Canan Topçu gelingt es, den formaljuristischen Vorgang »Einbürgerung in Deutschland« mit Leben zu füllen. Sie nähert sich dem spröden Thema aus unterschiedlichen Blickwinkeln und liefert ein spannendes Stück bundesdeutscher Zeitgeschichte.Ein Kaleidoskop verschiedener Ansichten, Einsichten und Einblicke zum Thema Deutsch-Werden.»Deutscher ist, wer die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt... Die Staatsangehörigkeit wird erworbenfür einen Ausländer durch Einbürgerung.« So will es das deutsche Staatsangehörigkeitsgesetz, das die juristischen Voraussetzungen für den formalen Akt der Einbürgerung regelt. Canan Topçu spürt den vielfältigen Motivationen von Menschen nach, den deutschen Pass zu beantragen oder ihren alten zubehalten. Sie hat prominente Politiker wie Cem Özdemir über ihr Deutsch-Sein befragt. Zu Wort kommen Beamte, die für Einbürgerung zuständig sind, und der Migrationsexperte Friedrich Heckmann. Zudem liefert Topçu die Fakten, gibt einen aktuellen Stand über die Einwanderungsdebatte und wirft einen Blick auf die europäischen Nachbarstaaten.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 19.11.2007„Na, du Neudeutsche”
Eine Tagung zum Thema Migration: Eine Juraprofessorin sagt, sie könne ihren türkischen Studenten doch keine besseren Noten geben, nur weil sie Türken seien. Die Professorin ist selbst Türkin. Hätte sie ihren Namen nicht gesagt, hätte es keiner gemerkt. Wer „integriert” ist, ist für die Einwanderungsdebatte verloren. Weil er entweder ganz andere Probleme hat, oder weil diejenigen, die Vorurteile hegen, gar nicht wahrnehmen wollen, wohin die Gastarbeiterenkel inzwischen aufgerückt sind. Die 1965 in Bursa in der Türkei geborene Journalistin Canan Topçu kann das „Deutsch-Werden” so gut beschreiben, weil sie es selbst erlebt, man möchte fast sagen, erlitten hat.
Iptal edilmis¸tir – ungültig, stempelt der Angestellte im Türkischen Konsulat in Frankfurt mit roter Farbe auf jede Seite des Passes von Topçu. Da wird es der Autorin mulmig. Das Hergeben des Heimatpasses wird als Angst einflößender Identitätsverlust, ja als Verrat erlebt. Später schwindet dieses Gefühl, und es stellt sich Erleichterung ein, die bei jedem visafreien Grenzübertritt in Europa neu genossen wird. Aber wie entsteht ein Gefühl von Zugehörigkeit, wie emotionale Bindung an das Neuvaterland? Antworten darauf versucht das faktenstarke und zugleich farbig erzählte „Lesebuch über das Deutsch-Werden” zu geben.
Deutschland macht es den Grüblern unter all denen, die sich – weil es das Gesetz so verlangt – mit dem Erwachsenwerden für einen von zwei Pässen entscheiden müssen, nicht einfach. Das liegt auch daran, dass den Deutschen ihr Deutschsein oft nicht leicht fällt. Die Sehnsucht nach einem „unverkrampften Verhältnis zur eigenen Nation” ist hier besonders groß, gleichzeitig ist die nationale Identität eher schwach entwickelt, wie eine europaweite Studie ergab. Erfolgreiche Integrationspolitik habe auch mit der Klärung der Beziehung zur eigenen Nation zu tun, folgert der Psychologe Ulrich Schmidt-Denter, wohl nicht zu Unrecht.
Zu den eindrücklichsten Erzählungen Topçus gehört die Geschichte der 77-jährigen Johanna Oleksiak. Weil Frau Oleksiak aus dem Odenwald 1947 einen Ausländer heiratete, verlor sie ihre deutsche Staatsangehörigkeit. So waren einst deutsche Gesetze. Erst 60 Jahre später hat die Staatenlose wieder einen Pass. Zum Gratulieren nach langer Behörden-Odyssee kam auch eine befreundete türkische Familie. „Na, du Neudeutsche”, haben sie zu ihr gesagt. Auch eine Geschichte, mitten aus Deutschland, und sie kommt einem weniger ungewöhnlich vor, wenn man das Dutzend Porträts von Topçu gelesen hat. Die Statistik sagt übrigens: Die Zahl der Neubürger blieb zuletzt deutlich hinter den Erwartungen zurück. CHRISTIANE SCHLÖTZER
CANAN TOPÇU: EinBÜRGERung. Lesebuch über das Deutsch-Werden. Brandes & Apsel Verlag, Frankfurt am Main 2007. 168 Seiten, 14,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
Eine Tagung zum Thema Migration: Eine Juraprofessorin sagt, sie könne ihren türkischen Studenten doch keine besseren Noten geben, nur weil sie Türken seien. Die Professorin ist selbst Türkin. Hätte sie ihren Namen nicht gesagt, hätte es keiner gemerkt. Wer „integriert” ist, ist für die Einwanderungsdebatte verloren. Weil er entweder ganz andere Probleme hat, oder weil diejenigen, die Vorurteile hegen, gar nicht wahrnehmen wollen, wohin die Gastarbeiterenkel inzwischen aufgerückt sind. Die 1965 in Bursa in der Türkei geborene Journalistin Canan Topçu kann das „Deutsch-Werden” so gut beschreiben, weil sie es selbst erlebt, man möchte fast sagen, erlitten hat.
