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Das Anwesen ist etwas unreinlich, aber offen für jedermann und einfach ein herrlicher Ort: Im Abercorran House in London leben die Morgans samt Hunden, Tauben und Zufallsgästen wie die Waltons in der Villa Kunterbunt - "regellos, unsolide, rätselhaft" in den Tag hinein. Dort möchte man sitzen und seine Gedanken ziellos treiben lassen oder mit Freunden durch den großen Abenteuergarten ziehen. Doch dies alles existiert nur noch in der Erinnerung, die Arthur Froxfield und die alte Haushälterin Ann wiederaufleben lassen. Noch einmal sind sie da, all die seltsamen Menschen, wunderbaren Geschichten…mehr

Produktbeschreibung
Das Anwesen ist etwas unreinlich, aber offen für jedermann und einfach ein herrlicher Ort: Im Abercorran House in London leben die Morgans samt Hunden, Tauben und Zufallsgästen wie die Waltons in der Villa Kunterbunt - "regellos, unsolide, rätselhaft" in den Tag hinein. Dort möchte man sitzen und seine Gedanken ziellos treiben lassen oder mit Freunden durch den großen Abenteuergarten ziehen. Doch dies alles existiert nur noch in der Erinnerung, die Arthur Froxfield und die alte Haushälterin Ann wiederaufleben lassen. Noch einmal sind sie da, all die seltsamen Menschen, wunderbaren Geschichten und starken Erlebnisse.
Edward Thomas hat "The Happy-Go-Lucky Morgans", seinen Roman über eine unkonventionelle Großfamilie, 1913 geschrieben, doch er liest sich wie eine zeitgemäße Anleitung zum Glücklichsein. Leben und leben lassen - die Idylle hat freilich ihre Untiefen und ist nicht von Dauer. "Die Unbekümmerten" ist eine Utopie vom zufriedenen Leben und ein betörender Roman voll Menschenliebe und Sprachmagie. Zum ersten Mal erscheint ein Werk des englischen Schriftstellers in deutscher Sprache - ein Fundstück fast neunzig Jahre nach dem Tod des zeitlebens bekümmerten Autors.
Autorenporträt
Friedhelm Rathjen, geb. 1958, ist ein deutscher Übersetzer, Literaturwissenschaftler und Schriftsteller sowie Herausgeber der Zeitschrift "Bargfelder Bote". Studium der Publizistik, Germanistik und Anglistik. Seit 1983 Literaturkritiker. Seit 1989 literarischer Übersetzer (u. a. James Joyce, Herman Melville, Gertrude Stein, Robert Louis Stevenson, Mark Twain). 2007 ist der Band "Vom Glück" erschienen, der Rathjens Prosa aus den Jahren 1983 bis 1989 versammelt.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 13.05.2005

