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Plötzlich waren sie die politischen Wortführer, prägten die Protestveranstaltungen des Herbstes 1989, saßen am Runden Tisch und bald auch in Regierungspositionen. Doch nach den Wahlen am 18. März 1990 spielten die DDR-Oppositionellen kaum noch eine Rolle. Woran lag das, wie erklärt sich der überraschende Aufstieg und dramatische Absturz der Bürgerbewegung? Der Autor liefert mit seiner Untersuchung zum politischen Selbstverständnis oppositioneller Gruppen in der DDR der 80er Jahre einen Schlüssel dazu. Er hat Dutzende der damals Aktiven befragt, Hunderte Positionspapiere und Akten jener Zeit…mehr

Produktbeschreibung
Plötzlich waren sie die politischen Wortführer, prägten die Protestveranstaltungen des Herbstes 1989, saßen am Runden Tisch und bald auch in Regierungspositionen. Doch nach den Wahlen am 18. März 1990 spielten die DDR-Oppositionellen kaum noch eine Rolle. Woran lag das, wie erklärt sich der überraschende Aufstieg und dramatische Absturz der Bürgerbewegung? Der Autor liefert mit seiner Untersuchung zum politischen Selbstverständnis oppositioneller Gruppen in der DDR der 80er Jahre einen Schlüssel dazu. Er hat Dutzende der damals Aktiven befragt, Hunderte Positionspapiere und Akten jener Zeit ausgewertet und die besondere Prägung der ostdeutschen Kritiker herausgearbeitet, die markante Unterschiede zu den anderen osteuropäischen Ländern aufweist. Der Autor untersucht die Motive und Ziele des Handelns vieler Akteure und beschreibt ihre Probleme, die zum Teil bis in die Gegenwart hineinwirken.
Autorenporträt
Geisel, ChristofJahrgang 1961, Studium der Geschichte und der Politischen Wissenschaften in Freiburg i.Br., 1996 Dissertation über die Juden im Frankenreich. Wissenschaftlicher Mitarbeiter an den Universitäten Freiburg i.Br. und Karlsruhe, Tätigkeit für die Robert-Havemann-Gesellschaft, Berlin. Veröffentlichungen zum Systemwechsel in Südosteuropa und zur DDR-Opposition.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 13.02.2006

