Der Wahrheit verpflichtet und getrieben vom unerschütterlichen Glauben an den Wert der Freiheit, des Rechtsstaats und des Humanismus, kämpfte Anna Politkovskaja fast im Alleingang gegen die offizielle Kultur der Lüge in Putins Russland und bezahlte dafür mit dem Leben: Vor fünf Jahren, am 7. Oktober 2006, wurde sie vor dem Fahrstuhl ihres Wohnhauses in Moskau erschossen. Der Täter ist bis heute nicht gefasst.
Der unveröffentlichte Text, der sich auf Anna Politkovskajas Computer fand, bildet gleichsam ihr Vermächtnis, eine bittere Bilanz der Freiheit des Wortes in Russland: Propaganda statt Recherche und Fakten, entstellte Bilder der Wirklichkeit, "patriotische" Attacken auf alles, was "fremd" ist. Diesem Weltbild ist Anna Politkovskajas journalistisches Ethos diametral entgegengesetzt. Für sie zählten immer allein der einzelne Mensch und die Wahrheit. Dieser von Claus Kleber eingeführte Band versammelt ihre wichtigsten Arbeiten. Er liefert eine unbestechliche Analyse des postsowjetischen Systems.
"Wir werden sie lesen und von ihr lernen noch jahrelang." Salman Rushdie
Der unveröffentlichte Text, der sich auf Anna Politkovskajas Computer fand, bildet gleichsam ihr Vermächtnis, eine bittere Bilanz der Freiheit des Wortes in Russland: Propaganda statt Recherche und Fakten, entstellte Bilder der Wirklichkeit, "patriotische" Attacken auf alles, was "fremd" ist. Diesem Weltbild ist Anna Politkovskajas journalistisches Ethos diametral entgegengesetzt. Für sie zählten immer allein der einzelne Mensch und die Wahrheit. Dieser von Claus Kleber eingeführte Band versammelt ihre wichtigsten Arbeiten. Er liefert eine unbestechliche Analyse des postsowjetischen Systems.
"Wir werden sie lesen und von ihr lernen noch jahrelang." Salman Rushdie
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 11.10.2011„Ich bin einfach ein Mensch, bin eine von vielen“
Artikel, Kommentare und Reportagen der russischen Journalistin Anna Politkowskaja, die 2006 in Moskau ermordet wurde
Die 1958 in Moskau geborene und am
7. Oktober 2006 dort ermordete Journalistin Anna Politkowskaja arbeitete für die kleine oppositionelle Zeitung Nowaja Gaseta. Wegen ihrer kritischen Reportagen über den Krieg gegen Tschetschenien galt sie als „Nestbeschmutzerin“ und erhielt Morddrohungen. Bei der Aufklärung des Mordes hat sich die russische Justiz nicht als objektiv und souverän erwiesen. Sie präsentierte laufend neue Täter, zuletzt Anfang September: Zwei berüchtigte Kriminelle, die ein Mordkommando angeheuert hätten, dem auch zwei Polizeioffiziere angehört haben, sollen jetzt den Mord begangen haben.
Die kein Vertrauen erweckende Pointe dieser Version besteht darin, dass die beiden Haupttäter im ersten Mordprozess von der Staatsanwaltschaft noch als Zeugen vorgeladen wurden. Der Prozess endete im September 2009 mit einem Freispruch für vier Angeklagte, der aber vom obersten Gerichtshof kassiert wurde.
Jetzt sind gut zwei Dutzend Artikel, Kommentare und Reportagen von Anna Politkowskja in deutscher Übersetzung erschienen. Exemplarisch für ihre Reportagen ist eine vom 26. August 2006 über einen Vorfall, der sich am 6. August in der tschetschenischen Stadt Schatoi abgespielt hatte. An diesem 6. August, genau zehn Jahre nach der Eroberung von Grosny durch die Rebellen, wurde ein tschetschenisches Aufklärungskommando auf einem Lastwagen in die Luft gesprengt, wobei 17 tschetschenische Soldaten getötet wurden.
