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Im Zentrum der Studie steht der Strafvollzug in den Lagerhaftanstalten der DDR. Die Untersuchung bringt Licht in das weitgehende Dunkel, das die Arbeitslager in der DDR auch zwanzig Jahre nach der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten immer noch umgibt. Wann und warum entschied sich die Staatsführung bzw. das Gefängniswesen des ostdeutschen Staates dazu, Lager als Vollzugsanstalten einzurichten? Weitgehend unklar sind der Aufbau der Lager und die Art und Weise der Unterbringung der Gefangenen. Gefragt wird zudem nach den Menschen, die in den Lagern inhaftiert waren und nach "dem"…mehr

Produktbeschreibung
Im Zentrum der Studie steht der Strafvollzug in den Lagerhaftanstalten der DDR. Die Untersuchung bringt Licht in das weitgehende Dunkel, das die Arbeitslager in der DDR auch zwanzig Jahre nach der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten immer noch umgibt. Wann und warum entschied sich die Staatsführung bzw. das Gefängniswesen des ostdeutschen Staates dazu, Lager als Vollzugsanstalten einzurichten? Weitgehend unklar sind der Aufbau der Lager und die Art und Weise der Unterbringung der Gefangenen. Gefragt wird zudem nach den Menschen, die in den Lagern inhaftiert waren und nach "dem" Haftalltag. Welche Praktiken machten das tägliche Miteinander im Lager aus? Welche Möglichkeiten hatten Gefangene, das Leben im Lager mitzugestalten? Gab es "Freiräume", Selbstbehauptung, Widerstand, Protest? Ein weiteres zentrales Thema ist die angestrebte "Umerziehung" von Gefangenen. Untersucht werden die Lager in der Maxhütte Unterwellenborn im damaligen Land Thüringen bzw. Bezirk Gera (Existenzzeitraum 1949-1991), im Kalibergwerk Sollstedt imBezirk Erfurt (1956-1965) und das Arbeitserziehungskommando Regis im Bezirk Leipzig (1962-1990).
Autorenporträt
Marcus Sonntag, geboren 1979 in Dillingen/Saar, hat Geschichte und Sozialwissenschaften an den Universitäten Erfurt und Amiens studiert. Seit 2007 ist er als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Neuere und Zeitgeschichte der Universität Erfurt tätig. 2010 wurde Sonntag mit der Studie "Die Arbeitslager in der DDR" promoviert (summa cum laude).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.08.2011

Schöner sitzen?
Irritierendes über die Haftarbeit und den Strafvollzug in der DDR

Kaum ein Staat dieser Welt ist in den vergangenen zwanzig Jahren so intensiv erforscht worden wie die untergegangene DDR. Inzwischen kommt auch Licht ins Dunkel von Institutionen, die nur wenigen Betroffenen und Beteiligten bekannt waren. Das gilt für die vorliegende Untersuchung, in der Arbeitslager - Vollzugsanstalten des Gefängniswesens des SED-Staates - am Beispiel der Maxhütte Unterwellenborn, des Kalibergwerks Sollstedt und des Arbeitserziehungskommandos Regis im Leipziger Land analysiert werden. Darüber hinaus versucht der Autor, den in der DDR praktizierten Strafvollzug mit dem bundesdeutschen und der internationalen Praxis zu vergleichen.

Allerdings braucht Marcus Sonntag allzu lange, um auf den eigentlichen Gegenstand zu kommen. Sicher ist es richtig, grundsätzlich die Bedeutung von Arbeit und die Entwicklung des Arbeitsbegriffes im Hinblick auf den Strafvollzug in der DDR zu reflektieren - wie es ebenso unerlässlich ist, die seinerzeit bestehenden Arbeitslager in die Vielzahl unterschiedlicher Lagertypen im 20. Jahrhundert einzuordnen. Doch nähert sich der Leser dadurch erst nach gut 80 Seiten den Rahmenbedingungen von Haftarbeit und Strafvollzug in der SBZ/DDR. Demnach waren die Arbeitslager in der DDR nach Einschätzung des Verfassers Stätten eines mehr oder minder geregelten Haftvollzuges, in dem es keine systematischen Erschießungen, Quälereien und Erniedrigungen gegeben hat. Ersteres ist sicher richtig, bei den beiden anderen Punkten bleiben Zweifel bestehen. Systematisch war hingegen "die konsequente Ausbeutung der Arbeitskraft der Insassen. Selbst die oftmals unzureichenden hygienischen, baulichen und verpflegungsmäßigen Bedingungen waren eher mangelnder wirtschaftlicher Potenz geschuldet als einer geheimen Absicht der Staatsführung, die Häftlinge menschenunwürdig zu behandeln." Letzteres wird allerdings nicht jeder ehemalige Insasse so einfach unterschreiben wollen. Eindeutig ist hingegen, dass sich die DDR-Staatsanwaltschaft die Aufgabe der Strafvollzugsaufsicht mit dem MfS teilte, wobei die Stasi allerdings erheblich mehr Machtmittel besaß - zu Ungunsten der Gefangenen.

