars Brandt: "Andenken". Hanser Verlag, München 2005. 155 S., geb., 15,90 [Euro].

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