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Die UKRAINE, das ist für den durchschnittlich gebildeten Mitteleuropäer: einer der Austragungsorte der Fußballeuropameisterschaft 2012, das ist Tschernobyl, das ist der Holodomor, eine der größten - und künstlich herbeigeführten - Hungerkatastrophen des 20. Jahrhunderts, das ist der schon zwanzig Jahre dauernde schwierige Weg zur nationalen Selbstfindung, und das ist Oksana Sabuschko, die wütendste und leidenschaftlichste epische Stimme dieses Landes. In ihren Romanen und Essays, Analysen und Kommentaren wird sie nicht müde, die verkommene Moral der herrschenden Klasse anzuprangern und deren…mehr

Produktbeschreibung
Die UKRAINE, das ist für den durchschnittlich gebildeten Mitteleuropäer: einer der Austragungsorte der Fußballeuropameisterschaft 2012, das ist Tschernobyl, das ist der Holodomor, eine der größten - und künstlich herbeigeführten - Hungerkatastrophen des 20. Jahrhunderts, das ist der schon zwanzig Jahre dauernde schwierige Weg zur nationalen Selbstfindung, und das ist Oksana Sabuschko, die wütendste und leidenschaftlichste epische Stimme dieses Landes. In ihren Romanen und Essays, Analysen und Kommentaren wird sie nicht müde, die verkommene Moral der herrschenden Klasse anzuprangern und deren Wurzeln in den Geschichtsmythen des Landes offenzulegen. Glauben Sie aber bloß nicht, das alles seien rein ukrainische Probleme und gingen uns nichts an! Der Umgang mit der Geschichte, mit Fragen des Geschlechterverhältnisses, mit Sexualität, mit Kolonialismus, das führt tief in die moralische Verantwortung jedes Einzelnen hinein, und niemand analysiert diese Verflechtungen lebendiger, kraftvoller und unverwechselbarer als Oksana Sabuschko, deren Romane ja immer für beides gerühmt werden: ihren Stil und ihren politisch-philosophisch-historischen Horizont."Planet Wermut" enthält Aufsätze über Fußball und Tschernobyl und Lars von Trier, über die politische Verantwortung im Zeichen virtueller Realitäten und - mit ihrem Essay über die Autorin in kolonialen Kulturen - einen programmatischen und für das ganze östliche Europa grundlegenden Text zu Feminismus und Postkolonialismus.
Autorenporträt
Oksana Sabuschko, die wichtigste Schriftstellerin der heutigen Ukraine, wurde 1960 geboren und lebt in Kiew. Sie hat ein Philosophie-Studium abgeschlossen, an der Ukrainischen Akademie der Wissenschaften gearbeitet, war als Fulbright-Stipendiatin in Harvard und Pittsburgh und als writer-in-residence 1992 an der Penn State University. Gegenwärtig ist sie Vizepräsidentin des ukrainischen Pen-Zentrums, unterrichtet kreatives Schreiben an der Universität Kiew und schreibt regelmäßig für Zeitschriften und Magazine zu literarischen Themen. Ihr Werk ist in mehrere Sprachen übersetzt und wurde u.a. mit dem Global Commitment Foundation Poetry Prize 1997 ausgezeichnet.Sabuschko publizierte seit Mitte der 80er Jahre mehrere Lyrikbände (ein Auswahlband in englischer Übersetzung erschien 1996 in Toronto), mehrere Erzählungen und politisch-philosophische Studien, sowie 1996 den vorliegenden Roman, der noch vor dem Erscheinen als Raubdruck zirkulierte und den Namen der Autorin berühmt machte. Mi

t Oksana Sabuschko ist eine Autorin zu entdecken,die aus einem auf der literarischen Landkarte noch nahezu unbeschriebenen Land kommt selbst Gogol hatte seinerzeit Russisch geschrieben! und in einer Sprache schreibt, deren Tradition erst in jüngster Zeit wieder zu literarischen Höhen geführt hat, etwa bei Juri Andruchowytsch.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Sabine Berking begrüßt diese Essays von Oksana Sabuschko, die zu den wichtigsten Autoren der Ukraine gehört. Die Texte vermitteln dem deutschen Leser einen ungeschönten Blick auf das Land. Passend zur Fußball-Europameisterschaft erklärt Sabuschko für Berking die ambivalente Rolle des Fußballs in ihrer Heimat. Besonders hebt sie die Essays über die großen nationalen Traumata der Ukraine - Stalins Politik der Kollektivierung, die großen Hungersnöte, Tschernobyl - hervor. Das ist nicht immer leicht verdaulich und erfordert nach Berking vom Leser einige "geistige Flickflacks".

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.06.2012

Tschernobyl heißt Wermut
Oksana Sabuschko erklärt uns ihre ukrainische Heimat, Oligarchen-Fußball und die Welt nach Tschernobyl

Die Fußball-Europameisterschaft in der Ukraine stellt europäische Politiker vor eine Wahl zwischen Pest oder Cholera. Zu diesem Schluss kommt man nach der Lektüre eines Essays von Oksana Sabuschko, der bekanntesten und zugleich umstrittensten Autorin des Landes. Oksana Sabuschko erklärt uns darin, dass der Fußball in ihrer Heimat inzwischen in zwei Lager zerfällt: den Fußball der Oligarchen und den des Volkes. Oligarchen lieben Fußball und kaufen sich gern ganze Mannschaften mit teuren Spielern, so wie sich reiche Römer Laufsklaven und Gladiatoren hielten. Brot und Spiele nennt man diese Herrschaftsform. Als die Ukraine vor einigen Monaten gegen Österreich spielte, wurde kurz vor Schluss ein Spieler des Platzes verwiesen, beim Stand von unentschieden. Daraufhin erhoben sich Zehntausende im Stadion und sangen die ukrainische Nationalhymne. Wenige Minuten später fiel das entscheidende letzte Tor. So ein Spektakel, meint Oksana Sabuschko, bekomme nicht mal Hollywood hin.