Der Traum der Dissidenten
Eine andere DDR war das Ziel der meisten Bürgerrechtler
Wer in der DDR aufgewachsen ist, hat im politischen Leben der Bundesrepublik durchaus eine Chance. Dafür stehen nicht nur die Namen Merkel und Platzeck. Aber was ist aus denen geworden, die im Visier der Stasi waren, die in Friedensgruppen, in der Umweltbibliothek, im Umkreis der evangelischen Kirche eigenständig zu denken, zu reden und zu singen wagten, denen westliche Medien den Ehrentitel „Bürgerrechtler” verliehen? Einige von ihnen sind noch im Bundestag, bei der SPD, weil sie 1989 in der DDR die SPD wieder gegründet haben, in der CDU, weil Stasi-IM Wolfgang Schnur den „Demokratischen Aufbruch” über die „Allianz für Deutschland” der CDU zugeführt hat - und weil manche der Aufmüpfigen später zum westlichen Konservatismus konvertierten.
Was hat das, wofür sie heute stehen, mit dem zu tun, was sie als DDR-Dissidenten verfochten? Sehr wenig, schließt Christof Geisel aus dem üppigen Material, das er verarbeitet hat. Seine Hauptthese verrät schon der Titel: „Auf der Suche nach einem dritten Weg”. Nur sehr wenige, wie Friedrich Schorlemmer, Edelbert Richter oder Heino Falcke, würden heute noch ihr Bestreben von damals unter dieser Überschrift bringen. Was am Rande der Regionalkirchentage in der DDR zu hören war, ist fast vergessen: Jenes Suchen und Tasten nach etwas, das ganz anders war als die stupide SED-Diktatur, aber eben auch anders als die kapitalistische Erfolgsgesellschaft.
Geisel erinnert daran, dass dieses Suchen und Tasten nicht das Steckenpferd einiger Spintisierer war, sondern die Mehrheit jener 2500 Menschen bewegte, die Erich Mielke zur Opposition zählte. „Wir wollen neu lernen, was Sozialismus für uns heißen kann”, steht im Gründungsaufruf zum „Demokratischen Aufbruch”. Ehrhart Neubert, heute längst in der Union heimisch, warf dem SED-
Regime noch im Sommer 1989 vor, in der DDR sei „die Beseitigung sozialer
Ungleichheit (. . .) nie richtig gelungen”. Nicht alles, was Geisel da zitiert, kann schlaue Tarnung gewesen sein. Noch im Sommer 1989 konnte sich kaum jemand das plötzliche Verschwinden der DDR vorstellen. Die meisten Dissidenten wollten dies auch nicht. Ihr Ziel war nicht der Beitritt zur Bundesrepublik, sondern eine andere DDR.
Die freien Wahlen im März 1990 zeigten, dass die schweigende Mehrheit ihren Staat loswerden wollte, und zwar so rasch wie möglich. So blieb die DDR-Opposition in der Bundesrepublik so marginal, wie sie es zuvor gewesen war. Und dies, obwohl sie das Ende der DDR eingeleitet hatte. Sie hatte Geschichte gemacht, aber nicht das erreicht, was sie ursprünglich gewollt hatte.
Dies ist nicht Ungewöhnliches. Auch wenn mutiges und hartnäckiges Engagement nicht ohne Wirkung bleibt, erreicht es selten genau das ursprüngliche Ziel. Wie geht man mit solchen Grenzen menschlichen Tuns um? Man kann sie lächelnd als Teil der conditio humana hinnehmen. Aber man kann auch einfach zu den Siegern überlaufen und so tun, als habe man das, was schließlich geschieht, immer gewollt. Man kann sogar nachträglich auf alles eindreschen, was an die überwundenen Überzeugungen erinnert.
So kann Neubert, der 1989 die Übernahme des westlichen Systems als einen Schritt zurück zu weniger Demokratie verworfen hatte, heute Mitautor eines 800-Seiten-Werkes über Wirkung und Erbe des 17. Juni 1953 sein, das an den unmöglichsten Stellen „Neutralismus” wittert, wobei der Begriff für jene „Suche nach einem dritten Weg” steht, die Geisel bei der Mehrheit der DDR-Dissidenten konstatiert. So wird aus der unbewältigten Vergangenheit der Dissidenten konservative Geschichtspolitik.
Geisels Buch erschwert solche Bestrebungen. Darin liegt seine Bedeutung. Und es ist wichtig, dass Geisel sorgfältig und umfassend dokumentiert, viel zitiert und vorsichtig interpretiert. Es ist auch gut, dass er bei aller Zurückhaltung des Historikers Respekt und Sympathie für die Versuche des aufrechten Gangs in der SED-Diktatur erkennen lässt, vor allem aber klar macht: Diese Suche nach dem dritten Weg mag sich als unrealistisch erwiesen haben, sie war aber aller Ehren wert und durchaus verständlich bei eigenwilligen Menschen, die unter einer solchen Diktatur litten. Die auch nicht vergessen hatten, dass diese Art von Sozialismus die Antwort war auf einen Kapitalismus, der schon deshalb keine Restauration zu verdienen schien.
Dass Geisels wenige Bemerkungen zur westdeutschen Politik nicht von derselben Solidität sind wie seine Darstellung der DDR-Dissidenten, schadet dem Buch wenig. Es ist ein Buch „gegen das Vergessen” und damit gegen die Umdeutung eines der respektabelsten Kapitel deutscher Geschichte.
ERHARD EPPLER
CHRISTOF GEISEL: Auf der Suche nach einem dritten Weg. C. Links Verlag, Berlin 2005. 336 Seiten, 24,90 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

"Ein wichtiges Buch", meint Christoph Dieckmann. Wenngleich auch nicht "flott lesbar". Cristof Geisel hat für seine Geschichte der Opposition in der DDR viele Zeitzeugen befragt. Schon der Begriff der Opposition sei "strittig", manche sprechen eher von einer "Haltung". Die disparaten Gruppen in der DDR unterschieden sich von ihren Pendants in anderen Ostblockstaaten in einem entscheidenden Punkt: sie strebten nicht gen Westen sondern engagierten sich vielmehr für die "Erneuerung" des Sozialismus. Bemerkenswert sei schlussendlich auch ihr Ende, meint der Rezensent. Nach dem Mauerfall würde man viele "Exbürgerrechtler" nur noch mit dem Thema Stasi verbinden. Schließlich lobt Dieckmann noch den "uneitlen und gerechten" Stil des Autors.

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