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Leben als Maschine ist spätestens seit der Renaissance eine wirkungsmächtige Metapher, die Menschen fasziniert und erschrocken hat. Die eigentliche Frage, die sich hinter der Maschinenmetapher verbirgt, zielt aber auf die Berechenbarkeit des Lebens ab. Gibt es Gesetze und Gleichungen wie in der Physik, mit denen Lebensvorgänge berechnet, erklärt und prognostiziert werden können? Mit den neuen Methoden der Biomathematik, Biophysik und Bioinformatik zeichnet sich diese Entwicklung in der Systembiologie ab. Synthetische Biologie baut Organismen nach den komplexen Schaltplänen der Systembiologie.…mehr

Produktbeschreibung
Leben als Maschine ist spätestens seit der Renaissance eine wirkungsmächtige Metapher, die Menschen fasziniert und erschrocken hat. Die eigentliche Frage, die sich hinter der Maschinenmetapher verbirgt, zielt aber auf die Berechenbarkeit des Lebens ab. Gibt es Gesetze und Gleichungen wie in der Physik, mit denen Lebensvorgänge berechnet, erklärt und prognostiziert werden können? Mit den neuen Methoden der Biomathematik, Biophysik und Bioinformatik zeichnet sich diese Entwicklung in der Systembiologie ab. Synthetische Biologie baut Organismen nach den komplexen Schaltplänen der Systembiologie. Robotik orientiert sich zunehmend an kognitiven und intelligenten Organismen der Evolution. Auch Roboter haben dann komplexe Körper, mit denen sie ihre Erfahrungen und damit ihre Art von Intelligenz entwickeln. Im Kern der Debatte um Körperlichkeit (embodiment) des menschlichen Geistes und der Robotik steht die Einsicht, dass sich in einem kognitiven System ablaufende Prozesse nicht losgelöst von den körperlichen Gegebenheiten des Systems und seiner dynamischen Interaktion mit der Umgebung verstehen lassen. Um die zunehmende Komplexität menschlicher Lebenswelt zu bewältigen, müssen technische Systeme adaptiver, autonomer und intelligenter werden. Wachsende Autonomie bedeutet aber nicht nur Probleme der Kontrolle und Berechenbarkeit, sondern auch von Ethik und Recht. Für Systembiologie, synthetische Biologie, Robotik und Künstliche Intelligenz (KI) heißt das, komplexe Systeme von neuen Mikroorganismen bis zu kognitiven Robotern als Dienstleister des Menschen zu entwickeln und ihn als Maßstab der Technik zu achten.
Autorenporträt
Klaus Mainzer, geb. 1947, Studium der Mathematik, Physik und Philosophie, Promotion und Habilitation in Münster. 1980-1988 Professor für Philosophie und Grundlagen der exakten Wissenschaften an der Universität Konstanz; 1988-2008 Lehrstuhl für Philosophie und Wissenschaftstheorie an der Universität Augsburg. Seit 2008 Lehrstuhl für Philosophie und Wissenschaftstheorie, zugleich Direktor der Carl von Linde-Akademie und Principal Investigator des Exzellenz-Forschungsclusters CoTeSys (Cognition in Technical Systems) an der Technischen Universität München. Mitglied der European Academy of Science (Academia Europaea) in London. Forschungsschwerpunkte: Philosophie und Grundlagen von Wissenschaft und Technik, Komplexe dynamische Systeme in Natur und Gesellschaft, Künstliche Intelligenz und Robotik
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.11.2010

Ohne Bewusstsein geht es eigentlich auch ganz gut
Auf dem Weg zum Superorganismus der Menschen, Dinge und künstlichen Systeme: Klaus Mainzer entwirft eine Theorie komplexer Netzwerke

Wäre der Mensch eine Maschine, wäre sein Leben berechenbar. Diese Vorstellung fasziniert und erschreckt die Menschen seit der Renaissance. In der synthetischen Biologie, in der Robotik und der Künstlichen Intelligenz scheint sie nun Wirklichkeit zu werden. Aber nur auf den ersten Blick. Denn je weiter Forscher das Zusammenspiel der molekularen Schräubchen, Hebelchen und Zahnrädchen in unseren Zellen entschlüsseln, desto deutlicher sehen sie, dass die Maschinenmetapher hinkt: An ihre Stelle haben sie längst das komplexe dynamische System gestellt. Und dessen Analyseinstrument ist nicht die Berechnung, sondern die Computersimulation.

Der Münchner Philosoph Klaus Mainzer hat sich auf den Weg zu einer "vereinigten Theorie komplexer Netzwerke" gemacht, deren Kern in der Annahme besteht, dass alle dynamischen Prozesse - ob sie sich nun in einer Körperzelle abspielen, einem Organ oder der Steuerzentrale eines Kraftwerks - im Prinzip auf einem Computer modellierbar sind. Und er hat zusammengetragen, wie diese dynamischen Prozesse zentrale Zukunftstechnologien prägen und verbinden.

Mainzer beginnt mit dem Gegensatz von seelenlosen Maschinen und sich selbst organisierendem Leben in der romantischen Naturphilosophie und arbeitet sich über die Geschichte der mechanischen Webstühle zu den Rechenmaschinen und den Grundlagen der Theorie dynamischer Systeme vor.

