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Woher kommen die Geräusche der Welt, der Natur, der Tiere, des Menschen und woher kommt die Musik? Michel Serres unternimmt drei musikalische Reisen. Auf der ersten - legendenhaften - begleitet er Orpheus, der von den Orakeln lernt, zu hören und zu verstehen, wie die neun Musen aus den Grundgeräuschen der Welt eine Sprache machen. In der zweiten - persönlichen - zieht Serres seine eigenen Spuren nach, und knüpft einen biographischen Faden anhand von musikalischen Ereignissen, die ihm selbst widerfahren sind. Und schließlich kommt er in der dritten - heiligen - Reise zur Entstehung des biblischen Wortes.…mehr

Produktbeschreibung
Woher kommen die Geräusche der Welt, der Natur, der Tiere, des Menschen und woher kommt die Musik? Michel Serres unternimmt drei musikalische Reisen. Auf der ersten - legendenhaften - begleitet er Orpheus, der von den Orakeln lernt, zu hören und zu verstehen, wie die neun Musen aus den Grundgeräuschen der Welt eine Sprache machen. In der zweiten - persönlichen - zieht Serres seine eigenen Spuren nach, und knüpft einen biographischen Faden anhand von musikalischen Ereignissen, die ihm selbst widerfahren sind. Und schließlich kommt er in der dritten - heiligen - Reise zur Entstehung des biblischen Wortes.
Autorenporträt
Michel Serres (*1930), Mitglied der Académie française und langjähriger Autor bei Merve, hat im Jahr 2010 im Haus der Kulturen der Welt in Berlin seinen Vortrag »Musik und Bacchanalien« in einer Performance vorgetragen. In den folgenden Monaten hat er daraus das Buch Musik entwickelt. Bei Merve erschien zuletzt 2009 »Das eigentliche Übel«.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Lorenz Jäger bespricht in einer Doppelkritik zwei musikalische Reflexionen französischer Denker, Michel Serres Bändchen "Musik" und Vladimir Jankélévitchs "Satie und der Morgen". Serres ist für ihn der Schwärmer unter beiden. Den Essay liest er als "unendlich assoziativen Hymnus auf das Klingen selbst". Es geht um ein besonderes französisches Thema der Musikbetrachtung, den Übergang von Musik zu Sprache, von Natur zu Kultur, so Jäger. Serres schweife dabei von Orpheus zu Marie, die Serres als Sängerin feiere, und zu den unvermeidlichen Vöglein im Walde. Entzückt legt Jäger das Bändchen zur Seite.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.11.2015

So klingt die Welt - und so Frankreich

Die Musikphilosophie hat wieder Konjunktur: Eignen sich die beiden Franzosen Michel Serres und Vladimir Jankélévitch als Wegweiser?

Von Lorenz Jäger

Das Protein FoxP2, erst 1998 entdeckt, lässt heute alle Debatten über das Verhältnis von Sprache und Musik, Klang und Mimik in einem neuen Licht erscheinen. Was mystisch gestimmte Musikliebhaber, hörende Pythagoräer schon immer behaupteten - dass die Welt Klang sei - tritt nun mit wissenschaftlicher Miene auf. Denn dieses Protein steuert ebenso die menschliche Sprachfähigkeit und das Erkennen der Mimik des Anderen, wie es den Walen, Fledermäusen und Zebrafinken das Erlernen der Gesänge ermöglicht. Es hat einen Einfluss auf die Schizophrenie. FoxP2 sagt, zugespitzt: Wer zum Klang kein Verhältnis hat, wird geisteskrank.

Der französische Philosoph Michel Serres erwähnt in seinem Buch "Musik" das Protein nicht, aber seine ganze Gedankenentwicklung scheint es zu fordern. "Worte und Ideen kamen mir in Melodien. (. . .) Die Musik ruft den Satz hervor", schreibt er über seine Kindheit. Eigentlich ist dieses Buch ein kaum gebremster, unendlich assoziativer Hymnus auf das Klingen selbst, das kosmisch und theologisch grundiert wird; und es ist eine autobiographische Reflexion des Denkers im Medium der Lebensklänge.

Und das, obwohl (oder weil?) Michel Serres sich als "missratenen Musiker" bezeichnet, der nur den Spuren von Orpheus' Reise folge. Die Sprachen selbst werden ihm vor allem als Klänge fasslich: "Unter dem Deutschen höre ich Wagner und Mahler in endlosem Satzbau und Phrasierungen donnern, in besorgter Erwartung des Verbs." Aber dann scheint er die Leistungen von FoxP2 zu ahnen: "So universell wie die Zahlen für den Menschen ist für die Primaten und die Vögel die Musik." Philosophisch sucht Serres das, "was unsere deutschen Freunde die Ur-Musik nennen".

