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Herhören! Es sprechen die russischen Dichter.
Er trat im Zirkus auf und brüllte, auf einem Ross galoppierend, seine Verse ins Publikum. Wie bei Sergej Esenin gehört ein virtuoser Vortragsstil zur Tradition russischer Dichtung - so wie das gesprochene Wort die Wurzel jeglicher Dichtung ist. Von Vladimir Majakovskij wird berichtet, dass er in einem Restaurant unentwegt Verse rezitierte, bis er von Osip Mandelstam ermahnt wurde, aufzuhören. Dass das "lebende Wort" die Masse ergreifen solle, war der Anspruch der russischen Avantgarde. In den Jahren um 1910 wurde die öffentliche Dichterlesung…mehr

Produktbeschreibung
Herhören! Es sprechen die russischen Dichter.

Er trat im Zirkus auf und brüllte, auf einem Ross galoppierend, seine Verse ins Publikum. Wie bei Sergej Esenin gehört ein virtuoser Vortragsstil zur Tradition russischer Dichtung - so wie das gesprochene Wort die Wurzel jeglicher Dichtung ist. Von Vladimir Majakovskij wird berichtet, dass er in einem Restaurant unentwegt Verse rezitierte, bis er von Osip Mandelstam ermahnt wurde, aufzuhören. Dass das "lebende Wort" die Masse ergreifen solle, war der Anspruch der russischen Avantgarde. In den Jahren um 1910 wurde die öffentliche Dichterlesung eingeführt und erlebte bald ihre ersten Höhepunkte. Alexander Nitzberg hat in den russischen Archiven Lyrikphonogramme entdeckt - einen besonderen Schatz bilden dabei die Aufnahmen der großen Dichter der Moderne. Die vorliegende Auswahl präsentiert die künstlerisch wertvollsten dieser Tonaufnahmen: Dem deutschen Publikum wird damit zum ersten Mal die Möglichkeit geboten, jene Lyriker, die an der Entwicklung der europäischen Poesie maßgeblich gearbeitet haben, zu hören und mit ihrer Stimme kennen zu lernen.

Bitte beachten Sie auch unsere Internet-Seite: www.Junge-Russen.de
Autorenporträt
Alexander Nitzberg, geb. 1969 in einer Künstlerfamilie in Moskau, 1980 nach Deutschland aus. Studium der Germanistik und Philosophie an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf. Er ist freier Schriftsteller und Publizist. Des Weiteren unterrichtet er an der Heinrich-Heine-Universität und verfasst Lyrik, Prosa, Essays, Dramen und übersetzt aus dem Russischen. Er ist Mitglied im P.E.N.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 01.12.2003

