Produktdetails
  • Verlag: Verlag der Autoren
  • Seitenzahl: 276
  • Deutsch
  • Abmessung: 195mm
  • Gewicht: 342g
  • ISBN-13: 9783886612406
  • ISBN-10: 3886612406
  • Artikelnr.: 09967268
Autorenporträt
Josef Bierbichler, geboren 1948 in Ambach am Starnberger See, ist einer der großen und das deutsche Theater prägenden Schauspieler. Er war "Mein Herbert" in dem Stück seines Freundes Achternbusch, er war Müllers "Philoktet", Marthalers "Faust" und Lopachin in Zadeks "Kirschgarten". Er spielte in Michael Hanekes Filmen "Code Inconnu" und "Das weiße Band", in Jan Schüttes Film "Abschied" den alten Brecht sowie in Hans Steinbichlers "Winterreise".
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.11.2001

Sepp und Sisyphus
Josef Bierbichlers Holz der Gerechten / Von Irene Bazinger

Es ärgere ihn ganz gewaltig, erklärt der Schauspieler Josef Bierbichler, wenn er in den Medien immer wieder mit noch so lobend gemeinten Attributen aus der Tierwelt bedacht werde. Zwar ist er fraglos tatsächlich ein Kerl von einem Mann, aber als Elefant oder Bär, als grobschlächtiges Fabelwesen mit Pranken und Tatzen und Stiernacken möchte er sich doch nicht bezeichnet sehen. Jetzt hat Bierbichler, der sich viele fremde Texte famos zu eigen gemacht hat, selbst ein Buch geschrieben. Es heißt "Verfluchtes Fleisch" und wird ihm wohl weitere lobende Fauna-Vergleiche einbringen: Denn er entpuppt sich darin als ein wahrer Dinosaurier, aber nicht im Sinn eines verknöcherten Kriechmonstrums, sondern als Vertreter der aussterben Gattung von Sinn- und Form- und Lebenskünstlern, die lieber "Widerkäuer" sind - statt "Wiederkäuer".

Der 1948 in Ambach geborene Bauernsohn, dem die Eltern einen Gasthof am Starnberger See vererbten, besuchte erst eine Hotelfach- und dann die Otto-Falckenberg-Schule. Bald spielte er auf allen wichtigen Bühnen zwischen Hamburg und Wien, bis Ende der achtziger Jahre war er der wichtigste Akteur in den Filmen Herbert Achternbuschs.

So ungewöhnlich wie der Darsteller zeigt sich nun auch der Autor Josef Bierbichler: Keine blitzblanke Autobiographie hat er verfaßt, keine glatte Chronologie seiner bewegten Karriere mit ein bißchen Weihrauch an jeder Station. Ohne Rücksicht auf Freund und Feind, ein provokantes Lästermaul und streitbarer Dickschädel, zieht der überzeugte Nonkonformist ein persönliches wie gesellschaftliches Fazit. Manches in dem legt es nahe, den Ich-Erzähler mit dem Autor gleichzusetzen. Jedoch gibt es zwischen im Faktischen fußenden Gedankenskizzen und manchmal kryptisch knappen Erörterungen rein fiktionale Einschübe, in denen sich Bierbichler in reichlich krude Phantasmen versteigt und dem Erzähler ein Alter ego namens Kaspar an die Seite stellt, dem es ziemlich übel ergeht.

"Ich muß nicht mehr ernst genommen werden", konstatiert er einmal und entwickelt aus dieser Freiheit bestürzende Visionen wie gescheite Monologe. Oder wird genießerisch von einer flüchtigen Idee mitgerissen und kümmert sich nicht um deren Haltbarkeit: "Ich sage es jetzt auch nur, weil es mir gerade eingefallen ist und weil es mir deshalb gefällt. Morgen schon gefällt es mir vielleicht nicht mehr."

Bierbichler legt sein erstes Buch so an, wie er möglicherweise seine Rollen einstudiert. "Was bin ich denn nun wirklich?" fragt er und danach, wie weit die Wahrheit gerade dann entfernt ist, "wenn man ihr besonders nahe gekommen zu sein glaubt". Lose aufgereiht, läßt er zwischen den Polen der tastenden Ich-Erkundung und dem klaren Blick aufs große Ganze viel Platz: für pubertäre Melancholien und bissige Gesellschaftsbetrachtungen, für Kollegenschelte, biographische Anmerkungen, Kindheitserinnerungen und Weibergeschichten. Er lobt Regisseure wie Marthaler, Peymann, Zadek oder Schlingensief (dem er, was er hier nicht erwähnt, 1998 sein Preisgeld für den Gertrud-Eysoldt-Ring schenkte). Die meisten Theaterleute hält er allerdings für "Hofnarren der Demokratie", die sich nur zu gern beim Fernsehen prostituieren: "Die Gagen für die Einschaltquoten sind der Judaslohn für den Verrat an der Kunst."

Doch auch draußen vor der Kantinentür findet der hellwache Zeitgenosse reichlich Anlässe für herzblut-zornesrote Kulturkritik: "Ich schreibe doch kein Buch zur Unterhaltung! Ich schreibe aus Rache." Mit nahezu barocker Eloquenz fällt er über die Achtundsechziger her, die Auschwitz mit dem Kosovo verwechseln, über die Spaßgesellschaft und ihre "Kaulquappen des Neoliberalismus", über Kapitalismus im allgemeinen und Globalisierung im besonderen.

Wie einen Rettungsversuch aus dieser Misere plant das literarische Gegenüber des Erzählers seine Demission als Mensch. Kaspar verliert Sprache und Verstand und wird, im Obstgarten eingepflanzt, zum Baum. Der Erzähler verschmilzt mit dem Baum durch eine vorher beim Europäischen Patentamt angemeldete "Autoxenotransplantation": Mann und Natur, Fleisch und Holz wachsen zusammen, und wenn sie niemand gefällt hat, spazieren sie als "ER-ICH" respektive Erich durch die Weltgeschichte: Ein Traum, eine Rolle, eine (Alb-)Traumrolle vielleicht? "Ich heiße Sepp", schreibt Bierbichler, "und das ist der Spitzname von Sisyphus."

Josef Bierbichler: "Verfluchtes Fleisch". Verlag der Autoren, Frankfurt am Main 2001. 280 S., geb., 38,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

"Der Schauspieler Josef Bierbichler ist ein eigensinniger Kopf, ein, wie die Rezensentin Irene Bazinger formuliert, "provokantes Lästermaul und streitbarer Dickschädel". Das merkt man auch dem Buch an, meint sie, das er geschrieben hat, das sehr persönlich ist, aber "keine blitzblanke Autobiografie". Neben dem durchaus vorhandenen Faktischen nämlich gibt es "rein fiktionale Einschübe", in denen es reichlich fantastisch zugeht, aber gewiss nicht ordentlich und chronologisch. Mit bösen Worten wird nicht gespart, die meisten Regisseure - mal abgesehen von Marthaler, Peymann, Zadek und Schlingensief - hält er für "Hofnarren der Demokratie". Geschimpft wird viel, aber, so Bazinger, immer "mit barocker Eloquenz". Im fiktionalen Teil verwandelt sich Held Kaspar währenddessen in einen Obstbaum und der Erzähler anverwandelt sich gleich hinterher. Daneben immer auch "biografische Anmerkungen, Kindheitserinnerungen und Weibergeschichten". In der Rezension geht es ein bisschen durcheinander wie Kraut und Rüben, in der Notiz jetzt auch: das muss am Bierbichler-Buch liegen.

© Perlentaucher Medien GmbH"