Die Freuden der Unordnung
In seinem Roman „Die Unbekümmerten” erzählt Edward Thomas vom Glück des Durcheinander
Ordnung macht frei. Sie kann zum Beispiel den Kopf frei machen von der Jagd nach dem Radiergummi unter Haufen aus Papier, Büchern und Kaffeetassen auf dem Schreibtisch. Sie kann so frei machen zur Arbeit. Manchen wenigstens. Manch anderem geht es umgekehrt. Er braucht Unordnung auf dem Schreibtisch, um arbeiten zu können. Diese macht ihn frei zur Arbeit; denn wenn er anfinge aufzuräumen, käme er nie zum Lesen, Denken und Schreiben.
Ordnung kann, statt zu befreien, auch einengen und bedrücken. Konzentrationslager haben ihre Ordnung, freilich auch die Sprache, die sie kritisiert. Und umgekehrt. Konzentrationslager haben ihre Unordnung: Verwahrlosung, die ihre Herren einreißen lassen, weil sie die Insassen demoralisiert; doch die Sprache, die dies kritisiert, ist unordentlich in ihrem Abweichen von der Ordnung jener Herren.
Man meinte einmal, Ordnung und Unordnung verhielten sich zueinander wie gut und schlecht, vielleicht gar wie gut und böse. Das ist schon eine Weile her. Etwas später kam die Idee auf, Unordnung zu glorifizieren. Aber vielleicht verhalten sich Ordnung und Unordnung zueinander eher wie blau und rot. Man kann mit diesen Begriffen die Welt recht gut beschreiben; sie zu werten, sind sie kaum geeignet. Schließlich sollte man stets damit rechnen, dass hinter scheinbarer Unordnung eine subtilere Ordnung wirksam ist. Die Metaphysik, die in diesem ‚hinter’ steckt, ist Realismus.
Edward Thomas’ „Die Unbekümmerten” aus dem Jahr 1913 ist ein Roman über die Freuden einer Unordnung, welche subtile Ordnung sein könnte. „The Happy-Go-Lucky Morgans” ist zugleich ein herrlich unordentliches Buch. In bemerkenswerter Übereinstimmung von Gehalt und Form erzählt Thomas schweifend, mäandernd von Menschen, die ihr Leben nicht als Projekt verfolgen und als Karriere organisieren.
So verbindet sich die Unterscheidung von Ordnung und Unordnung mit der modernen Grunddifferenz schlechthin, der zwischen dem Nützlichen und dem Überflüssigen. Von den Utopisten der Anarchie unterscheidet Thomas zweierlei: Zum einen, dass sein Buch der Taugenichtse die Ökonomie der und des Nützlichen nicht ignoriert, sondern sehr genau kennt; zum anderen, dass er die zerbrechlichen Züge im Glück des Durcheinander nicht verkennt.
Das Zusammenstimmen von Gehalt und Form ist Thomas nicht einfach passiert. Er hat es sich, wie die unaufdringlich eingeflochtenen Bemerkungen über Bücher, über das Schreiben und das Lesen nahe legen, mit Sorgfalt erarbeitet.
Solche Sorgfalt hätte sein Buch auch in der Übertragung ins Deutsche verdient. Weder die Freunde der Ordnung noch die Liebhaber der Unordnung werden sich daran delektieren, an Sätzen wie: „daß das Namensschild polieren werden mußte” die sprachliche Ordnung erst herzustellen. ‚Ordnung muss sein’ mag im Leben oft genug eine Lüge darstellen, in der Grammatik aber ist der Satz die reine Wahrheit.
ANDREAS DORSCHEL
EDWARD THOMAS: Die Unbekümmerten. Roman. Aus dem Englischen von Friedhelm Rathjen. Steidl, Göttingen 2005. 267 Seiten, 22,00 Euro.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.11.2005

Unordnung und spätes Glück
Auch Bücher träumen: "Die Unbekümmerten" von Edward Thomas

In einer Seitenstraße irgendwo am Rande von London, dort, wo man den Lärm der großen Stadt nur noch als fernes Rauschen hört, lag einst dieses Abercorran-Haus in der Abercorran Street, in dem die Morgans - Vater, Mutter, fünf Söhne und eine Tochter - eine Zeitlang sorglos und glücklich gelebt haben. Aber das ist alles lange her. Wer noch nicht gestorben ist, hat sich seitdem auf den Weg gemacht in die weite Welt hinaus oder kehrte zu den Anfängen der Familie zurück in das wirkliche Abercorran irgendwo in Wales. Lange her ist es freilich auch mit dem Buch über diese Morgans: Es erschien zuerst 1913, erlebte siebzig Jahre später eine schmale zweite Auflage und hat nun überraschend, wenngleich als stiller Gast, seinen Weg ins Deutsche angetreten.

Still indes ist es stets gewesen um seinen Autor, denn Philip Edward Thomas hat sein recht kurzes Leben so zubringen müssen wie Mr. Torrance im Roman: "Er schrieb Sachen, zu deren Abfassung es ihm gleichermaßen an der Lust und am Vermögen ermangelte, und er tat das auf Betreiben eines Verlagshauses, dessen Bestreben es war, ein schlechtes, aber nett aussehendes Büchlein über alles und jeden auf den Markt zu bringen." Lohnschreiber also war er, hat, wie der Übersetzer Friedhelm Rathjen in seinem ebenso informativen wie vorsichtig interpretierenden Nachwort mitteilt, nicht weniger als 1900 Buchbesprechungen verfaßt, "durchschnittlich drei Rezensionen wöchentlich", und erst in seinen letzten Lebensjahren - er fiel 1917, neununddreißigjährig, als Offizier - hat er sich mit diesem Roman, wenn es denn ein Roman ist, und einigen zarten Gedichten in die englische Literatur hineingeschrieben.