Zur Aufklärung dieses Anschlags fuhr Anna Politkowskaja nach Schatoi und recherchierte nach ihrer bewährten Methode, die sie einmal so beschrieb: „Eines ist dieses Buch nicht: eine Analyse der Putin-Herrschaft … Analysen werden von Analytikern verfasst. Und ich bin einfach ein Mensch, bin eine von vielen… Deshalb enthält mein Buch lediglich emotionale Randnotizen zu unserem Leben im heutigen Russland.“ Diese sympathische und offene Art bekommt jedoch nicht allen Themen.
Die Nähe zu den Menschen, auf der ihre Methode beruht, macht Reportagen über das Elend alter Menschen und psychisch traumatisierter Kriegsopfer überaus glaubwürdig und spannend. Der Band enthält mehrere hervorragende Beispiele für dieses Genre. Bei der Aufklärung des Attentats vom 6. August 2006 konnte es von der Lage der Dinge her aber eine solche Nähe nicht geben: Die Attentäter waren unbekannt und die Opfer tot. Nähe musste deshalb ersetzt werden durch spekulative Schlüsse, und das gereicht Reportagen nicht zum Vorteil.
Ohne einen Beleg nennen zu können, geht die Journalistin nicht von einem Attentat aus, sondern vermutet „einen Plan 6. August“, für den sie Indizien nennt. Die am 10. August von den Medien als „aufgespürte und liquidierte“ Täter präsentierten Toten trugen lange Bärte, Falschgeld und falsche Ausweise bei sich. Damit wird für Politkovskaja „die Vermutung Gewissheit“, dass es sich bei den drei um Mitglieder einer Gruppe von zehn bereits am 30. Juli willkürlich entführten Tschetschenen handelt.
Als Menschenräuber „identifizierte“ sie „staatlich besoldete Killer“ des militärischen Abschirmdienstes und des Rosno, der Regionalen Abteilung für Sonderaufgaben. Auf die Spur dieser beiden „Täter“ führte die Journalistin ein Zeuge, der bei den Entführungen weiße Autos gesehen haben will, wie sie die Geheimdienste verwenden. Für eine weitere „Visitenkarte der Rosno-Taten“ hält sie die Tatsache, dass bei den Ermittlungen über die Entführung nichts herauskam. Ihr Schluss daraus: In solchen Fällen „sind Rosno-Kräfte involviert.“ Auch auf die Frage, warum das Attentat in Schatoi stattfand, hat Anna Politkowskaja eine einfache Antwort. Es handelt sich um einen Racheakt im Auftrag des militärischen Nachrichtendienstes, dessen Leute nach dem Mord an Zivilisten am 11. Februar 2002 verhaftet und sogar verurteilt worden waren.
Und wem nützte die Provokation? Claus Kleber nennt Politkowskaja in seinem Vorwort zu dem Buch eine „Feindin des Systems Putin, … das sich bedenkenlos auf Schurken stützt“, und die Autorin selbst hält „dunkle Kräfte, die mit ihrem Tun dafür sorgen, dass der Krieg nicht aufhört“ für die Nutznießer und Erfinder des „Plans 6. August“ – also die militärische und die politische Führung Russlands.
Man kann davon ausgehen, dass Klebers „heute-journal“ einen Film über ein Attentat, der so bescheiden argumentiert und so großzügig spekuliert wie Anna Politkowskajas Reportage wahrscheinlich nicht senden würden. Diese Begrenztheit und Schwäche der journalistischen Methode von Anna Politkowskaja zeigt sich auch in anderen Reportagen. Aber das ist natürlich kein Argument gegen die mutige Autorin und auch keine Rechtfertigung der Lage der Pressefreiheit in Russland und schon gar keine für die Zustände im russischen Justizwesen. Dem Gedenkblatt, das ihre Kollegin Sonja Jeroschok ihr widmete, ist nichts hinzuzufügen: „Ihr Thema waren überhaupt die einfachen Menschen aus dem einfachen, normalen Leben. Jene Menschen, die das geliebte Vaterland längst nicht einmal als Vieh … , sondern als etwas Dingliches, als unbelebte Materie betrachtet. Viele haben sich damit abgefunden. Anna keinesfalls.“ RUDOLF WALTHER
Anna Politkowskaja
Die Freiheit des Wortes
Letzte Berichte aus einem gefährdeten Land. Aus dem Russischen von Hannelore Umbreit. Dumont, Köln 2011.
