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Glenn Gould, der am 25. September siebzig Jahre alt geworden wäre, ist ein einzigartiger Star unter den Pianisten des 20. Jahrhunderts. Seine Präsenz im internationalen Musikleben hat auch zwanzig Jahre nach seinem Tod - er erlag am 4. Oktober 1982 einem Herzinfarkt - nicht nachgelassen. Seine Einspielungen sind Bestseller, er wurde zum heimlichen Helden eines Romans (Thomas Bernhard, Der Untergeher), ist Gegenstand eines abendfüllenden Films, eine Vielzahl von Internetseiten widmet sich dem kanadischen Genie, seinen musikalischen Interpretationen, seinen legendären Performances, seiner…mehr

Produktbeschreibung
Glenn Gould, der am 25. September siebzig Jahre alt geworden wäre, ist ein einzigartiger Star unter den Pianisten des 20. Jahrhunderts. Seine Präsenz im internationalen Musikleben hat auch zwanzig Jahre nach seinem Tod - er erlag am 4. Oktober 1982 einem Herzinfarkt - nicht nachgelassen. Seine Einspielungen sind Bestseller, er wurde zum heimlichen Helden eines Romans (Thomas Bernhard, Der Untergeher), ist Gegenstand eines abendfüllenden Films, eine Vielzahl von Internetseiten widmet sich dem kanadischen Genie, seinen musikalischen Interpretationen, seinen legendären Performances, seiner Philosophie und seiner Biographie.
Tim Page geht in seinem Text den Gründen für die nicht abnehmende Faszination am Mythos Glenn Gould nach. Vor allem aber erlauben zahlreiche, zum Teil erst jetzt und
für dieses Buch erstmals freigegebene Fotografien einen neuen, aufschlussreichen und ungewöhnlichen Blick auf ein eigenwilliges musikalisches Genie.
Rezensionen
Die Faszination Gould
Neu- und Wiederveröffentlichungen einzelner Aufnahmen, musikwissenschaftliche Analysen, Biografien, Filmporträts – auch über 20 Jahre nach seinem Tod ist Glenn Gould absolut präsent. Sind es seine Eigenheiten, die ihn so populär machen, der alte Klappstuhl, auf dem er beim Spielen saß, die winterliche Kleidung, die er unabhängig vom Wetter, drinnen wie draußen zu tragen pflegte? Ist es die Isolation, in die er sich freiwillig begab, nachdem er sich 1964 aus dem Konzertbetrieb verabschiedet hatte? Oder sind es am Ende doch seine genialen Bach-Interpretationen oder die unerhört schönen Einspielungen etwa der Brahms-Intermezzi, die ihn – zumindest im Sinne der Kunst – unvergänglich erscheinen lassen?
Eindringliche, zum Teil unveröffentlichte Bilder
Wie auch immer die individuellen Antworten auf diese Fragen ausfallen mögen: Jeder, der sich dem Phänomen Glenn Gould nähern oder seine Begegnung mit dem Künstler intensivieren möchte, sollte einen längeren Blick in diesen Band werfen. Auf das Vorwort des Cellisten Yo-Yo Ma und die hervorragende Einleitung des Musikkritikers und Gould-Kenners Tim Page folgen vier Abschnitte mit den Titeln "Ouvertüre", "Im Sturm", "Neue Horizonte" und "Geleit". Sie dokumentieren mit eindringlichen Bildern Leben des Klavierspielers (ein "Pianist" wollte Gould nie sein), Komponisten, Essayisten, Fernseh- und Radioproduzenten, des "letzten Puritaners" Glenn Gould. Was manchen Kenner überraschen mag: Der Band bietet wirklich Neues, nämlich zahlreiche bislang unveröffentlichte Fotos. Gerade im ersten Teil, der sich Kindheit und Jugend des großen Kanadiers widmet, können selbst Sammler manche Entdeckung machen.
Dokumente des Alterns und der Reife
Natürlich dokumentiert der Band zwangsläufig auch das Altern Goulds. Die Porträts des Künstlers als junger Mann scheinen einen ganz anderen Menschen zu zeigen als etwa die Aufnahmen aus seinen letzten Lebensjahren. Doch bei aller Wehmut, die den Leser angesichts mancher Bilder etwa aus dem Jahre 1981 ergreifen mag, als Gould die Goldberg-Variationen zum zweiten Mal einspielte: Wer gerade diese Aufnahme kennt, spürt in ihrer Reife und ihrer beinahe spirituellen Ausstrahlung die innere Kraft dieses Menschen, dessen Äußeres so deutliche Spuren eines exzessiven Künstlerlebens zeigte.
(Roland Große Holtforth, literaturtest.de)
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 25.09.2002

