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Von der literarischen Skandalfigur zum emanzipatorischen Frauentypus - Julia Drost spürt dem Phänomen der Garçonne nach.Die Garçonne ist die epocheprägende Hauptfigur aus Victor Marguerittes gleichnamigem Roman aus dem Jahre 1922. Das Buch repräsentierte seinerzeit einen aufsehenerregenden Grenzfall feministischer Literatur und vermittelt wie kaum ein anderes literarisches Werk der zwanziger Jahre einen Einblick in neue Frauen- und Männerrollen. Die gesellschaftliche und kulturelle Bedeutung der Garçonne als Figur reicht aber weit über die Breitenwirkung des Skandalromans hinaus. Julia Drost…mehr

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Produktbeschreibung
Von der literarischen Skandalfigur zum emanzipatorischen Frauentypus - Julia Drost spürt dem Phänomen der Garçonne nach.Die Garçonne ist die epocheprägende Hauptfigur aus Victor Marguerittes gleichnamigem Roman aus dem Jahre 1922. Das Buch repräsentierte seinerzeit einen aufsehenerregenden Grenzfall feministischer Literatur und vermittelt wie kaum ein anderes literarisches Werk der zwanziger Jahre einen Einblick in neue Frauen- und Männerrollen. Die gesellschaftliche und kulturelle Bedeutung der Garçonne als Figur reicht aber weit über die Breitenwirkung des Skandalromans hinaus. Julia Drost beschäftigt sich deshalb in ihrer Studie neben dem literarischen Werk mit der zeitgenössischen Rezeption und den verschiedenen Bedeutungszuweisungen, die die Figur der Garçonne durch den medialen Transfer in Theater, Film, Illustration und Mode erfährt. Diese machen sie zu einem wichtigen, zeitgenössisch repräsentativen, breit wirksamen und emanzipatorischen Frauentypus der zwanziger Jahre.
Autorenporträt
Julia Drost studierte französische Literaturwissenschaft, Slawistik und Kunstgeschichte, u.a. am Institut d'Études Politiques und an der École Normale Supérieure in Paris. Seit März 2002 ist sie wissenschaftliche Referentin am Deutschen Forum für Kunstgeschichte in Paris.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.04.2004

Die Zwanziger flirten sehr subtil
Julia Drost verfolgt die literarische Konjunktur des Garçonne-Typs

Julia Drosts Studie über die literarische Figur der Garçonne im Frankreich der zwanziger Jahre ist ein sehr gründliches, informatives und tapferes Produkt aus der Welt akademischer Abschlußarbeiten. Wer sich durch die zahlreichen, im Original zitierten Belegstellen hindurchgearbeitet hat, wird mit einer neuen Perspektive auf die wohl widersprüchlichste Epoche des letzten Jahrhunderts belohnt.

Der Buchtitel bezieht sich auf den 1922 erschienenen, gleichnamigen Roman Victor Marguerittes, in dessen Zentrum die emanzipierte Frau der Nachkriegsära steht. Sie ist selbstbewußt, trägt einen Bubikopf, kreuzt ihre Beine im Sitzen und läßt den Rock dabei über die Knie rutschen. Ihre Liebesobjekte sucht sie sich selber aus, sie verpönt Ehe und Kinder und neigt zu Affären mit anderen Frauen. Marguerittes Skandalerfolg schuf einen Mythos, der ins Zentrum zeitgenössischer Geschlechtsdebatten fiel. Dem Autor, einer politisch schillernden, dem Feminismus zugeneigten Figur, widmet sich Drost nur am Rande und beruft sich dabei treuherzig auf eine "Prämisse der gender studies", der zufolge ein männlicher Schriftsteller dem "philosophischen, kulturellen, literarischen, sprachlichen, intertextuellen System, das von Männern konstituiert worden ist", verhaftet bleibt. Statt dessen weitet sie ihre Fragestellung auf die Wirkungsgeschichte seiner auch später um die Garçonne kreisenden Romane aus.

