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Aufruhr im Städtchen Rouiba: Am selben Tag wurden zwei Männer ermordet aufgefunden, die verschiedener nicht sein können. Der eine, Moh, ist der Pate der Region, sehr wohlhabend und unantastbar, der andere, Abdallah Bakour, ein armer Teufel, der erst kürzlich aus Frankreich zurückgekehrt ist, wo er Landarbeiter war. Während der Fall Bakour dem Kommissar Larbi zugeschoben wird, einem alten, ausgedienten Polizisten, der kurz vor der Pensionierung steht, übernehmen die Autoritäten der Polizei den Fall Moh. Sie sind mit den Geheimnissen der Politik bestens vertraut und dieser Fall erfordert…mehr

Produktbeschreibung
Aufruhr im Städtchen Rouiba: Am selben Tag wurden zwei Männer ermordet aufgefunden, die verschiedener nicht sein können. Der eine, Moh, ist der Pate der Region, sehr wohlhabend und unantastbar, der andere, Abdallah Bakour, ein armer Teufel, der erst kürzlich aus Frankreich zurückgekehrt ist, wo er Landarbeiter war. Während der Fall Bakour dem Kommissar Larbi zugeschoben wird, einem alten, ausgedienten Polizisten, der kurz vor der Pensionierung steht, übernehmen die Autoritäten der Polizei den Fall Moh. Sie sind mit den Geheimnissen der Politik bestens vertraut und dieser Fall erfordert besonderes Fingerspitzengefühl.
Kommissar Larbi kommt bei seiner Suche nach dem Täter schon bald von der offiziellen Linie ab. Statt den Fall wie von höchster Stelle gewünscht schnellstens abzuschließen, deckt er mit sicherem Gespür immer neue Details auf. Als er erste Hinweise für einen Zusammenhang zwischen den beiden Morden hat, begibt er sich ohne es zu ahnen in größte Gefahr ...
Der spannendePolitkrimi des mit bedeutenden Literaturpreisen ausgezeichneten Algeriers Sansal wird derzeit nach einem Drehbuch von Jorge Semprun verfilmt.
Autorenporträt
Regina Keil-Sagawe, geb. 1957 in Bochum, Studium der Romanistik, Germanistik und Orientalistik. Lehre an den Universitäten Heidelberg, Brüssel und Rabat. Zahlreiche Veröffentlichungen zur Literatur des Maghreb sowie Übersetzungen aus dem Französischen. Die Autorin lebt in Heidelberg.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.12.2003

Leichenumbetten am Mittelmeer
Boualem Sansals brillanter Politkrimi aus Algerien

Man kann es als die schönste Revanche sehen für die Literatur. Sie, die in den Terrorjahren Algeriens einen hohen Tribut zahlte und große Vertreter wie Rachid Mimouni verlor, antwortet heute mit großer Literatur. Algerien ist gegenwärtig das literarisch produktivste Land im französischsprachigen Maghreb. Und es ist auch nicht schrill gestimmte Klage- und Trauerbelletristik, die mit emphatischer Sprache die kollektiven Wunden leckt. Als wäre alle Einfühlung aufgebraucht bis auf den doppelten Boden des hellen Lachens, schlägt uns diese Literatur als bittere Selbstironie und beißender Sarkasmus entgegen. Wegen Mord und Abwanderung sind die Autoren oft auch keine gestandenen Literaten vom Fach, sondern beruflich gebundene Akteure einer langsam wieder zu Atem kommenden Nation wie etwa Yasmina Khadra. Schärfer noch, sarkastischer und mit einem unerhörten Darstellungstalent läßt Boualem Sansal, ein hoher Beamter im algerischen Industrieministerium, in seinen Romanen Stolz und Elend aus vierzig Jahren Unabhängigkeit und zehn Jahren Terror durcheinanderwirbeln.

In seinem als Politkrimi geschriebenen Erstlingsroman "Der Schwur der Barbaren" von 1999 bündelt er im algerischen Küstenstädtchen Rouiba die Geschehnisse neu, die hinter den abgegriffenen Erklärungsschablonen von Islamistenterror, Bürokratenfilz und Polizeiwillkür schon fast nicht mehr wahr sind. Zwei Tote werden da auf dem auf Hochbetrieb laufenden Friedhof zu Grabe getragen und im Polizeirevier zu den Akten gelegt. Den Fall des reichen Sidi Mohammed übernimmt die Polizeiführung, jener des Landarbeiters Abdallah Bakour wird dem ausgedienten Kommissar Larbi überlassen. Nur schluckt das Aktenpapier nicht gleich schnell die Formeln und Floskeln wie die Friedhofserde die Leichen. Larbi jedenfalls weiß mit seiner Hartnäckigkeit im Nebenfall Bakour zu verhindern, daß die Akte mit dem Routinevermerk geschlossen wird, der Reiche sei wegen der verweigerten Islamistensteuer und der arme Bakour wegen weiß der Teufel was umgebracht worden. Kommissar Larbi kommt vielmehr auf Zusammenhänge zwischen den beiden Morden, die manches in Aufruhr und ihn selbst in Gefahr bringen.

