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Die Wüste folgt anderen Gesetzen als die Stadt. Die Sesshaften müssen die Vermächtnisse der Ahnen aus der Zeit der Wüstendurchquerung vergessen. Oder dürfen sie das nicht?Der Konflikt ist Thema in Ibrahim al-Konis Roman "Die Puppe", der, zweiter Teil einer Trilogie, die Geschichte der "Verheissenen Stadt" fortsetzt. An deren Ende steht die Stadt, Heimstätte für den einstigen Nomadenstamm und Magnet für Menschen von nah und fern. Die Jungfrau des Heiligtums, das über den sterblichen Überresten des Stammesführers errichtet wurde, überbringt von diesem die Lehren der Ahnen.Doch die Menschen…mehr

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Produktbeschreibung
Die Wüste folgt anderen Gesetzen als die Stadt. Die Sesshaften müssen die Vermächtnisse der Ahnen aus der Zeit der Wüstendurchquerung vergessen. Oder dürfen sie das nicht?Der Konflikt ist Thema in Ibrahim al-Konis Roman "Die Puppe", der, zweiter Teil einer Trilogie, die Geschichte der "Verheissenen Stadt" fortsetzt. An deren Ende steht die Stadt, Heimstätte für den einstigen Nomadenstamm und Magnet für Menschen von nah und fern. Die Jungfrau des Heiligtums, das über den sterblichen Überresten des Stammesführers errichtet wurde, überbringt von diesem die Lehren der Ahnen.Doch die Menschen wollen keinen toten Führer, sondern einen aus Fleisch und Blut. Sie wollen keine rätselhaften, fertigen Antworten aus dem Unsichtbaren, sondern einen Führer, der, einmal gewählt, manipulierbar ist und vornehmlich dazu dient, ihre Interessen zu rechtfertigen.Und wenn er das nicht tut? Wenn er es ablehnt, eine Puppe zu sein? Dann ist der Konflikt programmiert."Die Puppe" ist ein Roman über das, wastäglich in der Zeitung steht: die Erwartungen von Menschen an ihre politische Führung; die Forderung, das eigene Gewinnstreben ohne moralische Fesseln durchsetzen zu können; der Wunsch, traditionelle Bindungen abzuwerfen oder eben an ihnen festzuhalten.
Autorenporträt
Ibrahim al-Koni, geboren 1948, Tuareg aus der Libyschen Wüste, arbeitete nach dem Studium der Literatur am Gorki-Institut in Moskau als Journalist in Warschau und in Moskau. Der mehrfach ausgezeichnete Autor lebt seit 1993 in der Schweiz. Sein Gesamtwerk umfasst ca. 50 Bände. Seine Werke sind in mehrere Sprachen übersetzt. Auf deutsch erschienen im Lenos Verlag: "Blutender Stein", "Goldstaub", "Die Magier" sowie der Aphorismenband "Schlafloses Auge" und der Erzählband "Meine Wüste" u.a.m.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.07.2008

Kamele mit Goldfelgen

Wer rostet, der rastet: Der libysche Autor Ibrahim Al-Koni hat in einem Roman verarbeitet, mit welcher Macht die Moderne in die Gesellschaft der Tuareg einbricht.

Bis zu vierzig Tage sollen Nomaden an einem Ort verweilen. Dann aber ist es höchste Zeit zum Aufbruch. So wollen es "die Ahnen", und so andächtig das klingt, so einsichtig ist die Begründung: Wer länger als vierzig Tage bleibt, der beginnt, sich Gedanken über festen Grund und Boden zu machen und über Besitz und Eigentum. Weil das Leben aber mehr sein soll als schlichtes Gewinnstreben, weil die Gier menschliche Gemeinschaften leicht vergiftet, auch darum ziehen die Tuareg der nordafrikanischen Wüste unausgesetzt von Ort zu Ort. So jedenfalls behaupten es die Alten und Weisen. Das Problem ist nur: Die Alten und Weisen haben längst selbst beachtlichen Besitz angehäuft.