Roman oder nicht - das Buch über die "happy-go-lucky Morgans" öffnet sich nur langsam, verhalten. Geschichten werden erzählt, Menschen gehen und kommen, zwei Schwäninnen legen ihre Flügel am Ufer des Meers ab, heiraten ein paar einfache, rauhe Gesellen und bleiben doch, was sie waren; David Morgan stirbt hoch auf seinem Turm in der Einsamkeit der Berge, und Mr. Torrance schreibt und schreibt. Arthur Froxfield aber, der Erzähler, der seinem Autor wohl sehr nahe steht, führt in Gemeinschaft mit Ann, der alten Haushälterin, die Leser durch diese ganze Welt von Bildern und Klängen, Märchen und Wirklichkeit, Vergangenheit und einer Gegenwart, die inzwischen selbst schon wieder Vergangenheit geworden ist. Es ist ein feines poetisches Gespinst, nicht ohne die Tendenz zum Versponnenen.

"Happy-go-lucky" - das könnte die Losung eines Eichendorffschen Taugenichts sein. In der Tat, die Gesetze bürgerlicher Tagesordnung sind im Abercorran-Haus suspendiert. Statt der regulären Mahlzeiten ist im Eßzimmer "eine riesige Anrichte" mit "Braten, Käse, Brot, Obst, Kuchen und Bierflaschen" zu ständiger Selbstbedienung aufgebaut, wobei Thomas allerdings diskret die Quellen für Mr. Morgans Einkünfte verschweigt. Man kommt für einen Abend und bleibt vier Wochen, ist von vielen Büchern umgeben, sitzt im sonnenüberströmten Innenhof mit Aurelius, dem liebenswürdigen und klugen Zigeuner, zusammen und schweigt oder hört sich seine Weisheiten an. Nur "unreinlich" und "dreckig" ist man nicht, wie der - im übrigen sorgsame - Übersetzer meint, denn das "untidy" bezeichnet eher den Allgemeinzustand glücklicher Unordnung und freier Liederlichkeit als den der Unsauberkeit.

Thomas' Buch gehört in den Umkreis europäischer Boheme-Literatur an der Wende vom 19. ins 20. Jahrhundert, und mit dieser hat es zugleich den Zug ins Melancholische gemein, denn Abercorran-Haus ist nicht schlechterdings eine Insel des Glückes. Abercorran Street ist eine Sackgasse, und die Trauer über das Vergangene schwebt über vielen der Geschichten in diesem Buch. "Alles, was seither gewesen ist, ist für mich kaum wirklicher gewesen, als die Welt damals war, als sie noch von den Hügeln rings um das Tal ausgeschlossen wurde", erzählt Mr. Torrance einmal. Andere wieder wollten durch die Märchen und Wunder nicht "für die Wirklichkeit verdorben" sein: "Wir zogen nicht aus, um Wunder zu suchen, wir luden sie ein, zu uns zu kommen." Das allerdings bedarf eines besonderen Gemütszustandes, dessen Vorbedingung ihren knappsten Ausdruck dort erfährt, wo es von Aurelius, dem Zigeuner, heißt, "daß er weder zur Arbeit noch als Müßiggänger geboren war". Das ist die Quadratur des Zirkels, von der dieses Buch immer wieder träumt.

GERHARD SCHULZ

Edward Thomas: "Die Unbekümmerten". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Friedhelm Rathjen. Steidl Verlag, Göttingen 2005. 267 S., geb., 22,- [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Welch Lob ist, wenn ein Roman den Rezensenten zum gut gelaunten Philosophieren verführt! So ist es Andreas Dorschel ergangen, der über Ordnung, Unordnung und das Leben sinniert, um letztlich eines zu sagen: Dieser Roman von Edward Thomas, verfasst 1913, ist klug und schön. Klug, weil er über die "Freuden" der Unordnung erzählt, aber weiß, dass dahinter womöglich eine "subtile Ordnung" stecken könnte. Und deshalb, weil er das Anarchische, den Lebensentwurf des Taugenichts, nicht verherrlicht, sondern als durchaus fragiles Glück darstellt. Und schön, weil seine Geschichte von "Menschen, die ihr Leben nicht als Projekt verfolgen und als Karriere organisieren", ihre Entsprechung in der Form - "schweifend, mäandernd" - findet. Der einzige Wermutstropfen: die zuweilen nachlässige - unordentliche! - Übersetzung.

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