315 Seiten, 22,99 Euro.
Die „Putin-Herrschaft“, sagte
Anna Politkowskaja mal, habe
sie nicht analysieren wollen
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Artikel, Kommentare und Reportagen der russischen Journalistin Anna Politkowskaja, die 2006 in Moskau ermordet wurde
Die 1958 in Moskau geborene und am
7. Oktober 2006 dort ermordete Journalistin Anna Politkowskaja arbeitete für die kleine oppositionelle Zeitung Nowaja Gaseta. Wegen ihrer kritischen Reportagen über den Krieg gegen Tschetschenien galt sie als „Nestbeschmutzerin“ und erhielt Morddrohungen. Bei der Aufklärung des Mordes hat sich die russische Justiz nicht als objektiv und souverän erwiesen. Sie präsentierte laufend neue Täter, zuletzt Anfang September: Zwei berüchtigte Kriminelle, die ein Mordkommando angeheuert hätten, dem auch zwei Polizeioffiziere angehört haben, sollen jetzt den Mord begangen haben.
Die kein Vertrauen erweckende Pointe dieser Version besteht darin, dass die beiden Haupttäter im ersten Mordprozess von der Staatsanwaltschaft noch als Zeugen vorgeladen wurden. Der Prozess endete im September 2009 mit einem Freispruch für vier Angeklagte, der aber vom obersten Gerichtshof kassiert wurde.
Jetzt sind gut zwei Dutzend Artikel, Kommentare und Reportagen von Anna Politkowskja in deutscher Übersetzung erschienen. Exemplarisch für ihre Reportagen ist eine vom 26. August 2006 über einen Vorfall, der sich am 6. August in der tschetschenischen Stadt Schatoi abgespielt hatte. An diesem 6. August, genau zehn Jahre nach der Eroberung von Grosny durch die Rebellen, wurde ein tschetschenisches Aufklärungskommando auf einem Lastwagen in die Luft gesprengt, wobei 17 tschetschenische Soldaten getötet wurden.
Zur Aufklärung dieses Anschlags fuhr Anna Politkowskaja nach Schatoi und recherchierte nach ihrer bewährten Methode, die sie einmal so beschrieb: „Eines ist dieses Buch nicht: eine Analyse der Putin-Herrschaft … Analysen werden von Analytikern verfasst. Und ich bin einfach ein Mensch, bin eine von vielen… Deshalb enthält mein Buch lediglich emotionale Randnotizen zu unserem Leben im heutigen Russland.“ Diese sympathische und offene Art bekommt jedoch nicht allen Themen.
Die Nähe zu den Menschen, auf der ihre Methode beruht, macht Reportagen über das Elend alter Menschen und psychisch traumatisierter Kriegsopfer überaus glaubwürdig und spannend. Der Band enthält mehrere hervorragende Beispiele für dieses Genre. Bei der Aufklärung des Attentats vom 6. August 2006 konnte es von der Lage der Dinge her aber eine solche Nähe nicht geben: Die Attentäter waren unbekannt und die Opfer tot. Nähe musste deshalb ersetzt werden durch spekulative Schlüsse, und das gereicht Reportagen nicht zum Vorteil.
Ohne einen Beleg nennen zu können, geht die Journalistin nicht von einem Attentat aus, sondern vermutet „einen Plan 6. August“, für den sie Indizien nennt. Die am 10. August von den Medien als „aufgespürte und liquidierte“ Täter präsentierten Toten trugen lange Bärte, Falschgeld und falsche Ausweise bei sich. Damit wird für Politkovskaja „die Vermutung Gewissheit“, dass es sich bei den drei um Mitglieder einer Gruppe von zehn bereits am 30. Juli willkürlich entführten Tschetschenen handelt.
