Produktdetails
  • Verlag: Argon
  • ISBN-13: 9783870245283
  • ISBN-10: 387024528X
  • Artikelnr.: 24806410
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.11.2001

Der Mönch auf der Erbse
Genese der Genetik: Eine Biographie ergründet Gregor Mendel

Wir feiern Gregor Mendel zwar als Entdecker der Wissenschaft von der Vererbung, aber dieses Wort kommt in der Arbeit, mit der er das getan haben soll, nicht vor. Als Mendel im Februar und März des Jahres 1865 vor den Mitgliedern des Naturforschenden Vereins in Brünn zu sprechen hatte, da berichtete er nur von "Versuchen mit Pflanzen-Hybriden". Er stellte nicht so etwas wie "Gesetze der Vererbung am Beispiel der Erbse" vor, wie es die Nachwelt meint, die sich seit 1900 systematisch daranmacht, Genetik zu treiben. Heute erscheint das Bild des Augustinermönchs in Schulbüchern und auf Briefmarken. Sogar in den Sprachschatz ist Mendels Name eingegangen, denn was nach seinen Vererbungsregeln in Erscheinung tritt, "mendelt", wie es im Duden heißt.

Eine Gelegenheit, den Menschen hinter der Arbeit kennenzulernen, bietet die Biographie der amerikanischen Wissenschaftsjournalistin Robin Marantz Henig, die erzählt, warum Mendel ins Kloster ging, welche Reisen er unternehmen durfte - unter anderem zu einer Weltausstellung nach London -, welches Studium er absolvierte, wie und warum er zweimal kläglich in Prüfungen scheiterte, warum ihn Steuerforderungen an das Kloster wütend machten, mit wem er korrespondierte, wie sein Leibesumfang zunahm und vieles mehr. Henig beschreibt nicht nur ausführlich Mendels Versuche, mit denen er sogar gefährliches Territorium betrat, weil es dabei um Sex ging und er seinen Brüdern und Schülern das Geschlechtsleben der Pflanzen erklären mußte. Henig verfolgt auch die langfristige Wirkung von Mendels Versuchen. Sie schildert die Wiederentdeckung seiner Beobachtungen und arbeitet die unterschiedlichen Motive der Wissenschaftler heraus, die daran beteiligt waren. Und sie stellt dar, warum Mendels Ergebnisse sogleich in der englischsprachigen Welt aufgetaucht sind und auf diese Weise dafür gesorgt wurde, daß im zwanzigsten Jahrhundert gerade dort die neue Genetik aufblühte.

Wir erfahren sehr viel über den "Mönch im Garten", wobei es einige Leser stören könnte, daß die Autorin unentwegt mutmaßt. "Vielleicht ist Mendel", "wahrscheinlich hat er", "wir können uns vorstellen" und "es mag sein", wie dauernd zu lesen ist. Wir wissen vieles einfach nicht und müssen uns ausmalen, wie zum Beispiel seine heute berühmten Vorträge bei den rund vierzig Zuhörern angekommen sind. Es ist denkbar, daß nicht viel verstanden wurde und man langsam einnickte, als Mendel die endlos langen Zahlenkolonnen vorlas, mit denen er seine Erbsenkinder erfaßt hatte. Wir wissen es nicht, denn die Quellenlage ist äußerst unbefriedigend. Von Mendel ist nur wenig überliefert: ein paar Schriften und ein paar Briefe. Als er starb, hat man im Kloster gründlich aufgeräumt und alles verbrannt, was sich in seinen Unterlagen fand.

Im Gegensatz zu seinem Zeitgenossen Charles Darwin, dessen Gesamtwerk fast nur in Regalmetern zu erfassen ist, haben wir von Mendel nicht viel mehr als die vierundvierzig Seiten, auf denen er seine Versuche mit den Erbsen darstellt, und zwar in einer Weise, die man nur als schwer verständlich bezeichnen kann. Zum Beispiel so: "Sind mehrere differirende Merkmale durch Befruchtung in einer Hybride vereinigt, so bilden die Nachkommen derselben die Glieder einer Combinationsreihe, in welcher die Entwicklungsreihen für je zwei differirende Merkmale vereinigt sind." Diese Einsicht nennen die Lehrbücher heute die freie Kombinierbarkeit der Merkmale, doch selbst wer irgendwie versteht, was in Mendels Satz "für je zwei differirende Merkmale" bedeutet, wird im Original Probleme bekommen, weil dem Text zur Illustration eine Art algebraische Formel beigegeben ist, die in Worte zurückübersetzt nur als "je ein (verschiedenes) Merkmal eines Paares" gelesen werden kann.

So erscheint die Wendung auch in der ersten englischen Übersetzung, in der 1902 von "each pair of differing traits" zu lesen ist, was nicht nur die Sache klarstellt, sondern zugleich verständlich macht, warum angelsächsische Autoren (wie Henig) Mendel gerne loben. Ihnen bleibt das Original erspart. In seinem Fall ist gelungen, was sonst kaum zu schaffen ist, nämlich die Verbesserung des Originals durch seine Übersetzung. Deshalb verwundert es, wenn Henig betont, der britische Genetiker William Bateson habe Mendel zwar für seinen Sprachraum entdeckt, den Text selbst aber übersetzen lassen. Diese Arbeit muß Bateson eigenhändig erledigt haben, denn sie zeigt einen großen Kenner der damaligen Genetik am Werk, die sich gerade anschickte, eine moderne Wissenschaft zu werden.

