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Der einzige offiziell anjerkannte Surrealist, den Österreich hervorgebracht hat: Aloys Zötl.
Der oberösterreichische Färbermeister widmete sein Leben der Erschaffung eines enzyklopädischen Bestiariums, das André Breton als das prächtigste Tierbuch bezeichnete, das die Welt je gesehen hat.

Produktbeschreibung
Der einzige offiziell anjerkannte Surrealist, den Österreich hervorgebracht hat: Aloys Zötl.

Der oberösterreichische Färbermeister widmete sein Leben der Erschaffung eines enzyklopädischen Bestiariums, das André Breton als das prächtigste Tierbuch bezeichnete, das die Welt je gesehen hat.
Autorenporträt
Franz Reitinger, promovierter Historiker und in Salzburg lebender Autor, Stipendiat der Getty Foundation, mit dem Forschungsschwerpunkt: transeuropäische Bildkulturen vor der Erfindung des Apparatebildes.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.03.2005

Bestiarium eines Unbekannten
Was Aloys Zötl an seinen Tieren gefiel, muß am Ende doch im dunkeln bleiben / Von Julia Voss

Im Dezember 1955 tauchten im Pariser Auktionshaus Hôtel Drouot die Aquarelle eines bisher völlig unbekannten Künstlers auf. Schon bei der ersten Auktion schossen die Preise in die Höhe. Bei der zweiten Auktion, die im Frühjahr des darauffolgenden Jahres stattfand, zog das Preisgewitter schließlich sogar über das Haupt des Autors hinweg, der das Vorwort für den Auktionskatalog geschrieben hatte und selbst zu den ersten Bietern zählte. Der Autor, der sich seine eigene Entdeckung nun kaum noch leisten konnte, war André Breton, der Dichter und Vordenker des Surrealismus. Der Künstler, dem Bretons Begeisterung galt, hieß Aloys Zötl, ein Unbekannter, dessen Namen sich fast niemand richtig behielt. "Aloys Zöll" schrieb eine deutsche Rezensentin, "Zoell, Alois" ein französischer Kollege und "A. Zoel" schließlich ein deutsches Auktionshaus noch 1990.

Das wenige, das sich über Zötl, den österreichischen Färbermeister, wunderlichen Tiererfinder und Liebling Bretons herausfinden läßt, hat nun der Historiker Franz Reitinger zusammengetragen und mit den phantastisch schönen Aquarellen veröffentlicht. Es ist die erste Monographie zu Zötl überhaupt, und es muß als Glücksfall gelten, daß sich für das vorliegende Buch ein Verlag gefunden hat, der nicht an den Abbildungen spart. Weit über hundert Bilder, zumeist in Farbe, führen das heute in alle Winde zerstreute Bestiarium dem Leser vor Augen. Der Bilderbogen reicht von den frühen Kinderzeichnungen in Tusche bis zum letzten Aquarell, ein Blatt mit getupften exotischen Muscheln. Da nicht jedes der Aquarelle im Original vorlag, haben nicht alle Drucke im Buch die gleiche Qualität. Dort jedoch, wo ein hochwertiger Druck möglich war, erhält man einen unvergeßlichen Eindruck von der glühenden Farbigkeit der Aquarelle.

Die bis heute ungebrochene Magie von Zötls Bestiarium, das ursprünglich aus vier gebundenen Alben mit insgesamt vierhundert Blättern bestand, liegt in der aus der Zeit gefallenen Eigenständigkeit. Woher kommen diese Tiere? Und wie geraten sie zwischen 1834 und 1887, dem Zeitraum, in dem sie entstanden, in die österreichische Kleinstadt Eferding, in das Zeichenzimmer eines malenden Laien, in Hand und Auge des Färbermeisters Zötl? Wie ein hartnäckiges Nachbild flackert in manchen Tieren das achtzehnte Jahrhundert auf, etwa bei der "Jaguarette", deren eng taillierter Leib die Eleganz des Rokoko versprüht. Andere hingegen, etwa die plumpen "Schweinsaffen" mit den in der Fläche asymmetrisch verrutschten Gesichtern, scheinen ihrer Zeit bereits vorausgeeilt zu sein und schon auf die kubistische Moderne zu warten. Kein Tier wirkt gegenwärtig. Mit lidlosen Augen blicken sie uns aus einer anderen Zeit, aus Vergangenheit oder Zukunft, entgegen.

