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Von toskanischen Kochrezepten und gargantuesken Fressgelagen bis hin zu italienischen Kindermärchen und der Apostelgeschichte reicht die Fülle der Untersuchungsobjekte, die Piero Ricci, an Lévi-Strauss und Roland Barthes geschult, für seine kultursemiologischen Studien heranzieht. Ein wahrhaft kulinarisches Werk. Die sprach- und sprechanalytischen Untersuchungen greifen nicht zufällig immer wieder auf das Begriffsfeld der Nahrung, das Kochen, das Essen und das Servieren zurück: Der Zusammenhang zwischen der Sprache und der Nahrung scheint von Anfang an in die abendländische Kultur…mehr

Produktbeschreibung
Von toskanischen Kochrezepten und gargantuesken Fressgelagen bis hin zu italienischen Kindermärchen und der Apostelgeschichte reicht die Fülle der Untersuchungsobjekte, die Piero Ricci, an Lévi-Strauss und Roland Barthes geschult, für seine kultursemiologischen Studien heranzieht. Ein wahrhaft kulinarisches Werk. Die sprach- und sprechanalytischen Untersuchungen greifen nicht zufällig immer wieder auf das Begriffsfeld der Nahrung, das Kochen, das Essen und das Servieren zurück: Der Zusammenhang zwischen der Sprache und der Nahrung scheint von Anfang an in die abendländische Kultur eingeschrieben zu sein - seit das Wort Fleisch geworden ist.Riccis Analysen beleuchten mehr den spielerischen Aspekt der Sprache als den kommunikativen. Abgerundet durch Beispiele aus der sprechanalytischen Praxis des Autors, umfassen sie unter anderem das Problem des Eigennamens, der Parodie und des Nonsense - sowie die hohe Kunst, einen Fasan zu zerlegen. In dieser Abkehr vom zentralistischen Wahrheitsdiskurs und der Hinwendung zu "marginalen" Objekten liegt die innovative Kraft ebenso wie der unbestreitbare Unterhaltungswert von Riccis Forschungsarbeit.
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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.12.2000

Versprochen
Piero Riccis Kultursemiologie

Die Vereinigung der beiden Deutschländer war gerade vollzogen, da trat Helmut Kohl vor den Bundestag und - versprach sich. "Meine Deutsche Mark", so begrüßte er die Abgeordneten, die seine "Damen und Herren" hätten sein sollen. Wenig später gerieten ihm die staatlichen "Aufgaben" zu "Ausgaben". Es war eine der letzten dieser historischen Stunden von 1989/90, und mittendrin verhalf der Kanzler unfreiwillig einem der effizientesten Agenten der Vereinigungsdiplomatie zu den Ehren parlamentarischer Repräsentanz: dem Geld.

Eine fast überhörte Begebenheit, in den Veröffentlichungen zum zehnten Jahrestag der Einheit ging sie unter. Der Linguist Piero Ricci hat sie notiert und beginnt so seine Analyse über den symbolischen Wandel des Geldes - ein Kapitel in dem Band "Namen, Falten, Spuren", der 1994 erschien und jetzt, als erstes Buch des Italieners, ins Deutsche übersetzt worden ist. Ricci integriert die Anrufung der Mark in die Geschichte politischer Rhetorik: Wenn Machthaber das Wort ergriffen, legitimierten sie sich über Gott, König oder Volk. Der Kanzler, so Ricci, fügt dem eine vierte Formel hinzu, denn er spricht aus, "was die bürgerliche Diskretion geheimgehalten, wenn nicht gar verdrängt hatte: ,Im Namen des Geldes'".

Ricci verweilt bei zwei umgangssprachlichen "Namen des Geldes", soldi und liquidi, die ihre Entsprechung im Deutschen haben, wo man ja auch nur mit der "harten Mark" wirklich "flüssig" ist. Beide Wörter bezeichnen gegensätzliche Aggregatzustände und haben doch eine Gemeinsamkeit. Sie verweisen auf die Materialität ihres Referenten, auf eine Körperlichkeit des Geldes, von der Ricci zeigt, wie sehr sie "nach Blut und Exkrementen riecht": Der Goldesel ist nur das bekannteste der märchenhaften Tiere, die in den westlichen Kulturen Münzen ausscheiden. Diese Körperlichkeit ist nun im Begriff zu verschwinden, so die These, denn elektronische Geldströme haben die Banknote ersetzt. Mit weitreichenden Folgen: "Von der Anonymität eines Geldscheins führt uns der chèque in ein Regime privater Personalisierung, in dem jeder Beteiligte gänzlich identifiziert ist: die Bank, der Kontoinhaber und der Empfänger." Gleichzeitig fungiert die Kreditkarte als globale Übersetzerin, indem sie die Grenzen der Nationalwährungen unterläuft. Das körperlose Geld ist unzerstörbar. "Keiner kann mehr einer Zerstreutheit wegen arm werden, weil die Maschine unseren Code, unseren Namen immer gespeichert hat."