Diese einfache kriminalistisch-historische Ermittlungsgeschichte wird mit einer parodistischen Leuchtkraft erzählt, daß die Funken tief hinter die Fassaden von religiöser und politischer Heuchelei fallen, wo das nackte Interessenkalkül und Triebleben wuchert. Der Ideologiekitsch vierzigjähriger Unabhängigkeitsrhetorik, der sterile Märtyrerkult, die Kulissenschlacht der Mächtigen und die unverdrossene Gutgläubigkeit des Volks werden mit derselben Schärfe zerlegt wie die verschwitzte Durchtriebenheit der kleinformatigen Hochstapler aus dem Bausektor, die das Land seit vierzig Jahren kaputtentwickeln. Denn in dem einst schmucken Kolonialstädtchen Rouiba fließt zwischen verstaubten Industrieschuppen, halbfertigen Billigsiedlungen, wilden Mülldeponien und zerlöcherten Straßen nach nirgendwo heute nur der Beton noch üppiger als die Schwarzgelder und die geifernden Begehrlichkeiten hinter den hohen Schutzmauern. "Hoch die Kellen und in die Hände gespuckt" heißt schon in den Kleinbürgerhöfen die Männerparole, auf daß kein fremdes Rivalenauge auf die dort eimerschleppenden Frauen falle, die mit abwesender Seele und bebendem Hintern unter der Tunika manchmal weiße Hautstellen durchscheinen lassen, bis es zwischen Gehirn und Geschlecht der verstohlen zuschauenden Maurerarbeiter zum Kurzschluß kommt. Ein Alltag aus Erotik ohne Ästhetik - so fängt alles Unheil an.

Über ein berauschendes Panorama konkreter Alltagsbegebenheiten tauchen wir auf Larbis Fahndungsspuren ein in die Realität eines Landes, das im Bann zwischen Resignation und Panik auch noch tausendfach einfach lebt, mit einem besonderen Sinn fürs Surreale. Wenn der jahrzehntelang sich dahinschleppende Krankenhausbau etwa jäh gestoppt und nach weiteren Jahren dann ebenso jäh zur Einweihung gebracht wird, daß "manch einer auf der Stelle krank umfallen möchte, um sich vom letzten Schrei des angeschafften technischen Fortschritts verwöhnen zu lassen", dann wohnen Paradies und Hölle eng beieinander.

Hellhörig vermag zwar das vor lauter Märtyrermythos erinnerungslos gewordene Land das unheimliche Pfeifen der Islamistenkugeln mit ihrem eigenen Geruch nach verbranntem Horn von dem beinah schon beruhigend wirkenden Pfeifen der republikanischen Polizistenkugeln zu unterscheiden. In der Klemme zwischen daumenleckenden Barbarenhorden, die ihre Finger abwechselnd über Gewehrkolben und dicke Geldbündel der Dschihad-Steuer reiben, und einer wie aus Verhexung immer gerade die Falschen einkerkernden Staatsmacht wird aber immer nur aufs neue unbeirrbar der Alltag geprobt. Und unaufhaltsam drängt sich aus dem Roman die Wahrheit auf: Nein, dies war kein Bürgerkrieg, dies war ein Bandenkrieg unter Ausschluß der Öffentlichkeit, die nur als Kandidat für Verhaftung oder Kehlkopfdurchstich auftrat.

Die erzählerische Wucht des Autors Boualem Sansal ist enorm - so enorm, daß die Handlung manchmal bildhaft überschäumt und vor lauter Exkursen nicht mehr vom Fleck kommt. Das hat nichts mit dem heute wieder in Mode gekommenen Geschmack an barocken Erzählmustern zu tun. Es ist Ergebnis eines über Nebensatzkaskaden daherrauschenden, beinah beschwörenden Schilderungsdrangs, der die Dinge und zugleich ihre Hintergründe benennen will. Wenn der aus Frankreich zurückgekehrte Landarbeiter Bakour auf dem verwahrlosten christlichen Friedhof des Küstenstädtchens Rouiba das Grab seiner Kolonialherren bestellt, bevor er selbst um die Ecke gebracht wird, werden zugleich alte Geschichtsleichen umgebettet. Eine so heikle Operation kann nur einem Autor vom Kaliber Sansals gelingen. Und der hervorragenden Übersetzerin Regina Keil-Sagawe war kein Sprachspiel im Original zu fein, kein Ausdruck zu stark, kein Bild zu aussagekräftig, um nicht seine geglückte Entsprechung im Deutschen zu finden. So schnell und so brillant ist selten ein historisches Drama in Literatur aufgegangen.

JOSEPH HANIMANN

Boualem Sansal: "Der Schwur der Barbaren". Roman. Aus dem Französischen übersetzt von Regina Keil-Sagawe. Merlin Verlag, Gifkendorf 2003. 468 S., geb., 23,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Algerien sei zur Zeit literarisch das produktivste Land im Maghreb, schwärmt Joseph Hanimann. Andres als zu erwarten hat er keine Klagegesänge von dort vernommen, sondern bittere Selbstironie. Im Falle von Boualem Sansal sei dieser Sarkasmus mit einem außergewöhnlichen Darstellungstalent verbunden, das europäischen Lesern auf einen Schlag 40 Jahre algerische Geschichte nahe bringe. Formal ist "Der Schwur der Barbaren" ein Politkrimi, der tief in den Alltag und die politische Realität des gebeutelten Landes hineinrührt, so Hanimann. Erzählt werde die Handlung jedoch mit großer "parodistischer Leuchtkraft", die die ganze Unabhängigkeitsrhetorik, den Märyterkult und die durch nichts zu erschütternde Gutgläubigkeit des Volkes gnadenlos niedermachten. Unaufhaltsam sickere die Wahrheit durch, meint Hanimann: in Algerien herrscht kein Bürger-, sondern ein Bandenkrieg. Im übrigen, verrät er, sei der Autor ein hoher Beamter im Industrieministerium. Bei dieser exkursiven, bildhaften fast rauschhaften Sprache trete die Handlung auch schon mal auf der Stelle, gesteht Hanimann, doch habe das nichts mit barocken Erzählmustern zu tun, doch schriebt er das einem Schilderungsdrang zu, der "die Dinge und zugleich ihre Hintergründe" benennen will.

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