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Wie werden Frauen zu Terroristen? Was treibt sie dazu, sich in die Luft zu sprengen?
Julia Jusik ist unter großen Gefahren nach Tschetschenien gereist und hat dort über mehrere Monate recherchiert, mit Freunden und Angehörigen der Selbstmord-Attentäterinnen gesprochen. Der unterdrückte Bestseller aus Russland endlich in deutscher Übersetzung und aus aktuellem Anlass von der Autorin um ein Kapitel erweitert.

Produktbeschreibung
Wie werden Frauen zu Terroristen? Was treibt sie dazu, sich in die Luft zu sprengen?

Julia Jusik ist unter großen Gefahren nach Tschetschenien gereist und hat dort über mehrere Monate recherchiert, mit Freunden und Angehörigen der Selbstmord-Attentäterinnen gesprochen. Der unterdrückte Bestseller aus Russland endlich in deutscher Übersetzung und aus aktuellem Anlass von der Autorin um ein Kapitel erweitert.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 20.09.2005

Im wilden Kaukasus
Der Mythos der tschetschenischen Selbstmordattentäterinnen
D ie „Schwarzen Witwen”, die tschetschenischen Selbstmordattentäterinnen, sind nicht nur zum Sinnbild eines Terrors geworden, der keine Grenzen mehr kennt. Sie sind auch Objekte des Voyeurismus: Wilde Kämpferinnen! Mit Bombengürtel und Schleier! Keusch, aber gnadenlos!
Nun ist die Sache selber natürlich sehr viel trauriger und verdiente eine genauere Analyse. Diese bieten dem deutschen Leser gleich zwei Bücher, eines von einer Russin geschrieben, eines von einer Deutschen, die, noch bevor man die erste Seite gelesen hat, unter, man muss das so sagen, grotesk dummen Titeln leiden. „Die Bräute Allahs” der sehr jungen russischen Journalistin Julia Jusik wurde in der deutschen Presse stark beachtet und umgibt sich mit der Aura des Unerhörten, Investigativen. Monatelang sei sie in Tschetschenien umhergefahren, und habe erfahren, dass viele Selbstmordattentäterinnen gar nicht sterben wollten, sondern von Männern betrogen oder entführt, durch Drogen und Vergewaltigungen gefügig gemacht und am Ende geradezu ferngezündet wurden. Es sind ungeheuerliche Anschuldigungen, die sich allerdings schon auf den ersten Seiten nicht als harter Bericht erweisen, sondern als seltsam klebriges Drama von Leid und Herzschmerz. Arbi Barajew, der Geiselnehmer im Musical-Theater Nord-Ost, erscheint darin als unwiderstehlicher Verführer: „Die Frauen liebten ihn grenzenlos, ohne jede Hemmung.” Der Tod Chawas, einer der ersten „Schwarzen Witwen” wird zum Liebesdienst, überhaupt liebte Barajew „perversen Sex”, und die „Tschetscheninnen, von Natur aus ein bisschen verklemmt” wurden durch Pillen enthemmt.
Es sind Passagen wie diese, die die erbitterte Kritik von tschetschenischen Menschenrechtlern wie der Memorial-Mitarbeiterin Lipkan Bassajewa ausgelöst haben. Jusiks Buch, so ihr Vorwurf, sei nichts als haltloser Terror-Kitsch, in Russland - anders als behauptet - keinesfalls verboten: eine perfide Diffamierung der tschetschenischen Gesellschaft, die dem Kreml letztlich in die Hände spiele. Dass ein fremder Mann, zumal ein Terrorist, wie in Jusiks Buch beschrieben, mit einer fremden Frau zusammensitzt, ihre Hand hält, weint (!) und Worte findet, „die nicht jede Frau finden würde”, das scheint in der Tat im prüden Klima der islamischen Gesellschaft Tschetscheniens undenkbar. Jusik, die inzwischen mit einem neuen, ähnlich raunenden Konglomerat aus Verschwörungstheorien und Gerüchten über die Geiselnahme in Beslan an die Öffentlichkeit getreten ist, trägt mit ihrem Buch sehr zur Verschleierung bei, aber kaum zur Aufklärung.