Breton, dessen Zuneigung stets den kunstschaffenden Laien wie Zötl oder dem Zöllner Rousseau galt, suchte das Geheimnis des Österreichers in dessen Ausbildung zum Färber, ein Handwerk, das Ende des neunzehnten Jahrhunderts durch industrielle Produktionsverfahren ersetzt wurde. "Es scheint", schrieb Breton, "als hätte Zötl dank seines von Berufs wegen mit der subtilsten Auswahl der Farben und ihrer Töne vertrauten Auges von einem ,mentalen Prisma' Besitz ergriffen, das als visionärer Apparat fungierte und ihm die Verkettung des Tierreichs bis zu dessen entferntesten Vertretern enthüllte." Neben dem Färberhandwerk verortet Breton mit der Metapher vom "visionären Apparat" also den Ursprung von Zötls Geschöpfen in einer abgeschotteten Innenwelt, einem unwillkürlich bildproduzierenden Unterbewußtsein. Das im Buch zusammengeführte Material nimmt dagegen Zötls Umwelt in den Blick. Reitingers verdienstvolle Recherche erlaubt es, eine Art Umgebungsplan der eigensinnigen Tierwelt abzustecken, eine Karte, die aufschlußreiche Koordinaten verzeichnen kann. So zeigt sich etwa, daß Zötl als Kind, wie auch seine Brüder, einen vorzüglichen Zeichenunterricht genoß. Daß der Vater für seine Kinder selbst zwei Alben mit Tierbildern nach altertümlichen Holzschnitten und Kupferstichen anfertigte. Daß Zötl nie weit reiste, im Gegensatz zu seinem Bruder Joseph, der ihn in Briefen die Naturalienkabinette in Deutschland oder England schilderte und ihm aus London schließlich einen der ersten Aquarellfarbkästen der Firma "Ackermann & Co." mitbrachte. Und daß Zötl zahlreiche illustrierte Tierbücher besaß, darunter eine siebenbändige Ausgabe von Buffons "Allgemeiner Naturgeschichte".

Zötl selbst gab als Lieblingsbücher Ovids "Metamorphosen", Schütz' "Erdkunde" und Buffons "Naturgeschichte" an. Tatsächlich führt dieser Bilderkosmos näher an sein Werk heran als Bretons "visionärer Apparat": Es gleicht eher einer phantastischen Collage aus den traumwandlerischen Szenerien Ovids, den flächigen Karten der Erdkunde und den stilisierten Tieren Buffons. Wie Reitinger in einigen Fällen nachweisen kann, fügte Zötl manche Tiere wie Puzzlestücke in vorgefundene Landschaften ein, sich um Größenverhältnisse oder zoologische Richtigkeit nicht scherend. In Tier und Landschaft meint man das Fernweh des ältesten Sohnes glimmen zu sehen, der, um die letzte Nachfolge in einem untergehenden Familienbetrieb anzutreten, ein Zuhausegebliebener sein mußte.

Welche von Zötls Aquarellen besaß eigentlich Breton? Aus seinem Besitz stammen etwa "Der Caiman" von 1849 und "Das indische Nashorn" von 1872. Es mag die panerotische Aura dieser noppig schuppigen, hautigen Tiere sein, die den Surrealisten Breton bestach. Was Zötl an seinen Tieren gefiel, muß am Ende doch im dunkeln bleiben. Auch die rekonstruierbare Karte seines Lebens und Umfelds endet dort, wo er aus seinem unauffälligen Leben in Eferding hinaustritt und im Malzimmer verschwindet. Während durch Österreich längst das Vieh in Zügen zu den riesigen kommunalen Schlachthöfen des neunzehnten Jahrhunderts verschickt wurde, Wien zum größten Viehmarkt Europas anwuchs, wo Tiere zu Knöpfen, Leder, Seife, Fleisch oder Bürsten verarbeitet wurden, malte Aloys Zötl Tiere, die er nie gesehen hatte, wie Gottheiten.

Franz Reitinger: "Aloys Zötl oder die Animalisierung der Kunst". Mit einem Text von André Breton. Verlag Christian Brandstätter, Wien 2005. 160 S., 112 Abb., geb., 49,90 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Wie schon zahllose Deuter vor ihr, unter ihnen Chefsurrealist Andre Breton, arbeitet sich Julia Voss in ihrer Rezension an dem Mysterium des Aloys Zötl ab, das Franz Reitinger nun in einer satt illustrierten Monografie - der ersten überhaupt - der breiten Öffentlichkeit zugänglich macht. Die Rezensentin ist gepackt. Woher stammt das faszinierend Besondere der Werke des österreichischen Färbermeisters, der zeit seines Lebens über die Grenzen Eferdings kaum herauskam? Voss verortet den Künstler, Reitingers "verdienstvoller Recherche" folgend, zwischen Ovids "Metamorphosen" und Buffons "Allgemeiner Naturgeschichte". Er habe sich der Methode einer "phantastischen Collage" bedient. Bretons Theorie von einem durch seinen optisch subtilen Färberberuf ins Seherische gesteigerten "visionären Apparat" Zötls will sie sich hingegen nicht anschließen. Die Drucke in Reitingers Buch haben leider nicht alle die gleiche Qualität, stellt die Rezensentin mit leisem Bedauern fest, da manche der Werke nicht im Original vorlagen. Lob jedenfalls für den Verlag, da er an den Reproduktionen, weit über 100 Bilder, nicht gespart hat.

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