Neben der Tagespresse kommt Drost auf Verfilmungen und Theaterversionen, auf Buchillustrationen, die Mode, die sich um den neuen Frauentypus rankte, und nicht zuletzt auf die zum Teil parodistischen Werke zu sprechen, die der "Garçonne" Konkurrenz zu machen versuchten. Eine starke Reaktion löste die literarische Welle in konservativen, um die "repopulation" besorgten Kreisen aus, die schon 1920 ein Verbot der Abtreibung und der Werbung für empfängnisverhütende Mittel durchgesetzt hatten. Margueritte selbst schrieb das Vorwort zu einem Pamphlet des mit ihm befreundeten Georges-Anquetil zum Wohle der Polygamie, die dem kriegsbedingten Männermangel abhelfen sollte - ein Vorschlag, der von feministischer Seite als "Monument des männlichen Egoismus" abserviert wurde. Als weiblichen Egoismus sah die katholische Liga der "Väter kinderreicher Familien" das modische Junggesellentum der Frauen an und versuchte vergeblich, die Verbreitung der "Garçonne" zu unterbinden. An ihr kristallisiert sich das Nachkriegsfrankreich, und Julia Drost tut gut daran, sie zum Lackmustest seiner Spannungen zu machen.

Victor Margueritte war sich zur Zeit des L'art pour l'art und der absoluten Dichtung nicht zu schade, seine Figuren zu Ideenträgern seiner politischen Überzeugungen zu machen. "Ein ganz und gar schwacher Autor", urteilte Leo Trotzki, "in seiner banalen Prosa spürt man nichts von der großen Schule des französischen Romans", seine Erotik habe "den Beigeschmack von Polizeiakten". Mögen seine Werke - die er anfangs gemeinsam mit seinem älteren Bruder verfaßte - auch krude prosaisch und naturalistisch direkt gewesen sein, so durchweht Marguerittes Biographie doch ein Hauch von Poesie. Sein Vater war General und ließ in Sedan als Volksheld sein Leben. Der seit dem vierten Lebensjahr verwaiste Sohn verschrieb sich dem Pazifismus und warf dem französischen Militär öffentlich massive taktische Fehler vor. Diese Anklageschrift mehr als seine freizügigen Romane dürften der Grund für Marguerittes Ausschluß aus der Ehrenlegion gewesen sein. Seine Mutter war eine Cousine Stéphane Mallarmés, der die Karriere ihrer Söhne durch positive Kritiken beförderte.

Claude Levi-Strauss diente Margueritte Anfang der dreißiger Jahre als Privatsekretär und stellte ihm ein eher vernichtendes Zeugnis aus. Margueritte habe in einem großbürgerlich-altmodischen Interieur halb blind und ohne Kontakt zu seiner Umwelt gelebt, vor allem, "weil er es sich auf einem so hohen Sockel eingerichtet hatte, daß es ihm schwer wurde, Gesprächspartner zu finden". Im übrigen habe er einer "internationalen Bruderschaft der Übermenschen" angehört, zu denen neben Keyserling und Rolland auch Einstein zählte und die sich darauf verständigt habe, die Bücher der jeweils anderen in den Himmel zu loben.

Obwohl Margueritte zu den Dreyfus-Verteidigern zählte, finden sich in seinen Büchern antisemitische Tendenzen, die dazu führten, daß er die Versailler Verträge heftig kritisierte. Er kokettierte mit der kommunistischen Partei und hatte doch ein Faible für den rechtsrheinischen Erbfeind, den er archaisierend als "robust gebaute, vor Energie strotzende Rasse" schildert, unter der eine "Atmosphäre der Sittsamkeit" herrsche. So inkongruent diese Mischung aus vorwärts- und rückwärtsgewandten Elementen auch erscheinen mag - ihr Schlüssel scheint in der Kränkung durch den frühen Verlust des Vaters zu liegen.