Iptal edilmis¸tir – ungültig, stempelt der Angestellte im Türkischen Konsulat in Frankfurt mit roter Farbe auf jede Seite des Passes von Topçu. Da wird es der Autorin mulmig. Das Hergeben des Heimatpasses wird als Angst einflößender Identitätsverlust, ja als Verrat erlebt. Später schwindet dieses Gefühl, und es stellt sich Erleichterung ein, die bei jedem visafreien Grenzübertritt in Europa neu genossen wird. Aber wie entsteht ein Gefühl von Zugehörigkeit, wie emotionale Bindung an das Neuvaterland? Antworten darauf versucht das faktenstarke und zugleich farbig erzählte „Lesebuch über das Deutsch-Werden” zu geben.
Deutschland macht es den Grüblern unter all denen, die sich – weil es das Gesetz so verlangt – mit dem Erwachsenwerden für einen von zwei Pässen entscheiden müssen, nicht einfach. Das liegt auch daran, dass den Deutschen ihr Deutschsein oft nicht leicht fällt. Die Sehnsucht nach einem „unverkrampften Verhältnis zur eigenen Nation” ist hier besonders groß, gleichzeitig ist die nationale Identität eher schwach entwickelt, wie eine europaweite Studie ergab. Erfolgreiche Integrationspolitik habe auch mit der Klärung der Beziehung zur eigenen Nation zu tun, folgert der Psychologe Ulrich Schmidt-Denter, wohl nicht zu Unrecht.
Zu den eindrücklichsten Erzählungen Topçus gehört die Geschichte der 77-jährigen Johanna Oleksiak. Weil Frau Oleksiak aus dem Odenwald 1947 einen Ausländer heiratete, verlor sie ihre deutsche Staatsangehörigkeit. So waren einst deutsche Gesetze. Erst 60 Jahre später hat die Staatenlose wieder einen Pass. Zum Gratulieren nach langer Behörden-Odyssee kam auch eine befreundete türkische Familie. „Na, du Neudeutsche”, haben sie zu ihr gesagt. Auch eine Geschichte, mitten aus Deutschland, und sie kommt einem weniger ungewöhnlich vor, wenn man das Dutzend Porträts von Topçu gelesen hat. Die Statistik sagt übrigens: Die Zahl der Neubürger blieb zuletzt deutlich hinter den Erwartungen zurück. CHRISTIANE SCHLÖTZER
CANAN TOPÇU: EinBÜRGERung. Lesebuch über das Deutsch-Werden. Brandes & Apsel Verlag, Frankfurt am Main 2007. 168 Seiten, 14,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.06.2007Gebrochen, geteilt
Einbürgerungen in Deutschland
Entgegen allen Erwartungen hat die Zahl der Einbürgerungen nach der Reform des Staatsangehörigkeitsrechts 2000 nicht zu-, sondern abgenommen. Warum lassen sich Menschen, die seit Jahr(zehnt)en in Deutschland leben und arbeiten und als integriert gelten, nicht einbürgern, obwohl der deutsche Pass ihnen viele Vorteile brächte - vom Wahlrecht bis zum visafreien Reisen? Nicht zuletzt davon, warum Ausländern Deutschland auch nach einem langen Aufenthalt innerlich fremd geblieben ist, erzählt "EinBÜRGERung". Das Werk versteht sich als ein Lesebuch über das Deutschwerden, das die Journalistin Canan Topçu verfasst hat. Es enthält vor allem aufschlussreiche Porträts eingebürgerter wie nicht eingebürgerter Zuwanderer, ferner Interviews mit Politikern, Wissenschaftlern und für die Einbürgerung zuständigen Beamten.
Es sind vielfältige Gründe, die Ausländer davon abhalten, die deutsche Staatsangehörigkeit zu erwerben. Immer wieder genannt werden erfahrene Ausgrenzung und Diskriminierung, aber auch Angst vor dem Verlust eigener nationaler und kultureller Identität. Die Zweifelnden und Zögernden fühlen sich hin- und hergerissen zwischen der angestammten Heimat und dem Land, das schon lange oder seit jeher ihr Lebensmittelpunkt ist, in dem sie gleichwohl nie so ganz heimisch geworden sind. Sie können sich mit Deutschland nicht so recht identifizieren.
Wie denn auch, gehört es doch im Deutschland von heute "zum guten Ton, die eigene nationale Identität sehr kritisch und zum Teil abwertend darzustellen. Man mutet also den Migranten zu, eine unattraktiv gestaltete Gruppenidentität zu übernehmen" (so Ulrich Schmidt-Denter). Es ist nicht so sehr das eher durchschnittliche Maß an Fremdenfeindlichkeit, das potentielle Staatsbürger besonders abstößt, es ist das nach wie vor gestörte Verhältnis der Deutschen zu sich selbst, ihre im internationalen Vergleich am schwächsten ausgeprägte nationale Identität, die auf Fremde keine besondere Anziehungskraft auszuüben vermag.