Sabine Adler, seit sechs Jahren Moskau-Korrespondentin für das Deutschland-Radio, wählte einen anderen Weg. Auch sie hat für ihr Buch „Ich sollte als Schwarze Witwe sterben” mit Frauen gesprochen, die um ein Haar in einem Selbstmordanschlag gestorben wären. Sie beschränkt sich auf den Fall Raissas, einer 19-jährigen Tschetschenin, die sich in eine Art russische „Schutzhaft” begeben hat. Ihre Schwestern Medina und Hejda gehörten zu den „Schwarzen Witwen” im Nord-Ost-Theater, wo die beiden - wie alle „Schahidkas” - von Sicherheitskräften erschossen wurden. Medina hatte mit ansehen müssen, wie die Russen ihren Ehemann lebendig verbrannten, Hejda ging dorthin, wohin die Schwester ging. Und doch hatten beide nicht sterben wollen, ihre Brüder hatten ihnen vorgegaukelt, sie würden überleben. Zurück blieb Raissa und die Frage, ob ihre Brüder auch sie holen würden.
Gewalt und Gegengewalt
Das Lobenswerte an Adlers Buch ist, dass sie versucht, in das komplizierte Wechselspiel aus Provokation und Gewalt, Gegengewalt und neuer Provokation einzutauchen, das nicht nur die Russen, sondern auch die Tschetschenen betreiben. Raissas Brüder haben sich mit dem Krieg eingerichtet, sie kämpfen für einen Gottesstaat, der mit allen Traditionen bricht. Adler zeigt die engen Grenzen eines Frauenlebens im Kaukasus, wo jahrhundertealte patriarchale Geschlechterhierarchien herrschen. Sie weiß eine Menge, sie hat mit der jungen Raissa gesprochen, mit den überlebenden Geiseln des Nord-Ost-Theaters. Sie hat sich entschieden, daraus einen Roman zu schreiben. Und das war ein Fehler.
Ein Buch, das Authentizität beansprucht, das von der Transparenz seiner Recherche lebt, sollte sich nicht in die Fiktion flüchten. Denn nun rätselt der Leser: Wie nahe ist die Autorin Arbi Barajew tatsächlich gekommen? Hat sie wirklich jene Lager im Wald besucht, wo angeblich ganze Witwen-Bataillone militärisch gedrillt und ideologisch zugerichtet werden? Und wenn nicht, woher stammen dann ihre Informationen?
Seit Russland für Journalisten den Zugang nach Tschetschenien erschwert hat, ist die Wahrheit noch kostbarer geworden als zuvor. Raissas Fall - eine Tschetschenin sucht Schutz bei den Russen vor den eigenen Leuten - war für die russische Führung ein gefundenes Fressen. Umso wichtiger wäre es gewesen, Propaganda und Tatsachen sauber zu trennen. Wie aber soll dies ein Roman leisten, in dem jedes Wort erfunden sein kann? Und der literarische Mehrwert rechtfertigt die belletristische Form kaum. Sabine Adler ist keine große Stilistin, sie kleidet politische Widersprüche in hölzerne Dialoge über Wahhabismus und Tradition, erklärt umständlich jeden Gruß, jede Geste, jedes Ritual: Ein Volkshochschul-Kurs über den Kaukasus.
So arbeitet sich der Leser zusehends unwilliger durch die beiden Werke - und wartet am Ende noch immer auf das richtige Buch zu einem so wichtigen Thema.
SONJA ZEKRI
SABINE ADLER: Ich sollte als Schwarze Witwe sterben. Die Geschichte der Raissa und ihrer toten Schwestern. Deutsche Verlags-Anstalt, München 2005. 348 Seiten, 19,90 Euro.
JULIA JUSIK: Die Bräute Allahs. Selbstmord-Attentäterinnen aus Tschetschenien. Niederösterreichisches Pressehaus, St. Pölten 2005. 160 Seiten, 17,90 Euro.
Eine Geiselnehmerin im Moskauer Nord-Ost-Theater am 25. Oktober 2002 in einer Aufnahme des russischen Fernsehsenders NTV.
Foto: AP
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Nicht restlos überzeugt zeigt sich der "böl." zeichnenden Rezensent von Julia Jusiks Buch über Selbstmordattentäterinnen aus Tschetschenien. Die Darstellung der russischen Journalistin, die Biografien von 30 Frauen, die mit dem tschetschenischen Terror verbunden sind, zusammengetragen hat, ist seines Erachtens "mit Skepsis" zu begegnen. Das Problem des Buches sieht er darin, "dass die Autorin sehr weit reichende Schlüsse aus nicht immer soliden Informationen zieht". Zudem identifiziere sie die Schuldigen sofort und rechne "sehr emotional" mit ihnen ab. "Gleichzeitig erhellend und verstörend" nennt er den Schluss, zu dem Jusik kommt, wonach oft nicht Hoffnungslosigkeit oder Rachedurst die Frauen in die Terrorkommandos treiben, sondern Zwang und falsche Versprechungen.

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