Als Nationalspieler sind die Sportler Volkshelden, als Oligarchen-Kicker werden sie von ebendiesem Volk als Prostituierte beschimpft. Fußball, das ahnt auch der Oligarch, ist in unserer emotionsarmen Postmoderne eines der letzten Refugien, in denen man große Gefühle in der Masse zeigen und erleben kann. Verdirbt man dem Volk nun wegen einer inhaftierten Oligarchin, die schließlich keine Dissidentin ist, wie einst Andrej Sacharow oder Solschenizyn es waren, die Spiele, oder fährt man hin und erfreut das Volk - und ein paar andere Oligarchen?

Oksana Sabuschko wurde wie Julija Timoschenko 1960 geboren, wie diese im Osten der Ukraine, und hält ansonsten, wie sie in einem Interview sagte, ihre einstige und nun inhaftierte Präsidentin für eine geniale "Medienmanipulatorin", von der selbst Berlusconi noch etwas lernen könne.

In ihrem neuen Buch, einer Sammlung von zum Teil nicht ganz so neuen Essays, versucht Oksana Sabuschko uns ihre Heimat und damit auch gleich eine ganze Epoche zu erklären. Wie in kaum einem anderen Land haben in diesem "letzten Territorium" Europas historische Tragödien das Nationalgefühl geprägt. Das Volk und sein junger Staat sind durch allerlei "Posts" traumatisiert: postkolonial, posttotalitär, postsowjetisch. Das parasitäre Präfix sitze auf dem Land "wie ein Floh auf dem Schwanz eines Hundes". Für eine Frau des Wortes ist die Frage nach der Sprache eine entscheidende. Noch unter dem Zaren durch ein Dekret aus der Öffentlichkeit verbannt, gilt das Ukrainische zum Teil bis heute als eine Art unvollkommenes Russisch, von dem sich ukrainische Schriftsteller wie Nikolai Gogol emanzipierten, indem sie russisch schrieben. Eine ukrainische Schriftstellerin, so die bekennende Feministin, sei doppelt marginalisiert, als Frau und als Ukrainerin. Und die Ukrainerin sei auch stets ein doppeltes Symbol: als Heldin der Nation und als eine sich für die Kolonialmacht Prostituierende. Ein Schelm, wer hier auf Aktuelles schließt; der Text stammt aus dem Jahr 1999.

Die Idee einer unabhängigen Ukraine begrub Stalin 1933 im wahrsten Sinne des Wortes mit dem Holodomor, jener durch seine Politik der Kollektivierung und der damit verbundenen Ausrottung der freien Bauern ausgelösten Hungerkatastrophe, die sieben bis zehn Millionen Menschenleben kostete. Die Geburtsstunde der postsowjetischen Ukraine markiert wiederum eine Katastrophe - Tschernobyl, ukrainisch Tschornobyl, bedeutet Wermut. Der Name der bitteren Pflanze steht nicht nur für den atomaren Super-GAU, sondern auch für den Anfang vom Ende der Sowjetunion und des ganzen Ostblocks. Gespenstisch lesen sich Oksana Sabuschkos Beschreibungen jener Apriltage im Frühjahr 86, als ein wundersames Licht Kiew erhellte und trockener Schnee auf das frische Grün fiel und die Menschen, nachdem sie langsam begriffen, was geschehen war, mit fragwürdigen Hausmitteln von Alkohol bis Aktivkohle versuchten, die Radioaktivität zu bekämpfen. Zu Recht bemerkt Oksana Sabuschko, dass ihre Schriftstellergeneration, die auch als Generation Tschernobyl bezeichnet wird, die Katastrophe bisher literarisch kaum verarbeitet hat, wie überhaupt das 20. Jahrhundert für sie noch unverdaut ist. Die Art, wie sie sich diesem Jahrhundert nähert, erfordert vom Leser einige geistige Flickflacks über die vielen Zonen des Schweigens, über Filme von Lars von Trier, Andrej Tarkowskij und dem ukrainischen Regisseur Alexander Dowschenko, bis man, auch dank der kongenialen Übersetzung von Alexander Kratochvil, wieder einigermaßen sicher auf der Matte landet. Metaphorisch sieht Oksana Sabuschko die Menschheit in einem Zug sitzen, von dem wir blind an beiden Enden Wagen abkoppeln, die Vergangenheit von der Zukunft und die Zukunft von der Vergangenheit. Die atomare Katastrophe fungiert dabei als Endpunkt und Anfang zugleich, an dem man sich fragen muss, was man noch liebt, an was man noch glaubt und wofür man lebt. Oksana Sabuschkos Post-Tschernobyl-Weltanschauung ist simpler als die meisten Postideologien: Wer auf diese Fragen ohne langes Nachdenken antworten kann, ist noch nicht "bitter".

SABINE BERKING

Oksana Sabuschko: "Planet Wermut". Essays.

Aus dem Ukrainischen von Alexander Kratochvil. Literaturverlag Droschl Graz, Wien 2012. 165 S., geb., 19,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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