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"Eine der besten Story-Sammlungen der letzten zehn Jahre. Means' Vollblutgeschichten sind aufwühlend und komisch, jede ihrer überraschenden Wendungen überzeugt. Sie sind auf eine Weise lyrisch, dass daneben das meiste, was heute als 'lyrisch' daherkommt, wie Glückwunschkarten klingt. Das ist Nahrung für die Ausgehungerten." Jonathan Franzen
"David Means ist ein Anatom des Desasters." Jeffrey Eugenides
Ohne Umschweife ins Zentrum treffen diese Geschichten, mitten in das gewalttätige Herz einer Beziehung, einer Landschaft, eines Charakters. Sie spielen in der Gegend des großen Seengebietes
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Produktbeschreibung
"Eine der besten Story-Sammlungen der letzten zehn Jahre. Means' Vollblutgeschichten sind aufwühlend und komisch, jede ihrer überraschenden Wendungen überzeugt. Sie sind auf eine Weise lyrisch, dass daneben das meiste, was heute als 'lyrisch' daherkommt, wie Glückwunschkarten klingt. Das ist Nahrung für die Ausgehungerten." Jonathan Franzen

"David Means ist ein Anatom des Desasters." Jeffrey Eugenides

Ohne Umschweife ins Zentrum treffen diese Geschichten, mitten in das gewalttätige Herz einer Beziehung, einer Landschaft, eines Charakters. Sie spielen in der Gegend des großen Seengebietes im nördlichen Michigan, und die Atmosphäre der Landschaften, der Jahreszeiten, der Farben und Wetter kriechen förmlich aus jeder Buchseite. In der Titelerzählung "Coitus" wird Bob an einem heißen Julitag beim außerehelichen Beischlaf plötzlich von Erinnerungen an den Tod seines Bruders eingeholt, der vor Jahren in einem See ertrank. Immer weiter entgleisen die Erinnerungen, bis Denken und Fühlen kollidieren und Bob die heilende Kraft des Erinnerns erkennen muss. In einer weiteren dieser herausragenden Geschichten beendet ein Paar gerade sein Schäferstündchen in einem Auto, als plötzlich Schnee fällt und peitschender Wind aufzieht. Eine Tragödie bahnt sich an, während David Means uns in die Vergangenheit des Mädchens und zu dessen gewaltsamem Ende führt. In höchst poetischer Prosa, in ständig wechselnden Perspektiven zwischen den Realitäten, verbindet David Means seine vielfältigen Erzählungen zu einem komplexen Bild menschlicher Emotionen. Er ist ein "Gestenjäger", ein genauer Beobachter, der den Blick des Lesers auf die Details des Lebens lenkt und nie den Menschen aus dem Auge verliert. Obwohl seinen Figuren teilweise übersinnlich anmutende Begebenheiten widerfahren, erscheinen sie uns vertraut und lebendig und sind bei allen bitteren Lebenserfahrungen wie Verlust, Schmerz und Brutalität vor allem eins: menschlich.
Autorenporträt
Dirk van Gunsteren, geb. 1953 in Düsseldorf, ist ein deutscher literarischer Übersetzer aus dem Englischen und Niederländischen und freiberuflicher Redakteur. Van Gunsteren wuchs in Duisburg auf, seine Mutter ist Deutsche, sein Vater Holländer. Nach mehreren Aufenthalten in Indien und in den USA studierte er in München Amerikanistik. Seit 1984 ist er als Übersetzer insbesondere aus dem Englischen tätig. Van Gunsteren lebt in München. 2007 erhielt van Gunsteren den 'Heinrich Maria Ledig-Rowohlt-Preis' für seine Übersetzung angelsächsischer Literatur.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.10.2005

Zermahlen zwischen Gottes dummen Kiefern
Unschuld und Grausamkeit: Die rücksichtslosen Stories des Gestenjägers David Means / Von Martin Halter

Liebe und Tod liegen bei David Means so nah beieinander wie Bob und Ellen beim außerehelichen Sex. Es ist ein Augenblick reinen Glücks, aber Bob ist nur halbherzig bei der Sache. Während er seine Geliebte mit abwesender Zärtlichkeit streichelt, schweifen seine Gedanken zu seinem beim Paddeln ertrunkenen Bruder ab. Trauer, Scham und Schuld stehen wie Engel um das Bett der Liebenden, aber ihre Gegenwart wirkt eher erlösend als bedrückend: Zeitlose Lust und postkoitale Tristesse, Wünschen und Erinnern gehören zusammen wie bei Mozart "zwei Themen, die simultan gespielt werden und sich mit vollkommen geläuterter Rücksichtslosigkeit und Grazie zugleich aneinander entfalten".

