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Gibt es heute noch Gründe, die Größe des Denkens zu schätzen? Versteht man die Macht des Geistes als einen die Realität restlos verschlingenden Alptraum, dann kann Denken heute nur heißen, der Herausforderung der Demut standzuhalten: "Elend der Philosophie". Ob sie nun Kunst, Literatur, Psychoanalyse, Religion oder ihre eigene Praxis im Namen des Juden- oder Christentums, im Namen von Bataille, Freud, Quignard, Kant, Châtelet oder Skira befragt - Lyotards "philosophie en acte" akzentuiert "ihren Sinn der Trennung". Die Erfahrung hat kein ihr immanentes Konzept, man muss sie dekonstruieren und…mehr

Produktbeschreibung
Gibt es heute noch Gründe, die Größe des Denkens zu schätzen? Versteht man die Macht des Geistes als einen die Realität restlos verschlingenden Alptraum, dann kann Denken heute nur heißen, der Herausforderung der Demut standzuhalten: "Elend der Philosophie". Ob sie nun Kunst, Literatur, Psychoanalyse, Religion oder ihre eigene Praxis im Namen des Juden- oder Christentums, im Namen von Bataille, Freud, Quignard, Kant, Châtelet oder Skira befragt - Lyotards "philosophie en acte" akzentuiert "ihren Sinn der Trennung". Die Erfahrung hat kein ihr immanentes Konzept, man muss sie dekonstruieren und rekonstruieren. An erster Stelle steht die Sensibilität, eine passive und unüberwindliche Endlichkeit des ganzes Wissens. Nichts wird ohne Rest gedacht, ohne Verlust gelebt. Was bleibt, ist die Ausübung des Widerstreits, "der Geist in Alarmbereitschaft, durch das alarmiert, was ihm geschieht und was ihn verstört."
Autorenporträt
Jean-François Lyotard (1924-1998) lehrte Philosophie in Paris und den USA.

Peter Engelmann ist Philosoph, Herausgeber der französischen Philosophen der Postmoderne und der Dekonstruktion und Leiter des Passagen Verlages.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 18.09.2004

Gegen die Macht
„Elend der Philosophie”: Lyotard in haarsträubender Übersetzung
Jean-François Lyotards Vorträge und Aufsätze aus der Zeit zwischen 1986 und 1998 sind vor vier Jahren in Paris erschienen. Lyotard wollte seine verstreut publizierten Arbeiten zu einem eigenständigen Buch umarbeiten, das zugleich Ergänzung und Fortführung seines philosophischen Hauptwerks „Der Widerstreit” gewesen wäre. Der Tod des Philosophen am 22. April 1998 setzte dem Projekt ein Ende. Ausgehend von den Arbeitsplänen ihres Mannes hat Dolorès Lyotard die Texte unter dem Titel „Misère de la philosophie” als eigenständiges Buch publiziert. Es umkreist das Rätsel dessen, was zum Denken, zum Kunstschaffen, aber auch zur Theologie zwingt, ohne dass es sich je systematisch artikulieren ließe. Lyotard bleibt damit seinem kritischen, an Kant und Adorno geschulten Widerstand gegen jede Art von totalisierender Metasprache treu, gegen jedes Denken, das sich zur Macht aufspreizt.
„Der Alptraum ist Wirklichkeit geworden: eine abendländische Vernunft, die die Wirklichkeit restlos vertilgt, und der Alptraum einer Wirklichkeit, die von der Vernunft verdaut worden ist.” Dolorès Lyotard zitiert den Satz in ihrem Vorwort, um die Bedeutung des Elenden und des Armen für das Denken Lyotards zu unterstreichen. Die Texte zu Freud, zu Malraux, zur Malerei, zum Kino, zum Lebenswerk seiner Freunde François Châtelet und Gilles Deleuze legen immer wieder Zeugnis ab von der Bemühung, gegen die Ignoranz einer Macht-Vernunft anzukämpfen - im Namen des Ereignisses.
„Misère de la philosophie” ist dem Kleinen verpflichtet, und genau darin bewahrt das Buch die Größe des Denkens. Lyotards letztes Werk ist nun auch in deutscher Übersetzung erschienen. Leider erweist sie sich als ebenso unzuverlässig wie unzulänglich. Weder sprachlich noch sachlich ist sie den Texten gewachsen. Lediglich die bereits früher und andernorts erschienenen Übertragungen von Joseph Vogl und Eberhard Gruber, auf die der Verlag zurückgreifen konnte,
werden dem Original gerecht. Die Irrtümer sind zum Teil haarsträubend.
So wird Platons Dialog „Menexenos” fälschlich als „Ménèxème” zitiert, das Wittgensteinsche „alles, was der Fall ist” gerät zum „Gesamt dessen, was passiert”, Tintorettos „Aufstieg zum Kalvarienberg” in San Rocco mutiert zum „Aufstieg zum Kalvarienberg des Heiligen Rochus”, aus Exerzitien werden „Ausübungen”, aus Gläubigern „Gläubige”. Es finden sich abstruse Neologismen wie „farfelue Chimären” oder „tsim-tsoumartige Zeichnungen”, die ohne weiteres zu beseitigen gewesen wären: „Zimzum” zitiert Isaak Lurias kabbalistischen Gedanken vom Rückzug Gottes aus der Welt, „farfelu” bedeutet „eulenspiegelhaft”, „verschmitzt”, „verrückt”. Manche Sätze haben sogar dadaistische Qualität: „Das, was von dem Lamm mit durchgeschnittener Kehle übrig bleibt, ist die Katze in der Kehle.” Gemeint war, dass einem etwas in der Kehle stecken bleibt. Und natürlich behauptet Lyotard nicht, Kant sei einer „Philosophie des Unbewussten” verpflichtet, wie Seite 54 der Übersetzung behauptet. Auf Seite 60 des Originals steht „philosophie de la conscience”. Der Rückgriff auf das französische Original bleibt unerlässlich.
Man kann nur hoffen, dass der Verlag dem Band so schnell wie möglich eine gründlich durchkorrigierte zweite Auflage folgen lässt. Das ist er den Lesern, aber auch Jean-François Lyotard schuldig.
CLEMENS PORNSCHLEGEL
JEAN-FRANÇOIS LYOTARD: Das Elend der Philosophie. Aus dem Französischen von Eva Werth und Bilge Ertugrul. Passagen-Verlag, Wien 2004, 296 Seiten, 35 Euro.
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Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Eine "Philosophie des Elends" schrieb 1846 der Anarchist Pierre Joseph Prudhon. Karl Marx replizierte mit einem Text zum "Elend der Philosophie". Just diesen Titel trägt nun die postume Sammlung kurzer Texte von Francois Lyotard, die ihren Fixpunkt bei Immanuel Kant finden - was der Rezensent mit dem Kürzel "upj" durchaus erstaunlich findet. Es geht darin entsprechend keineswegs um die Verdammung der Philosophie, sondern darum, sie zu "retten". Dies allerdings gerade in einer Geste des Partikularen, die die Philosophie, so Dolores Lyotard im Vorwort, vor der "Totalität des Denkens" bewahren will.

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