Diskret lagert die vornehmste aller Währungen, das Gold, nicht in ihren Zelten, sondern in ihren Häusern. Denn auch von der Wanderschaft haben sich die Tuareg, allen Ermahnungen der Vorfahren zum Trotz, längst verabschiedet. Sesshaft geworden in den Oasen, haben sie sich einer Lebensweise verschrieben, die zwar gegen die Traditionen verstoßen mag, aber den Vorteil größerer Sicherheit und Bequemlichkeit bietet.

Ibrahim Al-Koni, 1948 in eine libysche Tuareg-Familie geboren, pflegt einen ebenso bedächtigen wie hintersinnigen Stil. Koni, berichtet sein Übersetzer Hartmut Fähndrich, greife auf die Erzählweise altorientalischer Mythen zurück. Dabei entwickelt er ein Erzähltempo, das man als getragen, vielleicht sogar als träge empfinden kann.

Doch Al-Koni ist zu sehr Künstler, um dem Untergang der alten Ordnung nachzutrauern. Stattdessen erweist er sich als aufmerksamer Chronist, der das Aufkommen der Moderne aus ganz unterschiedlichen Perspektiven nachzeichnet. Hatte er in seinem Roman "Die verheißene Stadt" die Entstehung urbanen Lebens beschrieben, so widmet er sich in der "Puppe" den damit verbundenen Widersprüchen und Ambivalenzen, allen voran den ökonomischen. Das Streben nach Gold widerspreche der Tradition, verkündet der frisch gewählte Führer der Tuareg. Aber kann man das wirklich sagen? "Du willst nicht einsehen, dass wir schon lange keine Wanderer mehr sind", hält ihm einer der längst sesshaft gewordenen Nomaden entgegen. "Du willst nicht eingestehen, dass wir uns vor vierzig Jahren hier angesiedelt haben." Der junge Führer der Tuareg, so kann man dessen Kritiker verstehen, hat sich weltanschaulich überlebt, kaum dass er sein Amt angetreten hat. Ohne es selbst eigentlich zu bemerken, hat sich hier ein skeptischer Konservativer in einen blindwütigen Reaktionär verwandelt. Und als solcher ist er denkbar ungeeignet für die ihm anvertrauten Ämter. Dies umso mehr, als die, die er regieren sollte, eigentlich eine "Puppe" ins Amt hatten wählen wollen, eine den Interessen der mächtigen Händler gefügige Polit-Marionette. Dass er nicht zur Puppe werden will, wird am Ende sein Schicksal besiegeln. Die Frage ist nur, ob dies an der Gier der Händler liegt oder nicht vielmehr daran, dass der junge Führer den Wandel der Zeiten weder versteht noch akzeptiert. Al-Koni, so zeigt sich auf den folgenden Seiten, diskutiert in seinem Roman nichts anderes als die Frage nach der Wandlungsfähigkeit von Gesellschaften.

