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Skandalöse Normalität
Am 7. Juli 2009 frühmorgens klingelt es an der Wohnungstüre von S. Draußen steht die Polizei und begehrt Einlass. Auf dem Hausdurchsuchungsbefehl steht »Pornografie etc.«. Die Wohnung wird durchwühlt. S. wird abgeführt. Einen konkreten Grund gibt es nicht. Stattdessen der unausgesprochene Verdacht: Das ist einer …
S. ist Deutschlehrer an einem Gymnasium in der Stadt Zürich. Er hat mit seinen 14- und 15-jährigen Schülern und Schülerinnen Texte der Weltliteratur gelesen, darunter Frank Wedekinds Frühlings Erwachen. Diese Texte werden nun zum Corpus delicti.
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Produktbeschreibung
Skandalöse Normalität
Am 7. Juli 2009 frühmorgens klingelt es an der Wohnungstüre von S. Draußen steht die Polizei und begehrt Einlass. Auf dem Hausdurchsuchungsbefehl steht »Pornografie etc.«. Die Wohnung wird durchwühlt. S. wird abgeführt. Einen konkreten Grund gibt es nicht. Stattdessen der unausgesprochene Verdacht: Das ist einer …
S. ist Deutschlehrer an einem Gymnasium in der Stadt Zürich. Er hat mit seinen 14- und 15-jährigen Schülern und Schülerinnen Texte der Weltliteratur gelesen, darunter Frank Wedekinds Frühlings Erwachen. Diese Texte werden nun zum Corpus delicti. Dazu Aktfotografien, die der Lehrer vor Jahren für private Zwecke aus dem Internet heruntergeladen hat. Die Denunziation ist von der Mutter einer Schülerin ausgegangen und eins zu eins als Anklage übernommen worden; die Staatsanwaltschaft hat den inkriminierten Unterricht niemals untersucht, stattdessen den Fall über Jahre verschleppt. Ein Justizskandal? Oder vielmehr eine skandalöse Normalität? S. ist Daniel Saladin, der Autor dieses Buches. Er beschreibt, was ihm widerfahren ist, und stellt diese Erfahrung in einen zivilisationskritischen Rahmen. Der Text ist auch eine Reflexion über Hatzszenarien, Justiz und Pornografie.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Heribert Prantl lernt mit diesem Buch, was strafrechtliche Hysterie anrichten kann und was geschieht, wenn das Vorgehen gegen (in diesem Fall nur unterstellten) Missbrauch selbst missbräuchlich wird. Dass die Geschichte des Lehrers Daniel Saladin, der wegen Klassenlektüre von Wedekinds "Frühlings Erwachen" suspendiert wurde, erzählt von ihm selbst, nicht objektiv sein kann, ist Prantl klar. Wenn der ehemalige Lehrer seinen eigenen Fall dokumentiert, analysiert, polemisiert und gegen Denunziantentum und Justiz agitiert, tritt dem Rezensenten ein belesener, kritischer Staatsbürger entgegen, einer, der ohne strafrechtlich haltbaren Grund aus der Bahn geworfen wurde.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 15.04.2014

Eine Lehrertragödie
Gefährliche Bücher: Wie man einen Pädagogen fertiggemacht hat, weil er angebliche „pornografische“ Texte im Unterricht behandelte
Frank Wedekind hat sein Drama „Frühlings Erwachen“, das von den Qualen und den Sehnsüchten der Pubertät handelt, im Jahr 1891 geschrieben. Das Stück gehört seit Jahrzehnten zur Schullektüre; an vielen Gymnasien wurde und wird es gelesen.
  Jeder, der es dort gelesen hat, erinnert sich an die verlegene Heiterkeit, die im Klassenzimmer herrschte, als über die Szene geredet wurde, in der Schüler um die Wette masturbieren – und man erinnert sich daran, ob und wie der Lehrer reagierte. Wenn er gut war, konnten die Stunden der Wedekind-Lektüre zu offenen und ehrlichen Stunden der Aufklärung werden, zu den eindruckvollsten Stunden, die man im Unterricht erlebt hat. Wenn der Lehrer schlecht war, wurden daraus die peinlichsten Momente der Schulzeit.