Mit ebendieser unschuldigen Grazie verschränkt Means Außen- und Innenwelt, Gegenwart und Vergangenheit, Natur- und Industriegeschichte. In magischen Simultanerfahrungen schießen Glück und Unglück, alltägliches Elend und festliche Wonnen, Grausamkeit und Gnade jäh ineinander, um sich wechselseitig zu steigern und in einem von allen irdischen Schlacken und moralischen Rücksichten gereinigten Dritten aufzugehen: Schönheit, Würde, Humanität in einer unmenschlichen Welt. Eine trauernde Witwe zeigt ihrem neuen Freund Pornovideos von der Hochzeitsreise mit ihrem verstorbenen Mann, als wäre es die natürlichste Sache der Welt. In "Der verborgene Goldfisch" spiegelt sich in einem von Algen überwucherten Aquarium eine Familientragödie und im letzten Fisch die Hoffnung auf eine bessere Zukunft. In "Klage am Sleeping Bear Park" trauert ein Junge beim Zelten um seinen Jugendfreund und mehr noch um seinen Verrat an ihm.

Means' Erzählungen sind Totenklagen, Vermißtenmeldungen, zweistimmige Trauergesänge, und fast alle Toten sind Opfer der rauhen, kargen Gegend um die Großen Seen. Wenn der Schmerz der "Mittelpunkt der Welt" ist, dann ist das nördliche Michigan ihr Nabel. Menschen werden von Sanddünen verschüttet und von Eisschollen zerquetscht, ertrinken in reißenden Flüssen, im Dioxinschlamm stillgelegter Papierfabriken oder werden, wie in der gleichnamigen, herzzerreißend traurigen Geschichte, im Schneesturm "Von der Brücke geweht". "Ich will nicht, daß in meinen Geschichten noch irgend jemand stirbt", schreibt Means einmal. "Von jetzt an soll das Leben herrlich sein." Natürlich bleibt es beim frommen Wunsch; denn wilder noch als Klima, Landschaft und Natur ist der Mensch.

Das Indianergebiet am oberen Hudson wurde im neunzehnten Jahrhundert von Eisenbahnen, Werften und Fabriken erobert. Die Industriedenkmäler sind schon wieder verwittert und verfallen, die alten Sagen und Mythen stärker denn je. Beides, Natur und Zivilisation, die kranken Wälder und Seen wie die verwilderte Industriebrache, hat sich tief in die Körper und Seelen ihrer Bewohner eingebrannt. In den verarmten Farmern halten sich noch Reste des alten Pioniergeistes und der puritanischen Ethik; aber mit der Depression kamen die Hobos und Tramps und später die Nomaden der Moderne: Ausflügler, Penner und Pendler aus New York, gestrandete Hippies, traumatisierte Kriegsveteranen, aus der Bahn geworfene Trucker. Der Zusammenprall der Kulturen verläuft nicht selten blutig: In der "Störung" etwa wird ein Obdachloser, der hungrig, frierend und stinkend in eine Hochzeitsgesellschaft platzt, brutal aus dem Hotel geprügelt. In der "Eisenbahngeschichte, August 1995" foltern vier verwahrloste Jugendliche einen BMW-Fahrer, der gerade seine Frau und sein Geld verloren hat, in einem Tunnel zu Tode; in "Hunger" zertreten die drogensüchtige Janet und der schizophrene Jimmy einen alten, stummen Mann samt seinem Sprechapparat.

Means erzählt seine Katastrophen und vermischten Meldungen ohne jede Entrüstung; nur in einigen schwächeren Geschichten schleicht sich gelegentlich ein melodramatischer Unterton ein. "Man würde sich vielleicht wünschen", schreibt er einmal, "es wäre nicht so gewesen, aber nein": Es gibt keine Erklärungen, weder mildernde Umstände noch göttlichen Trost, obwohl die Metaphorik religiös genug ist. Die Mörder wissen, was sie tun; die Opfer sind so allein wie Jesus am Kreuz, wenn sie "zwischen den Kiefern von Gottes dummer Gerechtigkeit" zermalmt werden.