Würden Sie denn?
Eine glänzende Enttäuschung mit Tolstoj, Achmatova, Esenin
„Ach / würden Sie / auf Leitungsrohren / mir bitte flöten ein Nocturne?”, fragt bittend Vladimir Majakovskij in einem Gedicht aus dem Jahr 1913. Man erkennt in „A wy mogli by” („Würden Sie denn?”) sofort eines seiner schönsten Gedichte – wenn man es auf Russisch hört, die Sprache, in der es Reime besitzt, wenn man es womöglich vom Autor selbst gesprochen hört, der diesen höheren, verspielten, freieren Unsinn stolzgeschwellt deklamiert, als gelte es einen Vokalzauber zu zelebrieren. Majakovskij soll die Angewohnheit besessen haben, in einem Restaurant unentwegt Verse zu zitieren, bis Ossip Mandelstam, offenkundig genervt, ihn eines Tages zur Ordnung rief: „Majakovskij, hören Sie auf, andauernd Gedichte vorzutragen! Sie sind doch keine Rumänenkapelle!”
Russische Dichter, ihre eigenen Verse deklamierend, versammelt nun zum ersten Mal für das deutsche Publikum, eine sorgfältig verpackte CD des Dumont-Verlages. Ein rot-schwarz bedrucktes Plakat liegt bei, der Herausgeber Alexander Nitzberg hat ein ausführliches Vorwort verfasst, die Gedichte sind in russisch und in deutscher Übertragung dokumentiert. Die Aufmachung spielt mit Anklängen an konstruktivistisches Design. Das sieht alles sehr edel aus.
Die Auswahl der Dichter ist großartig. Es beginnt mit einer kurzen Stellungnahme Lev Tolstojs gegen die Todesstrafe. Tolstoj hat unter den Lyrikern, hat zwischen Blok und Esenin, Mandelstam und Belyj eigentlich nichts zu suchen, aber wer würde auf die Gelegenheit verzichten, diese Stimme des neunzehnten Jahrhunderts zu präsentieren. Der größte Artist unter den Kunstverächtern liest, wie wir erfahren, „den Anfang einer alternativen Version” des 1908 veröffentlichten Artikels „Ich kann nicht schweigen”. Warum und wann, wo hat er diesen Anfang eingesprochen. Es wird uns nicht verraten. Im Fall von Majakovskijs „Würden Sie denn?” können wir darauf wetten, dass es sich um die berühmte Radioaufnahme, wahrscheinlich aus dem Jahr 1920 stammend, handelt, die als älteste erhaltene Aufnahme gilt.
Mit großer Verve plädiert Nitzberg in seinem enthusiastischen Vorwort dafür, die „sprachmagische Gewalt” der Verse wahrzunehmen, und behauptet in einem überschwänglichen Kurschluss, alle Lyrik verliere im Druck. Für die meisten der hier präsentierten Verse mag das stimmen. Wie aber verändern sich Sprachmagie und „existentielles Erleben” vor dem Mikrofon? Sergej Esenin, der Majakovskij im Freitod voranging, trat im Zirkus auf, galoppierte auf Pferden und brüllte seine Verse ins Publikum. Die Aufnahmen auf dieser CD lassen keine Ahnung von Pferdegetrappel aufkommen. Zwar hebt Esenin die Stimme bei einzelnen Worte, reißt sie, als handele es sich um Prunkstücke, die übersehen werden könnten aus der Versemelodie – so wie man, um in der Menge sichtbar zu werden, einen Schal hochhält und schwenkt, aber er hat seine Lautstärke offenkundig den Bedingungen der Tontechnik angepasst, die zu lautes Sprechen bekanntlich unerbittlich straft. Wann sind die Aufnahmen entstanden? Für wen? Wir erfahren es nicht.
Von Nikolaj Gumilëv sind die „Kanzonen” zuhören, auf Melodie bedacht, fast einlullend gesprochen. Diese gehöre, heißt es, zu den „seltensten Aufnahmen überhaupt”, noch vor kurzem galten sämtliche Originaltöne des Dichters für verloren. Ist es vermessen, zu fragen, wann und wo sie wieder aufgefunden wurden? Mehr Information und weniger Kult um den hohen Ton, der zu den „tiefsten Wesenszügen” der russischen Dichtung gehöre, wünscht man sich in jedem Fall.
Aber auch der Dichterkult wird nicht durchgehalten. Wie sonst soll man es sich erklären, dass ins Deutsche übersetzten Gedichte aller 14 Dichter von ein und demselben, von Alexander Nitzberg, gesprochen werden. Von Gewalt, Magie und hohem Ton ist dabei nichts mehr zu spüren, viel aber von Anstrengung, Bemühen um Korrektheit. So deklamieren Sprecherzieher, wenn sie ihren Zöglingen den rechten Weg durch Übertreibung deutlich machen wollen.
So wird das Hören dieser CD zu einer Achterbahnfahrt zwischen Begeisterung und Abwehr. Ohne Zögern lässt man sich von den Stimmen der russischen Dichter in den Bann ziehen, lauscht den großen Namen Mandelstam und Achmatova, ist begeistert, Neues zu entdecken: etwa Nikolaj Kljuev (1884-1937). Der Sohn eines Klageweibes wurde ein Opfer des Stalinschen Terrors. Der kurze Ausschnitt aus seinem Poem „Das Dorf”, im klagenden Ton vorgetragen, gehört zu den stärksten Eindrücken. Und dann kommt unvermeidlich die Stimme Nitzbergs, der alle Unterschiede zwischen den Dichtern einebnet, das Individuelle im angestrengt Weihevollen verschwinden lässt.
Diese CD füllt eine Lücke, aber sie tut es so unbedacht, dass auch die elegante Verpackung die Enttäuschung nicht zu mindern vermag.
JENS BISKY
ALEXANDER NITZBERG: Sprechende Stimmen. Russische Dichter lesen. Originalaufnahmen. Herausgegeben, übersetzt und mit einem Vorwort von Alexander Nitzberg. Dumont Verlag, Köln 2003. 1 CD, 39,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

"Russische Dichtung, so der Rezensent Reinhard Lauer, lebt von der Deklamation, weil sie gerade das Lautliche zum Wesentlichen erhebt, und damit unweigerlich zum Albtraum eines jeden Übersetzers werden muss. Umso schöner also, dass Alexander Nitzberg eine Anthologie russischer Dichterlesungen im Original zusammengestellt hat, in der viele Große, wenn auch mit der Patina der rudimentären Aufnahmequalität, zu Wort kommen, in ihrem ganz eigenen Klang: etwa den "zornigen greisen Tolstoi", wie er gegen die Todesstrafe wettert, oder die aufgebracht "erhobene Stimme" von Ossip Mandelstam - all das findet der Rezensent sehr reizvoll. Zumal die russische Deklamationsweise sich hier in ihrer Eigentümlichkeit zeige, in ihren "schweren betonten Vokalen", in ihrem "hart artikulierten Konsonantismus" und in einem "sich mitunter fast zur Kantilene emporschwingender Versfluss". Nitzbergs angefügte deutsche Übersetzungen gefallen dem Rezensenten, wenn er sie auch trotz aller "Virtuosität" ein wenig zu "glatt" findet. Doch immerhin gelinge es Nitzberg, das Pathos der Originale in seiner Wiedergabe erspüren zu lassen. Ein "liebevolles Potpourri", lautet Lauers Fazit.

© Perlentaucher Medien GmbH"