Entstanden waren die Lagerhaftanstalten bereits in der SBZ, nachdem der Justizvollzug damit begonnen hatte, sogenannte "Haftlager" als Außenkommandos von Strafvollzugsanstalten in der Nähe von größeren Betrieben zu errichten. Da diese die Lager finanzierten, ergab sich ein doppelter Spareffekt: Der Strafvollzug wurde entlastet, gleichzeitig waren die Häftlinge billige Arbeitskräfte. Die rund 6500 Gefangenen (1958) wurden vornehmlich im Bergbau, beim Bau sowie in der chemischen Industrie und Metallurgie eingesetzt. Für die Betroffenen konnte das durchaus interessant sein, waren doch die Haftbedingungen in den Lagern manchmal besser als in den Gefängnissen. Außerdem bestand die Möglichkeit des Strafnachlasses durch entsprechende Arbeitsleistung. Da die Insassen meist nur kürzere Haftstrafen zu verbüßen hatten, stellte das einen Anreiz dar. Allerdings erhielten sie für ihre Arbeitsleistung nur einen Bruchteil, so dass man von sozialistischer Ausbeutung sprechen kann. Auch die eigentlich beabsichtigte sozialistische Erziehung durch Arbeit blieb fast durchweg auf der Strecke. Sie scheiterte am unfähigen Personal, unzureichenden materiellen Gegebenheiten und an der Abwehrhaltung der Gefangenen, sich weiterer "Rotlichtbestrahlung" - sprich ideologischer Propaganda - aussetzen zu müssen.

Es war kein Vergnügen, in den Arbeitslagern inhaftiert zu sein. Nicht selten war die Unterbringung untragbar und blieb es bis zum Ende der DDR. Und trotz hoher Unfallhäufigkeit war die medizinische Versorgung meist nur unzureichend gewährleistet, die Verpflegung minderwertig, die hygienischen Zustände häufig intolerabel. Letztlich war das SED-Regime vornehmlich an der Arbeitskraft der Inhaftierten interessiert. Wer sollte da nach harter Arbeit, entbehrungsreichem Leben und mancher Drangsalierung noch zum überzeugten Sozialisten werden? Insgesamt gelangt die Untersuchung zu dem Schluss, dass von "inhumanen Haft- und Arbeitsbedingungen" gesprochen werden muss.

Gleichwohl legt man das Buch am Schluss etwas irritiert aus der Hand. Der Verfasser ist sichtlich bemüht nachzuweisen, dass der Arbeitseinsatz von Strafgefangenen in internationaler Hinsicht keine Besonderheit darstellte, obgleich diese in der DDR trotz weltweiten Verbots in hohem Maß auch und gerade unter Tage eingesetzt wurden. Außerdem waren in der DDR nicht wenige Menschen aus politischen Gründen in Haft und mussten Zwangsarbeit verrichten, obwohl sie "nach internationalen Maßstäben niemals hätten inhaftiert werden dürfen". Es mag sogar stimmen, wie der Verfasser mehrfach betont, dass der Strafvollzug in der Bundesrepublik bis Ende der sechziger Jahre intern von ähnlichen Praktiken begleitet war wie in der DDR. Doch danach änderten sich die Verhältnisse grundlegend im Unterschied zum SED-Staat. Manche differenzierend gemeinte Unterscheidung gerät ihm deshalb unter der Hand zu einer Relativierung.

Es lässt sich vielleicht sogar darüber streiten, ob das Vollzugssystem der DDR tatsächlich so grundlegend anders war. Unbestritten bleibt jedoch der fundamentale Unterschied "der diktatorischen Verfasstheit des SED-Regimes und seiner Justiz". Dann setzt, wie der Verfasser feststellt, "die einfache Tatsache, dass die Bundesrepublik ein Rechtsstaat war und ist, dem Vergleich der Vollzugssysteme gewisse Grenzen". Wie wahr! Mehrere solcher klarer Formulierungen hätten der ansonsten fundierten Untersuchung nicht geschadet.

GÜNTHER HEYDEMANN

Marcus Sonntag: Die Arbeitslager in der DDR. Klartext Verlag, Essen 2011. 407 S., 29,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Eine fundierte Untersuchung mit Schwächen hält der Rezensent in Händen. Zunächst einmal freut sich Günther Heydemann über einen Blick in weniger bekannte Ecken der SED-Diktatur, hier namentlich in die Vollzugsanstalten Unterwellenborn, Sollstedt und Regis. Beim Vergleich des DDR-Strafvollzugs mit bundesrepublikanischer beziehungsweise internationaler Praxis hält sich der Autor nach Empfinden des Rezensenten jedoch ein bisschen zu lange mit Begriffsuntersuchungen auf. Vor allem aber gerät Marcus Sonntag sein Werk laut Heydemann jedoch mitunter, wenngleich ohne Absicht, wie er vermutet, zur Relativierung des DDR-Unrechtssystems. Wenn es im Buch heißt, die desolaten Zustände der Haft seien meist den realen Verhältnissen geschuldet gewesen, weniger sozialistischer Absicht, findet Heydemann die politischen Gründe für die Haftstrafen und die Tatsache, dass es sich bei der DDR um eine Diktatur handelte, nicht differenziert genug betrachtet.

© Perlentaucher Medien GmbH