Das "blinde Wüten des Schicksals", die häßliche Fratze der Prädestinationslehre, führt Täter wie Opfer in dieselbe Hölle, und Means treibt wie ein unbewegter Beweger die unerbittliche Vorsehung bis an jene Schmerzgrenze, wo Qual in Gnade umschlägt: Die Selbstverbrennung ist "wunderschön", der Tod im Feuer eines Pyromanen ein "heiliges Ereignis", der Totschlag im Tunnel ein Akt der Würde, und auch der Zugführer, der nicht darüber hinwegkommt, daß er die Leiche überfuhr, bekommt seine Absolution: "Es war eine gute Arbeit, auch wenn die Dinge nicht so liefen, wie sie laufen sollten. Es war eine gute, gute Arbeit." Jeffrey Eugenides nannte Means einmal einen "Anatomen des Desasters"; wahr daran ist jedenfalls, daß er bei aller Emphase und Ekstase seine Toten mit kühler Präzision seziert.

"Wir sind die Sprachlosen, die Schwerfälligen", sagt der "Gestenjäger", der aussterbende, unwiederholbare Gesten vor dem Untergang rettet, "wir sind verrückt vor unersättlicher Sehnsucht nach einem anderen Ort, einer anderen Zeit, nach einem Sinn für Bewegung." Der Gestenjäger Means gibt den entwurzelten Hinterwäldlern, den von Gott und Amerika vergessenen Außenseitern und Drop-outs ihre Sprache zurück.

Es liegt nicht an der Übersetzung von Dirk van Gunsteren, wenn sie nicht immer leicht zu verstehen ist: Zarte lyrische Passagen stoßen sich hart mit schweren soziologischen Brocken wie "Paradigmenwechsel" oder "narrativer Zielorientiertheit", die lakonische Sprache von Zeitungsmeldungen oder Lexikoneinträgen paart sich unversehens mit mystischen Schauern. Means arbeitet mit verwirrenden Perspektivwechseln, Auslassungen und Abschweifungen und wechselt geschmeidig die Tempora. Hin und wieder meldet er sich in Fußnoten zu Wort, die das Erzählte zu beglaubigen vorgeben ("Das ist eine entsetzliche, tragische Tatsache. Es stand in der Times") und damit vollends ins Zwielicht rücken.

Konsequenterweise gibt es daher auch nichts Unmögliches, und selbst das Übersinnliche ist plausibel, etwa daß Jesus im Krämerladen erscheint, Moorleichen oder auch Benzinkanister ihre Geschichte zu erzählen beginnen. Elementare Naturgewalten materialisieren sich in Sagenfiguren wie dem Hitzeteufel oder dem Staubmann, die das Gesicht eines Einstein, Nixon oder Hemingway tragen. Nick Kelley, der "Blitzmann", überlebte angeblich sieben Blitzschläge; während man noch rätselt, was davon Lügenmärchen, religiöser Wahn und neurologischer Defekt ist, spricht Gott zum achten Mal zu ihm, und dieses Mal ist sein Wort tödlich. Means' Erzählungen (die deutsche Ausgabe versammelt zwanzig Stories aus "Assorted Fire Events" und "The Secret Goldfish") sind bestechend präzise "Fallstudien zur Psychologie des Wunderbaren" aus einer Welt, in der es nicht mit rechten Dingen zugeht und die uns dennoch seltsam vertraut vorkommt.