In der Systembiologie ist die Idee des dynamischen Systems der Schlüssel zur Komplexität des Lebens, so Mainzer. Er erläutert, wie die Signalübertragung in der Zelle als dynamisches System verstanden werden kann und wie stark die natürlichen Schaltpläne denen der menschlichen Ingenieure ähneln. In der synthetischen Biologie dienen sie dazu, künstliche Biomoleküle zu produzieren und sie zu Miniorganismen zusammenzusetzen. An der Schnittstelle von Systembiologie und Medizin stehen mathematische Modelle ganzer Organe, etwa der Lunge, des Herzens und des Immunsystems, anhand deren sich Diagnosen und die Wirkung von Therapien und Medikamenten überprüfen lassen.

Je komplexer unsere technische Umwelt wird, so Mainzer, umso mehr benötigen wir komplexe dynamische Systeme zu ihrer Steuerung. Und so, wie wir bei unseren Computern eine Benutzeroberfläche brauchen, benötigen wir auch immer mehr Assistenzsysteme, um die komplexer werdende Technik zu beherrschen.

Ingenieurs- und Kognitionswissenschaften, Gehirnforschung, Systembiologie und synthetische Biologie, Nano- und Materialwissenschaft finden sich zu Clustern zusammen, die sich am Vorbild der Natur statt an Disziplinengrenzen orientieren: Roboter werden mit künstlichen Nasen und künstlicher Affektsteuerung ausgestattet, Softwareagenten durchforsten komplexe Suchräume mit emotionaler Intelligenz, Fuzzy-Neuronen helfen, unscharfes Expertenwissen zu formalisieren. Das Bewusstsein hingegen wird überschätzt, meint der Autor, für die meisten Aufgaben ist es nicht erforderlich.

Selbstorganisierende Materialien lassen die Grenze zwischen Biologie und Materialforschung, Implantate zur Unterstützung kognitiver Fähigkeit die zwischen Mensch und Maschine verschwimmen. Automatisierungstechnik geht zusammen mit evolutionären Optimierungsverfahren, Mechatronik trifft Künstliche Intelligenz. Zu den eindrucksvollsten Passagen des Buches gehört die Schilderung des intelligenten Stromnetzes der Zukunft: Ein Netzwerk integrierter Mininetze verhandelt vollautomatisch den optimalen Umgang mit schwankendem Angebot und variierender Nachfrage.

Die Menschen, so Mainzer, werden beginnen, mit den Dingen zu kommunizieren und mit ihnen zu einem einzigen Superorganismus zusammenwachsen. Mit all den Chancen und Gefahren, die die damit einhergehenden Manipulationsmöglichkeiten mit sich bringen. Wir stehen an einer Weggabelung unserer Entwicklung, meint Mainzer, der sich im letzten Teil des Buches der Ethik zuwendet.

Darf die synthetische Biologie überhaupt neuartiges Leben schaffen? Die natürliche Evolution ist fehlerhaft, gelegentlich suboptimal und keineswegs sakrosankt, hält der Autor fest. Das Natürliche sei keineswegs automatisch das Gute. Ebenso wenig könne es aber um eine Perfektionierung der Spezies gehen. Der einzige Maßstab des Handelns seien vielmehr die Lebensqualität und der Mensch als Selbstzweck.

Die Möglichkeiten der komplexen dynamischen Systeme, die Mainzer beschreibt, sind mindestens so erschreckend und faszinierend, wie es in der Renaissance die Maschinenmetapher gewesen sein mag. Sie zumindest in Ansätzen zu verstehen dürfte zentral sein, um zu begreifen, was um uns herum geschieht. Ihr Name allerdings kommt nicht von ungefähr: Für den Laien sind Mainzers Ausführungen ein eher harter Brocken.

MANUELA LENZEN.

Klaus Mainzer: "Leben als Maschine?" Von der Systembiologie zur Robotik und Künstlichen Intelligenz.

Mentis Verlag, Paderborn 2010. 274 S., br., 29,80 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensentin Manuela Lenzen beißt sich fast die Zähne aus an der Maschinenmetapher und an den Ausführungen des Münchner Philosophen Klaus Mainzer zu den Möglichkeiten dynamischer Systeme. Allerdings bringt ihr die nicht ganz einfache Lektüre auch jede Menge Erkenntnis: Historische, weil Mainzer mit der romantischen Naturphilosophie und der Mechanisierung der Webstühle beginnt, wissenschaftstheoretische, da ihr der Autor die Schnittstellen zwischen Systembiologie, Mathematik und Medizin offenlegt, und über die Zukunft der Energie. Letztere Passagen hält Lenzen für besonders aufschlussreich, weil ihr hier dämmert, wie ein Netzwerk aus integrierten Mininetzen Mensch und Ding zu einem Superorganismus verschmelzen könnte, ganz der ethischen Fragestellung und Vorstellung des Autors entsprechend, wonach das Natürliche nicht automatisch das Gute, nicht sakrosankt und im Hinblick auf die Lebensqualität des Menschen durchaus verbesserlich sei.

© Perlentaucher Medien GmbH