Der Zuhörer
Kein Wiederholungstäter, aber der eigentümlichste Pianist des 20. Jahrhunderts: Heute vor 70 Jahren wurde Glenn Gould geboren
Wenn alles nach Plan gelaufen wäre – und bei Glenn Gould pflegte alles nach wenn auch sehr eigenen Plänen zu laufen – dann hätte der kanadische Pianist vor 20 Jahren, pünktlich zu seinem 50.Geburtstag, das Klavierspielen endgültig aufgegeben. So wie er es siebzehn Jahre zuvor aufgegeben hatte, von Konzertsaal zu Konzertsaal zu reisen und jeden Abend in einer anderen Stadt zu gastieren, immer mit dem gleichen Programm, so wie eine Musikmaschine, so wie es alle seine Musikerkollegen seit Jahrhunderten schon machen und heute noch immer machen. Aber Gould wollte keine Maschine sein, die den elysischen Moment immer wieder und wieder seinen Fans vorgaukelte. Vielleicht war Gould auch gar kein Musiker. Sondern durch und durch ein Zuhörer, genauer gesagt: sein liebster Zuhörer.
Die Fotos von Don Hunstein, die wir dem gerade erschienen Band „Glenn Gould. Ein Leben in Bildern” entnehmen, und die laut Verlag zum ersten Mal veröffentlicht werden, zeigen den Meister, wie er sich 1958 selbst zuhört – es soll sich dabei, wer könnte es noch nachprüfen, um die 49.Haydn-Sonate handeln. Wenn Harnoncourt nicht die Musik als Klangrede schon gepachtet hätte, so müsste man Gould als ihren Erfinder nennen. Gould skandiert den Haydn, mimt das wie James Dean, expliziert, bläht rhetorisch auf, untertreibt, polemisiert und dirigiert – nach seinem tatsächlichen Debüt als Dirigent, mit der Originalfassung von Wagners „Siegfried-Idyll” und selbstverständlich im Tonstudio, ist er am 4.Oktober 1982 überraschend gestorben. Es war die letzte Aufnahme des Tonbandfetischisten, der die letzten siebzehn Jahre am liebsten in Aufnahmestudios verbrachte.
Und doch gibt es in Glenn Goulds Leben nur zwei Jahreszahlen, die beide dasselbe meinen: 1955 und 1981 sind nichts anderes als zwei mal dreißig Variationen über jene elegisch unscheinbare Goldberg-Aria, die beim ersten Hören so gar nichts Spektakuläres verspricht. Gould gewinnt die Nachdrücklichkeit seiner Interpretationen, auch und vor allem in diesem Zyklus, den viele mit dem Pianisten in Eins setzen, nie aus dem Furor und der Leidenschaft. Wenn er, wie in seiner frühen Zeit häufiger, die große pathetische Klaviermusik spielt, dann ist man enttäuscht. Denn Gould ist der Meister von Klangreden, die gegen das Klavier erzwungen werden. Das Pedal, auf dem die meisten Klavierspieler seit der Romantik stehen geblieben sind, hat er misstrauisch gemieden. Die gemeißelte Diktion, die ihm von der großen Rosalyn Tureck her schon im Ansatz bekannt war, hat Gould zur Vollendung getrieben. Es war dies die Sehnsucht des Pianisten nach dem Cembalo, es war dies die einzige Chance des Nicht-Romantikers, sich in einer gefühligen Welt zu etablieren.
Gould ahnte als einer der ersten, dass die ewige Masche der Klassikinterpreten, das unendliche Abspielen der immer gleichen und immer älter werdenden Klassiker, den Tod der Live-Musik bedeutete. Diese Ahnung wurde ihm zur Krise, so wie auch einem Friedrich Gulda oder einem Maurizio Pollini. Gould flüchtete sich zu Bach, dessen Musik er als mathematische Rätsel begriff, die in der größten Deutlichkeit und Strenge aufgelöst werden mussten. Daraus gewann Gould jene Leidenschaft, die ihm bei pathetischer Musik nicht zur Verfügung stehen wollte.
Goulds Verweigerung fand gleichzeitig statt mit der Verweigerung der ersten Propheten der historischen Aufführungspraxis. Wie sie entzog er sich dem romantischen Traum von einer Musik, die die Seele streichelt, sie erregt, betrügt, umgarnt, betört, vergiftet, verhext. Gould, die Bilder belegen es, stand lieber da und redete, klar, knapp, virtuos. Er war geradezu ein Demagoge jenseits aller Expressivität – vielleicht wollte er deshalb nach seiner Pianistenkarriere als Wissenschaftler weiterarbeiten. Schon früh hatte Gould begriffen, dass die Wiederholung sich nur für den Zuhörer lohnt, dass aber der kreative Künstler daran zugrunde geht. Und vielleicht sollte es sich deshalb auch für uns verbieten, heute Glenn Goulds 70.Geburtstag zu feiern. REINHARDJ.BREMBECK
TIM PAGE: Glenn Gould. Ein Leben in Bildern. Mit einem Vorwort von Yo-Yo Ma und einer CD mit Goulds erster Aufnahme. Nicolai Verlag, Berlin 2002. 192 Seiten, 28 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Die letzten siebzehn Jahre seines recht kurzen Lebens - Gould starb 1982 erst fünfzigjährig - verbrachte der kanadische Pianist am liebsten im Tonstudio. Er hatte die Karriere als Konzertsaalpianist aufgegeben, weil er kein Musikmaschine sein wollte, so vermutet jedenfalls Reinhard J. Brembeck. Die Fotografien von Don Hunstein, die in diesem Band angeblich erstmals veröffentlicht sind und Gould bei seinem Dirigentendebüt zeigen, veranlassen Brembeck zu der Bemerkung, Gould sei vielleicht gar kein Musiker gewesen, sondern "durch und durch Zuhörer, genauer gesagt: sein liebster Zuhörer". Gould, der Nicht-Romantiker, der seine Eindringlichkeit des Spiels, seine Meisterschaft der "Klangrede", wie Brembeck es nennt, nie aus dem Pathos der Musik bezog, sondern "jenseits aller Expressivität" die Auflösung in der Strenge der formalen Struktur suchte, war auch ein Mann des Wortes - die Fotos scheinen es Brembeck zu belegen. Gould schwadronierte nicht, sondern redete klar und knapp, er schwelgte nicht in gefühliger Musik, sondern gab klare Anweisungen. Dass Gould sich später ein Leben als Wissenschaftler erträumte, Brembeck sieht es in den Bildern und nutzt es zu einem verkappten Geburtstagsartikel (zum 70.) - und versäumt darüber, den Band im ganzen zu würdigen.

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