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Produktdetails
  • Schriftenreihe zur Lodzer Getto-Chronik
  • Verlag: Wallstein
  • Seitenzahl: 3052
  • Erscheinungstermin: Oktober 2007
  • Deutsch
  • Gewicht: 5464g
  • ISBN-13: 9783892448341
  • ISBN-10: 3892448345
  • Artikelnr.: 22804798
Autorenporträt
Sascha Feuchert ist Leiter der Arbeitsstelle Holocaustliteratur an der Justus-Liebig-Universität Gießen und Honorarprofessor für "German and Holocaustliterature" an der Eastern Michigan University, Michigan (USA). Mitglied im internationalen PEN.

Erwin Leibfried war Professor für Allgemeine Literaturwissenschaft in Gießen und langjähriger Leiter der Arbeitsstelle Holocaustliteratur.

Jörg Riecke, Professor für Germanistische Sprachwissenschaft in Heidelberg.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 01.04.2008

Leben im Ghetto
Eine eindrucksvolle und umfassende Dokumentation über Lodz/Litzmannstadt
Um es vorweg zu sagen: Niemand, der sich mit der Verfolgung und Vernichtung der Juden in den von den Deutschen besetzten und ins Reich eingegliederten polnischen Gebieten ernsthaft beschäftigt, kommt an dieser Publikation vorbei. Seit mehr als zehn Jahren haben Wissenschaftler der Universität Gießen und der Universität Lodz an der vollständigen Herausgabe der Chronik des Ghettos Lodz/Litzmannstadt gearbeitet. Als wichtige Grundlage diente ein Kooperationsvertrag mit dem Staatsarchiv in Lodz. Jetzt hat der Wallstein Verlag das fünfbändige Werk vorgelegt. Warum dieses zu einer der eindruckvollsten Publikationen über die Schoah zu zählen ist, erklärt sich insbesondere durch den Umfang, die Genauigkeit der Aufzeichnungen und deren unzweifelhafter Authentizität.
Der sogenannte Judenälteste, Chaim Rumkowski, hatte Mitarbeitern des von ihm eingerichteten Archivs den Auftrag erteilt, eine tägliche Chronik zu erstellen. Hier fand eine Tradition ihre erschreckende Fortsetzung, die die Lodzer Juden bereits vor 1939 in Form einer „Kronika” zum Ausdruck gebracht hatten. Die Ghetto-Chronik beginnt mit dem Eintrag für 12. Januar 1941 und endet mit dem Tagesbericht für 30. Juli 1944. Erhalten sind etwa 6000 Blatt, hauptsächlich in maschinenschriftlicher Form einschließlich angefertigter Durchschläge, 2000 Seiten umfasst das eigentliche kollektive Tagebuch. Zunächst wurde in Polnisch, später in Deutsch geschrieben.
Archiv im Brunnen
Der umfangreichste Bestand dieser Blätter befindet sich heute im Staatsarchiv Lodz, weitere Teile werden im Institute for Jewish Research/YIVO in New York und im Archiv von Jad Vaschem in Jerusalem aufbewahrt. In Lodz konnte das umfassendste Konvolut zusammengefügt werden. Es ist Nachman Zonabend, einem ehemaligen Briefträger des Ghettos, zu danken, dass diese wichtigen Texte uns heute zugänglich sind.
Er hatte mit anderen zurückgelassenen Juden im Ghetto von den Deutschen den Auftrag erhalten, die Spuren der Gewaltherrschaft zu beseitigen und noch vorhandene Reste jüdischen Eigentums sicherzustellen. Doch Zonabend konnte das Gegenteil erreichen: Es gelang ihm, fast das gesamte, in Koffern verpackte Archiv des Judenältesten zu retten. Ein stillgelegter Brunnen im Ghetto bot sich ihm als bestes Versteck an. Im Januar 1945 nach der Befreiung der Stadt durch die Rote Armee konnte Nachman Zonabend die Dokumente endgültig bergen. Ein erster Versuch einer vollständigen Drucklegung der Chronik in Polen scheiterte: Vermutlich als Folge des angewachsenen Antisemitismus in Polen wurde das Editions-Projekt 1968 plötzlich gestoppt, die bereits erschienenen ersten beiden Bände hat man aus den Buchhandlungen entfernt.
