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Ob es um das Balzverhalten amerikanischer Jugendlicher geht oder um globale Konvergenz, ob um die neuesten Thesen des Neodarwinismus oder um die aberwitzigen Methoden von Fernsehanstalten auf Quotenfang: In dieser brillanten Sammlung von Essays und Erzählprosa zieht Tom Wolfe alle Register seines Könnens.
"Es ist noch nicht so lange her, da stellten im sexuellen Umgang von Jungen und Mädchen harmlose Umarmungen und Küsse die erste Stufe dar. Die zweite Stufe bestand aus Zungenküssen plus Fummeln. Die dritte Stufe war Oralsex. Auf der vierten Stufe ging es ,zur Sache`. Das war gestern.
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Produktbeschreibung
Ob es um das Balzverhalten amerikanischer Jugendlicher geht oder um globale Konvergenz, ob um die neuesten Thesen des Neodarwinismus oder um die aberwitzigen Methoden von Fernsehanstalten auf Quotenfang: In dieser brillanten Sammlung von Essays und Erzählprosa zieht Tom Wolfe alle Register seines Könnens.

"Es ist noch nicht so lange her, da stellten im sexuellen Umgang von Jungen und Mädchen harmlose Umarmungen und Küsse die erste Stufe dar. Die zweite Stufe bestand aus Zungenküssen plus Fummeln. Die dritte Stufe war Oralsex. Auf der vierten Stufe ging es ,zur Sache`. Das war gestern. Heute, im Jahr 2000, können wir die Umarmungen und Küsse schon mal vergessen. Mit derartigen Harmlosigkeiten halten sich die Mädels und Jungs gar nicht erst auf. Heutzutage geht das anders: erste Stufe Zungenkuss, landläufig Zäpfchen-Hockey genannt, plus Fummeln. Zweite Stufe Oralsex. Auf der dritten Stufe geht es ,zur Sache'. Und die vierte Stufe ist erreicht, wenn man seinem Partner namentlich vorgestellt wird."
Wie selten aber amerikanische Jugendliche heutzutage den Namens ihres Partners erfahren - wohlgemerkt, nachdem sie Sex mit ihm hatten -, das erstaunt selbst einen so hartgesottenen Beobachter alles Zeitgenössischen wie Tom Wolfe. In den Mechanismen des "Hooking Up", also des menschlichen Balzverhaltens zwischen Kennenlernen und ehelichem Alltag, hat sich offenbar einiges geändert seit Wolfes eigener Jugend, wie sein amüsanter (und teilweise schockierender) Streifzug durch die amerikanische Sexualmoral von heute zeigt.
Der Essay "Hooking Up" ist nicht ohne Grund Auftakt und Titelgeber dieser Sammlung der besten Prosastücke, die Tom Wolfe in den letzten Jahren geschrieben hat. Denn es ist sein Interesse am menschlichen Miteinander und den gewaltigen Umwälzungen des digitalens Zeitalters, das für ihn als Journalisten - und das war er viele Jahre, bevor er zum gefeierten Romanautor wurde - stets im Vordergrund stand und steht. So beschäftigen sich seine Essays mit den Auswirkungen der neuesten Ergebnisse der Gehirnforschung auf das menschliche (Selbst)-Bewusstsein ("Sorry, But Your Soul Just Died") und setzen sich kritisch mit den Thesen des Neodarwinismus auseinander ("Digibabble, Fairy Dust and the Human Anthill"); sie beleuchten die eher resignative Stimmung, die sich am Endedes 20. Jahrhunderts, das oft als das "amerikanische Jahrhundert" bezeichnet wurde, breitgemacht hat ("In the Land of Rococo Marxists"), und zeigen - in "The Great Relearning" - die Auswirkungen eines rückwärts gewandten Denkens auf Kunst und Politik. Hervorragend recherchiert und brillant geschrieben sind auch zwei Essays, die sich mit Männern beschäftigen, welche sich jenseits des Mainstreams bewegten und - zumindest im ersten Fall - nachhaltig die Geschichte beeinflussten: Robert Noyce, der Erfinder des Halbleiters und Gründer von Silicon Valley, und Frédérick Hart, der zwar in Amerika populäre, weltweit aber zu Unrecht verkannte amerikanische Bildhauer, dem Wolfe eine große Renaissance voraussagt.
Die Glanzstücke dieser Sammlung sind freilich diejenigen, die sich - auf stilistisch ganz unterschiedliche Weise - mit der Welt auseinandersetzen, die seit Jahrzehnten Wolfes Welt ist: die Welt der Medien. Die Novelle "Ambush at Fort Bragg", der einzige fiktive Text der Sammlung, ist ein echtes Kabinettstückchen, in dem Wolfe alle Register seines satirischen Könnens zieht. Er schildert darin eine Begebenheit in der Nähe eines Army-Stützpunkts in North Carolina, wo ein junger Soldat unter ungeklärten Umständen zu Tode kommt. Der Verdacht fällt auf drei Kameraden des Ermordeten, die diesen wegen seiner Homosexualität schon lange auf dem Kieker hatten. Ein Fernsehteam will nicht nur bei der Aufklärung des Falls helfen, sondern aus ihm ein Medienereignis machen. Tatsächlich gelingt es dem ehrgeizigen Produzenten (und seiner nicht minder ehrgeizigen Anchorwoman) die Verdächtigen zu einem Quasi-Geständnis vor die Kamera zu bringen. Doch das Blatt wendet sich - plötzlich wird der Sender unfreiwillig zur Plattform reaktionären Gedankenguts und gerät mächtig ins Schwimmen ... Eine gelungene Satire auf die Quotengeilheit von Fernsehanstalten, die nicht nur in den USA vor nichts zurückschrecken, sich aber durchaus manchmal selbst ein Bei
Autorenporträt
Tom Wolfe, 1931 in Richmond, Virginia, geboren, lebt in New York. Er arbeitete nach seiner Promotion in Amerikanistik als Reporter unter anderem für "The Washington Post", "New York Herald Tribune", "Esquire" und "Harper's". In den 60er Jahren gehörte er mit Truman Capote, Norman Mailer und Gay Talese zu den Gründern des "New Journalism", einer Synthese aus Journalismus und Literatur. Der vielfach preisgekrönte Schriftsteller (American Book Award etc.) war international längst als Sachbuchautor berühmt, eher er - schon 56 Jahre alt - mit "Fegefeuer der Eitelkeiten" (1987) seinen ersten Roman vorlegte, der auf Anhieb zum Weltbestseller und von Brian de Palma mit Tom Hanks verfilmt wurde. Elf Jahre ließ sich Tom Wolfe Zeit, um einen zweiten Roman folgen zu lassen: "Ein ganzer Kerl" (1998). Mit "Hooking Up" (2001), einer Sammlung von Essays und Erzählprosa, wurde seinen zahlreichen Fans das Warten auf den dritten Roman versüßt. In den USA hatte "Ich bin Charlotte Simmons" eine Startauflage von 1,5 Millionen Exemplaren.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.03.2001