Plausibel arbeitet die Autorin den Nexus zwischen kriegsversehrter Männlichkeit und einem neuen Selbstverständnis der Frau heraus. Nicht ohne Brio spricht Julia Drost von der "Vertreibung des Mannes aus dem emotionalen und diskursiven Mittelpunkt weiblichen Lebens". Die Mutterschaft hatte nach dem großen Schlachten der Söhne ihre Attraktivität verloren, und auch das erotische Fluidum zwischen den Geschlechtern war zum Erliegen gekommen. Der Einschnitt, den der Erste Weltkrieg im affektiven Paarhaushalt bedeutete, ist wohl kaum ernst genug zu nehmen. Vom "horreur du flirt", der Panik vor jeder sexuellen Kontaktaufnahme, ist in den zeitgenössischen Journalen die Rede. So fremd die traumatisierten Kriegsheimkehrer der Frauen waren, so pervers kamen diese in ihrer modischen Androgynität den Veteranen vor. Die Französin sah nicht mehr ein, warum sie für gleiche Arbeit weniger als ein Mann verdienen, warum sie nicht wählen, studieren, über den eigenen Bauch verfügen und das Sorgerecht für seine unehelichen Kinder abgeben sollte.

Die männliche Welt hingegen stieß sich an den brüsken Bewegungen, dem direkten Blick, dem "arroganten Busen" und der rauhen Sprache der Garçonne und verschlang doch die von ihr handelnden Romane auf der Suche nach pornographischen Passagen. Einen Verteidiger fand Margueritte in Anatole France. "La Garçonne" war für ihn das getreue Gemälde einer denaturierten, von den "unerhörten Ausschweifungen" neureicher Kriegsgewinnler beherrschten Gesellschaft.

Den französischen Tugendwächtern war es mehr um die Außensicht des Landes zu tun. Sie sorgten sich um den Ruf der französischen Frau und setzten alles daran, den Export des Garçonne-Mythos zu begrenzen. Der Regisseur Armand du Plessy begründete seine Verfilmung des Stoffes mit der Notwendigkeit, ausländischen Adaptionen zuvorzukommen, hätte man dort doch "sicher ein visuelles Pamphlet gegen die französische Gesellschaft" daraus gemacht. Doch selbst du Plessys Version zog die französische Zensur lesbischer Anbandelungsszenen wegen aus dem Verkehr. In deutschsprachigen Ländern stieg sie indessen zum Kassenschlager auf. Auch der polemische Roman "Madame wünscht keine Kinder" von Clément Vautel verfehlte sein propagandistisches Ziel. Alexander Korda machte daraus ein deutsches Filmlustspiel, in dem, wie Julia Drost trocken bemerkt, "die pronatalistischen Werte" verlorengingen. Deutsche Sappho-Schülerinnen nannten gar ihre erste Zeitschrift "Garçonne". Margueritte versuchte seinerseits die Rezeption seiner anstößigen Figur durch eine Theaterfassung in friedlichere Bahnen zu lenken; das Ergebnis war ein durch und durch harmloses Stück, dem das Publikum allein deshalb zusprach, weil es vergeblich anzüglicher Stellen harrte. Diesem gähnenden Parkett zuliebe lohnt es sich, in Paris nach den wilden Zwanzigern zu schürfen. Berlin war nicht das einzige Gomorrha.

INGEBORG HARMS

Julia Dorst: "La Garçonne". Wandlungen einer literarischen Figur. Wallstein Verlag, Göttingen 2003. 312 S., 27 Abb., geb., 26,- [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Julia Dorsts Studie über die literarische Figur der Garconne im Frankreich der zwanziger Jahre ist ein "sehr gründliches, informatives und tapferes Produkt aus der Welt akademischer Abschlussarbeiten", schreibt Rezensentin Ingeborg Harms und meint das durchaus als Kompliment. Wer sich nämlich durch die zahlreichen, im Original zitierten Belegstellen hindurchgearbeitet habe, werde mit einer neuen Perspektive auf die "wohl widersprüchlichste Epoche des letzten Jahrhunderts" belohnt. Ausgehend von Victor Marguerittes Roman "la Garconne" von 1922 untersuche Dorst die Wirkungsgeschichte seiner auch später um die Garconne kreisenden Romane, und zwar in der Tagespresse, in Theaterversionen, Verfilmungen, Buchillustrationen und der Mode. An der Figur, die für die Rezensentin zum "Lackmustest" der Spannungen der Nachkriegszeit wird, kristallisiert sich für sie das Frankreich jener Jahre nach 1918. Plausibel sieht die Rezensentin auch den "Nexus zwischen kriegsversehrter Männlichkeit" und neuem Frauenbild herausgearbeitet.

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