  Daniel Saladin, Lehrer am Literargymnasium Rämibühl in Zürich, war nach Meinung seines Schuldirektors, seiner Kollegen und fast aller seiner Schülerinnen und Schüler ein wunderbarer, ein begnadeter Pädagoge. Er also hat in seiner Klasse vor etlichen Jahren unter anderem Wedekinds „Frühlings Erwachen“ gelesen, das den Untertitel „Eine Kindertragödie“ trägt. Im Fall des Daniel Saladin ist daraus eine Lehrertragödie geworden. Die Mutter einer Schülerin zeigte ihn nämlich bei der Staatsanwaltschaft wegen „zu sexualisierten Unterrichts“ an; er lese mit seiner Klasse (14- und 15-jährigen Schülerinnen und Schülern) pornografisches Material. Neben „Frühlings Erwachen“ zählten da angeblich Unica Zürns „Dunkler Frühling“ von 1969 und andere Erzählungen dazu.
  Ohne weitere Recherchen (und, wie sie später zugab, ohne eigene Kenntnis der betreffenden Werke) ließ die zuständige Staatsanwältin Wohnung und Lehrerzimmer durchsuchen, überzog den Mann mit einem Strafverfahren wegen „Pornografie“. Der Lehrer wurde sofort suspendiert. „Auf Kunst wollen sich alle herausreden“, sagte die Staatsanwältin. Zwar wurde der Lehrer dann letztlich vom Vorwurf, in der Schule pornografische Inhalte verbreitet zu haben, freigesprochen – „Völlig unzureichend“, sagte der Richter über die Anklage.
  Trotzdem blieb an dem Lehrer etwas hängen, weil bei der strafrechtlich grundlos angeordneten Hausdurchsuchung in seinem Fotoarchiv unter Tausenden Bildern auch 36 gefunden wurden, die, weil Hamilton-artig, als leicht kinderpornografisch eingestuft wurden. Saladin wurde entlassen und lebt heute mit Frau und Kind als Schriftsteller in Norddeutschland.
  Von alledem handelt Saladins Buch. Es ist die Anklage eines zutiefst verletzten, eines leidenschaftlichen Pädagogen gegen seine Ankläger, gegen die Justiz, gegen die Medien. Der Autor schildert, was er nicht zu Unrecht eine „Hetzjagd“ nennt, und wie sie verlaufen ist. Saladin dokumentiert, analysiert, literarisiert, polemisiert, agitiert. Er ist dabei nicht objektiv; wie könnte er es auch sein? Er ist bis ins Mark gekränkt, wütend, er ist zornig, er ist auch selbstgerecht; er denunziert die, die ihn denunziert haben. Gleichwohl oder auch gerade deswegen: Was eine Schnellschuss-Justiz anrichten kann, wie sie einbricht in das Leben eines gebildeten, belesenen, kritischen Staatsbürgers, wie sie ihn ohne jeden strafrechtlich haltbaren Grund aus der Bahn wirft, wie sie sein Leben zerstört – in diesem Buch kann man es lesen. „Eine Hetzjagd“ ist ein Buch auch über die strafrechtliche Hysterie, die die Wörter „Pornografie“ und „Pädophilie“ heute auslösen können. Der Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexuellem Missbrauch ist ein brennend wichtiges Thema. Saladins Buch lehrt aber, wie das Vorgehen gegen Missbrauch selbst missbräuchlich werden kann.
  Den treffenden Kern des Falles Saladin hat Finn Canonica, Chefredakteur von Das Magazin , der wöchentlichen Beilage unter anderem des Zürcher Tagesanzeigers , herausgearbeitet. „Gefährliche Bücher oder: Wie man einen Lehrer fertigmacht“ hieß die Titelgeschichte vor zwei Jahren. Canonica schrieb im Editorial dazu: „Wir leben in einer übersexualisierten Zeit – und sind gleichzeitig so verklemmt wie kaum zuvor, wenn es darum geht, mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen Sexualität zu thematisieren.“ Womöglich steht die Gesellschaft vor neuen Jahren der Prüderie.
HERIBERT PRANTL
Daniel Saladin: Aktion S. Eine Hetzjagd nimmt ihren Verlauf. Rotpunktverlag, 2014. 288 Seiten. 27.50 Eur.o
Daniel Saladins Buch belegt,
was eine Schnellschuss-Justiz bei
Unschuldigen anrichten kann
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