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"Es wird noch einen Krieg geben ... weil wir zu dumm sind. Niemand merkt es noch, wie dumm wir sind, weil wir so tüchtig sind. Lieber weniger tüchtig und nicht so dumm ..." So Annette Kolb, Pazifistin und Visionärin des vereinten Europa. Ihr höchstes Gut war die Unabhängigkeit. Sie reiste viel und lebte dabei oft in Geldnöten - doch stets so elegant wie möglich. Die eigenwillige deutsch-französische Schriftstellerin (1870 - 1967) wartet auf ihre Wiederentdeckung.

Produktbeschreibung
"Es wird noch einen Krieg geben ... weil wir zu dumm sind. Niemand merkt es noch, wie dumm wir sind, weil wir so tüchtig sind. Lieber weniger tüchtig und nicht so dumm ..." So Annette Kolb, Pazifistin und Visionärin des vereinten Europa. Ihr höchstes Gut war die Unabhängigkeit. Sie reiste viel und lebte dabei oft in Geldnöten - doch stets so elegant wie möglich. Die eigenwillige deutsch-französische Schriftstellerin (1870 - 1967) wartet auf ihre Wiederentdeckung.
Autorenporträt
Charlotte Marlo Werner ist in Mainz geboren und lebt heute in Düsseldorf. Sie studierte Germanistik, Philosophie und Soziologie. Sie war Journalistin, Mitarbeiterin im Frauen-Kultur-Archiv an der Universität Düsseldorf und ist seit 1993 VHS-Dozentin. Unter anderem hat sie eine Biographie über Anna Amalia verfasst.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 09.03.2001

Wo bleibt Daphne?
Schwer zu fassen: die Jahrhundertfigur Annette Kolb
„Nein dafür werde ich schon Sorge tragen, dass es keine Biographie von mir nicht gibt . . .” So schrieb Annette Kolb 1935, kurz nach ihrem 65. Geburtstag, den sie offiziell als den 60. beging, an den Freund René Schickele. Ihre Biografin Charlotte Marlo Werner nimmt die doppelte Verneinung im unbewussten Sinne wörtlich und versteht sie als Aufforderung. Sie weiß eben nichts von den Spezialitäten des „bayerisch Dialekthaften” (um es mit Thomas Mann zu sagen, der die Kolb im „Faustus” als Jeannette Scheurl sehr wohlwollend, doch nicht zu ihrer Freude, porträtiert hat).
Die Verfasserin hat Vorgänger. Es gibt Richard Lemps, des ehemaligen Leiters der Monacensia, liebevoll-solide Studie mit Bibliografie und Nachlassverzeichnis, das aus persönlicher Erfahrung hervorgegangene Buch von Elazar Benyoetz über „Annette Kolb und Israel” und Sigrid Bauschingers schönen Katalog zur Ausstellung der Münchner Stadtbibliothek von 1993. Alles sehr lobenswert und doch zu wenig für die hinreißende Schriftstellerin, die hoch originelle Person, die Jahrhundertfigur. Die in München geborene Tochter einer französischen Mutter und eines illegitimen Wittelsbachers teilte ihr Leben zwischen Frankreich und Deutschland und ging dreimal ins Exil: im Ersten Weltkrieg in die Schweiz, 1933 nach Paris, 1941 nach Amerika, von wo sie schon im Herbst 1945 nach Europa zurückkehrte. Eine umfassende Biografie war trotz des Verdikts längst ein Desiderat. Nur hätte Annette Kolb eine angemessenere Behandlung verdient, als sie ihr hier zuteil wird: eine taktvollere, genauer informierte, souveränere.
Es wimmelt von Nachlässigkeiten. Hanslick war kein Dirigent, die „Meistersinger” wurden nicht 1867 uraufgeführt, Alfred Walter Heymel ist nicht gefallen, Golo Mann war nicht der älteste Sohn seines Vaters. Das sind Kleinigkeiten, die leichter verzeihlich wären, wenn sie sich nicht gerade in der Lebensgeschichte einer Schriftstellerin fänden, die – bei aller Zerstreutheit im Leben – sich solche Schlampereien niemals hätte durchgehen lassen. Peinlicher sind die falschen Töne, die Annette Kolbs untrügliches musikalisches Ohr beleidigt hätten. Ihre Vereinnahmung als Frauenrechtlerin, eine durchgehende Tendenz dieser Biografie, wäre dem Fräulein Kolb, die sich bis ins hohe Alter die Anrede „Frau” verbat, ein Gräuel gewesen. Weder als solche noch überhaupt hat sie zu irgendeinem Zeitpunkt ihres Lebens „zu sich selbst gefunden”, wie die Autorin ihr für ihre späten 20er Jahre attestiert.
Derlei modische Formeln werden dem äußerst komplizierten Phänomen Annette Kolb, ihrem Eigensinn, ihrem Mut, ihrer Diskretion nicht gerecht. Vor allem nicht jener unnachahmlichen Mischung aus energischer Präsenz und sich jeder Festlegung graziös entziehender Schwerelosigkeit, die ihr Auftreten und ihren Stil prägte. Ein Wort wie „Sex” ist in ihrem Vokabular schlechthin undenkbar (sie sprach allenfalls von „Amourschaften”), und so wirkt sich die Bemerkung der Biografin, die Dichterin habe „die bewusste Verschleierung von Sex . . . in allen ihren Romanen” (sie schrieb nur drei) beibehalten, ebenso deplatziert wie das bedauernde Eingeständnis, es sei ihr nicht gelungen, „den Schleier so weit zu lüften, dass ich ihr mit Gewissheit eine leidenschaftliche Liebesbeziehung nachsagen könnte”. Annette Kolb hat selbst die Kunst der Biografie auf höchstem Niveau geübt – am Beispiel Mozarts, Schuberts und Richard Wagners, wobei übrigens die Frauen, ob sie Constanze oder Cosima heißen, nicht gut wegkommen. Und alle ihre Bücher sind auf reizvollste Weise autobiografisch gefärbt. Wer sich dem beispiellosen Vergnügen ihrer Lektüre hingegeben hat, weiß, dass jede Art von Plattheit mit ihrem Stil unvereinbar ist. Umso weniger adäquat nehmen sich bei Charlotte Marlo Werner die zahlreichen in jedem Lexikon nachlesbaren Erläuterungen zu bekannten Namen oder Ereignissen aus, oder die keineswegs vereinzelt dastehenden, nichts sagenden Informationen („Annette, . . . die das Edle so sehr liebte”).
Trotz all dieser Unarten hat das Buch das selbst gesteckte Ziel, die bei Annette Kolb verstreuten Memoirensplitter zu einem Ganzen zu fügen, erreicht, wenn man unter diesem Ganzen nicht mehr versteht als ein überschaubares Nebeneinander. Und das ist immerhin verdienstvoll angesichts der ärgerlichen Tatsache, dass das Werk dieser wunderbaren Autorin seit langem nur sehr fragmentarisch und in Taschenbuchausgaben greifbar ist. „Daphne ist gestorben” überschrieb W. E. Süskind seinen vor 33 Jahren in der SZ erschienenen Nachruf, einen Seufzer aus dem Kolb-Roman „Daphne Herbst” zitierend. Noch ist Daphne nicht zurückgekehrt. Wann wird der „literarischen Stimme Europas” die längst fällige Ehre zuteil, im Medium einer Werkausgabe vernehmbar zu sein?
ALBERT VON SCHIRNDING
CHARLOTTE MARLO WERNER: Annette Kolb. Eine literarische Stimme Europas. Ulrike-Helmer-Verlag, Königstein/Taunus 2000. 281 Seiten, 38 Mark.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.11.2000

Nicht ohne meinen Stil: Annette Kolbs Leben

Auf den Stil hat Annette Kolb immer gesehen. Noch daheim, in ihrer Wohnung, empfing sie die Gäste mit hochgesteckter Frisur, nie ohne Hut. Plumpe Vertraulichkeit war ihre Sache nicht. Daß sich die Biographin Charlotte Marlo Werner jetzt ganz selbstverständlich auf Duzfuß mit der Autorin stellt, daß sie immer mal wieder von der "Annette" spricht, hätte die Ästhetin vermutlich befremdet. Eigentümlich kontrastiert der lockere Umgangston unserer Tage diese gesuchte Wahlverwandtschaft der Nachgeborenen mit dem Habitus einer Intellektuellen, die noch durch und durch vom Formbewußtsein des ausgehenden neunzehnten Jahrhunderts geprägt war.

Das eine will nicht so recht zum andern passen. Zu wenig konnte die 1967 verstorbene Schriftstellerin von dem Selbstverwirklichungsbemühen der modernen Frauenbewegung erahnen, zu wenig von der Emanzipation, in deren Dienst sie jetzt treten soll. Zu wenig scheint aber auch die engagierte Historikerin, die nun ihre Biographie schreibt, von der geistigen Großzügigkeit des Fin de siècle zu wissen, von der Münchner Gesellschaft, in die Annette Kolb 1870 als die Tochter einer Französin und eines Deutschen hineingeboren wurde. Zeitlebens sollte sie den künstlerischen Ansprüchen dieser Zeit verhaftet bleiben. Damit, mit der ästhetischen Eleganz ihrer Romane und Essays, hat sie sich den Respekt der Künstler erworben, den der Männer vor allem. Auf ihren stilistischen Ansprüchen gründete die Freundschaft mit Hermann Hesse und Romain Rolland, mit Jean Giraudoux und Franz Blei. Und sicher hätte man da manches entdecken, viel erfahren können über die Freiheiten und Zwänge der künstlerischen Existenz, über die Rolle der Frau in der Literatur sowie über das zeitgeschichtliche Beziehungsgeflecht, das die Autorin selbst in ihrer Musikerbiographie so beeindruckend zu erfassen wußte.

Indes, das leichte, souveräne Spiel mit den Fakten, ihre erzählerische Verknüpfung, der große Überblick scheint Charlotte Marlo Werner nicht gegeben. Jedenfalls hat sie sich in dem Buch über Annette Kolb lieber für die Reihung der Fakten entschieden, und das mit beträchtlichem Aufwand durchaus. Bis in die Verästelung hinein wird die Familiengeschichte aufgeblättert. Nebeneinandergestellt begegnen sich die tangierenden Lebensläufe, von Station zu Station bewegt sich der Bericht, eines wird nach dem anderen abgehandelt, von der Kindheit über die zwanziger Jahre und das Exil bis zur Rückkehr nach Deutschland. Nichts wurde bei der fleißigen Sammlung vergessen; und vielleicht will es ja sogar der glückliche Zufall, daß das alles irgendwann jemandem in die Hände fällt, der es darüber hinaus versteht, sich als Biograph dem Stil und den Ansprüchen der Annette Kolb zu stellen.

THOMAS RIETZSCHEL.

Charlotte Marlo Werner: "Annette Kolb. Biographie einer literarischen Stimme Europas". Ulrike Helmer Verlag, Königstein im Taunus 2000. 282 S., br., 38,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Thomas Rietzschel bescheinigt der Autorin zwar, dass sie einen "beträchtlichen Aufwand" bei der Sammlung und Ordnung des Materials betrieben hat. Seiner Ansicht nach reicht dies jedoch nicht aus, um einer Persönlichkeit wie Annette Kolb gerecht zu werden. Werner schreite in der Auflistung der Fakten fort "von Station zu Station", aber das Erzählerische fehlt, der Bogen und die Leichtigkeit, findet Rietzschel. Außerdem stört ihn sehr der vertrauliche Ton der Autorin, die gerne kollegial von "Annette" spricht. Gerade bei Annette Kolb findet er das völlig deplaziert, denn "auf den Stil hat Annette Kolb immer gesehen". An Punkten wie diesen zeigt sich nach Ansicht des Rezensenten, dass die Autorin wenig weiß über die Herkunft Kolbs, über die Münchner Gesellschaft, ihre dem Fin de siècle verhaftete Ästhetik und Eleganz - alles Aspekte, die der Rezensent hier zu wenig beleuchtet sieht. Auch findet er es verfehlt, Kolb als Galionsfigur der Emanzipation und Frauenbewegung zu präsentieren, nicht nur weil die Schriftstellerin bereits 1967 gestorben ist.

© Perlentaucher Medien GmbH