David Means: "Coitus". Stories. Aus dem Englischen übersetzt von Dirk van Gunsteren. DuMont Verlag, Köln 2005. 280 S., geb., 19,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 23.11.2005

Der achte Blitz ist der letzte
Unter dem leeren Himmel von Michigan: David Means und sein Erzählband „Coitus”
Der amerikanische Schriftsteller David Means ist in Michigan aufgewachsen. Die meisten der Erzählungen in seinem Buch „Coitus” spielen in dieser rauen, an Wäldern reichen, von den Großen Seen umgebenen Gegend. Die Gegend hat die Schriftsteller immer beeindruckt, und wovon Means’ Erzählungen bevorzugt handeln, findet man schon in einer der ersten Erzählungen Hemingways, „Up in Michigan” aus dem Jahr 1921. Sie handelt von Sex an der Grenze zur Vergewaltigung und ist eine raue und zynische Version von Boy-meets-Girl, in der die junge Frau zuletzt wie eines der Rehe wirkt, die ihr Liebhaber am Tag zuvor erlegt hat.
David Means schreibt kompliziert und wunderbar sinnlich. Er ist, das merkt man sofort, ein außerordentlich kluger Schriftsteller, der eine Verschränkung wie die von Sex und Gewalt niemals nur reproduzieren, sondern in ihre psychologischen Motive eindringen und ihren Zusammenhang in mögliche Zusammenhänge auflösen wird. In der Titelgeschichte „Coitus” tut er genau das, wenn er eine Erzählung vom außerehelichen Geschlechtsverkehr mit den schmerzhaften Erinnerungen des Manns an den Tod seines Bruders abwechseln lässt. Man kommt nicht darum herum, von einer Obsession zu sprechen, zu viele seiner Erzählungen kreisen darum, dass ein Mensch gestorben und ein anderer daran schuld ist. Vielleicht kann der Tod im Leben eines Menschen gar nicht präsenter sein als durch ein solches Schuldgefühl, und was man Gewissen nennt, ist die Rache der Toten an den Lebenden.
In der Erzählung „Die Lage der Witwe” lernt Grace nach dem Tod ihres Manns Hugh kennen. Zum ersten Mal wird für sie so etwas wie ein Normalzustand wieder greifbar. Als Hugh schon bei ihr zu Hause sitzt, schiebt Grace ein Homevideo in den Recorder, das sie mit ihrem toten Mann Ron beim Sex während des Hochzeitsurlaubs in Madrid zeigt. In diesem Moment scheint es Hugh das Natürlichste auf der Welt zu sein, dass sie das tut. Das Erinnern ist nämlich eine komplizierte Sache. Es ist kompliziert, wie die eine Schuld - wie in „Coitus” zum Beispiel der Tod eines Bruders - mit der anderen - Ehebruch - zusammenhängt. Means macht das formal deutlich. In feingliedrigem Satzbau, zwischen Perspektiven und Tempi wechselnd, vollzieht er die inneren Regungen seiner Protagonisten nach und lässt ihnen einen Rest Unerklärlichkeit. Gleichzeitig bedient er sich einer lyrischen Sprache. Das Standardvokabular zielt ja immer knapp an den Dingen vorbei. Metaphern sind Schüsse ins Dunkel, können aber deshalb auch ins Herz treffen.
David Means traut der Literatur viel zu, aber darüber, dass Bücher und das Lesen eine eigene Erotik besitzen, lacht er grimmig. Er ist kein Idealist und kein Platoniker. Der sexuelle Orgasmus ist demjenigen im Kopf eher überlegen als ebenbürtig, nicht ohne Grund heißt sein Erzählband „Coitus”. In einer ganzen Reihe von Geschichten arbeitet sich Means am Koitus ab. Means zeigt, was er mit Macht, Beherrschung und Unterwerfung zu tun hat, aber er lässt sich nicht davon abbringen, Grazie im Halbbewussten und Animalischen von Sex zu finden.
Quicklebendiger Tod
Anders als bei Hemingway ist Sex nicht bloß Natur, und er ist auch keine Sportart wie bei neueren Autoren. Sex ist eine Tür zum Übernatürlichen. Entsprechend haben Means’ Charaktere die schöne Angewohnheit, Gottesdienst zu feiern, indem sie miteinander schlafen. In der schwierigen Kunst, die körperliche Vereinigung weder verschwurbelt noch pornografisch darzustellen, ist dieser Autor ein kleiner Meister. Das kann den deutschsprachigen Lesern auch dank Dirk von Gunsterens Übersetzung nicht entgehen.