Amerika, mein schönes pures Jetzt
Tom Wolfe will es wissen Von Lorenz Jäger

Auch diesmal bleibt er seiner Berufung treu: Der Meister des Zeitgeistes, der rasende Reporter des amerikanischen Unternehmertums, der Schriftsteller, der sein lachendes, grinsendes "Ja" zu allem sagt, was den Europäer zu pessimistischem Räsonieren bringen könnte - aber bei ihm wird es eher wie "Yeeaahhh!" klingen -, Tom Wolfe also inszeniert ein Feuerwerk von Polemiken, Satiren und Heldengesängen aus den Vereinigten Staaten von heute. Kein nostalgischer Rückblick wird geboten, nicht das erwartbare "Mein Jahrhundert" des Siebzigjährigen, sondern pures Jetzt. Tom Wolfe will nur eines wissen: Wie sieht das Amerika der Jahrhundertwende aus? Welche Kräfte bestimmen es?

Zuvor aber will er abrechnen. Amerika zu erkennen, das bedeutet für Wolfe zunächst, die Deutungsansprüche der europäisch geprägten Intellektuellen abzuwehren. Seine Florettstöße gegen Psychoanalytiker, Marxisten und Kryptomarxisten arten indes oft in Metzeleien aus, Gefangene werden grundsätzlich nicht gemacht. Wolfe sieht eine kastenmäßige Verschwörung der Ostküsten-Intelligenz gegen den realistischen, stoffgesättigten Roman, gegen die figurative Kunst und gegen die klassische literarische Bildung, am Ende gegen den Lebensstil des Durchschnittsamerikaners, der von der Intelligenz, mit allerhand aktuellen Bindestrichen, als "Faschismus" verdächtigt wird. Es ist ein Satz von Susan Sontag, der alles bündelt, was Wolfe bekämpft: "Die weiße Rasse ist das Krebsgeschwür der Menschheitsgeschichte", schrieb die Essayistin 1967. Wolfe muß sie nur zitieren. Ein einziger Europäer findet Gnade vor seinen Augen: Nietzsche, dessen prophetische Gaben gerühmt werden.

Die Sammlung enthält einige meisterhafte Stücke. Immer noch amüsant zu lesen ist Wolfes frühe Polemik gegen den edlen "New Yorker", das Magazin der literarischen Intelligenz. Aber erst in seinem Reportage-Essay "Zwei Männer auf dem Weg nach Westen" löst Wolfe sein großmäuliges Versprechen ein, die amerikanische Wirklichkeit besser zu schildern als seine Hauptkonkurrenten Norman Mailer, John Updike und John Irving. Erzählt wird die Geschichte des Silicon Valley, der Region um Palo Alto und die Universität Stanford, in der die Hochtechnologie der Gegenwart geschaffen wurde. Diese Geschichte hat eine technische Seite, die vom Transistor zum integrierten Schaltkreis führt, zu immer kleineren Chips. Sie hat eine religionssoziologische Pointe, auf die nur ein Mann wie Wolfe stoßen konnte, der das Durchschnitts-Amerika kennt, das dann doch nicht so durchschnittlich ist: Seine Reportage beginnt im provinziellen Zentrum des protestantischen Kongregationalismus in Iowa. Ausgerechnet dort, am Grinell College, begann der Sprung in die Zukunft. Die dritte Pointe bringt den uramerikanischen Drang nach Westen ins Spiel: Eine Linie geistiger Genealogie führt von dem Satz "Go West, young man" über Iowa zu den Pionieren des einundzwanzigsten Jahrhunderts.

Schließlich die Novelle "Hinterhalt in Fort Bragg", für die Wolfe in der Welt der Fernsehstationen recherchiert hat. Zwei Milieus stoßen aufeinander: Die liberale, wohlmeinende, kulturindustrielle Intelligenz der Ostküste - die Figur des jüdischen Fernsehproduzenten Irv Durtscher ist eine abstoßende Karikatur - und eine Gruppe von jungen Elitesoldaten. Der Fall, dem die Fernsehleute auf der Spur sind, ähnelt dem von Sebnitz: In einem Stützpunkt des Marine-Corps wurde ein homosexueller Angehöriger der Einheit tot aufgefunden. Gewalteinwirkung ist offensichtlich. Die örtliche Führung dementiert jede Verwicklung von Soldaten. Das Fernsehteam erwacht zu seiner moralischen Aufgabe; mit geheimen Mikrofonen und Kameras wird der dumpfe Country-Treffpunkt verkabelt, in dem die drei Hauptverdächtigen ihr Bier trinken. Erwartungsgemäß geben die Rednecks sich als Schwulenfeinde zu erkennen. Für Durtscher erscheinen sie als der Inbegriff des Feindes: "Skinheads! Sex und Aggression! Diese jungen Männer, die vor Testosteron barsten, waren nur die offiziell gutgeheißene, die von der Regierung gebilligte Version der Glatzen in Deutschland!" Tatsächlich: der eine von ihnen hat die Tür eingetreten, hinter der sich eine homosexuelle Szene abspielte. Was dann geschah, wird nie ganz klar: Es kann sich um Körperverletzung mit Todesfolge gehandelt haben oder um einen Totschlag, vielleicht auch um etwas ganz anderes - aber dies genau zu ermitteln, interessiert nicht mehr, wenn die Einschaltquote winkt. Was folgt, ist eine schlichte Vorverurteilung. Wolfes Novelle läßt den Leser über den Tathergang im Dunkeln, nur eine grandiose Verteidigung des soldatischen Ethos legt er seinem Helden aus der Unterschicht in den Mund.

Eine nietzscheanisch-patriotische Begeisterung bildet die Außenseite dieses Buches, sie ist auf den ersten Blick erkennbar. In seinem Kern findet man eine tiefere Sorge. Sie gilt einer Spezies, die in den vergangenen Jahrzehnten von der Kulturkritik bedrohlich eingekreist wurde: dem weißen amerikanischen Mann.

Tom Wolfe: "Hooking Up". Neuigkeiten aus dem Weltdorf. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Benjamin Schwarz. Karl Blessing Verlag, München 2001. 347 S., geb., 44,- DM.

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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Joachim Kalka zeigt sich ausführlichst enttäuscht von Tom Wolfe und dessen letzten Arbeiten, seien es sein letzter Roman "A Man in Full/Ein ganzer Kerl" oder seine Essays, die sich in "Hooking Up" finden lassen. Für "Bonfire Of The Vanities" und andere frühere Texte verdiene Wolfe noch Respekt, so Kalka, weil er sozialrealistische Reportagen in der Nähe zu Dickens und eine Kritik der Lifestyle-Kultur und linksliberalen Intelligenz geliefert habe. Vor allem diese Kritik aber will und kann Kalka einfach nicht mehr hören, wenn sie nicht mehr subversiven Spott, sondern nur noch konservative Sturheit und bornierten Chauvinismus zu bieten hat. Wolfe ist für Kalka ein "langweiliger Türsteher des Status Quo" und "Anwalt eines gesunden Volksempfindens" geworden. Er besitzt "kein anderes Gegenmodell als den Kitsch des Spießers - politisch wie ästhetisch", ärgert sich Kalka.

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