Und so klagt Ricci: Kein Spiel mehr im Leben, vielleicht auch keine Freiheit, jedenfalls bestehe das einzig verbliebene Risiko darin, "aus Langweile zu sterben". Das muß die Langweile eines Semiologen sein, der sich ein allzu schematisches Bild von der Geschichte macht; der jene Ungleichzeitigkeiten übersieht, die in die Gegenwart ragen. Oder konkret: Was, wenn sich herausstellt, daß entscheidende Geldströme manchmal keineswegs körperlos bewegt werden, sondern in Kuverts und diskreten Aktenkoffern?

Helmut Kohl jedenfalls ist verstrickt - sowohl in seine eigene Rede als auch in die Textur, die Ricci ihm übergeworfen hat. Das Kapitel illustriert gut, wie seine kultursemiologischen Studien überhaupt geschneidert sind: Er sieht einen Webfehler im Diskurs und knüpft Überlegungen daran, die nur scheinbar vom Thema wegführen, und am Ende sind sie sorgfältig um den jeweiligen Gegenstand geschlungen. Wenn es nicht ums Geld geht, dann um das Problem des Eigennamens oder ums Essen.

Ricci bestimmt die "kulinarischen Praktiken als semisymbolisches System" zum Feld der Kultursemiologie, ganz in der Tradition von Lévi-Strauss und Roland Barthes. So beschreibt er zum Beispiel die detaillierten Anweisungen, nach denen im sechzehnten Jahrhundert ein Pfau tranchiert wurde. Das Arrangement des Vogels auf dem Teller, die Reihenfolge der Schnitte, das Instrumentarium - alles war darauf angelegt, die Reinheit der Speise zu bewahren. Allerdings nicht aus hygienischen Gründen wie im neunzehnten Jahrhundert, sondern aus ästhetischen: Alles andere wäre "unschön anzusehen".

Diese Studien sind zugleich anstrengend und amüsant zu lesen. Oft ist die Fallhöhe zwischen begrifflichem Aufwand und analytischem Ertrag so enorm, daß sie nichts als Komik erzeugt. Etwa wenn Ricci die banale Erfahrung jedes Amateurkochs in einem Satz wie diesem vergräbt: "Ein Rezept ist nicht so sehr eine Serie von Aussagen, die die Zubereitung (das Machen) lehren, als vielmehr ein offener Text, der Räume für die Hinzufügung, die Randbemerkung, den Lapsus offenläßt, welche Überschreitungen und deshalb einen neuen Text hervorbringen." Ricci analysiert eine "Fiktion" von Jorge Luis Borges - und behauptet, sein Kommentar sei nur vorgetäuscht; er listet eine Reihe von Behauptungen auf - und verläßt diese "leichtsinnigen Hypothesen" gleich im nächsten Absatz; er streift zuweilen die Grenze zur Wissenschaftsparodie - und will noch diese Haltung ironisch absichern: Das Buch endet mit einem Kapitel, das "die Spuren, die eine zu gewichtige und ernste Schreibgeste hinterlassen haben mag, wieder zu löschen" versucht.

Kein Zweifel: Ricci verehrt Barthes, dieses "unsichere Subjekt", mit guten Gründen. Nur hat der Schüler den fundamental politischen Impuls vergessen, mit dem Barthes sein semiologisches Abenteuer bis zuletzt aufgeladen hat. Wenn Ricci die Anarchie der Zeichen beschwört, ist das kaum mehr als eine Pose: schick anzusehen.

RENÉ AGUIGAH.

Piero Ricci: "Namen, Falten, Spuren". Vom Essen und Sprechen. Kultursemiologische Studien. Aus dem Italienischen von Inge Valentini. Passagen Verlag, Wien 2000. 220 S., br., 29,80 DM.

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Anstrengend und amüsant zugleich fand Rezensent René Aguigah die Lektüre dieser Studien über den symbolischen Wandel des Geldes. Amüsant wegen der vielen Anekdoten, um die herum die Betrachtungen geschlungen werden. Anstrengend, weil zwar die "Kultursemiologie, ganz in der Tradition von Levi-Strauss", das Vorbild sei - aber ein unerreichtes eben. Nicht ohne Sympathie werden ein paar hübsche Geschichten und dazugehörige Theorien dann auch erzählt und ordentlich diskutiert. Doch bald ist die Kritikergeduld dann verbraucht. Oft, findet Aguigah nämlich, sei die Fallhöhe zwischen "begrifflichem Aufwand und analytischem Ertrag" so enorm, dass "sie nichts als Komik" erzeuge. Der Rezensent ortet eine Quelle der Misere in der Barthes-Verehrung von Autor Ricci, die allerdings den "fundamental politischen Impuls" vermissen lasse, mit der Barthes sein "semiologisches Abenteuer" bis zuletzt aufgeladen habe und bloß noch schick daher komme.

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