Sex und Gewalt gehen nur die auffälligste Kreuzung ein, in fast allen Erzählungen von David Means wird die Vergangenheit präsenter als die Gegenwart, Totes spricht, Katastrophen bergen einen erlösenden Augenblick. Und wenn es einen quicklebendigen Agenten in Means’ Geschichten gibt, dann ist es der Tod. Meist hat er schon zugeschlagen, wenn die Geschichten beginnen, wenn nicht, steht er schon mit den ersten Sätzen im Raum. Da ist zum Beispiel der „Blitzmann” Nick Kelley, der sieben Mal vom Blitz getroffen wird. Mit großen Schwierigkeiten konfrontiert, sein Schicksal zu verstehen, wird Kelley Stück für Stück hingerichtet, bis ihn der achte Blitz erlöst. Wie bösartige Kreaturen erscheinen dem Mann die Blitze, jede von ihnen besitzt einen eigenen Charakter und eine eigene Physiognomie. Wie könnte es auch anders sein? Menschliches kann man verstehen, denn was Menschen tun, hat einen Sinn oder ist sinnlos. Oder steht doch ein höherer Wille hinter Elektrizität und Blitzen, wie schon das unheimliche Kapitel „Die Kerzen” in Melvilles „Moby Dick” nahe legt?
Eher nicht, Means’ Geschichten zeigen eine existenzialistische Tendenz. Sie sagen: Wer die Natur nicht nur erklären, sondern verstehen will, wird Gesichter in ihr sehen, den Sonnenschein als Wohltat empfinden oder den Regen als Frechheit. Er wird möglicherweise anfangen, an einen Gott zu glauben, aber nur möglicherweise. David Means weiß, dass ein Feuer, ein Goldfisch, ein Benzinkanister oder eine Moorleiche Helden einer Geschichte sein und selber Geschichten erzählen können, ohne dass er als Autor einen Gott, Pantheismus oder Animismus vertreten müsste. Means weiß, dass Menschen alles aus dem eigenen Blickwinkel sehen: Alles ist für sie irgendwie bedeutsam, weil es für alles eine mögliche Verwendung gibt, selbst für einen Sandsturm. So ein Sturm kann ein Wunsch sein oder eine Angst: Dann füllen sich bei Means die Zeitungen mit Berichten über „Staubmänner”, die Jesus, einem Atompilz oder Richard Nixon gleichen.
In die Sprache ist der Mensch eher hineingeworfen als dass er über sie verfügt. Means setzt ganze Teile seiner Erzählungen in den Imperativ oder ins Futur, und das nicht, weil er spielen will, sondern weil die Grammatik etwas über das Dasein sagt und Antworten gibt, zum Beispiel auf die Frage: In welcher Zeit kann ich sein? Grammatik und der Tod mögen recht verschiedene Dinge sein, gemein ist ihnen, dass es kein Menschenleben gibt, das ohne sie auskommt. Es gibt wenige Schriftsteller, die ihre Poetik bis in die Verästelungen der Syntax durchdacht haben und mit ihrer Hilfe so souverän experimentieren und erzählen wie David Means. KAI WIEGANDT
DAVID MEANS: Coitus. Stories. Aus dem Englischen von Dirk von Gunsteren. DuMont Literatur und Kunst Verlag, Köln 2005. 280 Seiten, 19,90 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

"Kompliziert und wunderbar sinnlich" findet Kai Wiegandt die Erzählungen von David Means, die in Michigan spielen und in denen sich der amerikanische Autor hauptsächlich "am Koitus abarbeitet". In der Titelgeschichte beispielsweise verschränke Means einen Seitensprung mit der "schmerzhaften Erinnerung" eines Mannes an den Tod seines Bruders, und der Rezensent konstatiert beim Thema des durch einen anderen verursachten Tod eine "Obsession" des Autors, weil er häufiger darüber schreibt. Dabei zeigt Means nicht nur inhaltlich, sondern auch "formal" bis in die Syntax seiner Erzählungen hinein, dass "Erinnern eine komplizierte Sache" darstellt, meint Wiegandt eingenommen. Er bewundert die "lyrische Sprache des Autors und es gefällt ihm, dass Means seinen Protagonisten bei der genauen Erkundung ihrer Gefühle und Motivationen einen "Rest Unerklärlichkeit" zugesteht. Vor allem aber findet der Rezensent in Means einen "kleinen Meister" in der Schilderung von Sex, der bei ihm nie "verschwurbelt" und schon gar nicht "pornografisch" dargestellt wird, sondern vielmehr eine "Tür zum Übernatürlichen" öffnet.

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