Als Menschenräuber „identifizierte“ sie „staatlich besoldete Killer“ des militärischen Abschirmdienstes und des Rosno, der Regionalen Abteilung für Sonderaufgaben. Auf die Spur dieser beiden „Täter“ führte die Journalistin ein Zeuge, der bei den Entführungen weiße Autos gesehen haben will, wie sie die Geheimdienste verwenden. Für eine weitere „Visitenkarte der Rosno-Taten“ hält sie die Tatsache, dass bei den Ermittlungen über die Entführung nichts herauskam. Ihr Schluss daraus: In solchen Fällen „sind Rosno-Kräfte involviert.“ Auch auf die Frage, warum das Attentat in Schatoi stattfand, hat Anna Politkowskaja eine einfache Antwort. Es handelt sich um einen Racheakt im Auftrag des militärischen Nachrichtendienstes, dessen Leute nach dem Mord an Zivilisten am 11. Februar 2002 verhaftet und sogar verurteilt worden waren.
Und wem nützte die Provokation? Claus Kleber nennt Politkowskaja in seinem Vorwort zu dem Buch eine „Feindin des Systems Putin, … das sich bedenkenlos auf Schurken stützt“, und die Autorin selbst hält „dunkle Kräfte, die mit ihrem Tun dafür sorgen, dass der Krieg nicht aufhört“ für die Nutznießer und Erfinder des „Plans 6. August“ – also die militärische und die politische Führung Russlands.
Man kann davon ausgehen, dass Klebers „heute-journal“ einen Film über ein Attentat, der so bescheiden argumentiert und so großzügig spekuliert wie Anna Politkowskajas Reportage wahrscheinlich nicht senden würden. Diese Begrenztheit und Schwäche der journalistischen Methode von Anna Politkowskaja zeigt sich auch in anderen Reportagen. Aber das ist natürlich kein Argument gegen die mutige Autorin und auch keine Rechtfertigung der Lage der Pressefreiheit in Russland und schon gar keine für die Zustände im russischen Justizwesen. Dem Gedenkblatt, das ihre Kollegin Sonja Jeroschok ihr widmete, ist nichts hinzuzufügen: „Ihr Thema waren überhaupt die einfachen Menschen aus dem einfachen, normalen Leben. Jene Menschen, die das geliebte Vaterland längst nicht einmal als Vieh … , sondern als etwas Dingliches, als unbelebte Materie betrachtet. Viele haben sich damit abgefunden. Anna keinesfalls.“ RUDOLF WALTHER
Anna Politkowskaja
Die Freiheit des Wortes
Letzte Berichte aus einem gefährdeten Land. Aus dem Russischen von Hannelore Umbreit. Dumont, Köln 2011.
315 Seiten, 22,99 Euro.
Die „Putin-Herrschaft“, sagte
Anna Politkowskaja mal, habe
sie nicht analysieren wollen
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Wenn Anna Politkowskaja über das Elend einzelner Menschen schreibt, ist sie ihnen ganz nah und ihre Reportagen sind "glaubwürdig und spannend", schreibt Rezensent Rudolf Walther über diesen Band mit Kommentaren und Reportagen der 2006 ermordeten russischen Reporterin. Fragwürdig findet er die Reportagen allerdings, wenn sie fern stehende Ereignisse, etwa ein Attentat, erklären wollen. Dann spekuliert Politkowskaja ihm zu sehr, die Ergebnisse nimmt er ihr nicht ab.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
"Die Nähe zu den Menschen macht diese Reportagen überaus glaubwürdig und spannend."
SÜDDEUTSCHE ZEITUNG LITERATURBEILAGE
SÜDDEUTSCHE ZEITUNG LITERATURBEILAGE