Dies war sie vorher nicht, wie in Henigs Buch zu wenig deutlich wird. Die Autorin meint, bei den Wissenschaftlern, die vor Mendels Zeit Pflanzen gekreuzt haben, dieselbe rationale Grundhaltung voraussetzen zu können, wie sie heutigen Genetikern zu eigen ist. So stellt sie den von Mendel ausführlich gelesenen und zitierten Josef Kölreuter als Begründer "einer systematischen und experimentellen Erforschung" von Pflanzen vor und merkt nicht, daß sie von einem Alchemisten redet. Wenn Kölreuter im achtzehnten Jahrhundert Pflanzen kreuzt und Bastarde erzeugt, hat er eine Verwandlung des Lebens im Sinn, und er meint, damit "ebensoviel geleistet zu haben, als wenn ich Bley in Gold, oder Gold in Bley verwandelt hätte", wie er 1764 schreibt. Mendels Unterweisung muß sich wenigstens zum Teil im Umkreis solcher Vorstellungen vollzogen haben, in dem trotzdem nach und nach der Gedanke auftaucht, daß neues Leben weniger erzeugt als vielmehr reproduziert wird. Erst von diesem Standpunkt aus kann man den Vorgang der Vermehrung wissenschaftlich ins Auge fassen, und Mendel lernt beim Studium der Physik in Wien, wie dies gelingen kann - nämlich zunächst dadurch, daß man im Experiment nur einen und nicht mehrere Parameter variiert, und dadurch, daß man diesen einen Meßwert (Farbe, Höhe oder Form) an vielen Exemplaren studiert, und nicht umgekehrt an einer einzigen Pflanze nach vielen Eigenschaften schaut.

Bleibt die Frage, was Mendel mit den Erbsen wirklich finden wollte, wenn es ihm nicht um Gesetze der Vererbung ging. Henig kommt etwa in der Mitte ihres Buches nach sorgfältigem Abwägen anderer Möglichkeiten zu einer gut begründeten Vermutung: "Mit anderen Worten, Mendel entdeckte in seinen Kreuzungsversuchen den Mechanismus der Beständigkeit der Arten. Und das genau war es vielleicht, wonach er überhaupt suchte, und nicht den Mechanismus der Variation, der die Arbeit so vieler früherer Züchter vorangetrieben hatte."

Etwas ähnliches stand bereits 1865 im "Brünner Tagblatt" zu lesen, in dem es nach den oben erwähnten Zusammenkünften der Naturforschenden Gesellschaft in der Rubrik "Neuigkeiten" hieß, "Prof. G. Mendel hielt einen längeren Vortrag über Pflanzen-Hybriden" und "hob dabei hervor, daß dieselben stets geneigt waren, zur Stammart zurückzukehren" - was auch heißt, daß eine Evolution nicht stattzufinden scheint. Wenn die Gerüchte stimmen, daß Mendel selbst den Bericht für die Zeitung verfaßt hat, dann läßt sich daraus eine Mendelsche Regel für Forscher ableiten: Was du der Nachwelt sagen willst, mußt du als Zeitungsmeldung formulieren. So etwas wird auch ein Jahrhundert später noch verstanden.

ERNST PETER FISCHER

Robin Marantz Henig: "Der Mönch im Garten". Die Geschichte des Gregor Mendel und die Entdeckung der Genetik. Aus dem Amerikanischen von Andrea Stumpf und Gabriele Weck. Argon Verlag, Berlin 2001. 375 S., geb., 39,88 DM.

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Ernst Peter Fischer merkt zunächst an, dass die amerikanische Wissenschaftsjournalistin Robin Marantz Henig keine einfache Ausgangslage hatte, als sie die Biografie von Gregor Mendel schrieb, den Entdecker der Wissenschaft von der Vererbung: Von Mendel selbst sind nicht mehr als vierundvierzig Seiten erhalten, auf denen er seine Versuche mit Erbsen darstellte, der Rest seiner Unterlagen wurde verbrannt. Fischer wirft der Autorin den vagen Charakter ihrer Darstellung vor, die mehr auf Mutmaßungen denn auf Fakten beruhe. Außerdem kritisiert er eine zentrale These der Autorin, die besagt, dass bereits Wissenschaftler vor Mendel durch eine rationale Grundhaltung geprägt seien wie sie heutigen Genetikern zueigen sei. Falsch, meint Fischer, hier habe die Autorin eindeutig die alchemistischen Aspekte der damaligen Forschung übersehen. Trotzdem erfahre man über die Person Gregor Mendel so manches, beispielsweise wie sein Leibesumfang zunahm oder welch gefährliches Territorium er betrat, wenn er seinen Klosterbrüdern und Schülern das Geschlechtsleben von Pflanzen erklären musste, da ging es schließlich um Sex. Eine Antwort darauf, was Mendel mit seinen Erbsen wirklich erforschen wollte, finde der Leser auch: Mendel entdeckte in seinen Kreuzungsversuchen den "Mechanismus der Beständigkeit der Arten". Angesichts der schwierigen Quellenlage könnte man annehmen, Fischers Kritik ist Erbsenzählerei.

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