Im Herzstück des Romans, einem Dialog zwischen dem noch im Amt befindlichen Führer und einem älteren Kaufmann, entwickelt Letzterer eine moderne Ästhetik des Handels und der Ökonomie. Kapitalismus als Lebensform: Die Formel passt längst auch in die Lebenswelt der Tuareg. Al-Koni verzichtet darauf, den Wandel historisch exakt zu datieren. Stattdessen weitet er ihn aus zu einer grundsätzlichen Problematik. Seinen Beruf übe er aus, weil er durch ihn erst zum Menschen werde, erläutert der Kaufmann. Der Handel, erklärt er, "hat mich gelehrt, dass das eigentliche Geheimnis weder darin besteht, Waren durch die Wüste nachzurennen, noch darin, die seltensten Waren aus fernen Ländern herbeizuschaffen, noch darin, Gewinne zu erzielen, die man unwürdigen Nachkommen hinterlässt. Nein, der wahre Handel ist wie das Leben. Der echte Handel, Herr, ist das Leben!" Unmerklich wandelt sich die Diskussion über den Handel zu einer über das Leben, genauer über dessen Grundformen Vita activa und Vita contemplativa. Erst in der Anstrengung kommt der Mensch zu sich selbst, argumentieren die Vertreter der modernen, dem Gold geweihten Lebensform. Nein, in seiner Ruhelosigkeit verliert er sich gerade, halten die Traditionalisten entgegen. "Geschwätz" sei das, entgegnen wiederum die Händler, der größte Gewinn des Handels liege in ihm selbst, in der ihm eigenen Faszination. Die Vertreter einer beschaulichen Lebensweise wiederum vermuten hinter diesem Argument den Schrecken vor der Leere, die sich einstelle, wenn der Mensch mal keinen Handel treibe. Alle Übel der Welt, so kann man sie verstehen, rührten daher, dass die Tuareg es nicht in ihren Zelten aushalten. Wie aber kommt man zur inneren Ruhe? Al-Koni verrät es nicht. Nichts ist ihm fremder als die Rolle des Propheten oder bedächtigen Mahners. Stattdessen ist er ein Arrangeur der Vielstimmigkeit, zudem ein Vertreter der Moderne, der um die Konventionen und Gesetze weiß, auf die modernes Wirtschaften angewiesen ist.

Indem er diese Gesetze verletzt, bringt der junge Führer die Region an den Rand einer Wirtschaftskrise. Preise stürzen, mühsam aufgebautes Vertrauen geht verloren. "Der Handel", fasst einer der Kaufleute die Situation zusammen, "ist wie ein streunendes Kamel. Einmal erschreckt, ist es nicht leicht zurückzubringen." Westliche Ökonomen würden dem zustimmen, nur dass sie von der "Volatilität der Märkte" sprächen.

Al-Koni hat seinem Roman gleich mehrere Zitate vorangestellt, darunter eines von Max Weber, das die Kälte des modernen Wirtschaftens beklagt. Zwar endet auch "Die Puppe" mit einem Gewaltakt. Aber dennoch weigert sich Al-Koni, der untergehenden Lebenswelt in elegischen Tönen hinterherzutrauern. Ein Abgesang auf gute alte Tuareg-Zeiten wäre nicht nur kitschig, er wäre auch und vor allem prätentiös und verlogen melancholisch.

Nichts anderes hat der Autor letztlich vorgelegt als das ewige Drama der Moderne - ein ganz und gar unromantisches Drama, das sich, aller westlichen Sahararomantik zum Trotz, auch unterm Wüstenhimmel ereignet. Dem Druck der neuen Zeiten lässt sich auf Dauer nichts entgegenstellen. Am allerwenigsten eine Puppe.

KERSTEN KNIPP

Ibrahim Al-Koni: "Die Puppe". Roman aus der Sahara. Aus dem Arabischen übersetzt von Hartmut Fähndrich. Lenos Verlag, Basel 2008. 166 S., geb., 18,50 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Recht eingenommen zeigt sich Kersten Knipp von Ibrahim al-Konis Roman "Die Puppe", der für ihn auf gelungene Weise den gesellschaftlichen Wandel verarbeitet, der auch vor den Tuareg in der Sahara nicht halt macht. Im Zentrum sieht er den Untergang der alten Ordnung, den al-Koni im Konflikt zwischen einem jungen, aber traditionell eingestellten Tuareg-Führer und den alten, wohlhabenden Händlern, die längst sesshaft geworden sind und beachtlichen Besitz angehäuft haben, darstellt. Knipp schätzt den ebenso "bedächtigen" wie "hintersinnigen" Stil des libyschen Autors, auch wenn das Erzähltempo für seinen Geschmack etwas höher hätte sein können. Auch begrüßt er, dass sich al-Koni nicht als Mahner oder Prediger geriert. Der Roman ist in seinen Augen dann auch alles andere als ein elegischer Abgesang auf die guten, alten Tuareg-Zeiten. Im Gegenteil: letztlich gelinge es dem Autor das "ewige Drama der Moderne", das sich auch in der Wüste Sahara abspielt, unsentimental aufzuführen.

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