In den Texten der Chronik erfahren wir viel über das Leben im Ghetto, die alltäglichen Kämpfe um Lebensmittel und Arbeit, über die „Selbstverwaltung” der Juden, über „Ein-und Aussiedlungen”, über Besuche inspizierender deutscher Kommissionen (in deren Mitte sich mehrfach der Oberbürgermeister Werner Ventzki, der Vater des Rezensenten, befand), über Gerüchte und Geschichten unter den Rubriken „Kleiner Getto-Spiegel” oder „Man hört, man spricht”. Das jetzt vorliegende Konvolut zeugt von größtmöglicher Sorgfalt bei der Edition, Anmerkungen verweisen auf die verschiedenen Textvarianten und auf Dokumente und Quellen im Kontext.
Es dürfte sich um das umfangreichste und genaueste Dokument über die Lebensumstände in einem von den Nazis errichteten Ghetto handeln. Aber nicht nur der historische Wert der Chronik ist hoch anzusetzen, gleichzeitig liegt ein philologisches Werk vor, das vor Augen führt, wie sehr Editionsphilologie auch ethische Dimensionen besitzen kann. Es war eine kluge Entscheidung, im Bildteil den bereits vielfach gedruckten Fotos Neues hinzuzufügen und noch mehr die Gesichter der Opfer für sich sprechen zu lassen.
Der umfangreiche Supplement-Band liefert wichtige ergänzende Informationen über die Entstehung des Ghettos, zum Aufbau und zur Überlieferung der Chronik, zur Sprache sowie zur Edition selbst und stellt Einzeltexte der Chronisten vor. Im Personenregister finden sich die feststellbaren Angaben der Opfer sowie auch Kurzbiographien der deutschen Funktionsträger. Dass das Ghetto Lodz/Litzmannstadt eine festere, längst überfällige Verankerung in unserem historischen Bewusstsein finden wird, ist ganz besonders auch das Verdienst der drei Herausgeber von der Arbeitsstelle für Holocaustliteratur der Universität Gießen. JENS-JÜRGEN VENTZKI
SASCHA FEUCHERT, ERWIN LEIBFRIED, JÖRG RIECKE (Hg.): Die Chronik des Gettos Lodz/Litzmannstadt. Wallstein Verlag, Göttingen 2007. 5 Bände, 3053 Seiten, 168 Abb., 128 Euro.
Kinder spielen im Ghetto Lodz/Litzmannstadt Ordnungsdienst – ein Bild aus dem Jahr 1943. Foto: Aus dem besprochenen Band
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Als "Meilenstein der Geschichtsschreibung zur Shoa" würdigt Andreas Platthaus diese erste vollständige Ausgabe der Chronik des Gettos von Lodz, die Sascha Feuchert, Erwin Leibfried und Jörg Riecke herausgegeben haben. Die vier Bände mit Aufzeichnungen sowie der fünfte Band mit Supplementen, Essays und Register bieten seines Erachtens einen einzigartigen Einblick in den Überlebenskampf der Menschen im Getto. Höchste Anerkennung zollt er auch der umfangreichen Kommentierung durch die Herausgeber. Ausführlich berichtet Platthaus über die Organisation des Gettos und den von der deutschen Gettoverwaltung eingesetzten Mordechai Chaim Rumokowski, der auch für das jüdische Archiv verantwortlich war, zu dessen Aufgaben die Führung einer Chronik gehörte. Die Aufzeichnungen der Chronisten vermitteln in seinen Augen ein überaus genaues Bild vom schrecklichen Elend der Menschen im Getto, dem Hunger, den grausamen Schikanen durch die Deutschen, den Deportationen. "In diesen Aufzeichnungen", hält Platthaus fest, "ist das Andenken von mehr als 160.000 Ermordeten aufgezeichnet".

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