Serres lässt seine Überlegungen, die bei dem mythischen Sänger Orpheus beginnen, in eine Lektüre des Alten und des Neuen Testaments münden. Maria ist ihm zunächst und vor allem eine Singende. Als die Mutter des Täufers die kommende Gottesmutter preist und das Kind im Leib zu hüpfen beginnt, antwortet Maria mit dem Magnifikat, "und sie singt die Freude, die ihre Seele weitet, und lobpreist den Herrn; sein eigenes Fleisch erschauert vor Jubel". Französisch: Das sind bei Serres die glücklich gefundenen Übergänge von Natur in Kultur, wie beim Wein, so im Kultus.

Und die Musik ist ebenso national (deutsch, französisch, italienisch), wie sie universell ist. In seiner "Musiksoziologie" schrieb Theodor W. Adorno: "Wer Debussy richtig hören will, muss die Kritik mithören, welche seine Kleinformate, die deutsche Arroganz leicht mit dem Genrestück verwechselt, am metaphysischen Anspruch der deutschen Musik üben. (. . .) Die kritischen und polemischen Züge Debussys und aller westlichen Musik sind dadurch aber auch verkoppelt mit solchen von Verblendung gegen wesentliche Aspekte der deutschen." Man empfinde jenseits der Rheins, so Adorno weiter, Beethovens Gestus gelegentlich als "selbstgerechtes Auftrumpfen", als einen Habitus, "dem es an urbanen Sitten gebricht".

Wer wissen will, wie sich die von Adorno beschriebene französische Haltung in ihrer scharfsinnigsten, aber zugleich ins nachgerade Absurde gesteigerten Schärfe ausnimmt, der greife zu dem Bändchen von Vladimir Jankélévitch, der nur knapp zwei Wochen älter war als Adorno. "Satie und der Morgen" heißt es; erstmals erschienen 1957. Damit ist schon die musikphilosophische These ausgesprochen. Es lobt das Licht des Morgens, das den Rausch der Nacht ablöst, die "Fusion und orgiastische Konfusion", es ist das der "prosaischen Unterbrechung und der Scheidung", es lehrt den "Rausch der Nüchternheit", es entzaubert die "verzauberte Seele".

Deutsch, das war für Jankélévitch die "romantische Geschwätzigkeit", es waren die "monströsen Kolosse, Ausgeburten des Münchener Größenwahns", "symphonische Weitschweifigkeit", die "Scharlatanerien des ,Rings'", die erschöpfenden "heroischen Symphonien und ,Heldenleben'", "brüllende Rhetoren und schreiende Sängerinnen". Die Namen Richard Strauss und Richard Wagner fallen einer Verdammung des Andenkens anheim, nirgends werden sie genannt, jeder weiß, dass es um sie geht. Erik Satie dagegen erscheint als der zarte, helle Ironiker, als einer, der die übermäßigen Ansprüche scherzend unterbietet, der die "Sports et Divertissements" überschreibt mit den Worten "Morgens, auf nüchternen Magen". So wird er zum Paten einer genuin französischen Musik der Gruppe "Les Six" um Francis Poulenc. Wäre man in Deutschland, würde man in Saties Musik eine dem Dadaismus verwandte Tendenz erblicken.

Aber Jankélévitch ist ein metaphysischer Antideutscher von großem Format; selbst kriegerische Bilder scheut er nicht, wenn er sagt, dass "Saties kleine Pfeile den Zeppelin des ,Rings' zum Platzen bringen". Er, der vor dem Krieg über die späte Philosophie Schellings gearbeitet hatte, wies nach der Judenvernichtung das Deutsche schlechthin von sich ab, die Sprache, die Romantik, das Denken; er dürfte auch der einzige Philosoph gewesen sein, der buchstäblich die These einer Kollektivschuld der Deutschen vertrat. Musikalisch ließ er aus Deutschland nur Kurt Weill gelten, bei dem er in der ironischen Entzauberung des Pathos Züge sah, die Satie verwandt waren.

Dies gesagt, muss nun auch die andere Seite erwähnt werden: Die Analysen von Saties Werk sind glänzend, von einem Philosophen geschrieben, der sich auf das Klavierspiel mehr als nur laienhaft verstand und zur Musik überhaupt ein genuines Verhältnis hatte. Jede These wird mit Notenbeispielen belegt. Bei Satie kam ihm die Figur des Sokrates entgegen - es gibt ein dreiteiliges symphonisches Drama "Socrate", in dem Texte Platons von einer weiblichen Stimme gesungen werden, begleitet von einem Klavier oder einem kleinen Orchester. - Man sagt wohl nicht zu viel, wenn man in diesen Tagen einen musical turn der Geisteswissenschaften zu beobachten glaubt.

Vladimir Jankélévitch: "Satie und der Morgen".

Herausgegeben von Richard Schroetter. Aus dem Französischen von Ulrich Kunzmann. Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2015. 157 S., br., 16,- [Euro].

Michel Serres: "Musik".

Aus dem Französischen von Elisa Barth und Alexandre Plank. Merve Verlag, Berlin 2015. 168 S., br., 16,- [Euro].

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