Wer in diesem Buch liest, was Deutsche über ihr Deutschsein zu sagen haben, kann sich darüber nicht wundern. Man "misstraut dem deutschen Volk und seinem Staat und hat viel Sympathie für alles Fremde". Ein in Istanbul lebender Deutscher meint: "Unser sich Zieren, Distanzieren, unsere Mischung aus Ablehnung kollektiver Zugehörigkeit und Annahme kollektiver Schuld, aus Lossagung und Bekenntnis ist typisch deutsch." Aber wer außer uns will darin seine Identität finden?
CHRISTIAN HILLGRUBER
Canan Topçu: EinBÜRGERung. Lesebuch über das Deutschwerden. Brandes & Apsel Verlag, Frankfurt am Main 2007. 168 S., 14,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Einbürgerungen in Deutschland
Entgegen allen Erwartungen hat die Zahl der Einbürgerungen nach der Reform des Staatsangehörigkeitsrechts 2000 nicht zu-, sondern abgenommen. Warum lassen sich Menschen, die seit Jahr(zehnt)en in Deutschland leben und arbeiten und als integriert gelten, nicht einbürgern, obwohl der deutsche Pass ihnen viele Vorteile brächte - vom Wahlrecht bis zum visafreien Reisen? Nicht zuletzt davon, warum Ausländern Deutschland auch nach einem langen Aufenthalt innerlich fremd geblieben ist, erzählt "EinBÜRGERung". Das Werk versteht sich als ein Lesebuch über das Deutschwerden, das die Journalistin Canan Topçu verfasst hat. Es enthält vor allem aufschlussreiche Porträts eingebürgerter wie nicht eingebürgerter Zuwanderer, ferner Interviews mit Politikern, Wissenschaftlern und für die Einbürgerung zuständigen Beamten.
Es sind vielfältige Gründe, die Ausländer davon abhalten, die deutsche Staatsangehörigkeit zu erwerben. Immer wieder genannt werden erfahrene Ausgrenzung und Diskriminierung, aber auch Angst vor dem Verlust eigener nationaler und kultureller Identität. Die Zweifelnden und Zögernden fühlen sich hin- und hergerissen zwischen der angestammten Heimat und dem Land, das schon lange oder seit jeher ihr Lebensmittelpunkt ist, in dem sie gleichwohl nie so ganz heimisch geworden sind. Sie können sich mit Deutschland nicht so recht identifizieren.
Wie denn auch, gehört es doch im Deutschland von heute "zum guten Ton, die eigene nationale Identität sehr kritisch und zum Teil abwertend darzustellen. Man mutet also den Migranten zu, eine unattraktiv gestaltete Gruppenidentität zu übernehmen" (so Ulrich Schmidt-Denter). Es ist nicht so sehr das eher durchschnittliche Maß an Fremdenfeindlichkeit, das potentielle Staatsbürger besonders abstößt, es ist das nach wie vor gestörte Verhältnis der Deutschen zu sich selbst, ihre im internationalen Vergleich am schwächsten ausgeprägte nationale Identität, die auf Fremde keine besondere Anziehungskraft auszuüben vermag.
Wer in diesem Buch liest, was Deutsche über ihr Deutschsein zu sagen haben, kann sich darüber nicht wundern. Man "misstraut dem deutschen Volk und seinem Staat und hat viel Sympathie für alles Fremde". Ein in Istanbul lebender Deutscher meint: "Unser sich Zieren, Distanzieren, unsere Mischung aus Ablehnung kollektiver Zugehörigkeit und Annahme kollektiver Schuld, aus Lossagung und Bekenntnis ist typisch deutsch." Aber wer außer uns will darin seine Identität finden?
CHRISTIAN HILLGRUBER
Canan Topçu: EinBÜRGERung. Lesebuch über das Deutschwerden. Brandes & Apsel Verlag, Frankfurt am Main 2007. 168 S., 14,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Instruktiv findet Rezensent Christian Hillgruber dieses "Lesebuch über das Deutschwerden", das die Journalistin Canan Topcu vorglegt hat. Neben interessanten Porträts eingebürgerter wie nicht eingebürgerter Zuwanderer findet er darin Interviews mit Politikern, Wissenschaftlern und für die Einbürgerung zuständigen Beamten. Er weist darauf hin, dass die Zahl der Einbürgerungen nach der Reform des Staatsangehörigkeitsrechts 2000 gegen alle Erwartungen nicht zu-, sondern abgenommen hat. Warum das so ist, erfährt man Hillgruber zufolge in Topcus Buch. Er nennt Erfahrungen von Ausgrenzung und Diskriminierung sowie die Angst vor dem Verlust eigener nationaler und kultureller Identität, aber auch die nur schwach ausgeprägte nationale Identität der Deutschen, die auf potentiell Einbürgerungswillige nicht besonders attraktiv wirke.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH